Gesundheit von Frauen im Strafvollzug - WHO/Europe

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Gesundheit von Frauen im Strafvollzug - WHO/Europe
Das WHO-Regionalbüro
für Europa
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist
eine 1948 gegründete
Sonderorganisation der
Vereinten Nationen, die
sich in Linie mit
internationalen
Gesundheitsfragen und
der öffentlichen
Gesundheit befasst. Das
WHO-Regionalbüro für
Europa ist eines von
sechs Regionalbüros, die
überall in der Welt
eigene, auf die
Gesundheitsbedürfnisse
ihrer Mitgliedsländer
abgestimmte
Programme
durchführen.
Mitgliedstaaten
Albanien
Andorra
Armenien
Aserbaidschan
Belgien
Bosnien-Herzegowina
Bulgarien
Dänemark
Deutschland
Ehemalige jugoslawische
Republik Mazedonien
Estland
Finnland
Frankreich
Georgien
Griechenland
Irland
Island
Israel
Italien
Kasachstan
Kirgisistan
Kroatien
Lettland
Litauen
Luxemburg
Malta
Monaco
Montenegro
Niederlande
Norwegen
Österreich
Polen
Portugal
Republik Moldau
Rumänien
Russische Föderation
San Marino
Schweden
Schweiz
Serbien
Slowakei
Slowenien
Spanien
Tadschikistan
Tschechische Republik
Türkei
Turkmenistan
Ukraine
Ungarn
Usbekistan
Vereinigtes Königreich
Weißrussland
Zypern
GESUNDHEIT VON FRAUEN IM STRAFVOLLZUG; BESEITIGUNG VON UNGLEICHHEITEN ZWISCHEN DEN
GESCHLECHTERN IM STRAFVOLLZUG
Gesundheit von
Frauen im
Strafvollzug
Beseitigung von Ungleichheiten
zwischen den Geschlechtern im
Strafvollzug
Offender Health
WHO Collaborating Centre for
Promoting Health and Prisons
World Health Organization
Regional Office for Europe
Scherfigsvej 8, DK-2100 Copenhagen Ø, Denmark
Tel.: +45 39 17 17 17. Fax: +45 39 17 18 18. E-mail: [email protected]
Web site: www.euro.who.int
2009
Gesundheit von Frauen im
Strafvollzug
Beseitigung von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern
im Strafvollzug
2009
ZUSAMMENFASSUNG
1995 startete das WHO-Regionalbüro für Europa mit Unterstützung des WHO-Kooperationszentrums für Gesundheit im Strafvollzug beim britischen Gesundheitsministerium das Projekt „Gesundheit im Strafvollzug“. Das Projekt erstreckt sich auf ein Netzwerk von Ländern, die sich den Schutz und die Förderung der Gesundheit im Strafvollzug im Interesse der Häftlinge, des Wachpersonals und der öffentlichen Gesundheit zum Ziel gesetzt haben.
Das Netzwerk erarbeitet anhand seiner Erfahrungen und gebündelten Fachkompetenz Leitlinien für die Länder, die
die Gesundheitsversorgung und Bedingungen in ihren Haftanstalten verbessern und insbesondere deren Rolle bei
der Verhinderung der Ausbreitung von Krankheiten ausbauen möchten. Das Netzwerk hat sich zum Ziel gesetzt,
eine bedeutende Chance zur Förderung der Gesundheit einer marginalisierten Gruppe möglichst optimal zu nutzen
und so nach ihrer Rückkehr in die Gesellschaft auch zur Gesundheit der Bevölkerung allgemein beizutragen. Auf
Ersuchen der beteiligten Mitgliedstaaten hat das WHO-Projekt „Gesundheit im Strafvollzug“ zusammen mit Partnerorganisationen und Sachverständigen sowie mit Unterstützung des Büros der Vereinten Nationen für Drogenund Verbrechensbekämpfung, des Quäkerrats für Europäische Angelegenheiten, des Büros der Quäker bei den
Vereinten Nationen, des Sainsbury Centre for Mental Health, der Aids-Stiftung Ost-West und der Europäischen
Beratungsstelle für Drogen und Drogensucht eine Bestandsaufnahme in Bezug auf all die für die Gesundheit weiblicher Häftlinge im Strafvollzug relevanten Fragen durchgeführt und dabei ein besonderes Augenmerk auf die erheblichen gesundheitlichen Ungleichheiten gerichtet, denen Frauen in Haftanstalten ausgesetzt sind. Das Projekt
hat die beiliegende Erklärung und das dazugehörige Hintergrundpapier als Untermauerung der Empfehlungen und
des im Schlussteil enthaltenen Handlungsappells angenommen.
Schlüsselwörter
PRISONS
PRISONERS
WOMEN’S HEALTH
EUROPE
EUR/09/5086974
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Publications
WHO Regional Office for Europe
Scherfigsvej 8
DK-2100 Kopenhagen Ø, Dänemark
Oder füllen Sie auf der Website des Regionalbüros für Europa ein Online-Formular für Dokumentation/Information bzw. die Genehmigung zum Zitieren/Übersetzen aus (http://www.euro.who.int/PubRequest?language=German).
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Autoren, Redakteuren oder Expertengruppen geäußerten Ansichten sind nicht unbedingt Ausdruck der Beschlüsse oder der
erklärten Politik der Weltgesundheitsorganisation.
Inhalt
Vorwort ............................................................................................................................... v
Danksagung........................................................................................................................vii
Erklärung von Kiew über die Gesundheit von Frauen im Strafvollzug ....................................... 1
Einführung........................................................................................................................... 9
Notwendigkeit einer Erklärung über die Gesundheit von Frauen im Strafvollzug.................... 9
Zielsetzung einer Erklärung über die Gesundheit von Frauen im Strafvollzug ..................... 10
Definitionen ................................................................................................................... 11
Frauen, Strafvollzug und Gesellschaft .................................................................................. 13
Fakten und Zahlen.......................................................................................................... 13
Menschenrechtsnormen und internationale Übereinkommen ............................................. 15
Frauen in Strafvollzug und Gesellschaft ............................................................................ 17
Soziale Beziehungen ....................................................................................................... 17
Mädchen im Strafvollzug ................................................................................................. 18
Ältere Frauen im Strafvollzug .......................................................................................... 19
Ausländische Frauen im Strafvollzug ................................................................................ 19
Kinder von inhaftierten Frauen ........................................................................................ 20
Gesundheit von weiblichen Häftlingen ................................................................................. 24
Notwendigkeit einer geschlechtsspezifischen Gesundheitsversorgung ...................................... 24
Organisation der Gesundheitsversorgung für Frauen im Strafvollzug ...................................... 25
HIV, Hepatitis C und andere Infektionskrankheiten ........................................................... 26
Substanzmissbrauch ....................................................................................................... 28
Psychische Gesundheit und psychische Erkrankungen ....................................................... 31
Selbstverletzung und Suizid............................................................................................. 33
Lernstörungen................................................................................................................ 35
Sexuelle und reproduktive Gesundheit ............................................................................. 35
Schwangerschaft, postnatale Versorgung und Stillen ........................................................ 37
Gewalt und Misshandlung ............................................................................................... 39
Mehrfacher oder komplexer Behandlungsbedarf ............................................................... 40
Vorbereitungen auf die Zeit nach der Haftentlassung und Kontinuität der
Gesundheitsversorgung ................................................................................................... 43
iii
Wie lässt sich die Situation verbessern? Was kann, sollte und muss getan werden?................ 46
Jüngste Entwicklungen und neue Pläne............................................................................ 47
Empfehlungen ................................................................................................................ 49
Schlussbemerkungen.......................................................................................................... 60
Literatur ............................................................................................................................ 61
iv
Vorwort
In Konzepten für den Strafvollzug werden die speziellen gesundheitlichen und sonstigen Bedürfnisse von Frauen häufig übersehen. Viele Frauen in Haftanstalten leiden an schwerwiegenden
psychischen Erkrankungen und sind alkohol- oder drogensüchtig und waren körperlicher Gewalt
oder sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Häufig vernachlässigt werden auch Fragen, die sich aus
geschlechtsspezifischen gesundheitlichen Bedürfnissen und familiären Verpflichtungen ergeben.
Obwohl Frauen nur einen geringen Anteil an der Gesamtzahl der Häftlinge stellen, steigt ihre
Zahl dennoch an, und der prozentuale Anstieg ist erheblich höher als bei Männern.
Die rapide Ausbreitung des HIV-Virus, das Wiederauftreten anderer gefährlicher übertragbarer
Krankheiten wie Tuberkulose und Hepatitis und die zunehmende Erkenntnis, dass Haftanstalten
als Auffangeinrichtungen für Drogen- oder Alkoholabhängige oder Menschen mit psychischen
Problemen ungeeignet sind, haben dem Thema Gesundheit im Strafvollzug einen hohen Stellenwert auf der gesundheitspolitischen Tagesordnung verschafft. Die WHO hat unterstrichen, dass
jede nationale Gesundheitsstrategie Konzepte für den Strafvollzug beinhalten muss, die sich mit
diesen schwerwiegenden Gesundheitsproblemen auseinandersetzen.
Gesundheit ist ein grundlegendes Menschenrecht, insbesondere für Menschen, die sich in staatlichem Gewahrsam befinden. Obwohl Frauen dieselben Rechte genießen sollten wie Männer, sind
doch die Strafvollzugssysteme primär auf männliche Häftlinge zugeschnitten, und so verfügen
viele Haftanstalten nicht einmal über geeignete Einrichtungen, um den Schutz der Rechte und
der Gesundheit von Frauen zu gewährleisten. Noch zusätzlich erschwert wird eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik durch den Mangel an Daten und Forschungsergebnissen über die
gesundheitliche Situation von Frauen in Haft. Die Gesundheitssysteme müssen geeignete Konzepte für die Gesundheit im Strafvollzug einführen, bei denen die gesundheitlichen Bedürfnisse
von Frauen in allen Phasen der Planung und Realisierung gebührend berücksichtigt werden.
Seit 1995 arbeitet das WHO-Regionalbüro für Europa auf eine Verringerung der Gefährdung der
öffentlichen Gesundheit durch ehemalige Häftlinge sowie den Schutz bzw. die Förderung der
Gesundheit im Strafvollzug hin. Das Regionalbüro hat in Berichten wie Gesundheit im Strafvollzug: Ein Leitfaden der WHO zu den Voraussetzungen für Gesundheit im Strafvollzug (2007) die
v
neusten Forschungsergebnisse und Analysen von Sachverständigen zusammengestellt und so
dem Thema einen höheren Stellenwert verschafft. Auf der Grundlage der Gleichstellungspolitik
der WHO hat das Regionalbüro Forschungsarbeiten mit dem Ziel gefördert, evidenzbasierte Leitlinien zu den wichtigsten Aspekten der Gesundheit von Frauen in Haft und im Strafvollzugssystem insgesamt zu erstellen.
Die Grundsätze und Empfehlungen der Erklärung von Kiew über die Gesundheit von Frauen im
Strafvollzug sind bedeutende Schritte hin zur Verbesserung der Gesundheitssysteme und zur
Auseinandersetzung mit den gesundheitlichen Bedürfnissen von Frauen im Strafvollzug. Ich habe
die Hoffnung, dass dieser Bericht, in dem die auf der Fachkonferenz von Kiew im November
2008 zusammengetragenen Erkenntnisse und Expertenmeinungen dargestellt werden, dazu beiträgt, alle Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, die Erklärung von Kiew anzunehmen und umzusetzen und so ihrer Verpflichtung für Menschenrechte und Gesundheitsförderung für alle
nachzukommen.
Nata Menabde
Stellvertretende Regionaldirektorin für Europa der WHO
vi
Danksagung
Für ihre wertvollen Beiträge zur Erstellung dieser Publikation möchten wir uns bei folgenden
Experten bedanken:
•
Isabel Yordi Aguirre, WHO-Regionalbüro für Europa
•
Tomris Atabay, Referat Gerechtigkeit und Integrität, Büro der Vereinten Nationen für
Drogen- und Verbrechensbekämpfung, Wien
•
Mark Bellis, Koordinationszentrum für den Arbeitsbereich Gewalt und Gesundheit, Universität Edinburgh, Schottland, Vereinigtes Königreich
•
Rachel Brett, Büro der Quäker bei den Vereinten Nationen, Genf
•
Michael Browne, Gesundheitsversorgung und Drogen, Justizvollzugs- und Jugendhaftanstalt Holloway, London
•
Ingrid Lycke Ellingsen, Expertengruppe für Gesundheit im Strafvollzug, Partnerschaft
der Nördlichen Dimension für Gesundheit und Soziales, Norwegen
•
Andrew Fraser, Kooperationszentrum für Gesundheit im Strafvollzug, Scottish Prison
Service, Vereinigtes Königreich
•
Mignon French, Gesundheit von weiblichen Häftlingen, Gesundheitsministerium, London
•
Alex Gatherer, Berater auf Zeit, Projekt „Gesundheit im Strafvollzug“, WHORegionalbüro für Europa
•
Fabienne Hariga, Referat HIV und Aids, Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und
Verbrechensbekämpfung, Wien
•
Paul Hayton, Kooperationszentrum für Gesundheit im Strafvollzug, Gesundheitsministerium, London
•
Dagmar Hedrich, Europäische Beratungsstelle für Drogen und Drogensucht, Lissabon
•
Rachel Hunter, Gesundheit von weiblichen Häftlingen, Gesundheitsministerium, London
•
Natalya Kalashnyk, Staatliche Behörde für den Strafvollzug, Kiew, Ukraine
•
Morag MacDonald, Women’s Offender Health Research Interest Group, Birmingham City University, Vereinigtes Königreich
vii
•
Ruth Elwood Martin, Professorin, Vancouver Foundation, Kanada
•
Lesley McDowall, Gesundheitsversorgung, Justizvollzugs- und Jugendhaftanstalt Cornton Vale, Scottish Prison Service, Vereinigtes Königreich
•
Nick McGeorge, Vertreter der Quäker, Kommission der Vereinten Nationen für Verbrechensverhütung und Strafrechtspflege
•
Sheila McNerney, Chlamydien-Untersuchungsprogramm der Stadt Leeds, Vereinigtes
Königreich
•
Katherine Moloney, WHO-Regionalbüro für Europa
•
Liz Scurfield, Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten, Brüssel
•
Mia Spolander, Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung,
Wien
•
Nancy E. Stoller, Abteilung Gesellschaftsstudien, Universität Kalifornien, Santa Cruz
•
Laura Thorne, Haftanstalten und Strafrecht, Sainsbury Centre for Mental Health, London
•
Corey Weinstein, American Public Health Association, Washington
Wir bedanken uns insbesondere bei Alex Gatherer für seine tatkräftige Unterstützung bei der Erstellung dieser Publikation.
Unser Dank gilt auch dem Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten für seinen finanziellen
Beitrag zur Veranstaltung des Runden Tisches zum Thema Gesundheit von weiblichen Häftlingen sowie dem Kooperationszentrum für Gesundheit im Strafvollzug für die Ausrichtung dieser
Veranstaltung am Sitz des Gesundheitsministeriums im Juni 2008 in London.
Lars Møller, Leiter, Projekt „Gesundheit im Strafvollzug“
Brenda van den Bergh, Fachreferentin, Projekt „Gesundheit im Strafvollzug“
WHO-Regionalbüro für Europa
viii
Erklärung von Kiew über die Gesundheit von Frauen im
Strafvollzug
1. Wir, die von den Regierungen anerkannten Vertreter der für die Gesundheit im Strafvollzug
zuständigen Ministerien, das WHO-Kooperationszentrum für Gesundheit im Strafvollzug
beim britischen Gesundheitsministerium, Vertreter des Büros der Vereinten Nationen für
Drogen- und Verbrechensbekämpfung, des Quäkerrats für Europäische Angelegenheiten, des
Büros der Quäker bei den Vereinten Nationen, des Sainsbury Centre for Mental Health, der
Aids-Stiftung Ost-West sowie anderer internationaler Organisationen aus der gesamten Europäischen Region und den Vereinigten Staaten von Amerika mit Fachkompetenz auf dem
Gebiet der Gesundheit im Strafvollzug, stellen mit Besorgnis fest, dass der Umgang mit
Straftäterinnen in den heutigen Strafvollzugssystemen oft deren grundlegenden Bedürfnissen
gesundheitlicher und anderer Art nicht gerecht wird und somit erheblich hinter dem zurückbleibt, was die Menschenrechte, die anerkannten internationalen Empfehlungen und die soziale Gerechtigkeit gebieten.
2. Wir sind darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Sachlage in Bezug auf Frauen im
Strafvollzug komplex und schwierig ist und eine Auseinandersetzung mit ihren gesundheitlichen Bedürfnissen sehr erschweren kann.
•
Zwar ist der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Gefängnisinsassen nur sehr gering
(durchschnittlich 4,9% in der Europäischen Region, allerdings mit erheblichen Unterschieden zwischen den Ländern), doch steigt in jüngster Zeit die Anzahl der weiblichen
Häftlinge schneller als die der männlichen. Insgesamt befinden sich in der Europäischen
Region derzeit ca. 100 000 Frauen in Haft.
•
Die Mehrzahl der verurteilten Frauen haben keine Gewalttaten begangen, sondern eher
Eigentums- oder Drogendelikte; außerdem verbüßen viele Frauen nur eine kurze Haftstrafe, was eine hohe Fluktuation zur Folge hat.
1
•
Da Frauen in der Haft häufig Opfer körperlicher Misshandlung oder sexueller Gewalt
werden, sind Strafvollzugsbehörden und Wachpersonal aufgefordert, ihre Menschenwürde und Sicherheit zu bewahren und weibliche Häftlinge vor Schikanen und Übergriffen
jeder Art zu schützen. Männliche Wärter sollten nicht für die unmittelbare Bewachung
von Frauen zuständig sein. Sie sollten nie routinemäßig körperlichen Kontakt mit ihnen
oder Zugang zu ihren Wohn- und Waschbereichen haben.
•
In zahlreichen Ländern ist die Anzahl der in Untersuchungshaft befindlichen Frauen
ebenso hoch oder sogar höher als die Anzahl der verurteilten Straftäterinnen. Untersuchungshäftlinge haben oft nur begrenzten Kontakt mit anderen Strafgefangenen, weniger
Zugang zu Gesundheitsleistungen und Berufsausbildungsmaßnahmen und unterliegen
häufig auch Beschränkungen hinsichtlich Kontakten zu Angehörigen (einschließlich Besuchsrecht); hiervon sind Frauen mit Kindern wie auch die Kinder selbst besonders stark
betroffen.
•
Frauen in Haft weisen eine hohe Prävalenz psychischer Gesundheitsprobleme auf, die nur
selten in angemessener Weise behandelt werden. Die weibliche Gefängnispopulation
weist hohe Raten an posttraumatischen Belastungsstörungen und Suchtproblemen auf.
Selbstverletzung und Suizid sind unter weiblichen Häftlingen relativ häufiger als unter
männlichen.
•
Ein Großteil der inhaftierten Frauen waren ihr Leben lang Opfer von Kindesmissbrauch,
Vernachlässigung oder häuslicher Gewalt. Es besteht ein enger Zusammenhang zu den
kriminogenen Faktoren in der Persönlichkeitsentwicklung von Frauen und zu ihrem psychischen und körperlichen Gesundheitszustand.
•
Da ausländische Frauen, aber auch Mädchen und ältere Frauen in Haftanstalten Minderheiten innerhalb einer Minderheit der Gefängnispopulation darstellen, werden ihre Bedürfnisse leicht übersehen.
