Astronaut Maurer schreibt BILD aus dem All: „Ich wünschte, jeder könnte das mit eigenen Augen sehen“
Seit 14 Tagen ist Matthias Maurer auf der ISS ++ Was er über Zahnpasta, Klo-Reparatur, schwebendes Essen und die Erde als „Kampfstern“ notiert
Seit 14 Tagen erst ist der deutsche ESA-Astronaut Matthias Maurer (51) auf der Internationalen Raumstation im Weltall. Für BILD schreibt er exklusiv über seine ersten Tage, seine Gefühle und seine Arbeit dort oben.
Einfach zum Staunen: Seine Worte notiert er, als die ISS gerade über Madagaskar und Australien rast...
Sein erster Blick auf die Erde
„Den ersten Blick auf die Erde aus der Cupola gab es schon direkt bei der Ankunft und noch vor unserer Willkommenszeremonie. Ich konnte es einfach nicht abwarten, so lange hatte ich mich auf diesen magischen Moment gefreut.
Ich bin dorthin und habe die ‚Rollläden‘ aufgeklappt und hatte plötzlich dieses wahnsinnig intensive blau-weiß, schwarze Bild vor mir. Ich habe mich fast etwas erschreckt: Der Himmel ist schwarz und die Erde ist blau. Sonnenauf- und -untergang sind sehr spektakulär: Das grelle Sonnenlicht wird blitzschnell gold und goldener, um dann als letzter Lichtblitz hinter diesem Flaum aus hauchdünner Atmosphäre zu verschwinden. Und plötzlich ist stockdunkle Nacht und die ersten Sterne am ‚Himmel über mir‘, die sich beim zweiten Hinschauen als Städte entlarvten.“
„Richtige Sterne und der Mond sind natürlich auch zu erkennen. Den Mond sehe ich so klar wie noch nie zuvor von der Erde. Aber größer ist er nicht, denn ich bin ihm ja auch nur 0,1 Prozent der Wegstrecke näher gekommen.
Ich wünschte, jeder Mensch könnte diesen Anblick mit eigenen Augen sehen. Dass es auf der Erde Leben gibt, spürt man bei diesem energiegeladenen, leuchtenden Blau förmlich, auch wenn man es mit den Augen nicht direkt erkennen kann. Und dass dieser Luftflaum zwischen Oberfläche und Vakuum das Einzige ist, was das Leben auf dem Planeten garantiert, lässt einen kalt erschaudern.“
Seine ersten Tage im All
„Die ersten paar Tage standen unter dem Eindruck des Einlebens auf der ISS und ich stieg mit Volldampf ein: technisch-medizinische Experimente und Reparatur der Toilette. Ich kam viel zu selten dazu, aus dem Fenster zu schauen und die einzigartige Schönheit unseres Planeten zu genießen.
Die ISS ist ja eine große WG, die seit 21 Jahren bewohnt wird. Im Normalfall ziehen alle sechs Monate neue Leute ein und andere aus. Aufgrund der Erhöhung der Stammbesatzung von sechs auf sieben bekam ich eine ganz neue Koje. Also erst einmal alles wohnlich machen, das neue Haus kennenlernen und sich zurechtfinden und dann natürliche auch die Eingewöhnung in die Schwerelosigkeit. “
Seine ersten Erkenntnisse
„Meine ersten persönlich überraschenden Erkenntnisse: Das Schweben in der Schwerelosigkeit wurde erstaunlicherweise sofort vom Gehirn akzeptiert. Gehen ist out! Wo der Kopf ist, ist oben. Die Füße weisen immer zum Boden. Auch, wenn alle anderen auf dem Kopf stehen und das Gleiche behaupten. Das klappt auch selbst, wenn mich in eine neue Orientierung gedreht habe. Der Körper ist das einzig feste Referenzsystem.
Wenn ich aus der Cupola schaue, scheint es, als ob über mir der blaue Himmel mit Wolken hängt. Und unter mir ein schwarzes Meer, in dem wir wie eine Bohrinsel zu stehen scheinen. Der Himmel bewegt sich schnell über uns weg und ist seltsamerweise an den Rändern leicht nach oben gekrümmt. Nachts wirkt die schwarze Erde wie ein Kampfstern aus der Science-Fiction-Kinowelt, ganz schwarz und dazwischen immer wieder leuchtende Knoten, die sich erst bei näherem Hinschauen als Städte erkennbar geben.
Außerdem: Im All benötigt man viel weniger Zahnpaste, da sie hier viel mehr schäumt.“
Seine Ernährung und sein Schlaf
„Die Standard-Astronautennahrung schmeckt hier oben erstaunlich gut. Mein Bonus-Essen aus Deutschland hebe ich mir noch für besondere Tage auf. So viel davon habe ich ja leider nicht mitnehmen können. Allerdings ist es nicht leicht, genügend Kalorien in uns ‚hineinzustopfen‘. In der Schwerelosigkeit ist das Sättigungsgefühl viel stärker. Vielleicht, weil das Essen im Magen schwebt?
Dazu muss ich auch jeden Tag zwei Stunden Sport machen, um Knochen- und Muskelschwund vorzubeugen. Der Weltraum: ein idealer Platz zum Abnehmen! Ich schlafe hervorragend und hänge schwerelos diagonal in meiner Kabine. Kopfkissen? Braucht man hier nicht. Meinen Schlafsack habe ich mit einem einzigen Karabinerhaken an einer Gummischnur festgemacht, sodass ich nicht komplett wegdrifte.“
Seine Gefühle
„Ja, nach all den Jahren des Wartens und der intensiven Vorbereitung fühle ich mich jetzt sehr glücklich und befreit. Aber gleichzeitig auch unter einem Leistungsdruck, denn ich bin ja nicht zum Spaß hier und die vielen Experimente müssen sorgfältig erledigt werden.
Das ist in Schwerelosigkeit leider nicht ganz so einfach: Als Anfänger passiert es mir leider noch zu oft, dass ich Taschen zu weit öffne und dann der komplette Inhalt schlagartig in alle Richtungen raus schwebt. In diesen Momenten wünsche ich mir, ich hätte so viele Arme wie ein Tintenfisch.“
Seine Nachricht aus dem All endet mit den Worten: „Beste Grüße von oben, Matthias Maurer.“