DIE ZEIT: Herr Drosten, die letzten beiden Pandemiesommer haben wir verschlafen und uns nicht auf den Herbst vorbereitet. Was müssen wir diesen Sommer tun?

Christian Drosten: Für Risikopatienten müssen wirksame Medikamente bereitliegen. Und man muss wahrscheinlich mit relativ milden Maßnahmen das Infektionsgeschehen kontrollieren. Dabei sind Masken in Räumen weiterhin eines der effizientesten Mittel. Die jungen, dreifach Geimpften können sich aber wieder frei bewegen – sie bauen, wenn sie sich infizieren, Immunität auf, auch für die Gemeinschaft. Natürlich gibt es Long Covid, aber bei Geimpften ist es deutlich seltener. Infektionen auf dem Boden der vollständigen Impfung – das ist keine Durchseuchungsstrategie.

ZEIT: Wird das im Winter reichen?

Drosten: Im Winter müssen wir sehr wahrscheinlich noch einmal härter eingreifen. Corona ist eben keine Grippe. Die meisten Menschen vergessen, dass sie in ihrem Leben viele Grippeinfektionen hinter sich haben, manche davon als harmlose Erkältung. Das führt dazu, dass eine Grippewelle von selbst ausläuft, weil – außer den Kindern – fast alle eine Immunität besitzen und daher weniger oder gar nicht ansteckend sind.

ZEIT: Die fehlt bisher bei Corona.

Drosten: Ja, die jetzige Immunität hilft im Herbst nicht mehr gegen Übertragung. Der R-Wert würde im November, wenn man das einfach laufen ließe, wieder auf 2 oder 3 hochschießen. Jeder Infizierte würde also zwei bis drei Menschen anstecken. Aktuell sind wir auch in einer Hochinzidenzphase. Und das wird bis Ostern so bleiben, wenn man nicht eingreift.

ZEIT: Haben wir denn eine ausreichende Immunität, wenn wir uns jetzt im Sommer infizieren?

Drosten: So viele Infektionen, wie man für eine Gemeinschaftsimmunität wie bei Influenza braucht, kann man in einem Sommer gar nicht haben. Das wird Jahre dauern, darum wird man auch noch jahrelang mit relativ milden Maßnahmen im Herbst und Winter die Inzidenzen kontrollieren müssen. Auffrischungsimpfungen im Herbst mit Fokus auf Risikogruppen können zusätzlich helfen, das Infektionsgeschehen im Rahmen zu halten. Denn die Impfung stellt den besten Schutz gegen schwere Erkrankungen dar.

ZEIT: Wie muss der nächste Impfstoff aussehen? Reicht eine Vakzine-Variante gegen Omikron?

Drosten: Das wissen wir leider noch nicht. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass sich jetzt Omikron zu einer neuen Variante verändert und wir die Impfstoffe nur ein wenig anpassen müssen. Da können auch ganz andere Varianten eine Rolle spielen.

ZEIT: Auch die schon fast vergessenen Alpha- oder Delta-Varianten?

Drosten: Auch die – oder deren Nachfolger. Wir können nicht einfach nur auf die Immunisierung gegen Omikron setzen. Es kann sogar sein, dass wir uns damit einen Bärendienst erweisen, weil das Virus in eine andere Richtung mutiert. Es ist klug, sich auf unterschiedliche Szenarien vorzubereiten.

ZEIT: Können wir denn einfach abwarten?

Drosten: Wir haben einen Vorteil: Wenn wir auf der Nordhalbkugel in den Sommer gehen, erlebt die Südhalbkugel den nächsten Winter. Wenn dort immer noch Omikron die vorherrschende Variante ist, dann kann man mit einiger Sicherheit die Entscheidung treffen: Wir boostern mit einem an Omikron angepassten Impfstoff, und wir starten die Impfkampagne wieder bei den höchsten Altersgruppen, die besonders gefährdet sind.

ZEIT: Es gab nun schon mehrere Nachweise von Deltakron, Mischvarianten von Delta und Omikron. Warum setzen die sich bisher nicht durch?

Drosten: In einigen Fällen traten solche Rekombinanten nur in begrenzten Ausbrüchen auf. Andere scheinen im Moment linear anzusteigen, aber glücklicherweise noch nicht exponentiell. Dies muss man beobachten und auch ernst nehmen. Beispielsweise Delta mit dem Spike-Protein von Omikron, das gibt es schon.

ZEIT: Die Pandemie haben zu Beginn viele Menschen als Weckruf betrachtet: Seht, was passiert, wenn wir in die Lebensräume von Fledermäusen vordringen – Artenschutz ist Pandemie-Prävention! Seht, was passiert, wenn wir Lieferketten global optimieren – es fehlen Schutzmasken! Seht, was passiert, wenn wir die Digitalisierung verschlafen – es fehlt eine Dateninfrastruktur! Sind wir heute besser auf einen Ausbruch vorbereitet?

Drosten: Es sind jedenfalls allerlei Alarmglocken geläutet worden, manche aus Eigeninteresse besonders laut.