2
•
Aufgrund der niedrigen Anzahl weiblicher Häftlinge verfügen die meisten Länder nur
über wenige Hafteinrichtungen für Frauen. Deshalb sind Frauen oft in großer Entfernung
von ihrem Wohnort inhaftiert, was eine zusätzliche Belastung für die Familie darstellt.
•
Viele weibliche Häftlinge sind Mütter und meist die primären oder alleinigen Verantwortlichen für die Betreuung ihrer Kinder. Nach Schätzungen sind in der Europäischen Region
ca. 10 000 Säuglinge und Kleinkinder unter zwei Jahren von der Inhaftierung ihrer Mütter betroffen. Betrachtet man die gesamte Altersgruppe unter 18 Jahren, so liegt die Anzahl der Kinder, deren Mütter in Haft sind, weit höher und beläuft sich auf mehrere Hunderttausend.
•
Wenn Frauen während der Haft gebären oder für ein Kind sorgen müssen, ist es wichtig,
dass die Haftbedingungen es ihnen erlauben, das Kind zu stillen und mit ihm eine Bindung aufzubauen. Das Alter, bis zu dem Kinder bei ihren Müttern in den Haftanstalten
bleiben dürfen, ist in den Ländern der Europäischen Region sehr unterschiedlich geregelt.
Meist liegt die zulässige Altersgrenze bei drei Jahren.
•
Die Prävalenz von HIV, anderen durch Blut übertragenen Krankheiten sowie sexuell
übertragbaren Infektionen ist unter weiblichen Häftlingen oft höher als unter männlichen.
•
In Bezug auf die Prävalenz von Drogenmissbrauch und Risikoverhalten sowie die Nachfrage nach bzw. Bereitstellung von geeigneten Angeboten für Frauen in Haft fehlt es an
objektiven, zuverlässigen und vergleichbaren Daten, die die Planung angemessener Gesundheitsleistungen (wie Drogenentzug) wie auch eine Evaluation ihrer Qualität und
Wirksamkeit erleichtern würden.
3. Wir räumen ein, dass nach den vorhandenen Erkenntnissen in vielen Teilen der Europäischen Region offensichtliche Defizite vorliegen, die nicht hingenommen werden dürfen.
3
•
Die Bedingungen in Haftanstalten werden den besonderen Bedürfnissen von Frauen nicht
immer gerecht. Dazu gehören die Notwendigkeit einer angemessenen Ernährung und gesundheitlichen Versorgung sowie geeigneter Bewegungsmöglichkeiten für Schwangere,
aber auch höhere hygienische Anforderungen in Verbindung mit der Menstruation, etwa
regelmäßiges Duschen und die kostenlose Bereitstellung von Hygieneartikeln sowie entsprechende Entsorgungsmöglichkeiten.
•
Psychische Erkrankungen, die u. a. durch Drogenprobleme und Traumatisierung bedingt
sind, bleiben oft unbehandelt. Es gibt Mängel hinsichtlich der anerkannten Normen für
evidenzbasierte Behandlungsmethoden wie Substitutionstherapie, Psychotherapie, Beratung, Schulung, Unterstützung durch Mithäftlinge und schadensbegrenzende Maßnahmen.
•
Auch die Schulungsmaßnahmen für das Wachpersonal im Strafvollzug weisen häufig
Mängel auf. Geschlechtssensible Ausbildungsmaßnahmen und gezielte Schulungen in
Bezug auf die besonderen gesundheitlichen Bedürfnisse weiblicher Häftlinge sollten in allen Strafvollzugssystemen etabliert sein.
•
Viele Strafvollzugssysteme stehen bei der Erstellung von Versorgungs- und Behandlungsangeboten vor der Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen der Achtung der
Würde der Frau einerseits und Überwachungs- und Sicherheitsaspekten im Strafvollzug
andererseits finden zu müssen.
•
Es ist nicht ungewöhnlich, dass inhaftierte Frauen gleichzeitig feststellen, dass sie
schwanger und HIV-positiv sind. Die psychische Belastung infolge der Inhaftierung in
Verbindung mit der Entdeckung einer Schwangerschaft und einer HIV-Infektion kann
sich katastrophal auf die Verfassung der Frau auswirken; für solche Fälle haben nur wenige Haftanstalten angemessene Hilfeangebote.
•
Die Einführung eines wirksamen Systems für die Inspektion und Überwachung von Haftanstalten, die von einer unabhängigen Stelle durchgeführt werden und über ein vertrauliches
4
Beschwerdesystem verfügen, ist von entscheidender Bedeutung für die Verhinderung von
Gewalt und Missbrauch im Strafvollzug. Häufig fehlen solche Systeme jedoch gänzlich.
•
Handlungskonzepte und Programme für den Strafvollzug sind nur selten speziell auf die
Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten; dies gilt insbesondere für den grundlegend wichtigen Bereich der Vorbereitung auf die Haftentlassung und Wiedereingliederung.
•
Maßnahmen im Vorfeld der Entlassung, etwa zur gezielten Verringerung der akuten Gefahr eines Drogentodes bei ehemaligen weiblichen Strafgefangenen in den ersten Wochen
nach ihrer Haftentlassung, sind äußerst wichtig, werden aber oft unterlassen.
•
Eine Kontinuität der Versorgung nach der Haftentlassung ist von äußerster Wichtigkeit
und sollte eine gemeinsame Aufgabe für Wachpersonal, Gesundheitspersonal und zuständige Sozialbehörden sein, doch leider ist eine solche Kontinuität oft nicht gewährleistet.
4. Wir unterstützen in vollem Umfang die Erklärung von Kiew und verpflichten uns,
durch unsere verschiedenen Einflussmöglichkeiten Regierungen und Politik auf die
nachstehend aufgeführten Hauptempfehlungen aufmerksam zu machen.
Die Mitgliedstaaten sollten auf der Regierungsebene und bei der Entscheidungsfindung
dringend ihre gegenwärtigen Konzepte und Angebote für die Erfüllung der grundlegenden
präventiven und kurativen Gesundheitsbedürfnisse von Frauen in allen Phasen des Strafvollzugs überprüfen und ggf. angemessene Änderungen vornehmen, die sich an folgenden Kriterien orientieren.
4.1 Sämtliche Überlegungen und Maßnahmen der Konzeptgestaltung für alle Inhaftierten sollten
sich an der grundlegenden Bedeutung der Menschenrechte orientieren.
4.2 Die wichtigen Grundsätze, die bei der Entscheidung über Maßnahmen zur Verbesserung
der gegenwärtigen Praxis angewandt werden sollten, müssen folgende Elemente enthalten:
5
•
Bei Frauen, die keine Gewaltverbrechen begangen haben und von denen keine Gefahr für
die Gesellschaft ausgeht, sollte die Verhängung einer Untersuchungs- oder Strafhaft
nur als letzter Ausweg gewählt werden. Die Inhaftierung von Schwangeren sowie Frauen mit kleinen Kindern sollte auf ein Minimum beschränkt und nur dann erwogen werden, wenn keine bzw. keine geeigneten Alternativen zur Verfügung stehen.
•
Alle Konzepte, die sich auf die Situation von Frauen im Strafvollzug auswirken, müssen
sowohl den speziellen Bedürfnissen von Frauen Rechnung tragen als auch der großen Bandbreite von Bedürfnissen, die es für die verschiedenen Gruppen von Frauen
geben kann.
•
Beim Angebot von Gesundheitsleistungen und bei der Ausarbeitung von Gesundheitsprogrammen sollten psychische Gesundheitsprobleme, insbesondere Substanzmissbrauch und posttraumatische Belastungsstörungen, konkret berücksichtigt werden.
Dies ist ein unverzichtbarer Bestandteil eines jeden Gesundheitsversorgungssystems im
Strafvollzug.
•
Wenn die betroffenen Frauen Kinder haben, muss deren Wohl das maßgebliche Kriterium bei der Entscheidung über eine Haftstrafe für die Mutter sein; dies schließt auch eine vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls bei der Prüfung der Frage ein, ob und
wie lange die Kinder bei ihrer Mutter im Gefängnis bleiben dürfen.
•
Die Gesundheitsversorgung in Haftanstalten muss den spezifischen gesundheitlichen Bedürfnissen von Frauen gerecht werden und sollte individuell gestaltet, in einem Rahmen
gefasst und auf ganzheitliche und humane Art angeboten werden.
4.3 Zu den wichtigsten Gesundheitsleistungen sollten gehören:
•
umfassende und eingehende Untersuchung bei Haftantritt und in regelmäßigen Abständen während der gesamten Haftdauer; hierbei sollten der sozioökonomische und bildungsmäßige Hintergrund, die Gesundheits- und Traumageschichte, der aktuelle
6
Gesundheitszustand und eine Bewertung der vorhandenen bzw. erforderlichen Fähigkeiten berücksichtigt werden;
•
ein personenbezogener Versorgungs-, Behandlungs- und Entwicklungsplan, der von
den verschiedenen Anbietern von Gesundheitsleistungen und allen anderen Mitarbeitern,
die an der Versorgung bzw. Bewachung der weiblichen Häftlinge beteiligt sein sollen,
gemeinsam und in Absprache mit den betroffenen Frauen selbst erstellt wird;
•
Leistungen der primären Gesundheitsversorgung in der Haftanstalt, die den Frauen
während der wichtigen Einführungsphase erläutert werden; dabei sollten sie deutlich über
ihr Recht auf Vertraulichkeit, Privatsphäre, Gesundheitsinformationen und Gesundheitsförderungsmaßnahmen aufgeklärt werden, möglichst in Form einer leicht verständlichen
Broschüre;
•
eine fachärztliche Versorgung, die leicht zugänglich ist und an die Bedürfnisse der
Frauen angepasst werden kann, u. a. in folgenden Bereichen: psychische Gesundheit, einschließlich Hilfe für Personen mit Missbrauchserfahrungen und posttraumatischen Belastungsstörungen; chronische Gesundheitsprobleme, HIV und Aids, einschließlich Beratung und Betreuung, Hepatitis, Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten; Drogenund Alkoholabhängigkeit; Lernstörungen; reproduktive Gesundheit; die Insassin sollte
beim Gespräch über ihren persönlichen Gesundheitsplan eine Erläuterung hinsichtlich
des Zugangs zur fachärztlichen Versorgung erhalten; und
•
angemessen geplante und durchgeführte Vorbereitungen im Vorfeld der Haftentlassung, um eine Kontinuität der Versorgung und des Zugangs zu Gesundheitsleistungen und anderen Angeboten nach der Entlassung zu gewährleisten; Gesundheits- und
Sozialleistungen dürfen nicht getrennt von anderen kommunalen Angeboten erbracht
werden; ebenso wie Ärzte und Pflegepersonal beruflichen Kontakt mit Kollegen pflegen
müssen, sind auch alle einschlägigen Berufsgruppen innerhalb des Strafvollzugs auf gute
Kontakte mit vergleichbaren Diensten im kommunalen Bereich angewiesen.
7
4.4 Die genannten Angebote und Konzepte haben nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Rolle
von Staat, Politik und höherer Verwaltungsebene verstanden, akzeptiert und in die Tat
umgesetzt wird. Grundsätzliche Voraussetzung dafür ist:
•
dass das Strafvollzugssystem in der Gesundheitsversorgung erkennbar im Interesse der
Frauen handelt, so dass geschlechtsspezifische und andere Bedürfnisse problemlos erfüllt
werden können;
•
dass jede Haftanstalt, in der weibliche Strafgefangene untergebracht sind, über ein
schriftliches Konzept verfügt, aus dem hervorgeht, dass in der täglichen Vollzugspraxis
die besonderen Bedürfnisse von Frauen berücksichtigt werden und dass das Haftpersonal
durch Schulungen entsprechend sensibilisiert sind;
•
dass bei Beteiligung von Kindern deren Bedürfnisse und Wohl eindeutig als erstes und
maßgebliches Kriterium bei der Erstellung der entsprechenden Angebote herangezogen
werden.
5. Wir haben uns verpflichtet, mit dem WHO-Projekt „Gesundheit im Strafvollzug“ und seinen Partnern zusammenzuarbeiten, so dass in den nächsten drei Jahren aus den durch die
bereits laufenden Initiativen und bewährten Praktiken in der Europäischen Region gewonnenen Erfahrungen Leitlinien für die Umsetzung dieser Erklärung erstellt und an alle Länder
der Region weitergereicht werden können. Die WHO, das Büro der Vereinten Nationen für
Drogen- und Verbrechensbekämpfung und die Europäische Beratungsstelle für Drogen und
Drogensucht werden im Rahmen ihres jeweiligen Mandats miteinander zusammenarbeiten,
um die Überwachung der Gesundheitssituation im Strafvollzug zu verbessern und dabei ein
besonderes Augenmerk auf die Drogenproblematik zu richten. Wir werden prüfen, inwiefern
wir allen Ländern bei der Überprüfung der Fortschritte hin zu verbesserten, gerechteren und
geschlechtssensibleren Angeboten in sämtlichen Bereichen des Strafvollzugs behilflich sein
können.
8
Einführung
Notwendigkeit einer Erklärung über die Gesundheit von Frauen im
Strafvollzug
Da Haftstrafen von Männern für Männer konzipiert wurden, haben Frauen immer einen Ausnahmestatus. Es
ist eine Herausforderung, passende Lösungskonzepte zu finden, die den Bedürfnissen der weiblichen Häftlinge gerecht werden.
(Kurten-Vartio, 2007)
Frauen bilden aufgrund ihres Geschlechts eine Sondergruppe innerhalb des Strafvollzugs. Auch
wenn sich die Eigenschaften und damit die Bedürfnisse von weiblichen Häftlingen von Land zu
Land erheblich unterscheiden können, so weist diese Gruppe doch zum überwiegenden Teil eine
Reihe gemeinsamer Merkmale auf. Dazu gehören die Häufigkeit psychischer Störungen, ein hohes Maß an Drogen- oder Alkoholabhängigkeit, Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch oder
körperlicher Misshandlung oder Gewalt vor oder während der Haft, die Vernachlässigung der
geschlechtsspezifischen gesundheitlichen Bedürfnisse sowie zusätzliche Probleme im Zusammenhang mit der Verantwortung der Frauen für ihre Kinder und Familien. Viele weibliche Häftlinge sind Mütter kleiner Kinder, für deren Betreuung sie vor ihrer Inhaftierung meist primär
oder ausschließlich verantwortlich waren.
Weiblichen Strafgefangenen stehen dieselben Rechte zu wie männlichen, sie haben jedoch in der
Praxis meist einen schlechteren Zugang zu diesen Rechten. Da die Strafvollzugssysteme primär
für Männer konzipiert sind, die in den meisten Ländern mehr als 95% der Gefängnispopulation
stellen, werden die im Strafvollzug angewandten Konzepte und Verfahren häufig den gesundheitlichen Bedürfnissen von Frauen nicht gerecht. Daten über die Gesundheit weiblicher Häftlinge und ihre Gesundheitsversorgung sind bisher Mangelware, da die meisten Daten aus Haftanstalten nicht nach Geschlecht aufgeschlüsselt sind.
Der Gesundheitsstatus von Strafgefangenen ist in der Regel schlechter als der der Allgemeinbevölkerung, und die gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen können in der primär auf Männer
ausgerichteten Strafvollzugspraxis in erheblicher Weise vernachlässigt werden. Viele Frauen
9
haben vor ihrer Inhaftierung Erfahrungen mit körperlicher Gewalt oder sexuellem Missbrauch,
aber auch mit Alkohol- oder Drogensucht gemacht. Viele wurden vor der Haft nicht entsprechend ärztlich versorgt. Frauen im Strafvollzug leiden generell häufiger an psychischen Gesundheitsproblemen als Frauen in der Allgemeinbevölkerung. Dies ist oft durch ihre frühere Opferrolle bedingt. Psychische Störungen können sowohl Ursache für die Inhaftierung als auch
Folge von Freiheitsentzug sein, und die Raten an Selbstverletzung und Suizid sind unter weiblichen Strafgefangenen merklich höher als unter männlichen. Beide Raten sind höher als in der
Allgemeinbevölkerung.
Oft wird die Tatsache übersehen, dass die Inhaftierung von Frauen meist schwerwiegendere soziale Folgen für Familie und Gemeinschaft hat, als dies bei Männern der Fall ist. Der Zusammenbruch von Familien, langfristige Probleme für Kinder, die in Pflegefamilien untergebracht
werden müssen, und ein Verlust an Gemeinschaftsgefühl und Zusammenhalt können dazu führen, dass die Inhaftierung von Frauen mit deutlich höheren sozialen Kosten verbunden ist als die
von Männern.
Das vorliegende Dokument ist ein Hintergrundpapier für die Erklärung von Kiew über die Gesundheit von Frauen im Strafvollzug, die auf der Internationalen Konferenz der WHO über Gesundheit im Strafvollzug im November 2008 diskutiert und schließlich angenommen wurde.
Das Papier enthält eine Zusammenfassung der Evidenz aus Literatursichtungen sowie der wichtigsten Erkenntnisse von Sachverständigen für die Gesundheit von Frauen im Strafvollzug; ihre
Namen sind im Abschnitt „Danksagung“ aufgeführt.
Zielsetzung einer Erklärung über die Gesundheit von Frauen im
Strafvollzug
Die Ziele einer Erklärung über die Gesundheit von Frauen im Strafvollzug sind:
1.
Sensibilisierung in den Ländern der Europäischen Region der WHO für die gegenwärtige
Situation hinsichtlich der Gesundheit von weiblichen Strafgefangenen und ihrer Gesundheitsversorgung in Haftanstalten der Mitgliedstaaten;
10
2.
Forderung nach spürbaren Verbesserungen an der gegenwärtigen Situation durch Umsetzung der Empfehlungen der WHO in folgenden Bereichen:
ƒ ein allgemeines Konzept, das die Schaffung eines akzeptableren und geschlechtssensibleren Strafvollzugs erlaubt, bei dem die Rechte von Frauen und ggf. Kindern in besonderer
Weise Berücksichtigung finden;
ƒ die Gesundheitsversorgung in der Haft sollte in quantitativer wie qualitativer Hinsicht
mindestens ungefähr gleichwertig mit den Gesundheitsangeboten für die Allgemeinbevölkerung sein;
ƒ die Einführung zufrieden stellender Verfahren zur Gewährleistung einer Kontinuität der
Versorgung.
Definitionen
Die in diesem Papier verwendeten Begriffe werden folgendermaßen definiert:
Ausländischer Häftling: Eine Person, die weder die Staatsbürgerschaft des Landes besitzt, in
dem sie inhaftiert ist, noch in diesem Land dauerhaft ansässig ist.
Mädchen: Eine weibliche Person unter 18 Jahren.
Ältere Frau: Eine weibliche Person im Alter von mindestens 50 Jahren.
Haftanstalt: Ein Ort des Freiheitsentzugs, an dem Menschen inhaftiert sind, die auf ihren Strafprozess warten, vor Gericht stehen oder nach ihrer Verurteilung wegen einer Straftat ihre Haftstrafe verbüßen (ausschließlich Polizeizellen).
Häftling/Strafgefangene(r): Eine inhaftierte Person, die auf ihren Strafprozess wartet oder ihre
Haftstrafe verbüßt.
Frau im Strafvollzug/Frau in Haft/weiblicher Häftling: Eine weibliche Person im Alter von
mindestens 18 Jahren, die bis zu ihrem Strafprozess inhaftiert ist oder eine Haftstrafe verbüßt.
11
Gesundheit von Frauen: Ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen
Wohlbefindens für alle weiblichen Säuglinge, Mädchen und Frauen unabhängig von Alter, sozioökonomischer oder ethnischer Zugehörigkeit, Rasse und Aufenthaltsort.
