Affäre weitet sich aus: Nazi-Raubkunst im Bundestag entdeckt

Von: Von N. HARBUSCH

Berlin – Die Affäre um Nazi-Raubkunst und die beschlagnahmte Sammlung der Münchner Familie Gurlitt erfasst jetzt auch den Deutschen Bundestag. Eine Kunsthistorikerin entdeckte Nazi-Raubkunst, die im Parlament an den Wänden hing. Das bestätigt der Sprecher des Bundestagspräsidenten auf BILD-Anfrage.

Bei den von den Nazis gestohlenen Werken handelt es sich um das Gemälde „Kanzler Bülow spricht im Reichstag“, das Georg Waltenberger 1905 mit Öl malte. Im zweiten Fall ist es die Kreidelithografie „Straße in Königsberg“, die Lovis Corinth im Jahr 1918 schuf.

Dieses Werk stammt nach BILD-Informationen aus den Sammlungen der Familie Gurlitt, aus der im Februar 2012 von der Staatsanwaltschaft 1280 Werke wegen des Verdachts auf NS-Kunstraub beschlagnahmt wurden.

Wer die rechtmäßigen Besitzer der Werke sind, wollte die Bundestagsverwaltung nicht mitteilen.

Bereits vor vier Jahren musste der Bundestag das von den Nazis gestohlene Gemälde „Bismarck mit dem Schlapphut“ von Franz von Lenbach an die Erben des ehemaligen Eigentümers herausgeben.

Die Kunstsammlung des Bundestags umfasst insgesamt 4000 Werke. 700 wurden vor Kriegsende 1945 geschaffen und vom Bundestag nach 1949 erworben. Seit 2012 ermittelt eine Kunsthistorikerin auf Beschluss des Kunstbeirats nach Raubkunst im Bundestag.

Die bisherige Auswertung, die spätestens im April 2014 abgeschlossen sein soll, ergab, dass 108 Kunstwerke mit ungeklärter Herkunft und Raubkunst-Verdacht im Bundestag hängen. Um welche Werke es sich handelt, wollte der Bundestag auf BILD-Nachfrage nicht sagen.

Am Montag hieß es aus dem Bundestag, es gebe keine Bestätigung für Beutekunst im Parlament. Es handele sich um zwei „Verdachtsfälle”, die derzeit von einer Kunsthistorikerin genau überprüft würden.

BILD stellt dazu fest: Der Bundestag teilte am 20. Dezember schriftlich mit: „Es wurden bisher zwei Verdachtsfälle festgestellt. Die Untersuchung dazu ist noch nicht abgeschlossen. Lovis Corinth, Straße in Königsberg, 1918, Lithographie. Georg Waltenberger (?), Kanzler Bülow spricht im Deutschen Reichstag, 1905, Öl auf Leinwand.“

Rechtsanwalt Christoph Partsch, Experte für Restitutionsfälle, erklärt: „Das Recht kennt die Unterscheidung zwischen Raubkunstverdachtsfälle und Raubkunst nicht. Wenn die Alteigentümer von Kunstwerken vom NS-Regime verfolgt wurden und Ihre Kunstwerke während der Hitlerherrschaft verloren haben, spricht man von Raubkunst. Auch wenn sich heute der genaue Hergang des Verlusts sich nicht mehr genau rekonstruieren lässt. Es gibt nach der von der Bundesregierung unterzeichneten Washingtoner Erklärung und der Theresienstädter Erklärung eine Verpflichtung zur Aufklärung und Rückgabe für deutsche Behörden. Hier gilt die Beweislastumkehr.“

Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, fordert die Offenlegung der Liste mit den verdächtigen Werken. Graumann zu BILD: „Wenn der Bundestag jetzt Sammlungsverzeichnisse geheim hält, die Presse bei der Aufklärung behindert, Ariseure schützt und Erben nicht benachrichtigt, dann wünsche ich mir von den Verantwortlichen mehr Sensibilität und Fingerspitzengefühl.“

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