12
Frauen, Strafvollzug und Gesellschaft
In diesem Abschnitt werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Empfehlungen von internationalen Gesundheitsorganisationen, Forschern und anderen Experten auf dem Gebiet der Gesundheit von Frauen im Strafvollzug präsentiert.
Fakten und Zahlen
1. Weltweit sitzen mehr als eine halbe Million Frauen und Mädchen in Untersuchungs- oder
Strafhaft. In der Europäischen Region sitzen ca. 100 000 Frauen und Mädchen in Haft (Büro
der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008). Der Anteil der
Frauen an der Gesamtzahl der Gefängnisinsassen ist weltweit nur sehr gering; er liegt in den
meisten Ländern zwischen 2% und 9%. Nur 12 Strafvollzugssysteme auf der ganzen Welt
melden einen höheren Frauenanteil. In der Europäischen Region liegt der Durchschnitt bei
4,4%. Innerhalb der Region hat Spanien den höchsten Frauenanteil an der Gefängnispopulation (fast 8%), Aserbaidschan den niedrigsten (unter 1,5%) (Walmsley, 2006; WHORegionalbüro für Europa, 2009).
2. Obwohl Frauen weltweit in den nationalen Haftanstalten eine Minderheit darstellen, steigt
insgesamt die Zahl der weiblichen Häftlinge. Diese steigende Zahl von Haftstrafen erklärt
sich teilweise aus einem weltweiten Trend zu einer häufigeren Verhängung von Haftstrafen
auf Kosten konstruktiverer Strafmaßnahmen ohne Freiheitsentzug. Dies gilt insbesondere für
Drogendelikte und Diebstähle ohne Gewaltanwendung (Penal Reform International, 2007).
Den meisten Drogenstraftäterinnen könnte durch Alternativen ohne Freiheitsentzug, bei denen gezielt die Drogenabhängigkeit bekämpft wird, wesentlich effektiver geholfen werden
(Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008). Darüber
hinaus fällt der Anstieg der Zahl der weiblichen Häftlinge deutlich höher aus als bei den
männlichen Insassen (Bastick, 2005). So ist beispielsweise in England and Wales die Zahl
der Frauen in Haft in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 200% gestiegen, die der
männlichen Häftlinge dagegen nur um 50% (Prison Reform Trust, 2006). Ein Teil dieser Zunahme erklärt sich aus der weltweit zu beobachtenden Vertreibung von Frauen aufgrund von
13
Kriegen, Unruhen und Wirtschaftskrisen, aber auch aus Strafvollzugssystemen, die nicht ausreichend geschlechtssensibel sind.
3. Viele Frauen verbüßen nur eine kurze Haftstrafe, was eine hohe Fluktuation zur Folge hat.
Die Mehrzahl der verurteilten Frauen haben keine Gewalttaten begangen, sondern eher Eigentums- oder Drogendelikte (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten, 2007). Weltweit
werden Frauen häufiger für Drogendelikte verurteilt als für jede andere Straftat (Taylor,
2004). Drogenhändler benutzen oft Frauen, meist aus einkommensschwachen Ländern, als
Drogenkuriere, die die Ware für wenig Geld über Grenzen schmuggeln (Büro der Vereinten
Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008).
4. In vielen Ländern ist die Anzahl der in Untersuchungshaft befindlichen Frauen ebenso hoch
oder sogar höher als die Anzahl der verurteilten Straftäterinnen (Büro der Vereinten Nationen
für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008). Untersuchungshäftlinge haben oft nur begrenzten Kontakt mit anderen Strafgefangenen, weniger Zugang zu Gesundheitsleistungen
und Berufsausbildungsmaßnahmen und unterliegen häufig auch Beschränkungen hinsichtlich
Kontakten zu Angehörigen (einschließlich Besuchsrecht); hiervon sind Frauen mit Kindern
wie auch die Kinder selbst besonders stark betroffen (Penal Reform International, 2007).
5. Frauen, die Haftstrafen verbüßen, stammen oft aus benachteiligten Verhältnissen; viele haben
vor der Haft Erfahrungen mit körperlicher Misshandlung oder sexuellem Missbrauch, Alkohol- und Drogenabhängigkeit und einer unzureichenden Gesundheitsversorgung gemacht
(Penal Reform International, 2007). Weiterhin leiden Frauen zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung häufiger als Männer an psychischen Störungen, die oft durch häusliche Gewalt und sexuellen Missbrauch bedingt sind (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008).
6. Da es nur wenige Haftanstalten für Frauen gibt, sind oft Häftlinge, die für eine Vielzahl verschiedener Straftaten verurteilt wurden, in derselben Einrichtung untergebracht. Die Sicherheitsvorschriften werden dann von den hohen Sicherheitsanforderungen für nur einige wenige hochgefährliche Häftlinge bestimmt. Insgesamt sind die Sicherheitsvorschriften für die
männliche Gefängnispopulation konzipiert, was insofern eine Diskriminierung der weiblichen
14
Häftlinge darstellt, als diese überwiegend nicht für Gewaltverbrechen verurteilt wurden und
daher keine hohe Sicherheitsstufe benötigen (Penal Reform International, 2007).
Menschenrechtsnormen und internationale Übereinkommen
Das Konzept der Gleichberechtigung umfasst weit mehr als nur eine Gleichbehandlung aller. So wird durch
Gleichbehandlung verschiedener Personen in unterschiedlichen Situationen Ungerechtigkeit eher fortgesetzt
als beseitigt.
(Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, 1994)
7. Frauen in Haft genießen trotzdem den Schutz von Menschenrechtsvorschriften. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Vereinte Nationen, 1948) besagt, dass der Staat die
Ausübung der Rechte und Freiheiten von Personen, einschließlich Strafgefangenen, nur Beschränkungen unterwerfen darf, „die das Gesetz ausschließlich zu dem Zweck vorsieht, die
Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten anderer zu sichern und den gerechten
Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und des allgemeinen Wohles in einer
demokratischen Gesellschaft zu genügen.“
Die wichtigste Norm der Vereinten Nationen für die Menschenrechte von Frauen, die die
Grundlage für die Verwirklichung von Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern
bildet, ist das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
(Vereinte Nationen, 1979). Deren Artikel 2 besagt:
Die Vertragsstaaten verurteilen jede Form von Diskriminierung der Frau; sie kommen überein, mit allen geeigneten Mitteln unverzüglich eine Politik zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau zu verfolgen, und
verpflichten sich zu diesem Zweck,
a)
den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau in ihre Staatsverfassung oder in andere
geeignete Rechtsvorschriften aufzunehmen, sofern sie dies noch nicht getan haben, und durch gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen für die tatsächliche Verwirklichung dieses Grundsatzes zu sorgen;
b)
durch geeignete gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen, gegebenenfalls auch Sanktionen, jede
Diskriminierung der Frau zu verbieten;
15
c)
den gesetzlichen Schutz der Rechte der Frau auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit dem
Mann zu gewährleisten und die Frau durch die zuständigen nationalen Gerichte und sonstigen öffentlichen Einrichtungen wirksam vor jeder diskriminierenden Handlung zu schützen;
d)
Handlungen oder Praktiken zu unterlassen, welche die Frau diskriminieren, und dafür zu sorgen, daß
alle staatlichen Behörden und öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit dieser Verpflichtung handeln;
e)
alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau durch Personen, Organisationen oder Unternehmen zu ergreifen;
f)
alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Änderung oder Aufhebung aller bestehenden Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Praktiken zu treffen, die eine
Diskriminierung der Frau darstellen;
g)
alle innerstaatlichen strafrechtlichen Vorschriften aufzuheben, die eine Diskriminierung der Frau darstellen.
8. Zu den wichtigsten internationalen Normen, die dem Schutz der Menschenrechte von Strafgefangenen dienen und dafür sorgen, dass ihre Behandlung ihrer späteren Wiedereingliederung in die Gesellschaft förderlich ist, gehören:
ƒ
die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen
(Vereinte Nationen, 1955);
ƒ
die Grundprinzipien für die Behandlung der Gefangenen (Vereinte Nationen, 1990);
ƒ
die Europäischen Strafvollzugsvorschriften 2006 (Europarat, 2006);
ƒ
die Entschließung des Europäischen Parlaments zur besonderen Situation von Frauen im Gefängnis und die Auswirkungen der Inhaftierung von Eltern auf deren Leben
in Familie und Gesellschaft (2008);
ƒ
den Grundsatzkatalog für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen (Vereinte Nationen, 1988);
ƒ
die Europäische Konvention zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Europäisches Komitee zur Verhütung von
Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, 2004).
Diese Normen bilden die Grundprinzipien, die in allen Strafvollzugssystemen und Haftanstalten auf der ganzen Welt Gültigkeit haben und für alle Häftlinge ohne Diskriminierung
gelten.
16
Die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen (Vereinte Nationen, 1955) und andere Normen verbieten die Diskriminierung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.
Grundsatz 5 des Grundsatzkatalogs für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder
Strafgefangenschaft unterworfenen Personen (Vereinte Nationen, 1988) besagt:
Maßnahmen, die aufgrund der Gesetze angewandt werden und ausschließlich dazu bestimmt sind, die Rechte
und die besondere Stellung von Frauen, insbesondere schwangeren Frauen und stillenden Müttern, von Kindern und Jugendlichen, älteren Menschen, Kranken oder Behinderten zu schützen, gelten nicht als Diskriminierung. Die Notwendigkeit derartiger Maßnahmen und deren Anwendung unterliegen stets der Nachprüfung
durch einen Richter oder eine Behörde.
Dies verdeutlicht, dass besondere Maßnahmen, die der Erfüllung der besonderen Bedürfnisse
von Frauen in Haft dienen, nicht als diskriminierend anzusehen sind.
Frauen in Strafvollzug und Gesellschaft
Soziale Beziehungen
9. Bei ihrer Inhaftierung werden Frauen von ihren Familien und ihrem sozialen Netz getrennt.
Eine der größten Herausforderungen nach der Rückkehr in die Gesellschaft nach der Haftentlassung besteht darin, diese Beziehungen wieder zu aktivieren. Eine freizügige Regelung von
Besuchszeiten kann hierbei eine bedeutende Rolle spielen (Penal Reform International,
2007).
10. Da weniger Frauen in Haft sitzen als Männer, gibt es weniger Haftanstalten für Frauen. Deshalb verbüßen viele Frauen ihre Haftstrafe in großer Entfernung von Wohnort und Familie,
was die Erhaltung starker Familienbande erheblich erschwert (Quäkerrat für Europäische
Angelegenheiten, 2007). Die Entfernung und die Kosten für den Besuch von Frauen, die weit
von ihrem Wohnort inhaftiert sind, stellen ein beträchtliches Hindernis für regelmäßige Besuche dar (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008).
17
Durch die Inhaftierung der Frauen weit vom Wohnort entfernt wird auch ihre Wiedereingliederung nach der Haftentlassung in erheblichem Maße gefährdet.
Mädchen im Strafvollzug
11. Da Mädchen im Jugendstrafvollzug nur eine kleine Minderheit bilden, werden sie leicht übersehen. Deshalb gilt es, die spezifischen Bedürfnisse von Mädchen in besonderer Weise zu
berücksichtigen.
12. Die Zahl der Mädchen in Jugendhaftanstalten hat sich in den letzten Jahren dramatisch erhöht. In den Vereinigten Staaten von Amerika etwa stellen Mädchen ca. 25% der Insassen
von Jugendhafteinrichtungen (Kelly et al., 2007). Allerdings ist der Anteil der Mädchen an
der weiblichen Gefängnispopulation insgesamt gering (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten, 2007).
13. Aufgrund ihrer niedrigen Zahl werden Mädchen manchmal in denselben Bereichen von
Haftanstalten untergebracht wie erwachsene Frauen. Nach den einschlägigen internationalen
Normen jedoch müssen Mädchen und erwachsene Frauen in der Haft getrennt voneinander
untergebracht werden. Wo jedoch eine getrennte Inhaftierung im Vergleich zu einer Unterbringung in denselben Einrichtungen zu einer Verringerung der Bildungschancen führen
würde, sollten zumindest Sicherheitsbestimmungen vorhanden sein, durch die ein Kontakt
der Mädchen mit Frauen mit langer krimineller Vergangenheit vermieden wird. Mädchen,
die in Haft sitzen, haben manchmal dieselben Probleme und kommen aus denselben Verhältnissen wie ihre erwachsenen Mithäftlinge. So sind einige der jugendlichen Insassinnen Mütter und manchmal die primären oder alleinigen Verantwortlichen für die Betreuung ihrer
Kinder.
14. Über die gesundheitlichen Bedürfnisse von Mädchen im Strafvollzug ist nur wenig bekannt,
doch herrscht zunehmend Besorgnis über Substanzmissbrauch, psychische Gesundheitsprobleme, unzureichende sexuelle Gesundheit und einen schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand gemessen an einer Reihe von Indikatoren (Douglas & Plugge, 2008). So sind Mädchen
18
in zunehmendem Maße durch HIV-Infektion gefährdet; unter den Infizierten sind auch junge
Mütter.
Ältere Frauen im Strafvollzug
15. Ältere Frauen (über 50 Jahre) stellen nur einen geringen Anteil der gesamten weiblichen Gefängnispopulation. Dennoch wirft ihre Inhaftierung besondere Fragen auf, etwa die Möglichkeit einer Begnadigung oder besondere (gesundheitliche) Anforderungen.
16. Als Minderheit innerhalb einer Minderheit wird älteren Frauen in Haft mit ihren besonderen
Bedürfnissen nur selten konkret Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei benötigen ältere Insassinnen manchmal eine umfassendere und gezieltere Gesundheitsversorgung als jüngere Häftlinge. Bei manchen älteren Frauen können die Folgen der Menopause starke Auswirkungen auf
ihre gesundheitlichen Bedürfnisse, und auch andere persönliche Bedürfnisse können davon
betroffen sein (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten, 2007). Außerdem haben sie
manchmal besondere Bedürfnisse aufgrund körperlicher Probleme und Einschränkungen.
Ausländische Frauen im Strafvollzug
17. In den Strafvollzugssystemen der meisten Länder der Europäischen Region sind ausländische
Staatsbürger deutlich überrepräsentiert. Im Durchschnitt wurden mehr als 30% der inhaftierten ausländischen Frauen wegen Drogendelikten verurteilt (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten, 2007; Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung,
2008).
Ein weiterer häufiger Grund für die Inhaftierung ausländischer Frauen ist ihre fehlende Aufenthaltsberechtigung. Ausländische Frauen können in dem Land, in dem sie in Haft sind,
oder in ihrem Ursprungsland Kinder haben, die von ihnen abhängig sind; deshalb sollten Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte stets die Frage der Elternschaft gebührend berücksichtigen (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008).
19
Kinder von inhaftierten Frauen
18. Die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Frauen in Haft muss auch deren Kinder einschließen. In der 2003 von der Generalversammlung verabschiedeten Resolution A/RES/58/183
über Menschenrechte in der Rechtspflege werden „die Regierungen, die zuständigen internationalen und regionalen Organe, die nationalen Menschenrechtsinstitutionen und die nichtstaatlichen Organisationen [gebeten], der Problematik weiblicher Häftlinge, einschließlich ihrer Kinder, besondere Aufmerksamkeit zu widmen, mit dem Ziel, die wichtigsten Probleme
und Wege zu ihrer Überwindung aufzuzeigen …“.
19. Die meisten weiblichen Häftlinge sind Mütter und in der Regel die primären oder alleinigen
Verantwortlichen für die Betreuung ihrer Kinder. Untersuchungen aus zahlreichen Ländern
belegen, dass bei einer Inhaftierung der Väter die Mütter meist weiter für die Kinder sorgen.
Dagegen kümmern sich der Väter bei Inhaftierung der Mütter oft nicht mehr um die Kinder,
so dass viele von ihnen in Einrichtungen betreut werden müssen (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008). So sorgen im Vereinigten Königreich
80% der Väter nach einer Verurteilung der Mütter nicht mehr für ihre Kinder (Anne Owers,
Salter Lecture, Jahrestagung der Quäker in Großbritannien, 23. Mai 2008). Familien können
auch dann auseinander brechen, wenn Frauen bis zu ihrer Verhandlung in Untersuchungshaft
sitzen oder wenn sie nur zu kurzen Haftstrafen verurteilt werden.
Nach Schätzungen der Howard League for Penal Reform, einer britischen nichtstaatlichen
Organisation, sind in der Europäischen Region ca. 10 000 Kinder unter zwei Jahren von der
Inhaftierung ihrer Mütter betroffen (Europarat, 2000). In der Altersgruppe unter 18 Jahren
liegt die Anzahl der Kinder, deren Mütter in Haft sind, weit höher und beläuft sich auf mehrere Hunderttausende.
20. In vielen Ländern bleiben Säuglinge, die von Häftlingen geboren werden, bei ihrer Mutter,
und auch sehr kleine Kinder dürfen ihre Mütter ins Gefängnis begleiten. Sowohl zwischen
den Ländern als auch innerhalb der Länder gibt es erhebliche Unterschiede in Bezug auf die
Einrichtungen. In manchen Ländern verfügen Haftanstalten über Mutter-Kind-Abteilungen
mit besonderen Einrichtungen, die der Unterstützung der Mütter und der Entwicklung der
Kinder dienen. In anderen Ländern leben Säuglinge in Haftanstalten, ohne dass der Staat
20
offiziell von ihnen Notiz nimmt oder ihre Anwesenheit überwacht und ohne dass spezielle
Vorkehrungen für sie getroffen werden. Tatsächlich sind in den Haftanstalten die für die Sicherheit, Gesundheit und Entwicklung von Kindern notwendigen Einrichtungen häufig entweder nicht vorhanden oder unzureichend. Dennoch ist durch Untersuchungen (Büro der
Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008) belegt, dass kleine
Kinder, die zwangsweise von ihren Müttern getrennt werden, langfristig in ihrer emotionalen
und anderweitigen Entwicklung beeinträchtigt werden.
Wenn Mütter und ihre Kinder voneinander getrennt werden, besteht die Möglichkeit, dass die
Mütter ihre Kinder nicht mehr sehen oder den Kontakt zu ihnen verlieren. Manchmal ist dies
durch die mit Besuchen im Gefängnis verbundenen Kosten bedingt. Ein anderer Grund kann
darin bestehen, dass die Mütter die Verwandten, die sich um ihre Kinder kümmern, ablehnen
oder dass sie das Sorgerecht für ihre Kinder verloren haben (Büro der Vereinten Nationen für
Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008). Diese psychischen und entwicklungsmäßigen
Probleme begleiten Kinder oft ihr ganzes Leben lang.
Sowohl die Genehmigung, die Kinder im Gefängnis wohnen zu lassen, als auch die Trennung von Mutter und Kind sind mit einer Reihe schwieriger Probleme und Dilemmata verbunden. Bei allen Entscheidungen in Bezug auf Kinder von Strafgefangenen muss das Wohl
des Kindes das vorrangige Kriterium sein (Bastick, 2005).
Die Wünsche des Kindes sollten immer in Betracht gezogen werden, und in Strafvollzugskonzepten sollte stets die Beteiligung von Kindern an sie betreffenden Entscheidungen gefördert und erleichtert und dabei ihr Alter gebührend berücksichtigt werden (Alejos, 2005).
Das Verfassungsgericht von Südafrika hat 2007 in dem Fall „M. gegen den Staat“ entschieden, dass die Klausel in der Verfassung, dass das Wohl eines Kindes in jeder es betreffenden
Angelegenheit von überragender Bedeutung ist, auch dann gilt, wenn die für seine Betreuung
wichtigste Person zu einer Haftstrafe verurteilt wird. Darüber hinaus hat das Gericht auch
Leitlinien erlassen, durch die die Einheitlichkeit des Grundsatzes, die Folgerichtigkeit der
Behandlung und die Individualisierung des Ergebnisses (uniformity of principle, consistency
of treatment and individualisation of outcome) gefördert werden.
21
21. Das Alter, bis zu dem Kinder mit ihren Müttern in den Haftanstalten wohnen dürfen, ist innerhalb der Europäischen Region von Land zu Land sehr unterschiedlich geregelt. In den Ländern der Region liegt die zulässige Altersgrenze für die Unterbringung von Kindern mit ihren
Müttern im Gefängnis innerhalb einer Bandbreite von null bis sechs Jahren, wobei sie am
häufigsten auf drei Jahre festgesetzt ist. Als einziges Land in der Region hat Norwegen die
Unterbringung von Kindern bei ihren Müttern in der Haftanstalt gänzlich verboten (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten, 2007). Es besteht möglicherweise ein Zusammenhang
zwischen der Art einer Hafteinrichtung, der durchschnittlichen Haftdauer und den Vorschriften hinsichtlich der Unterbringung von Kindern zusammen mit ihren inhaftierten Müttern. So
gilt beispielsweise für das Wohnen bei der Mutter im offenen Vollzug oft ein höheres zulässiges Höchstalter, und die Umgebung und die Einrichtungen sind dort meist eher für Kinder
geeignet.
22. Manchmal wird der Kontakt zwischen Müttern in Haft und ihren außerhalb des Gefängnisses
lebenden Kindern auf schwerwiegende bzw. unangemessene Weise eingeschränkt. In manchen Ländern werden Mütter sogar dadurch bestraft, dass sie vorübergehend gänzlich von ihren Kindern getrennt werden, etwa durch Aussetzung von Besuchszeiten (Robertson, 2008).
Für viele weibliche Häftlinge sind Kinder eine lebenserhaltende Kraft, und eine Zerstörung
der Bindung zwischen Mutter und Kind stellt für die betroffene Frau oft die schlimmste Strafe dar (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008), die
schwerwiegende Auswirkungen auf ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden haben
kann. Bestraft wird dabei aber auch das Kind, das in jedem Fall keinerlei Schuld trägt.
23. Eine Inhaftierung in größerer Entfernung vom Wohnort stellt für Frauen mit Kindern eine
besondere Härte dar. Forschungsergebnisse belegen, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes mit ihren Kindern für die betreffenden Frauen die Gefahr des Rückfälligwerdens nach der
Haftentlassung verringert (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten, 2007).
24. Die Kinder von Straftäterinnen haben kein Verbrechen begangen und dürfen deshalb nicht
wie Schuldige behandelt werden. Kinder, die innerhalb von Haftanstalten wohnen, sollten
dort ein mindestens ebenso gutes Leben führen können, wie sie es sonst anderswo führen
könnten. Deshalb sollten die betreffenden Einrichtungen stets eine gute Ernährung, ausrei22
chende Spielbereiche und erforderlichenfalls Kindergarteneinrichtungen bieten. Das Wohl
der Kinder sollte zu jeder Zeit oberste Priorität haben (Robertson, 2008). Für Kinder, die in
Haftanstalten untergebracht sind, sollte zu jeder Zeit die Möglichkeit bestehen, diese zu verlassen, falls dies in ihrem Interesse ist (Alejos, 2005).
25. Kinder von inhaftierten Eltern, die außerhalb der Haftanstalt wohnen, haben während der
Dauer der Haft manchmal mit einer Reihe psychosozialer Probleme zu kämpfen: Depressionen, Hyperaktivität, aggressives Verhalten, Rückzugsverhalten, Regression, übersteigerte
Anhänglichkeit, Schlafstörungen, Essstörungen, Weglaufen, Fernbleiben vom Unterricht,
schlechte schulische Leistungen und Kriminalität. Eine Trennung von den Eltern kann von
den Kindern auch als Verlassenwerden erlebt werden und so ihre Not verschärfen (Quäkerrat
für Europäische Angelegenheiten, 2007).
23
Gesundheit von weiblichen Häftlingen
Notwendigkeit einer geschlechtsspezifischen Gesundheitsversorgung
26. Weibliche Häftlinge haben häufig mehr gesundheitliche Probleme als männliche. Wie bereits
erwähnt, leiden viele von ihnen an chronischen und komplexen Gesundheitsproblemen, die
durch Armut, Drogenkonsum, häusliche Gewalt, sexuellen Missbrauch, Schwangerschaft im
Jugendalter, Mangelernährung und unzureichende Gesundheitsversorgung bedingt sind (Canadian HIV/AIDS Legal Network, 2006; WHO-Regionalbüro für Europa, 2007a). Drogenabhängige Straftäterinnen weisen gegenüber männlichen Straftätern eine erhöhte Prävalenz
an Tuberkulose, Hepatitis, Toxämie, Anämie, Bluthochdruck, Diabetes und Adipositas auf
(Covington, 2007). Psychische Störungen sind unter weiblichen Häftlingen unverhältnismäßig häufig: ca. 80% leiden an einer erkennbaren psychischen Störung. Zwei Drittel der weiblichen Häftlinge leiden an posttraumatischen Belastungsstörungen (Zlotnick, 1997), ebenso
zwei Drittel an durch Substanzmissbrauch bedingten Störungen (WHO-Regionalbüro für Europa, 2007b). Komorbiditäten treten mit großer Häufigkeit auf. Psychische Störungen stehen
oft im Zusammenhang mit früheren Opfererfahrungen (Zlotnick, 1997). Frauengefängnisse
benötigen ein geschlechtsspezifisches Rahmenkonzept für die Gesundheitsversorgung, bei
dem Aspekte wie Reproduktionsgesundheit, psychische Erkrankungen, Suchtprobleme sowie
körperliche und sexuelle Missbrauchserfahrungen in besonderer Weise berücksichtigt werden. Frauen in Haft sollten rechtzeitig Zugang zu all denjenigen Leistungen erhalten, die sie
außerhalb des Gefängnisses in Anspruch nehmen könnten. Generell müssen die ärztlichen
Unterlagen aller Häftlinge streng vertraulich behandelt werden.
27. In den Ländern Westeuropas nehmen weibliche Häftlinge ärztliche Leistungen häufiger in
Anspruch als Männer. So suchen beispielsweise in italienischen Gefängnissen Frauen den
Arzt oder Sanitäter etwa doppelt so häufig auf wie Männer (Zoia, 2005). Diese Diskrepanz
ist u. U. in manchen anderen westeuropäischen Ländern noch ausgeprägter. Die stärkere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen erklärt sich teilweise aus einem höheren Versorgungsbedarf, der durch Gewalt- und Missbrauchserfahrungen sowie Drogenprobleme, aber
auch durch gynäkologische Erfordernisse bedingt ist.
24
28. Bei manchen der spezifischen Bedürfnisse von weiblichen Häftlingen sollte die Zeit der Haft
dazu genutzt werden, über Krankheitsprävention und Gesundheitsschutz sowie insbesondere
über HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen aufzuklären. Darüber hinaus sollten
auch Berufsausbildungsprogramme angeboten werden.
Aufgrund der chaotischen Lebensumstände vieler Frauen vor ihrer Inhaftierung ist die Zeit in
Haft oft das erste Mal in ihrem Leben, dass sie Gesundheitsleistungen, soziale Unterstützung
und Beratung in Anspruch nehmen können. Deshalb sind Aufklärungs-, Präventions- und
Untersuchungsprogramme für Frauen in Haft unverzichtbar; dabei sollte auf eine möglichst
differenzierte Berücksichtigung der Bedürfnisse verschiedener Gruppen von Frauen geachtet
werden (Zoia, 2005). Eine noch bessere Option wäre es, die Frauen bei Haftantritt routinemäßig zu untersuchen und sie ggf. an besondere Gesundheitsprogramme außerhalb des Strafvollzugs zu überweisen.
29. Die besonderen gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen werden im Strafvollzug oft nicht
berücksichtigt. Im Gefängnisalltag werden die besonderen Bedürfnisse von Frauen – wie regelmäßiges Duschen, ein durch die Menstruation bedingter erhöhter Bedarf an Hygieneprodukten, die kostenlose Bereitstellung von Damenbinden und ähnlichen Artikeln mit entsprechenden Entsorgungsmöglichkeiten sowie eine angemessene Ernährung für Schwangere und für
Frauen, die beispielsweise an HIV erkrankt sind – nicht immer ausreichend in Betracht gezogen. Die normalen Körperfunktionen von Frauen wie Menstruation, Fortpflanzung und Bewegungsbedürfnis werden nur allzu oft medikalisiert. So ist es beispielsweise nicht erforderlich,
Damenbinden oder Bewegungsmaßnahmen für gesunde Frauen vom Gesundheitspersonal genehmigen bzw. den Zugang dazu überwachen zu lassen.
Organisation der Gesundheitsversorgung für Frauen im Strafvollzug
30. Alle Beschäftigten im Frauenvollzug sollten eine geschlechtsspezifisch sensible Ausbildung
und gezielte Schulungen in Bezug auf die besonderen gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen in Haft durchlaufen haben. Die Sicherheit und die Achtung der Privatsphäre weiblicher
Häftlinge sollte nicht durch die Präsenz männlicher Beamter in bestimmten Funktionen oder
durch Ausführung bestimmter Tätigkeiten durch männliche Beamte (z. B. Leibesvisitationen)
25
beeinträchtigt werden (Weinstein, 2005). Die Gewährleistung der Sicherheit und die Wahrung der Privatsphäre weiblicher Häftlinge sind auch in Bezug auf ihre Beförderung zwischen Haftanstalten bzw. zwischen Haftanstalten und Krankenhäusern von Bedeutung.
Insgesamt müssen im Strafjustizsystem Gerichtsbedienstete, Anwälte und Richter über die
bestehenden Gesundheitsangebote in Gefängnissen wie auch die spezifischen gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen informiert werden und in der Lage sein, dieses Wissen bei der
Verurteilung bzw. Verteidigung von Frauen in Strafprozessen gebührend zu berücksichtigen.
31. Weibliche Häftlinge benötigen kostenlosen Zugang zu einem umfassenden Spektrum ärztlicher und zahnärztlicher Leistungen, wie in der Publikation Gesundheit im Strafvollzug: Ein
Leitfaden der WHO zu den Voraussetzungen für Gesundheit im Strafvollzug (WHORegionalbüro für Europa, 2007a) erläutert wird.
HIV, Hepatitis C und andere Infektionskrankheiten
32. Frauen in Haft stammen oft aus marginalisierten und sozial benachteiligten Verhältnissen
und sind daher in Bezug auf eine HIV-Infektion stark gefährdet. Viele haben sich möglicherweise zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung bereits infiziert (Reyes, 2000). Frauen tragen im
Vergleich zu Männern ein höheres Risiko, sich vor der Haft mit sexuell übertragbaren Infektionen wie Chlamydien, Gonorrhö, Syphilis oder HIV angesteckt zu haben. Dies ist sowohl
auf riskante Tätigkeiten wie Sexarbeit als auch auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, Opfer
sexuellen Missbrauchs zu werden, zurückzuführen (Covington, 2007).
33. Frauen sind im Vergleich zu Männern einem erheblich höheren Risiko einer Infektion mit
HIV und Hepatitis C infolge von Geschlechtsverkehr ausgesetzt. Intravenöse Drogenkonsumentinnen tragen aufgrund der Mehrfachbenutzung von Spritzen und Nadeln ein besonders
hohes Risiko. Viele von ihnen haben ungeschützten Geschlechtsverkehr mit drogensüchtigen
Partnern oder haben als Prostituierte gearbeitet. Teilweise sind auch die kulturell und gesellschaftlich bedingten Lebensumstände von Frauen dergestalt, dass sie keine Kontrolle über ihr
eigenes Sexualleben ausüben können (Bastick, 2005; Reyes, 2000; WHO-Regionalbüro für
Europa, 2007a).
26
34. Aufgrund der Möglichkeit von Geschlechtsverkehr in der Haft sollten Frauen jederzeit Zugang
zu Kondomen sowie zu Lecktüchern haben. Jedoch sollte als fundamentale Grundregel Geschlechtsverkehr zwischen Vollzugspersonal und Häftlingen unter allen Umständen verboten
sein.
35. Auch andere sexuell übertragbare Infektionen als HIV (z. B. Chlamydien, Gonorrhö oder
Syphilis), die unter weiblichen Häftlingen weit verbreitet sind, aber oft unentdeckt bleiben,
sind ein wesentlicher Faktor bei der Ausbreitung von HIV, da sie seine Übertragung begünstigen und die allgemeinen körperlichen Widerstandskräfte der Betroffenen schwächen (Reyes, 2000).
36. Im Strafvollzug sollte gewährleistet sein, dass HIV-infizierte Häftlinge einen Zugang zu Präventions-, Therapie-, Versorgungs- und Betreuungsmaßnahmen erhalten, wie er in Freiheit
lebenden Menschen mit HIV-Infektion zur Verfügung steht; dazu gehört auch die ARVTherapie (WHO, 2007a). Um zu verhindern, dass Frauen Spritzbesteck gemeinsam benutzen
und so zur Verbreitung von HIV und anderen Infektionskrankheiten beitragen, sollten saubere Nadeln und Spritzen zur Verfügung gestellt werden. Es gibt Belege dafür, dass sich durch
Bereitstellung von Nadeln und Spritzen in Haftanstalten die Übertragung von HIV reduzieren
lässt (WHO, 2007b). Falls in einer Haftanstalt Nadeln und Spritzen nicht erlaubt sind, sollten
dafür andere schadensverringernde Maßnahmen angeboten werden. Solche Maßnahmen sollten auch für Tätowierungen und Piercings zur Verfügung stehen.
37. Die Leitlinien der WHO für HIV-Infektion und AIDS in Haftanstalten (WHO, 1993) enthalten folgende Empfehlungen speziell für weibliche Häftlinge:
a)
Die Bedürfnisse weiblicher Häftlinge sollten in besonderer Weise berücksichtigt werden. Vollzugspersonal,
das mit weiblichen Häftlingen zu tun hat, sollte im Umgang mit den psychosozialen und medizinischen
Problemen geschult werden, die eine HIV-Infektion bei Frauen mit sich bringt.
b)
Weibliche Häftlinge, einschließlich HIV-infizierter Insassinnen, sollten gemäß ihren Bedürfnissen aufgeklärt und versorgt werden; dies schließt Informationen über die Wahrscheinlichkeit einer HIVÜbertragung, insbesondere einer Mutter-Kind-Übertragung oder einer Übertragung durch Geschlechtsverkehr, ein. Da weibliche Häftlinge während der Haft oder nach einer vorzeitigen Entlassung auf Bewährung Geschlechtsverkehr haben können, sollten sie in die Lage versetzt werden, sich vor einer HIV-
27
Infektion zu schützen, z. B. durch Bereitstellung von Kondomen und Vermittlung der Fähigkeit, auf sicheren Sexualpraktiken zu bestehen. Das Angebot sollte auch Beratung zu Fragen der Familienplanung
beinhalten, wenn dies in der nationalen Gesetzgebung so vorgesehen ist. Dabei sollte jedoch keinerlei
Druck auf weibliche Häftlinge ausgeübt werden, ihre Schwangerschaft abzubrechen. Frauen sollten unabhängig von ihrem HIV-Status in die Lage versetzt werden, während ihrer Haft für ihre kleinen Kinder zu
sorgen.
c)
Folgende Angebote sollten in allen Haftanstalten, in denen Frauen einsitzen, vorhanden sein:
ƒ
frauenärztliche Sprechstunden in regelmäßigen Abständen, mit besonderem Augenmerk auf der Diagnose und Behandlung von sexuell übertragbaren Krankheiten;
ƒ
Familienplanungsberatung unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse von Frauen;
ƒ
Versorgung während der Schwangerschaft in angemessener Unterbringung;
ƒ
Versorgung der Kinder, insbesondere derjenigen, deren Mütter HIV-infiziert sind;
ƒ
Bereitstellung von Kondomen und anderen Verhütungsmitteln während der Haft und vor einer Entlassung auf Bewährung bzw. endgültigen Haftentlassung.
38. Die Mindestnormen und Leitlinien für die Bekämpfung der Tuberkulose bei männlichen
Häftlingen sollten auch auf Frauen angewandt werden. Die Mindestnormen der WHO für
Programme zur Bekämpfung der Tuberkulose werden in dem Sachstandsbericht der WHO
zur Tuberkulose-Situation (WHO-Regionalbüro für Europa, 2007c) erläutert und schließen
einen uneingeschränkten Zugang aller neu Inhaftierten zur Diagnose und Behandlung der
Tuberkulose ein.1
Substanzmissbrauch
39. Drogendelikte gehören in der Europäischen Region zu den häufigsten von Frauen begangenen Straftaten; Drogen spielen in Bezug auf die Straffälligkeit von Frauen eine Schlüsselrolle. Drogendelikte lassen sich in drei Kategorien unterteilen: 1. Straftaten zur Beschaffung
von Drogen. 2. Straftaten unter dem Einfluss von Drogen. 3. Straftaten in Bezug auf den illegalen Drogenhandel (ohne Bezug zur eigenen Drogenabhängigkeit).
In einer 1999 durchgeführten Studie des Büros für Rechtsstatistik beim Justizministerium der
Vereinigten Staaten gab fast jeder dritte weibliche Häftling an, die fragliche Straftat began1
Der Tuberkulose-Fonds KNCV arbeitet derzeit an Leitlinien für die Bekämpfung der Tuberkulose in Haftanstalten, die für männliche wie weibliche Häftlinge gelten sollen.
28
gen zu haben, um Geld für die Finanzierung der eigenen Drogensucht zu beschaffen (Wolf et
al., 2007). Darüber hinaus ist ein hoher Anteil der weiblichen Häftlinge drogensüchtig, und
es ist durch Untersuchungen belegt, dass Drogenmissbrauch unter weiblichen Häftlingen relativ häufiger vorkommt als unter männlichen (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten,
2007). In der Europäischen Union liegt die Rate für den intravenösen Drogenkonsum unter
weiblichen Häftlingen höher als unter männlichen (Europäische Beratungsstelle für Drogen
und Drogensucht, 2004). Nach Expertenschätzungen haben mindestens 75% der inhaftierten
Frauen zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung ein durch Alkohol- oder Drogenkonsum bedingtes
Gesundheitsproblem (Fowler, 2002; WHO-Regionalbüro für Europa, 2007a). In vielen Ländern gibt es nicht genügend Informationen über weibliche Häftlinge mit Suchtproblemen oder
ihre Therapieerfahrungen sowie über erfolgreiche Behandlungsmodelle und -maßnahmen.
Über die Prävalenz von Substanzmissbrauch und damit verbundene Probleme unter geschlechtsspezifischen Aspekten gibt es nur relativ wenige internationale, nationale oder lokale Untersuchungen (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung,
2004).
40. Eine in England and Wales durchgeführte Studie (Plugge et al., 2006) belegt, dass:
ƒ
mehr als 85% der Frauen vor ihrer Inhaftierung Raucherinnen waren, während der
nationale Durchschnitt für Frauen bei nur 24% lag;
ƒ
42% der weiblichen Häftlinge vor ihrer Inhaftierung mehr Alkohol konsumierten als
in den staatlichen Leitlinien empfohlen, während dies nur bei 22% der weiblichen
Allgemeinbevölkerung der Fall war;
ƒ
75% der weiblichen Häftlinge in den sechs Monaten vor ihrer Inhaftierung illegale
Drogen konsumiert hatten; demgegenüber hatten nur 12% der Allgemeinbevölkerung in den zwölf Monaten vor der Erhebung solche Drogen genommen.
41. Generell gilt für Frauen, die unter Suchtproblemen leiden:
ƒ
Sie sind in Bezug auf Bildung, Beschäftigung und Einkommen schlechter gestellt als
Männer.
ƒ
Sie haben häufiger einen Partner, der ebenfalls unter Suchtproblemen leidet.
ƒ
Sie müssen oft Kinder versorgen.
ƒ
Sie haben zu Beginn ihrer Suchttherapie andere schwerwiegende Probleme.
29
ƒ
Sie leiden häufiger als Männer unter durch körperliche Misshandlung oder sexuellen
Missbrauch verursachten Traumata sowie an dadurch bedingten psychischen Störungen, insbesondere posttraumatischen Belastungsstörungen und anderen Stimmungsstörungen oder Angstzuständen (Büro der Vereinten Nationen für Drogenund Verbrechensbekämpfung, 2004).
42. Erheblichen Anlass zur Besorgnis gibt die Tatsache, dass Frauen in Haftanstalten oft keinen
Zugang zu Drogenentzugsprogrammen erhalten und dass die Programme in jedem Fall nicht
für Frauen konzipiert sind. Auf Frauen zugeschnittene Entzugsprogramme können den Betroffenen ein Gefühl von Sicherheit und Unterstützung vermitteln und erleichtern generell die
Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Fragen (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten, 2007). Ein geschlechtssensibler Ansatz für die Gesundheitsversorgung von Frauen muss
deshalb der Notwendigkeit Rechnung tragen, Drogentherapieprogramme speziell für Frauen
im Strafvollzug anzubieten (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008).
Viele Frauen kehren nach Verbüßung ihrer Haftstrafe in ihr altes Leben zurück, ohne während der Haft irgendeine Suchttherapie erhalten zu haben (Zurhold & Haasen, 2005). So benötigen etwa in Kalifornien 70% der inhaftierten Frauen eine Drogentherapie, doch nur 14%
erhalten während ihrer Haftzeit eine solche Behandlung (Weinstein, 2005). Der Mangel an
Drogentherapieeinrichtungen außerhalb des Strafvollzugs sollte nicht als Rechtfertigung für
die Inhaftierung von Frauen benutzt werden.
43. Es gibt zwingende Belege dafür, dass Substitutionstherapie bei Häftlingen mit Suchtproblemen nicht nur funktioniert, sondern sogar kosteneffektiv ist. Substitutionstherapie sollte für
alle opiatabhängigen weiblichen Häftlinge angeboten werden. Ein besonderes Augenmerk ist
auf die Erreichung von Fortschritten im Bereich der Umsetzung sowie bei der Entwicklung
von jeglichen notwendigen Unterstützungsmaßnahmen für Gefängnispersonal zu richten;
dies schließt die Ausarbeitung klarer Leitlinien ein (WHO-Regionalbüro für Europa, 2005).
Weiterhin sollte bei der Behandlung Kontinuität gewährleistet sein, wenn eine Frau inhaftiert, in eine andere Haftanstalt verlegt oder aus der Haft entlassen wird. Da weibliche
30
Häftlinge häufig verlegt werden und dadurch die Behandlung unterbrochen wird, ist es für
einzelne Haftanstalten schwierig, Erfolgskontrollen durchzuführen.
44. Drogen gehören zu den wichtigsten Gründen für Sicherheitsmaßnahmen in Gefängnissen wie
Leibesvisitationen oder Einschränkung der Besuchszeiten und des Hafturlaubs. Solche Maßnahmen können auf Frauen eine besonders verheerende Wirkung haben. Deshalb muss ein
Gleichgewicht gefunden werden zwischen humaner Behandlung und Maßnahmen zur Unterbindung des Drogenkonsums in Haftanstalten (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten,
2007). Der primäre Schwerpunkt sollte dabei stets auf den Häftlingen liegen und nicht auf
Personal oder Verwaltung der Haftanstalten. Bei der Bereitstellung von Versorgungs- und
Behandlungsangeboten bildet die Ermittlung eines Gleichgewichts zwischen der Achtung der
Würde der Frau einerseits und Überwachungs- und Sicherheitsaspekten im Strafvollzug andererseits immer eine Herausforderung. Bei der Sicherstellung dieses Gleichgewichts sollte
das Vollzugspersonal die Häftlinge mit einbeziehen.
45. Bei der Unterbindung des Drogenkonsums und bei der Erstellung entsprechender Therapieprogramme sollte die Verfügbarkeit von Drogen in Haftanstalten als Realität zur Kenntnis
genommen werden. Die Europäische Beratungsstelle für Drogen und Drogenkonsum (2004)
geht davon aus, dass manche Häftlinge in der Haft ihren Drogenkonsum fortsetzen, andere
dagegen erst dort damit beginnen. Aus den zu dieser Frage vorliegenden Untersuchungen
geht hervor, dass zwischen 8% und 60% der Häftlinge während der Haftzeit Drogen konsumieren; andere Studien beziffern den Anteil der regelmäßigen Konsumenten auf 10% bis
36%.
Psychische Gesundheit und psychische Erkrankungen
46. Neben den Suchtproblemen leidet auch ein alarmierend hoher Anteil der Frauen im Strafvollzug an psychischen Gesundheitsproblemen; so verzeichnet der Frauenvollzug hohe Raten
an posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen, Angstzuständen, Phobien, Neurosen, Selbstverstümmelung und Suizid. Diese Tatsache ist häufig auf lebenslange Missbrauchs- und Opfererfahrungen zurückzuführen. Untersuchungen deuten darauf hin, dass
weibliche Häftlinge im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung wie auch zur männlichen
31
Gefängnispopulation deutlich häufiger unter psychischen Gesundheitsproblemen leiden
(Bastick, 2005). So kam beispielsweise eine Studie des Büros für Rechtsstatistik beim USJustizministerium zu dem Ergebnis, dass in den Vereinigten Staaten 73% der Frauen in bundesstaatlichen und 75% der Frauen in kommunalen Gefängnissen Symptome psychischer
Störungen aufweisen; in der weiblichen Allgemeinbevölkerung sind es nur 12% (Covington,
2007). In England and Wales leiden 90% der weiblichen Häftlinge an einer diagnostizierbaren psychischen Störung oder an Suchtproblemen oder an beidem, und neun Zehntel der
Frauen in Haft weisen mindestens eines der folgenden Gesundheitsprobleme auf: Neurose,
Psychose, Persönlichkeitsstörung, Alkoholmissbrauch oder Drogenabhängigkeit (WHORegionalbüro für Europa, 2007a).
47. Aufgrund der unbewältigten Traumata und der sozioökonomischen Benachteiligung, unter
denen ein Großteil der weiblichen Häftlinge leiden, ist diese Gruppe prädestiniert für psychische Erkrankungen und Selbstverletzung. Untersuchungen deuten darauf hin, dass psychische Erkrankungen unter Frauen sowohl Ursache für ihre Inhaftierung als auch deren Folge
sein können (Penal Reform International, 2007). Schon ein kurzer Aufenthalt im Gefängnis
oder auch nur in der Untersuchungshaft kann schädliche Auswirkungen auf die psychische
Gesundheit und das Familienleben der betroffenen Frauen haben, hat aber nur geringe oder
keine Auswirkungen auf etwaiges Rückfälligwerden. Noch erheblich schlimmer ist der
Schaden, wenn die Frauen in größerer Entfernung von ihrem Wohnort inhaftiert sind und
während und nach der Haft nur unzureichend ärztlich versorgt werden (Rutherford, 2008).
Die psychische Gesundheit von Frauen leidet insbesondere dann, wenn die Haftanstalten
überfüllt sind, wenn die Häftlinge nicht aufgrund einer vorherigen Analyse unterteilt werden
oder wenn Häftlingsprogramme entweder nicht vorhanden oder nicht ausreichend sind, um
den spezifischen Bedürfnissen von Frauen gerecht zu werden. Die schädlichen Folgen von
psychischen Erkrankungen werden dann noch verschärft, wenn sich die Frauen nicht sicher
fühlen und wenn sie von männlichen Wärtern bewacht werden, die von ihnen als Bedrohung
im Hinblick auf weiteren Missbrauch wahrgenommen werden (Büro der Vereinten Nationen
für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008). Es wäre sinnvoll, Maßnahmen zur Verhütung von psychischen Schäden nach der Inhaftierung und Bemühungen zur Förderung der
allgemeinen seelischen Gesundheit der Frauen zu prüfen (WHO-Regionalbüro für Europa,
1999). Die Förderung der psychischen Gesundheit und des seelischen Wohlbefindens sollte
32
ein zentraler Bestandteil des Gesundheitskonzeptes einer Haftanstalt sein (WHORegionalbüro für Europa, 2008), und bei Haftantritt sollte eine routinemäßige Untersuchung
auf psychische Gesundheitsprobleme erfolgen.
Andere Studien belegen, dass die Raten an psychischen Störungen bei weiblichen Häftlingen
in Untersuchungshaft höher sind als in der Strafhaft. Dies legt den Schluss nahe, dass sich die
Rate psychischer Erkrankungen während der Haftzeit nicht erhöht. Es spricht auch dafür,
dass Frauen, die an psychischen Erkrankungen leiden, häufig infolge ihrer psychischen Erkrankung verhaftet und inhaftiert werden, insbesondere für relativ geringfügige Straftaten,
für die sie eher hospitalisiert als inhaftiert werden sollten (Ogloff & Tye, 2007).
Ob sich eine psychische Erkrankung während der Haft bessert oder verschlimmert, hängt von
einer Reihe von Faktoren ab, etwa der Struktur der Haftanstalt, den Behandlungsmöglichkeiten (einschließlich der Verfügbarkeit von Traumabehandlung) und den Einrichtungen und
Angeboten für die Frauen.
Selbstverletzung und Suizid
48. Die vorliegenden Untersuchungen deuten darauf hin, dass Frauen in Haft häufiger selbstverletzende Handlungen vornehmen als männliche Häftlinge (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten, 2007). In England und Wales sind selbstverletzende Handlungen unter weiblichen Häftlingen 14-mal häufiger als unter männlichen. Auch der Anteil der Frauen, die wiederholt solche Handlungen begehen, ist im Vergleich zu den Männern deutlich erhöht. So
begingen nur ein Drittel der fraglichen Männer, jedoch die Hälfte der Frauen mehr als eine
selbstverletzende Handlung (WHO-Regionalbüro für Europa, 2007a). Eine andere in England und Wales durchgeführte Studie ergab, dass 16% der weiblichen Häftlinge in dem Monat vor ihrer Inhaftierung eine solche Handlung begangen hatten (Plugge et al., 2006).
49. In den meisten Ländern sind die Raten an Selbstverletzung und Suizid unter weiblichen wie
männlichen Strafgefangenen höher als in der Allgemeinbevölkerung (Penal Reform International, 2007). Vor allem die Zeit der Untersuchungshaft und die frühen Phasen der Strafhaft
sind mit einer besonders hohen Suizidgefahr verbunden (WHO-Regionalbüro für Europa,
33
2007a). Im Corston-Bericht (2007) werden Überwachungsmaßnahmen für die erste Nacht
empfohlen. Auch während der ersten Phase nach der Haftentlassung kommt es häufiger zu
Selbstverletzung und Suizid. Für gefährdete Frauen sollten daher entsprechende Nachsorgemaßnahmen angeboten werden. In einigen Ländern im östlichen Teil der Region verhält sich
die Situation allerdings umgekehrt: Hier kommen Selbstverletzung und Suizid in der in Freiheit lebenden Bevölkerung häufiger vor als im Strafvollzug.
50. Außerhalb des Strafvollzugs begehen Männer häufiger Selbstmord als Frauen; im Gefängnis
ist das Gegenteil der Fall. Außerhalb des Strafvollzugs sind Frauen mit Kindern offenbar weniger suizidgefährdet, doch dieser Schutz fällt in der Haft weg, wenn Mütter von ihren Kindern getrennt sind (Corston, 2007).
51. Die Entwicklung von Strategien zur Prävention von Suizid und Selbstverletzung und zur Bereitstellung geeigneter, geschlechtsspezifischer und individualisierter Behandlungsmethoden
für psychisch gefährdete Personen muss zu einem umfassenden Element der psychischen Gesundheitsversorgung im Strafvollzug werden. Das Wachpersonal muss so geschult werden,
dass es von Selbstverletzung und Suizid gefährdete Personen erkennen lernen und sie unterstützen und in ärztliche Behandlung überführen kann. In manchen Strafjustizsystemen sind
Selbstverletzung und Suizidversuche sogar Straftatbestände; dies kann nicht hingenommen
werden, da es die seelische Not der Betroffenen noch weiter verschärft (Büro der Vereinten
Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008). Wer wirksame Therapien anbieten will, muss die zugrunde liegenden Ursachen von Selbstverletzung und Suizidversuchen
ermitteln und darauf reagieren; unbewältigte Traumata spielen dabei eine bedeutende Rolle.
52. Da die vorhandenen Erkenntnisse klar auf eine erhöhte Suizidgefahr für weibliche Häftlinge
hindeuten, müssen sich die politisch Verantwortlichen und die Gefängnisleitungen darüber
im Klaren sein, dass die Einstellung eines Koordinators für die Suizidprävention in jeder
Frauenhaftanstalt sinnvoll ist. Darüber hinaus muss das Vollzugspersonal auch gezielt dafür
sensibilisiert werden, dass weibliche Häftlinge in Bezug auf Selbstverletzung ein besonders
hohes Risiko tragen (WHO-Regionalbüro für Europa, 2007a).
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Lernstörungen
53. Für Lernstörungen werden viele verschiedene Definitionen und Begriffe verwendet, z. B.
geistige Zurückgebliebenheit, geistige Behinderung und intellektuelle Unfähigkeit. Die WHO
definiert eine Lernstörung als einen Zustand unterbrochener oder nicht abgeschlossener Entwicklung des Gehirns, der zusammen mit anderen körperlichen oder psychischen Störungen
oder ohne diese auftreten kann und durch eine Beeinträchtigung der Fähigkeiten und der allgemeinen Intelligenz in Bereichen wie Erkenntnis und Sprache sowie bei motorischen und
sozialen Fähigkeiten gekennzeichnet ist. Betroffen sind Menschen aller Altersgruppen
(WHO, 2007d).
54. Über Lernstörungen bei Frauen im Strafvollzug sowie die Frage, wie viele weibliche Häftlinge eine Lernstörung aufweisen, gibt es nur wenige Informationen. Wenn Menschen mit
Lernstörungen straffällig werden, wirft dies die schwierige Frage auf, ob eine Zurechnungsfähigkeit gegeben ist und welche Art der Strafe bzw. ärztlichen Versorgung danach angemessen ist (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten, 2007). Häftlinge mit Lernstörungen und
-schwierigkeiten können nur selten an Programmen zur Rückfallprävention teilnehmen und
sind manchmal sogar explizit davon ausgeschlossen. Viele werden in der Haft Opfer von Unterdrückung und Schikanen (Prison Reform Trust, 2007).
Sexuelle und reproduktive Gesundheit
55. In Anlehnung an die Definition des Begriffs „Gesundheit“ durch die WHO als „Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein
von Krankheit oder Gebrechen“ umfasst der Begriff „reproduktive Gesundheit“ die Fortpflanzungsprozesse und -funktionen in allen Phasen des Lebens. Reproduktive Gesundheit
bedeutet, dass die Menschen imstande sind, ein verantwortliches, befriedigendes und sicheres
Sexualleben zu führen, dass sie die Fähigkeit zur Fortpflanzung haben und selbst entscheiden
können, ob, wann und wie oft sie Kinder haben möchten. Implizit bedeutet dies auch, dass
Frauen und Männer das Recht haben, zu wissen, wie sie ihre Fertilität nach eigener Wahl sicher, effektiv, bezahlbar und akzeptabel regeln können, und dass sie Zugang zu diesen Methoden haben müssen. Außerdem haben sie Anspruch auf Zugang zu bedarfsgerechten
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Gesundheitsdiensten, die es den Frauen ermöglichen, Schwangerschaft und Geburt sicher
durchzuführen, und die den Paaren die beste Chance geben, ein gesundes Kind zu bekommen
(WHO, 2009a).
Sexuelle Gesundheit ist ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen
Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität und nicht nur das Freisein von Krankheit, Funktionsstörungen oder Gebrechen. Voraussetzungen für sexuelle Gesundheit sind eine positive
und respektvolle Einstellung zur Sexualität und zu sexuellen Beziehungen und die Möglichkeit zu lustvollen und sicheren sexuellen Erfahrungen ohne Zwang, Diskriminierung und
Gewalt. Zur Verwirklichung bzw. Erhaltung von sexueller Gesundheit müssen die sexuellen
Rechte aller Menschen respektiert, geschützt und erfüllt werden (WHO, 2009b).
Das Recht auf reproduktive und sexuelle Gesundheit wird im Gefängnis erheblich beeinträchtigt, sollte jedoch so weit wie möglich aufrechterhalten werden. Je nach den Wünschen
der inhaftierten Frauen sollten Besuche von Ehegatten ermöglicht werden.
56. Weibliche Häftlinge sind in Bezug auf Störungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, namentlich durch Krebserkrankungen und sexuell übertragbare Infektionen, stark gefährdet. Dies ist vor allem auf die Verhältnisse zurückzuführen, aus denen weibliche Häftlinge häufig stammen und in denen intravenöser Drogenkonsum, sexueller Missbrauch, Gewalt,
Prostitution und unsichere Sexualpraktiken oft an der Tagesordnung sind (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008). Frauen mit Missbrauchserfahrungen neigen häufig zu riskantem Sexualverhalten, durch das sich die Gefahr einer Ansteckung mit einer sexuell übertragbaren Infektion erhöht. Untersuchungen auf Reproduktionskrankheiten wie Brustkrebs sollten in Frauenhaftanstalten zur Standardpraxis gehören.
57. In vielen Ländern weltweit haben Gefängnisverwaltungen Probleme mit der Menstruation
der weiblichen Häftlinge. Oft stellen sie Hygieneartikel wie Monatsbinden entweder überhaupt nicht zur Verfügung oder nur im Rahmen der Arzneimittelversorgung; manchmal werden sie den Frauen zu Sanktionszwecken sogar gezielt vorenthalten. Häufig fehlen Privatsphäre und angemessene Bade- und Waschmöglichkeiten (Penal Reform International,
2007). Menstruationsartikel, die den Bedürfnissen der Frauen entsprechen, und angemessene
36
Entsorgungsmöglichkeiten müssen den Frauen kostenlos zur Verfügung gestellt bzw. jederzeit leicht zugänglich gemacht werden. Ein regelmäßiger Zugang zu Duschen muss sichergestellt werden (WHO-Regionalbüro für Europa, 2007a).
Schwangerschaft, postnatale Versorgung und Stillen
58. Zum Schutz der Gesundheit von Müttern und Neugeborenen sollte eine Schwangerschaft
grundsätzlich als Argument gegen Untersuchungs- wie auch Strafhaft gelten, und schwangere Frauen sollten nicht inhaftiert werden, wenn nicht wirklich zwingende Gründe vorliegen.
Wird in der Haft eine Schwangerschaft entdeckt, so sollte die Notwendigkeit der Inhaftierung
der betreffenden Frau unverzüglich nochmals und ggf. im weiteren Verlauf der Schwangerschaft erneut überprüft werden. Bei schwangeren Häftlingen sollten für die verbleibende
Restdauer der Haft Strafmaßnahmen ohne Freiheitsentzug erwogen werden (Bastick, 2005).
59. Eine Schwangerschaft hat Auswirkungen auf viele Bereiche des Lebens einer Frau, insbesondere auf Gesundheit, Ernährung und Bewegungsverhalten (Robertson, 2008). Schwangere
Frauen in Haft sollten eine nährstoffreiche Ernährung und frühzeitige und regelmäßige
Mahlzeiten erhalten (und nicht einem rigiden Zeitplan unterworfen sein), unter gesundheitsförderlichen Bedingungen untergebracht sein und über regelmäßige Bewegungsmöglichkeiten verfügen (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008).
Außerdem sollte nicht übersehen werden, dass morgendliche Übelkeit vielen Frauen Probleme bereitet.
60. Schwangere Häftlinge sollten eine ebenso gute Gesundheitsversorgung erhalten wie Frauen
außerhalb des Strafvollzugs; dazu gehört der Zugang zu für ihre jeweilige Kultur angemessenen Geburtshelfern, Gynäkologen und Hebammen. Die medizinische Betreuung schwangerer
Häftlinge sollte auf Wunsch durch weibliche Fachkräfte erfolgen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass Frauen ihre Schwangerschaft in der Haft nicht fortsetzen wollen, insbesondere
dann, wenn sie diese erst in der Haft entdecken. Auch hier sollten die angebotenen Behandlungsoptionen denen entsprechen, die außerhalb des Strafvollzugs zur Verfügung stehen
(WHO-Regionalbüro für Europa, 2007a).
37
61. Eine ausreichende Gesundheitsversorgung während der Entbindung ist aus offensichtlichen
Gründen von lebenswichtiger Bedeutung für Mutter und Kind. Leider haben viele Frauen in
der Haft keinen Zugang zu Geburtsvorbereitungskursen mit Atemübungen, um sich auf die
Entbindung vorzubereiten. Je nach Land und individueller Situation der Strafgefangenen entbinden Frauen entweder in der Haftanstalt oder in einem öffentlichen Krankenhaus (Bastick,
2005). Eine Entbindung in einem öffentlichen Krankenhaus sollte dabei stets angestrebt werden. Für den Transport schwangerer Frauen in ein Krankenhaus oder ein Gesundheitszentrum
sollte es konkrete Bestimmungen geben (z. B. häufige Toilettenpausen). Eine Ankettung
während der Wehen muss kategorisch verboten werden. Weiterhin darf außer dem Gesundheitspersonal kein männlicher Beamter während der Wehen oder bei der Entbindung zugegen
sein.
62. Ähnlich wie Schwangere haben auch stillende Mütter besondere gesundheitliche und ernährungsmäßige Bedürfnisse, die in der Haft oft unberücksichtigt bleiben. Stillende Mütter und
ihre Kinder müssen kostenlos geeignete Nahrung erhalten; dazu gehört Milch, proteinreiche
Kost und frisches Obst und Gemüse (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008). Die Mahlzeiten sollten regelmäßig, aber flexibel angeboten werden und nicht einem rigiden Zeitplan unterliegen. Mütter müssen medizinisch untersucht
werden, um eine Erholung von den Strapazen der Geburt zu gewährleisten und um sicherzustellen, dass sie keine Infektion haben, die sie etwa durch das Stillen auf das Kind übertragen
könnten (Bastick, 2005). Eine Infektion mit Hepatitis C stellt keine Kontraindikation gegen
das Stillen dar, da es keine Belege dafür gibt, dass Hepatitis C durch Muttermilch übertragen
werden kann. Müttern, die mit HIV leben, wird dagegen empfohlen, nur während der ersten
sechs Lebensmonate des Neugeborenen zu stillen, wenn eine alternative Ernährung nicht annehmbar, realistisch, bezahlbar, nachhaltig oder für beide Seiten sicher ist. Wenn jedoch eine
alternative Ernährung annehmbar, realistisch, bezahlbar, nachhaltig und sicher ist, wird diesen Frauen empfohlen, gänzlich auf Stillen zu verzichten (WHO, 2009c). Frauen in Haft wird
oft vom Stillen abgeraten, da dies teilweise als Störung der Abläufe im Gefängnisalltag angesehen wird (Bastick, 2005). Dabei ist es allgemein anerkannt, dass Stillen die beste Methode
für die Ernährung von Säuglingen ist.
38
63. In der Zeit unmittelbar nach der Geburt muss die Privatsphäre von Mutter und Neugeborenem sowie von Familienangehörigen respektiert werden, um ein günstiges Umfeld für die
Ernährung und den Aufbau einer gefühlsmäßigen Bindung zu schaffen. Nach der Geburt
sollten Frauen eine angemessene Beratung und Unterstützung erhalten und sorgfältig auf Anzeichen von Depressionen untersucht werden (Bastick, 2005). Auch nach Fehlgeburten ist
Betreuung angezeigt und sollte stets angeboten werden.
Gewalt und Misshandlung
64. Der Anteil der Frauen, die vor ihrer Inhaftierung körperliche Misshandlung oder sexuellen
Missbrauch erlebt haben, ist dreimal so hoch wie der entsprechende Anteil der männlichen
Häftlinge (Severson et al., 2005). Frauen mit Gewalt- und Missbrauchserfahrungen vor ihrer
Inhaftierung haben oft ein niedriges Selbstwertgefühl, unzureichende Bewältigungsfähigkeiten und einen generellen Mangel an Selbstbewusstsein. Opfererfahrungen tragen auch in erheblicher Weise zu negativen Gesundheitsergebnissen in Form von psychischen Störungen
und körperlichen Gesundheitsproblemen (z. B. in Bezug auf das Fortpflanzungssystem) bei.
Traumata tragen in direkter wie indirekter Weise zu den kriminogenen Faktoren und zu psychischen wie auch körperlichen Erkrankungen bei (Moloney, van den Bergh, Møller, eingereicht). Deshalb ist die Aufarbeitung unbewältigter Traumata durch eine angemessene Traumapsychotherapie so wichtig.
65. Es gilt, Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben, im Rahmen der Eingangsuntersuchung zu ermitteln. Wenn sie aus durch Missbrauch geprägten Beziehungen kommen oder
bei ihrer Rückkehr in die Gesellschaft durch andere Formen von Gewalt bedroht sind, sollten
sie über die Zeit der Haft hinaus Beratung und Unterstützung erhalten.
66. Frauen, die eine dysfunktionale Familie und Missbrauch erlebt haben, benötigen oft Hilfe,
um zu einer verantwortungsbewussten Elternrolle zu finden. Für Frauen in Haft mit Kindern
oder für Schwangere sollte vor wie auch nach der Geburt eine Einführung in ihre Elternrolle
erfolgen, bei der die maßgeblichen Risikofaktoren (bei Mutter und Kind) für eine schwache
Mutter-Kind-Bindung und unzureichende elterliche Fähigkeiten vorsorglich ins Visier
39
genommen werden. Kinder, die von ihren Müttern getrennt werden, brauchen eine umfassende Unterstützung.
67. Während ihrer Haft können Frauen leicht Opfer von Missbrauch, vor allem sexuellem Missbrauch, werden. Da Frauen in der Haft von Wärtern bewacht werden, sind sie diesen ausgeliefert. Ein wirksames System für die Inspektion und Überwachung von Haftanstalten, das
durch eine unabhängige Stelle gesteuert wird und über ein vertrauliches Beschwerdeverfahren verfügt, ist von entscheidender Bedeutung für die Verhinderung von Gewalt und Missbrauch im Strafvollzug (Penal Reform International, 2007). Jede Frau hat ein Anrecht darauf,
während der Haft keinem sexuellen Missbrauch ausgesetzt zu sein. Frauen, die sexuellen
Missbrauch erlebt haben, der die Gefahr eine HIV-Infektion mit sich bringt, sollte eine
postexpositionelle Prophylaxe ermöglicht werden.
68. Frauen in Haft sollten die Möglichkeit erhalten, ohne Anwesenheit von Vollzugspersonal einen Arzt aufzusuchen, da anderenfalls eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie mögliche Gewalt und Übergriffe in der Haft verschweigen. Weibliche Häftlinge sollten über das
Recht verfügen, sich beim Arztbesuch von einer Frau (z. B. einer Krankenschwester) begleiten zu lassen. Die Europäischen Strafvollzugsvorschriften und die nationalen Strafrechtssysteme schreiben dem Arzt eine zentrale Rolle bei der Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen im Strafvollzug zu (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten, 2007).
69. Die Minderheit unter den Frauen, die Gewaltverbrechen begangen haben oder bei der Eingangsuntersuchung als potenziell gewalttätig identifiziert wurden, sollten Interventionen zugeführt werden, die sie von gewalttätigem Verhalten während der Haft wie auch bei der
Rückkehr in die Gesellschaft abhalten.
Mehrfacher oder komplexer Behandlungsbedarf
70. Eine Studie des Büros für Rechtsstatistik beim Justizministerium der Vereinigten Staaten
kam zu dem Ergebnis, dass drei Viertel der in den USA inhaftierten Frauen, die psychische
Gesundheitsprobleme hatten, auch die Kriterien für Substanzabhängigkeit oder -missbrauch erfüllten (Covington, 2007). Andere Studien deuten darauf hin, dass Frauen mit Suchtproblemen
40
häufiger als vergleichbare Männer körperliche Misshandlung oder sexuellen Missbrauch erlebt haben (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2004).
Regelmäßige Erfahrungen mit gewalttätigen Übergriffen können das Risiko für einen späteren Drogenmissbrauch sowie für posttraumatische Belastungsstörungen oder andere psychische Gesundheitsprobleme erhöhen (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008). Deshalb müssen traumaspezifische Verfahren zu einem zentralen
Bestandteil aller Angebote im Bereich der psychischen Gesundheit im Strafvollzug werden.
71. Bei weiblichen Häftlingen besteht ein statistischer Zusammenhang zwischen sexuellen Missbrauchserfahrungen und Selbstverletzung und Suizidversuchen. Von den Frauen, die Suizidversuche unternommen oder selbstverletzende Handlungen begangen hatten, gaben 41% an,
sexuell missbraucht worden zu sein; bei den Männern lag der Anteil mit 18% signifikant
niedriger (WHO-Regionalbüro für Europa, 2007a). In den letzten Jahrzehnten hat sich mit
der Erkenntnis, dass Traumata eine Schlüsselrolle bei der Entstehung körperlicher und psychischer Gesundheitsprobleme spielen, eine bedeutende Entwicklung in der Gesundheitsversorgung vollzogen (Covington, 2007).
72. Alkohol- und/oder drogenabhängige Frauen sind stärker durch Depressionen, Dissoziation,
posttraumatische Belastungsstörungen, andere Angststörungen, Essstörungen und Persönlichkeitsstörungen gefährdet (Covington, 2007). Neben den Suchttherapieprogrammen benötigen viele Frauen auch psychotherapeutische Betreuung, bei der gezielt ihre individuellen
Traumata thematisiert werden. Da inhaftierte Frauen häufig nicht nur drogen- und alkoholabhängig sind, sondern auch an psychischen Störungen leiden, bei schlechter Gesundheit sind
und sich auf kein ausreichendes soziales Umfeld stützen können, sind sie in außerordentlichem Maße auf psychoedukative Maßnahmen und das Erlernen von alltagspraktischen Fähigkeiten sowie auf systematische Vorbereitungsmaßnahmen vor ihrer Rückkehr in die Gesellschaft angewiesen (Zurhold & Haasen, 2005).
73. In manchen Fällen müssen Frauen nach ihrer Inhaftierung feststellen, dass sie sowohl
schwanger als auch HIV-positiv sind. Die psychische Belastung durch die Inhaftierung zusammen mit der gleichzeitigen Entdeckung einer Schwangerschaft oder einer HIV-Infektion
kann katastrophale Auswirkungen auf die Verfassung der Frauen haben. Um in einer derart
41
komplexen Situation möglichst gute Bedingungen für Mutter und Kind zu gewährleisten,
sind stets Einfühlungsvermögen und beratende Unterstützung erforderlich. HIV-positive
Schwangere erleiden möglicherweise häufiger eine Frühgeburt; hier wurde in einigen Untersuchungen eine im Vergleich zu anderen Schwangeren bis zu doppelt so hohe Rate ermittelt
(Reyes, 2000).
Es ist sehr wichtig, dass schwangere Frauen, die eine ARV-Therapie benötigen, diese auch
kostenlos erhalten. Für Schwangere, die eine solche Therapie brauchen, verringert sich dadurch die Mortalitäts- und Morbiditätsrate; außerdem ist die ARV-Therapie die wirksamste
Methode zur Verhinderung einer Mutter-Kind-Übertragung von HIV und führt aufgrund der
Sicherung der Gesundheit der Mutter auch zur Verbesserung der Überlebenschancen des
Kindes. Die Behandlung einer HIV-positiven Schwangeren hat nicht nur Auswirkungen auf
ihre persönliche Gesundheitssituation, sondern verringert auch dramatisch die Gefahr einer
Mutter-Kind-Übertragung; dies gilt insbesondere für Frauen im vorgeschrittenen Krankheitsstadium, in dem eine solche Übertragung deutlich wahrscheinlicher ist. Das Stadium der
Schwangerschaft und die potenziellen Nebenwirkungen der Behandlung sollten jedoch stets
gebührend berücksichtigt werden (WHO, 2006).
74. Der Konsum von Alkohol und Drogen während der Schwangerschaft kann zu einer Reihe
von Krankheiten, Untergewicht bei Säuglingen, Frühgeburten, Unterernährung, Atemwegserkrankungen und der Entwicklung eines fötalen Alkoholsyndroms führen. Einige dieser Gesundheitsfolgen können auf den mit dem Substanzgebrauch einhergehenden Lebensstil zurückzuführen sein, nämlich konkret auf schlechte Ernährung, mangelnde gesundheitliche und
soziale Versorgung sowie Infektionskrankheiten wie HIV/Aids und Hepatitis; diese Einflüsse
können die direkten Folgen des Drogenkonsums für Mutter und Fötus verschärfen (Büro der
Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2004).
75. Bei mehrfachem Behandlungsbedarf, etwa dem gleichzeitigen Vorhandensein von zwei oder
mehr Störungen oder Abhängigkeitserkrankungen, können diese einander gegenseitig beeinflussen und kann die Behandlung mit bestimmten Medikamenten kontraproduktiv oder sogar
gefährlich sein. So ist es beispielsweise denkbar, dass eine gleichzeitig an Hepatitis und
42
Krebs erkrankte Frau für die Krebsbekämpfung ein Medikament benötigt, das die Funktionsfähigkeit der Leber beeinträchtigt.
Vorbereitungen auf die Zeit nach der Haftentlassung und Kontinuität
der Gesundheitsversorgung
76. Vor ihrer Haftentlassung sollten die Frauen Zugang zu Programmen erhalten, die ihnen den
Übergang in das Leben in Freiheit erleichtern. Solche Programme sind natürlich von Kultur
zu Kultur verschieden, doch dürften sie häufig Bewältigungsstrategien, elterliche Fähigkeiten
und Gesundheitskompetenz zum Gegenstand haben (Bastick, 2005). Das Erlernen grundlegender Haushaltsfertigkeiten wie Kochen und Waschen bedeutet für manche der zur Haftentlassung anstehenden Frauen bereits eine erhebliche Erleichterung im Hinblick auf ihre Rückkehr in die Gesellschaft.
Doch für die Bedürfnisse weiblicher Häftlinge im Vorfeld der Haftentlassung bzw. unmittelbar
nach ihrer Inhaftierung werden insgesamt nur sehr unzureichende Mittel und Anstrengungen
eingesetzt; oft fehlt auch die erforderliche Abstimmung zwischen Strafvollzugsbehörden und
Sozial- und Gesundheitsbehörden (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008). Ein Zugang zu derartigen Programmen ist vor allem für Frauen, die
nur kurze Haftstrafen verbüßen, oft nicht möglich.
Der Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten (2007) empfiehlt den Mitgliedstaaten des
Europarats:
a)
dafür Sorge zu tragen, dass Handlungskonzepte und Programme für den Strafvollzug
gezielt auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten werden, insbesondere in dem
grundlegend wichtigen Bereich der Wiedereingliederung;
b)
dafür zu sorgen, dass eine angemessene Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen
weiblicher Häftlinge nach ihrer Entlassung erfolgt; dies betrifft Probleme wie Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Diskriminierung im Berufsleben und Wiedererlangung des
Sorgerechts für die eigenen Kinder. Wenn Sozialbehörden schon vor der Inhaftierung
einer Frau mit ihrem Fall befasst waren, so sollten sie vor ihrer Haftentlassung in
Kenntnis gesetzt werden.
43
77. Nach der Entlassung sollten alle ehemaligen Häftlinge im Einklang mit den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen über ausreichende
Ernährung, Kleidung, Unterbringung und Gesundheitsversorgung verfügen und Zugang zu
anderen notwendigen sozialen Angeboten haben.
Die Strafvollzugsbehörden sollten dafür sorgen, dass ehemalige Häftlinge, insbesondere
Frauen mit Kindern, nach ihrer Entlassung eine Wohnung erhalten. Manche Frauen müssen
feststellen, dass sie das Sorgerecht für ihre Kinder erst wieder erhalten, wenn sie eine Wohnung gefunden haben, dass sie aber umgekehrt keine Wohnung finden, bevor sie die Kinder
bei sich haben. So wird diesen Frauen eine Rückkehr in ein normales Leben in der Gesellschaft erheblich erschwert, was dazu führen kann, dass sie wieder straffällig werden (Quäkerrat für Europäische Angelegenheiten, 2007). Die Strafvollzugsbehörden sollten mit den zuständigen kommunalen Institutionen zusammenarbeiten. Ausländische Staatsbürgerinnen
werden nach ihrer Haftentlassung oft in ein anderes Land verbracht, so dass Kontakte über
nationale Grenzen hinweg wichtig sind.
78. Wie in den Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen vorgesehen, ist es gut
möglich, dass ein ehemaliger Häftling nach seiner Entlassung dauerhaft psychiatrische
Betreuung benötigt. Dies trifft insbesondere auf weibliche Häftlinge zu, unter denen es hohe
Raten an psychischen Erkrankungen gibt und die häufiger schon in der Haft wegen psychischer Gesundheitsprobleme in Behandlung waren, die nun außerhalb des Strafvollzugs fortgesetzt werden muss (Bastick, 2005; Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008).
79. Eine Versorgung nach der Haftentlassung ist von wesentlicher Bedeutung, und die Strafvollzugsbehörden sollten ein besonderes Augenmerk auf die Verfügbarkeit von Therapiemöglichkeiten und sozialen Betreuungsangeboten für Frauen nach ihrer Rückkehr in die Gesellschaft richten. Unterstützung von Freiwilligen innerhalb wie außerhalb des Strafvollzugs, etwa durch (ehemalige) Mithäftlinge, kann bei diesem Prozess eine äußerst wertvolle Rolle
spielen. Die Tatsache, dass viele Frauen in größerer Entfernung von ihrem Wohnort inhaftiert
sind, ist ein erschwerender Faktor.
44
80. Die Gruppe der ehemaligen Häftlinge weist sehr hohe Raten an drogenbedingten Unfällen,
Überdosen und vorzeitigen Todesfällen auf (Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und
Verbrechensbekämpfung, 2007). Um eine Kontinuität in der Behandlung von Drogenkonsumenten bei ihrem Übergang vom Strafvollzug in die Gesellschaft zu gewährleisten, sind gezielte Strategien erforderlich (WHO, 2007e).
81. In manchen Kulturkreisen laufen Frauen Gefahr, nach der Haftentlassung von ihren Familien
ermordet zu werden, wenn sie „moralische Verstöße“ begangen haben oder wenn sie Opfer
von Vergewaltigung oder anderen Formen sexuellen Missbrauchs waren. Andere Frauen
kehren in eine Ehe mit einem gewalttätigen Partner zurück oder werden zur Ehe gezwungen.
All diese Frauen benötigen ein besonderes Maß an Schutz und Unterstützung, erhalten aber
oft gemessen an ihren Bedürfnissen nicht genügend davon (Büro der Vereinten Nationen für
Drogen- und Verbrechensbekämpfung, 2008).
45
Wie lässt sich die Situation verbessern? Was kann, sollte
und muss getan werden?
Die vorliegenden Erkenntnisse sind eindeutig, unwidersprüchlich und zwingend: Der Umgang
mit Straftäterinnen in den heutigen Strafvollzugssystemen wird oft deren grundlegenden Bedürfnissen nicht gerecht und bleibt weit hinter dem zurück, was aufgrund der Menschenrechte, der
anerkannten internationalen Empfehlungen und der sozialen Gerechtigkeit geboten wäre. Auch
wenn für eine kleine Zahl von Straftäterinnen eine Inhaftierung angemessen und gerechtfertigt
ist, so werden doch nur allzu viele andere zu Unrecht inhaftiert.
Eine Freiheitsstrafe ist eine ernste Sanktion, denn mit dem Verlust der Freiheit ist oft auch der
Verlust anderer Rechte verbunden; ein solcher Verlust hat für Frauen und ihre Kinder besonders
verheerende Auswirkungen. Die Probleme sind vielfältig und komplex, und eine Verbesserung
der Situation setzt abgestimmte Maßnahmen durch ein breites Spektrum von Akteuren voraus,
die durch ihr Handeln die Lage beeinflussen können. Die nachfolgenden Aussagen müssen vor
einem sozialen Hintergrund gesehen werden, bei dem die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede in allen Politikbereichen Defizite aufweist und der Mangel an Gleichberechtigung in vielen Gesellschaften inakzeptabel hoch ist.
Bei der Entscheidung darüber, was getan werden kann, sollte oder muss, müssen eine Reihe von
wichtigen Grundsätzen hervorgehoben und beachtet werden.
ƒ
Erstens sollte die Inhaftierung von Frauen erst als letzter Ausweg erwogen werden, wenn
sämtliche Alternativen entweder nicht möglich oder nicht geeignet sind. Dies gilt in noch
höherem Maße für Schwangere und für Frauen mit Kindern. Frauen müssen im umfassenden
Kontext ihrer Straffälligkeit und ihrer sozialen Situation gesehen werden.
ƒ
Zweitens sollten bei der Bereitstellung von Gesundheitsleistungen und der Ausarbeitung von
Gesundheitsprogrammen psychische Gesundheitsprobleme, insbesondere Substanzmissbrauch und posttraumatische Belastungsstörungen, als wesentlicher Bestandteil der Gesundheitsversorgung im Strafvollzug konkret berücksichtigt werden.
ƒ
Drittens: Wenn die betroffenen Frauen Kinder haben, muss deren Wohl das maßgebliche
Kriterium sein; Die höheren sozialen Kosten für die Gesellschaft und das Potenzial eines
46
längerfristigen Schadens müssen verstanden und akzeptiert werden. Entscheidungen in Bezug auf das Wohl der Kinder sollten auf fachkundigen Rat einer anerkannten und von Justiz
und Strafvollzug unabhängigen Instanz erfolgen.
ƒ
Viertens haben verschiedene Gruppen von Frauen unterschiedliche Bedürfnisse; Faktoren
wie Schwangerschaft, Verantwortung für kleine und ältere Kinder, Suchtprobleme, Gewaltbzw. Missbrauchserfahrungen u. a. müssen bei der Erstellung von Gesundheitsplänen für diese
Frauen gebührend berücksichtigt werden.
ƒ
Fünftens können die Folgen der Trennung von Familie und Umfeld sowie die unvermeidlichen juristischen und sicherheitsbezogenen Prozesse in unterschiedlichem Maße schwerwiegende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, das emotionale Wohlbefinden, das
Selbstwertgefühl sowie die soziale Kompetenz und die Bewältigungsfähigkeiten der Betroffenen haben. Dies gilt für jeden, der mit Freiheitsentzug bestraft wird, jedoch in besonderem
Maße für Frauen. Zu jedem individuellen Gesundheitsplan gehört unbedingt eine sorgfältige, umfassende und eingehende Eingangsuntersuchung; hierbei sollten der sozioökonomische und bildungsmäßige Hintergrund, die Gesundheits- und Traumageschichte, der aktuelle Gesundheitszustand und eine Bewertung der vorhandenen bzw. erforderlichen Fähigkeiten gebührend berücksichtigt werden, damit die individuellen Bedürfnisse bestimmt und in
angemessener Weise auf sie reagiert werden kann.
ƒ
Sechstens: Zwar sollten angesichts der großen Bandbreite individueller Bedürfnisse in einer
sich verändernden Welt unflexible Konzepte vermieden werden, doch sollten sämtliche Überlegungen und Maßnahmen der Konzeptentwicklung für alle Inhaftierten sich an der grundlegenden Bedeutung der Menschenrechte orientieren.
Jüngste Entwicklungen und neue Pläne
Die Evidenz und der fachliche Rat, die in die Erstellung dieses Papiers eingeflossen sind, haben
eindeutig gezeigt, dass in verschiedenen Teilen der Europäischen Region neue Konzepte und
Pläne ausgearbeitet werden. Viele der fraglichen öffentlichen Leistungen sind von Veränderungen betroffen, z. B. Polizei, Bewährungsdienste, kommunale Einrichtungen und Initiativen von
nichtstaatlichen Organisationen. Der neue Trend geht verstärkt hin zu Alternativen zum Freiheitsentzug sowie zu stärkeren Anstrengungen bei der Auseinandersetzung mit den betroffenen
47
Frauen in ihrem Wohnumfeld anstatt in einer Haftanstalt, insbesondere wenn sie kein Gewaltverbrechen und keine andere schwerwiegende Straftat begangen haben.
Auch das Rechts- und das Strafrechtssystem verändern sich. Manche dieser Pläne könnten erhebliche positive Auswirkungen auf die Frauen im Strafvollzug haben. So werden u. a. bereits ausgleichsorientierte Verfahren, wie Familiengruppenkonferenzen und Urteilskreise, durchgeführt;
ausgleichsorientierte Verfahren sind folgendermaßen definiert: „jedes Verfahren, in dem Opfer
und Täter und gegebenenfalls andere von einer Straftat betroffene Einzelpersonen oder Gemeinschaftsmitglieder zusammen aktiv an der Lösung der sich aus der Straftat ergebenden Probleme
mitwirken, in der Regel mit Hilfe eines [dafür eigens geschulten] Moderators“ (Wirtschafts- und
Sozialrat der Vereinten Nationen, 2002).
Es entstehen auch neue Ideen zur Gesundheitsförderung im Strafvollzug, insbesondere im Frauenvollzug. Diese beinhalten einen stärker partizipatorischen Ansatz mit Methoden der kommunalen Entwicklungsförderung (Martin, 2008) und die weiterreichende Anwendung eines den gesamten Strafvollzug umfassenden Konzepts (Hayton, 2007) sowie ein Selbsthilfenetz, wie bereits
in Teilen Deutschlands üblich (Bogemann, 2007).
Obgleich solche und andere Trends in hohem Maße unterstützungswürdig sind, vollziehen sich
derartige Veränderungen in der gesamten Europäischen Region nach wie vor nur langsam.
Jeder Handlungsappell in Bezug auf die Gesundheit von Frauen im Strafvollzug sollte ganzheitlich und unter folgenden Gesichtspunkten betrachtet werden:
1.
Eine geschlechtssensible Strafjustiz stellt einen wesentlichen ersten Schritt zur Gewährleistung der Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Bedürfnisse und Umstände in allen Phasen der Strafrechtspflege dar.
2.
Damit ein Strafvollzugssystem die grundlegenden gesundheitlichen und sozialen Bedürfnisse
von weiblichen Häftlingen erfüllen kann, ist eine geschlechtssensible Strafvollzugspolitik
notwendig.
48
3.
Die Menschenrechte von Frauen und ihren Kindern müssen stets oberste Priorität haben. Die
Grundsätze der Gleichwertigkeit und Angemessenheit von Einrichtungen und Gesundheitsversorgung müssen anerkannt werden. Sobald Kinder beteiligt sind, müssen ihre Interessen
Vorrang haben.
4.
Die fachärztliche Versorgung muss u. a. in folgenden Bereichen sichergestellt sein: psychische Gesundheit, einschließlich Hilfe für Personen mit Missbrauchserfahrungen; HIV, Hepatitis C, Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten; Drogen- und Alkoholabhängigkeit; Lernstörungen; reproduktive Gesundheit.
5.
Im Vorfeld der Haftentlassung müssen Vorbereitungen geplant und durchgeführt werden,
um eine Fortsetzung der Versorgung zu gewährleisten. Der Zugang zu Gesundheitsleistungen und anderen Angeboten nach der Entlassung muss ein fester Bestandteil eines Programms zur Vorbereitung auf die Haftentlassung sein. Die Planung für die Zeit nach der
Entlassung ist ein komplexes und schwieriges Unterfangen, wenn eine Inhaftierung fern
vom Wohnort erfolgt, und oft fehlt die Zeit für solche Vorbereitungen, insbesondere wenn
es sich um kurze Haftstrafen handelt. Dennoch sind derartige Anstrengungen durchaus der
Mühe wert und zahlen sich durch eine erheblich verbesserte Wiedereingliederung, geringere
soziale Kosten und eine niedrigere Rückfallquote aus.
Empfehlungen
Das Projekt „Gesundheit im Strafvollzug“ des WHO-Regionalbüros für Europa unterstützt nachdrücklich die folgenden konkreten Anmerkungen und Empfehlungen.
1.
Eine geschlechtssensible Strafjustiz stellt einen wesentlichen ersten Schritt zur Gewährleistung der Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Bedürfnisse und Umstände
in allen Phasen der Strafrechtspflege dar.
1.1. Umfassendere und komplexere Anforderungen. Frauen haben nur einen geringen Anteil an
der Gesamtzahl der Gefängnisinsassen; in der Europäischen Region befinden sich im Durchschnitt 100 000 Frauen in Haft. Frauen im Strafvollzug verfügen meist über ein niedrigeres
Einkommen, weisen eine höhere Missbrauchsrate auf und haben komplexere soziale und gesundheitliche Probleme als männliche Häftlinge. Diese Probleme erfordern eine ständige
49
Aufmerksamkeit: für die Frauen selbst, für ihre Kinder und zugunsten der Gesellschaft insgesamt.
1.2. Kostenträchtige Folgen der Inhaftierung von Frauen. Die meisten der Frauen in Haft wurden nicht wegen Gewaltverbrechen oder anderer schwerwiegender Straftaten verurteilt, doch
die Inhaftierung hat beträchtliche Auswirkungen auf ihre Gesundheit und auf ihre Kinder. In
jedem Fall sollten vor einer Verurteilung die Lebensumstände der Frau und ihre jeweilige
Stellung in Familie und Gemeinschaft gebührend berücksichtigt werden. Alle Beteiligten im
Justizverfahren müssen sämtliche Konsequenzen ihrer Entscheidungen sorgfältig durchdenken. Eine eingehende Prüfung aller Alternativen zum Freiheitsentzug ist von wesentlicher
Bedeutung, um das Leben der betroffenen Frauen nicht unnötigerweise zu ruinieren und
Kinder und andere abhängige Verwandte nicht in Mitleidenschaft zu ziehen.
1.3. Ein angemesseneres Sicherheitsniveau. Die überwiegende Mehrzahl der weiblichen Häftlinge müssen nicht in Hochsicherheitseinrichtungen untergebracht werden und stellen keine
Bedrohung für die Gesellschaft dar. Wenn Frauen ihre vom Gericht verhängte Freiheitsstrafe
nicht am Wohnort verbüßen können oder wenn geeignete Plätze auf der kommunalen Ebene
nicht verfügbar sind, sollten Haftanstalten mit niedrigerer Sicherheitsstufe speziell für Frauen eingerichtet werden, wo sie in kleineren Einheiten und näher zum Wohnort untergebracht
werden.
1.4. Systemumfassender Ansatz. Obwohl der inhaltliche Schwerpunkt dieses Berichts auf der
Gesundheit von Frauen im Strafvollzug liegt, sprechen die vorliegenden Erkenntnisse eindeutig dafür, dass in allen Phasen der Strafrechtspflege, beginnend mit dem ersten Kontakt
mit der Polizei, ein geschlechtssensibler Ansatz sinnvoll ist. Daraus folgt die Notwendigkeit,
bei jedem neuen Handlungskonzept eine geschlechtssensible Schulung für alle Beteiligten,
also Polizei, Gerichtsbedienstete, Richter und Bewährungshelfer, zu einem zentralen Aspekt
zu machen.
1.5. Untersuchungshaft nur in Einzelfällen. Eine Untersuchungshaft sollte bei Frauen – und
letztendlich bei allen Straftätern – so selten wie möglich verhängt werden, um die zwangsläufig schädlichen Folgen zu vermeiden; dies gilt insbesondere für Frauen mit Familie. Ist
50
eine Untersuchungshaft unvermeidbar, so sollten besondere Verfahren angewandt werden,
die der besonderen Anfälligkeit von Frauen während der ersten Phase der Haft und der dabei
gegebenen erhöhten Gefahr der Selbstverletzung oder des Suizids Rechnung tragen. Die
Problematik im Zusammenhang mit der Inhaftierung von Müttern kann auch schon während
der Phase der Untersuchungshaft relevant sein.
1.6. Umfassende Bewertung der gesundheitlichen Bedürfnisse. Wie bei allen Angeklagten in
Strafprozessen muss eine Entscheidung über eine etwaige Einrichtung unter Berücksichtigung der festgestellten gesundheitlichen Bedürfnisse erfolgen. Bei Frauen, deren Straftaten
häufig im Zusammenhang mit ihrer Drogensucht stehen, sollte eine Therapie in einer geeigneten Einrichtung als Alternative zur Inhaftierung angeboten werden. Ebenso müssen Frauen mit offensichtlichen psychischen Gesundheitsproblemen in einer Einrichtung untergebracht werden, in der die Behandlung und Versorgung psychischer Erkrankungen möglich
ist.
1.7. Notwendigkeit nach Geschlecht aufgeschlüsselter Daten. Um einen angemessenen geschlechtssensiblen Strafvollzug schaffen und ein besseres Verständnis der besonderen gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen in Haft sowie sinnvolle und wirksame Handlungskonzepte gewährleisten zu können, sind mehr geschlechtsspezifische Daten über die Gesundheit und gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen in Haft und damit die Ausweitung
entsprechender Forschungsarbeiten erforderlich.
2.
Damit ein Strafvollzugssystem die grundlegenden gesundheitlichen und sozialen Bedürfnisse von weiblichen Häftlingen erfüllen kann, ist eine geschlechtssensible Strafvollzugspolitik notwendig.
2.1. Erfüllung der besonderen gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen. Eine geschlechtssensible Gesundheitsversorgung im Strafvollzug muss den besonderen gesundheitlichen Bedürfnissen von Frauen Rechnung tragen, indem sie geeignete Einrichtungen und Verfahren
anbietet und den Frauen den erforderlichen problemlosen Zugang zu Gesundheits- und Sozialangeboten gewährt.
51
•
Die Angebote sollten auf der primären Gesundheitsversorgung aufbauen, die in einem
ganzheitlichen Ansatz den gesundheitlichen Bedarf feststellt und ein Spektrum von
Leistungen anbietet, u. a. Gesundheitsförderung durch Selbstversorgung, Ernährung und
Bewegung, Vorsorgeuntersuchungen ähnlich denen außerhalb des Strafvollzugs und
Hilfe bei alltäglichen Gesundheitsproblemen.
•
Die primären Gesundheitsdienste sollten in der Lage sein, viele der komplexeren gesundheitlichen Bedürfnisse, der komplexen Probleme und der Bedürfnisse weiblicher
Häftlinge in Bezug auf reproduktive und sexuelle Gesundheit dadurch zu bewältigen,
dass das Gesundheitspersonal zusätzliche Schulungen erhält und die Möglichkeit gefördert wird, fachärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dazu gehören Maßnahmen zur
Förderung der psychischen Gesundheit im Rahmen der primären Gesundheitsversorgung und der Zugang zu Therapien zur Bewältigung von Traumata und zur Förderung
des Wohlbefindens von Frauen mit Missbrauchserfahrungen.
•
Die Gesundheitsversorgung im Strafvollzug muss auch den besonderen Bedürfnissen
von Mädchen und älteren Frauen gebührend Rechnung tragen.
•
Die Gesundheitsfachkräfte sollten zusammen mit dem anderen Personal, dessen Aufgabe die Resozialisierung und Wiedereingliederung umfasst, speziell auf Frauen zugeschnittene Dienste entwickeln.
2.2. Geschlechtssensible Schulung. Alle Mitarbeiter von Haftanstalten, die mit dem Frauenvollzug zu tun haben, sollten geschlechtssensible Schulungen und zusätzliche gesundheitliche
Informationsmaßnahmen durchlaufen haben, damit gewährleistet ist, dass sie die Bedürfnisse schwangerer Frauen, die Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs
sowie die Faktoren, die Selbstverletzung und ein erhöhtes Suizidrisiko begünstigen, verstehen.
2.3. Angemessenes Gleichgewicht zwischen weiblichen und männlichen Mitarbeitern. Allgemein ist im Frauenvollzug ein ausgewogenes Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Angestellten wünschenswert, sofern der Alltagsbetrieb den verschiedenen Bedürfnissen
der Insassinnen gerecht wird. Männliche Wärter sollten nie routinemäßig körperlichen Kontakt mit weiblichen Häftlingen haben oder Zugang zu Orten wie Duschbereichen erhalten, in
denen Frauen üblicherweise unbekleidet sind. Das Wachpersonal sollte nicht über eine
Machtposition verfügen, durch die Privatsphäre und sittliches Empfinden der Frauen verletzt
52
werden könnten. Jedes Strafvollzugssystem sollte seine Personalpolitik durch klare Bestimmungen regeln, die auf international vereinbarten Normen und nationalen Gesetzen basieren.
2.4. Ärztliche Beratung nach persönlichen Wünschen. Bei der Gesundheitsversorgung im
Strafvollzug sollte Frauen das Recht zugestanden werden, auf Untersuchung, Behandlung
und Versorgung durch weibliche Pflegekräfte und Ärzte zu bestehen; ist dies nicht möglich,
sollten männliche Ärzte darauf achten, dass bei Terminen mit weiblichen Häftlingen jeweils
eine andere Frau anwesend ist. Generell sollten jedoch wie in allen Haftanstalten die Insassen die Möglichkeit zum Arztbesuch ohne Anwesenheit von Vollzugspersonal erhalten.
2.5. Vertrauliche Beschwerden und unabhängige Überwachung. Frauen im Strafvollzug sollten
über Zugang zu einem unabhängigen und vertraulichen Beschwerdesystem verfügen, um Angelegenheiten wie Erfahrungen mit Gewalt und Missbrauch während der Haft vertraulich melden zu können.
3.
Die Menschenrechte von Frauen und ihren Kindern müssen stets oberste Priorität haben. Die Grundsätze der Gleichwertigkeit und Angemessenheit von Einrichtungen und
Gesundheitsversorgung müssen anerkannt werden. Sobald Kinder beteiligt sind, müssen ihre Interessen Vorrang haben.
3.1. Schutz von persönlichen und familiären Beziehungen. Viele weibliche Häftlinge sind Mütter von Kindern, für deren Betreuung sie vor Haftantritt meist primär oder ausschließlich
verantwortlich waren. Nach ihrer Inhaftierung bricht häufig die Familie auseinander, so dass
zahlreiche Kinder ihrerseits in Einrichtungen untergebracht werden müssen. Deshalb müssen
zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, um die Familien zusammenzuhalten, vor
allem wenn die Frauen kleine Kinder haben, die sie nicht ins Gefängnis mitnehmen dürfen.
Regelmäßige Besuche von Familienangehörigen müssen erleichtert und aktiv unterstützt
werden, da sie eine wesentliche Rolle bei der Erhaltung von familiären Beziehungen spielen.
Die kreativen Lösungen, die manche Länder für die Erhaltung der familiären Beziehungen
gefunden haben, sollten verstärkt an die Öffentlichkeit getragen werden und in Ländern, in
denen der Frauenvollzug unverändert geblieben ist, ernsthaft geprüft werden. Die
53
Unterbindung von Kontakten zu Familienangehörigen zu Sanktionszwecken sollte in allen
Ländern untersagt sein.
3.2. Erhaltung von Kontakten zu Angehörigen und anderen Personen außerhalb des Strafvollzugs. Die Bedeutung von telefonischen Kontakten muss unterstrichen werden. Alle Frauenhaftanstalten sollten über ein gut entwickeltes Konzept für den Telefonzugang verfügen,
damit Anrufe nach Hause mit einer gewissen Regelmäßigkeit möglich sind, ohne dass die
Häftlinge die gesamten Kosten selbst tragen müssen. Auch wenn dies u. U. für ausländische
Häftlinge schwieriger ist als für inländische, so sollte doch die Erhaltung der Kontakte mit
dem privaten Umfeld als übergeordneter Wert zu einem integralen Bestandteil des Konzeptes einer Haftanstalt werden.
3.3. Wichtige Rolle für nichtstaatliche Organisationen. Die Bedeutung von nichtstaatlichen
Organisationen und Freiwilligengruppen bei der Aufrechterhaltung des Kontaktes zu den
Angehörigen ist nachgewiesen. Daher sind Anstrengungen von nichtstaatlichen Organisationen und Freiwilligen zugunsten von Straftäterinnen innerhalb wie außerhalb des geschlossenen Vollzugs immer zu begrüßen.
3.4. Kinder bei ihren Müttern in der Haft. Die Frage, ob Kinder bei ihren Müttern im Gefängnis
bleiben dürfen, ist eine der schwierigsten Grundsatzfragen, die auf nationaler Ebene zu regeln sind. Hierbei können folgende Aspekte als Leitprinzipien dienen:
•
Das Wohl des Kindes muss erstes und wichtigstes Kriterium sein.
•
Die Beteiligung von Kindern an Entscheidungsprozessen sollte grundsätzlich unter gebührender Berücksichtigung ihres Alters gefördert und erleichtert werden.
•
Wenn Kinder bei ihren Müttern in der Haft bleiben, müssen die Einrichtungen dafür geeignet sein.
•
Für die Gesundheitsversorgung und Entwicklung des Kindes müssen klare Bestimmungen gelten.
•
Eine Überwachung und Neubewertung der Interessen des Kindes muss regelmäßig und
in angemessener Form erfolgen.
•
Es muss gewährleistet sein, dass jedes Kind die Haftanstalt zu jeder Zeit verlassen kann,
falls dies in seinem Interesse liegt.
54
4.
Die fachärztliche Versorgung muss u. a. in folgenden Bereichen sichergestellt sein:
psychische Gesundheit, einschließlich Hilfe für Personen mit Missbrauchserfahrungen;
HIV, Hepatitis C, Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten; Drogen- und Alkoholabhängigkeit; Lernstörungen; reproduktive Gesundheit.
4.1. Leistungsfähige primäre Gesundheitsversorgung und problemloser Zugang zur Notversorgung. Obwohl eine leistungsfähige primäre Gesundheitsversorgung im Strafvollzug eine
Vielzahl von Gesundheitsproblemen bewältigen kann und im Rahmen eines regulären Untersuchungs-, Bewertungs- und Neubewertungsprogramms innerhalb eines regelmäßigen
Versorgungszyklus erfolgen sollte, können alle Häftlinge von Notfällen betroffen sein, die
ihre sofortige Einlieferung in Einrichtungen der sekundären Gesundheitsversorgung oder in
fachärztliche Einrichtungen notwendig machen. Eine solche Versorgung sollte im Gesundheitsversorgungskonzept einer Haftanstalt geregelt und den Häftlingen bekannt sein. Dies ist
bei Strafgefangenen meist nicht leicht, doch bei Frauen müssen die Beförderungsbedingungen so gestaltet werden, dass eine unnötige Belastung vermieden wird. Darüber hinaus sollten ausländische Häftlinge unter Heranziehung eines Dolmetschers über die Möglichkeiten
informiert werden; dabei ist ggf. besonderen, kulturell bedingten Bedürfnissen Rechnung zu
tragen.
4.2. Förderung von seelischer Gesundheit und Widerstandskraft. Die Förderung psychischer
Gesundheit und seelischen Wohlbefindens sollte zentraler Bestandteil des Gesundheitskonzeptes einer jeden Haftanstalt sein. Die hohe Rate an selbstverletzenden Handlungen und sogar Suizidversuchen unter weiblichen Häftlingen sollte Anstaltsleitungen die dringende
Notwendigkeit von Strategien und Konzepten zum Schutz der psychischen Gesundheit allgemein sowie zur Identifizierung potenziell gefährdeter Frauen vor Augen führen. Dieser
Bereich der gesundheitlichen Versorgung unterstreicht die Bedeutung eines ganzheitlichen
Konzeptes für den Strafvollzug. Das gesamte Personal einer Haftanstalt muss über seine jeweiligen Aufgaben informiert sein und darüber Bescheid wissen, wie die Bedingungen und
Verfahren in der Haft auf positive und nutzbringende Weise verändert werden können, um
die psychische Widerstandskraft der Häftlinge, aber auch der Bediensteten selbst zu stärken.
Den Anstaltsleitungen kommt hier insofern eine bedeutende Führungsrolle zu, als sie mit
55
den höherrangigen Bediensteten einen Verhaltenskodex ausarbeiten müssen, der gesundheitsförderliche Haftbedingungen begünstigt.
4.3. Bewältigung von Missbrauchserfahrungen. Viele weibliche Häftlinge haben vor ihrer Inhaftierung Erfahrungen mit körperlicher Misshandlung oder sexuellem Missbrauch gemacht.
Die psychischen Gesundheitsprobleme, die sich aus einer solchen Erfahrung ergeben können, machen eine psychiatrische Betreuung und Versorgung erforderlich, die einen integralen Bestandteil der Gesundheitsversorgung für weibliche Häftlinge bilden muss.
4.4. Bedeutung von Untersuchungen auf HIV und andere Erkrankungen. Bei Haftantritt sollten Straftäterinnen die Möglichkeit erhalten, sich auf HIV, Hepatitis C und andere sexuell
übertragbare Infektionen untersuchen und sowohl vor als auch nach der Untersuchung beraten zu lassen. Dabei sollte das Vollzugspersonal im Umgang mit den psychosozialen und
medizinischen Problemen geschult werden, die solche Infektionen bei Frauen mit sich bringen. Wo solche Untersuchungen angeboten werden, müssen auch angemessene Mittel für
etwaige Folgebehandlungen bereitgestellt werden.
4.5. Bekämpfung der Tuberkulose und Versorgung von Patienten. Alle Haftanstalten sollten
sich an die Leitlinien der WHO für die Bekämpfung der Tuberkulose und Versorgung von
Patienten im Strafvollzug halten.
4.6. Gesundheitskompetenz. Ein für weibliche Häftlinge besonders relevanter Aspekt der Gesundheitsversorgung ist die Verbesserung ihres Wissens und Verständnisses in Bezug auf
Gesundheitsfragen, um ihre Kompetenz und ihr Selbstbewusstsein im Hinblick auf Schutz
und Förderung ihrer eigenen Gesundheit zu stärken. Dazu gehört auch ein Wissen darüber,
wie sich bestimmte Krankheiten (insbesondere durch Blut oder sexuell übertragene) verbreiten und wie sie sich vor Infektion schützen können. Sie benötigen einen problem- und kostenlosen Zugang zu Kondomen und Lecktüchern. Von Tätowierungen und Piercings sollte
abgeraten werden, und es sollten strenge Beschränkungen gelten, da ansonsten ein hohes Risiko der Übertragung von Infektionskrankheiten zwischen Häftlingen besteht.
56
4.7. Lernstörungen. Für Häftlinge mit Lernstörungen sollte jegliches gesundheitsbezogene Informationsmaterial gezielt überarbeitet und in angemessener Weise verständlich gemacht
werden. Über die Effektivität solcher Überprüfungsmaßnahmen sind noch nähere Erkenntnisse erforderlich, und auch über weibliche Häftlinge mit Lernstörungen werden noch weitere gezielte Forschungsarbeiten benötigt.
4.8. Geschlechtssensible Drogentherapieeinrichtungen. Die Gesundheitsversorgung im Strafvollzug sollte einen Zugang zu Drogentherapieprogrammen beinhalten, die an die besonderen Bedürfnisse von Frauen angepasst werden und diesen so ein Gefühl von Sicherheit und
Unterstützung vermitteln sollten. Ähnlich wie bei allen bereits genannten Programmen sollte
auch hier das jeweils zuständige Personal für geschlechtsspezifische Aspekte sensibilisiert
werden.
4.9. Substitutionstherapie. Drogenabhängige Häftlinge sollten Zugang zu einer Drogentherapie,
auch zur Substitutionstherapie, erhalten; hierzu müssen klare Leitlinien entwickelt werden,
die auch eine gezielte Schulung des zuständigen Gesundheitspersonals beinhalten.
4.10.
Schadensminderung. Alle Haftanstalten sollten unbedingt über Schadensminderungsprogramme verfügen, die bei der Eindämmung der Ausbreitung von HIV und Hepatitis C
eine wesentliche Rolle spielen. Wenn die Wirksamkeit von Schadensminderungsmaßnahmen politisch oder unter den Bediensteten umstritten ist, sollte auf die erfolgreiche Umsetzung solcher Konzepte beispielsweise in spanischen Haftanstalten hingewiesen werden.
4.11.
Ernste Probleme in Verbindung mit Schwangerschaft in der Haft. Wenn Straftäterin-
nen schwanger sind, wo wirft dies eine Reihe gewichtiger Probleme auf, insbesondere die
Frage, ob die Umstände gegen eine Inhaftierung sprechen, wo die Entbindung erfolgen soll
und ob geeignete Einrichtungen zum Stillen und zum Aufbau einer Mutter-Kind-Bindung
vorhanden sind; darüber hinaus sind auch noch die bereits erwähnten Aspekte wie die weitere Versorgung des Kindes sowie die Frage zu berücksichtigen, ob und ggf. wie lange das
Kind im Gefängnis bleiben darf. Weitgehende Übereinstimmung herrscht in Bezug auf zwei
Punkte:
57
•
Weibliche Häftlinge sollten nach Möglichkeit immer außerhalb der Haftanstalt in einem
öffentlichen Krankenhaus entbinden.
•
Die Notwendigkeit der weiteren Inhaftierung einer Mutter sollte kontinuierlich und mit
dem Ziel überprüft werden, sie möglichst einer alternativen Maßnahme ohne Freiheitsentzug zuzuführen. Einige Länder der Europäischen Region verfügen mittlerweile über
Erfahrungen mit neuen zweckgebauten und sicheren Einrichtungen für Mütter und Kinder.
4.12.
Behandlung von HIV. Nach den Empfehlungen der WHO sollten HIV-infizierte
schwangere Häftlinge immer eine ARV-Therapie erhalten.
4.13.
Förderung von Stillen. Frauen in Haft sollte, sofern sie nicht mit HIV infiziert sind, nie
vom Stillen abgeraten werden. Wenn eine alternative Ernährung annehmbar, realistisch, bezahlbar, nachhaltig oder für beide Seiten sicher ist, wird mit HIV infizierten Frauen empfohlen, gänzlich auf Stillen zu verzichten (WHO, 2009c). Eine Haftanstalt muss den besonderen gesundheitlichen und ernährungsbezogenen Bedürfnissen stillender Frauen gerecht
werden.
5.
Im Vorfeld der Haftentlassung müssen Vorbereitungen geplant und durchgeführt
werden, um eine Fortsetzung der Versorgung zu gewährleisten. Der Zugang zu Gesundheitsleistungen und anderen Angeboten nach der Entlassung muss ein fester Bestandteil eines Programms zur Vorbereitung auf die Haftentlassung sein. Die Planung
für die Zeit nach der Entlassung ist ein komplexes und schwieriges Unterfangen, wenn
eine Inhaftierung fern vom Wohnort erfolgt, und oft fehlt die Zeit für solche Vorbereitungen, insbesondere wenn es sich um kurze Haftstrafen handelt. Dennoch sind derartige Anstrengungen durchaus der Mühe wert und zahlen sich durch eine erheblich
verbesserte Wiedereingliederung, geringere soziale Kosten und eine niedrigere Rückfallquote aus.
5.1. Fortsetzung der Versorgung und Planung im Vorfeld der Haftentlassung. Es gibt deutliche Belege dafür, dass die Kontinuität der Versorgung für Menschen, die an lebensbedrohlichen Erkrankungen wie HIV und Tuberkulose leiden oder wegen Drogensucht oder
58
psychischer Gesundheitsprobleme in Behandlung sind, aber auch für alle Haftentlassenen
generell von großer Bedeutung ist, wenn die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zurecht als vorrangig betrachtet wird. Es gibt für eine solche Kontinuität konkrete Hindernisse,
z. B. die Entfernung vom Wohnort der Insassin, der Zusammenbruch der familiären Bindungen, der Verlust des Arbeitsplatzes und oft der Wohnung sowie die Notwendigkeit, die
Rückkehr einer Frau in ein häusliches Umfeld zu verhindern, in dem ihr Gewalt droht. In
manchen Fällen ist die Familie nicht bereit, die Frau nach der Haft wieder aufzunehmen.
Einige der erläuterten Maßnahmen können dazu beitragen, die Chancen auf eine erfolgreiche
Wiedereingliederung zu erhöhen. Ein Schlüsselfaktor jedoch ist die Verfügbarkeit von Hilfe
innerhalb des Strafvollzugs durch Aufklärung, Berufsausbildung, Förderung von Selbstwertgefühl und eines besseren Verständnisses zwischenmenschlicher Beziehungen, die
Vermittlung der Fähigkeit zur Wutbewältigung sowie von Lebens- und Haushaltsfähigkeiten
und durch Förderung körperlicher Fitness. In diesem Zusammenhang ist zu klären, wie mit
Müttern verfahren werden soll, die wegen ihrer Sorgepflicht für ihre Kinder nicht an solchen Aktivitäten teilnehmen können. Mit den Vorbereitungen auf die Zeit nach der Entlassung sollte möglichst bald nach Haftantritt begonnen werden. Die Gesundheitsdienste im
Gefängnis sollten in enger Abstimmung mit den anderen Angeboten in der Haftanstalt arbeiten, um eine umfassende Planung der Unterstützungsmaßnahmen für die Zeit nach der Entlassung zu ermöglichen.
Wie schon in anderen Bereichen sollten auch hier die betroffenen Frauen selbst über ihre
Wünsche und Bedürfnisse im Hinblick auf ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft befragt werden.
5.2. Wichtige Rolle für nichtstaatliche Organisationen. Die Wiedereingliederung nach der
Haftentlassung kann durch die Einbeziehung freiwilliger und anderer gesellschaftlicher Organisationen, die eine Verbindung zwischen Strafvollzug und Außenwelt herstellen, deutlich
erleichtert werden. Vor allem nichtstaatliche Organisationen können in Bezug auf einige
grundlegende Voraussetzungen wie Wohnen, Beschäftigung und die Wiederherstellung der
Kontakte zur primären Gesundheitsversorgung wertvolle Arbeit leisten.
59
5.3. Ausländische Frauen in Haft. Die besonderen Bedürfnisse ausländischer Frauen sowie von
Mädchen und älteren Frauen in Haftanstalten müssen eingehend untersucht und bei der Planung gebührend berücksichtigt werden. Dabei müssen kulturell bedingte Unterschiede hinsichtlich der geltenden Gesetze sowie der Strafjustizsysteme verstanden werden, und im
Rahmen der Unterstützung der Frauen während der Haft wie auch der Planung für die Zeit
danach müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um diesen Unterschieden Rechnung zu tragen.
Schlussbemerkungen
Das vorliegende Hintergrundpapier enthält eine beeindruckende Vielzahl von Belegen für tatsächlich erfolgte Veränderungen, verdeutlicht aber auch den vielfältigen Handlungsbedarf zur
Verbesserung der Gesundheit von Frauen im Strafvollzug wie auch der Strafjustiz- und Strafvollzugssysteme in der gesamten Europäischen Region und in der restlichen Welt. So ist jetzt
deutlich geworden, welche Veränderungen machbar sind; gleichzeitig lässt sich auch leichter erkennen und vermitteln, welche Veränderungen erstrebenswert sind.
Die beigefügte Erklärung von Kiew über die Gesundheit von Frauen im Strafvollzug baut fest
auf diesem Hintergrundpapier und auf dessen Befunden über Defizite in Bezug auf Menschenrechte, Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern und soziale Gerechtigkeit auf.
60
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Das WHO-Regionalbüro
für Europa
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist
eine 1948 gegründete
Sonderorganisation der
Vereinten Nationen, die
sich in Linie mit
internationalen
Gesundheitsfragen und
der öffentlichen
Gesundheit befasst. Das
WHO-Regionalbüro für
Europa ist eines von
sechs Regionalbüros, die
überall in der Welt
eigene, auf die
Gesundheitsbedürfnisse
ihrer Mitgliedsländer
abgestimmte
Programme
durchführen.
Mitgliedstaaten
Albanien
Andorra
Armenien
Aserbaidschan
Belgien
Bosnien-Herzegowina
Bulgarien
Dänemark
Deutschland
Ehemalige jugoslawische
Republik Mazedonien
Estland
Finnland
Frankreich
Georgien
Griechenland
Irland
Island
Israel
Italien
Kasachstan
Kirgisistan
Kroatien
Lettland
Litauen
Luxemburg
Malta
Monaco
Montenegro
Niederlande
Norwegen
Österreich
Polen
Portugal
Republik Moldau
Rumänien
Russische Föderation
San Marino
Schweden
Schweiz
Serbien
Slowakei
Slowenien
Spanien
Tadschikistan
Tschechische Republik
Türkei
Turkmenistan
Ukraine
Ungarn
Usbekistan
Vereinigtes Königreich
Weißrussland
Zypern
GESUNDHEIT VON FRAUEN IM STRAFVOLLZUG; BESEITIGUNG VON UNGLEICHHEITEN ZWISCHEN DEN
GESCHLECHTERN IM STRAFVOLLZUG
Gesundheit von
Frauen im
Strafvollzug
Beseitigung von Ungleichheiten
zwischen den Geschlechtern im
Strafvollzug
Offender Health
WHO Collaborating Centre for
Promoting Health and Prisons
World Health Organization
Regional Office for Europe
Scherfigsvej 8, DK-2100 Copenhagen Ø, Denmark
Tel.: +45 39 17 17 17. Fax: +45 39 17 18 18. E-mail: [email protected]
Web site: www.euro.who.int
2009