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Kubickis sehr persönliches Argument für Sterbehilfe

Politikredakteur
FDP-Vize Wolfgang Kubicki hält es für „anmaßend“, wenn der Staat den Bürgern jede Möglichkeit zur Nutzung einer organisierten Suizid-Begleitung nehmen würde FDP-Vize Wolfgang Kubicki hält es für „anmaßend“, wenn der Staat den Bürgern jede Möglichkeit zur Nutzung einer organisierten Suizid-Begleitung nehmen würde
FDP-Vize Wolfgang Kubicki hält es für „anmaßend“, wenn der Staat den Bürgern jede Möglichkeit zur Nutzung einer organisierten Suizid-Begleitung nehmen würde
Quelle: dpa
FDP-Politiker Wolfgang Kubicki protestiert gegen die Pläne der Union, jede Form der organisierten Suizid-Assistenz zu verbieten. Er begründet dies mit einem traumatischen Erlebnis in seiner Familie.

Früher habe er über Sterbehilfe ganz anders gedacht, erzählt Wolfgang Kubicki. Doch dann traf die Familie ein Schicksalsschlag. „Seit ich mit ansehen musste, wie mein Bruder an seinem apallischen Syndrom langsam und qualvoll sterben musste, bin ich fest davon überzeugt, dass wir in Deutschland bestimmte Formen des begleiteten Suizids weiterhin erlauben sollten“, sagte der FDP-Fraktionschef im schleswig-holsteinischen Landtag der „Welt“.

Wegen dieser Erfahrung lehnt der FDP-Bundesvize den Plan der Unionsfraktion im Bundestag ab, ein striktes Verbot jeder organisierten Form von Suizid-Begleitung zu beschließen. „Es ist für mich“, so Kubicki, „von zentraler Bedeutung, dass Menschen das Recht haben, ihrem Leben unter Umständen selbstbestimmt ein Ende zu setzen. Der Staat darf sich nicht anmaßen, den Bürgern eine solche Selbstbestimmung durch ein Gesetz wie das von der Union geplante kategorisch zu verbieten.“

Kubicki mahnt dazu, beim Umgang mit Sterbehilfeorganisationen zu beherzigen, was eine Parteifreundin von ihm im vergangenen Jahr entworfen hatte: „Die liberale Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat in der vergangenen Legislaturperiode einen sehr vernünftigen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem die kommerzielle Suizid-Begleitung verboten, aber andere Formen der Beihilfe zur Selbsttötung nicht bestraft werden sollen.“

Dieser Gesetzentwurf Leutheusser-Schnarrenbergers war damals allerdings auf der Strecke geblieben, weil die Union meinte, der Entwurf sei nicht streng genug. Statt nur die kommerzielle Bereitstellung von Gelegenheiten zur Selbsttötung zu verbieten, müsste nach Meinung der Union auch dann eine Gefängnisstrafe verhängt werden, wenn ein Verein in organisierter Form ohne Gewinnerzielungsabsichten Suizid-Assistenzen für Vereinsmitglieder ermöglicht.

Kubicki hält ein solches weitergehendes Verbot für grundfalsch: „Es wäre fatal, wenn der neue Bundestag nun ein autoritäres Verbotsgesetz erlassen würde, das die Freiheit der Bürger in dieser existenziellen Frage einschränken würde und nur zur Folge hätte, dass die Leute in die Schweiz reisen.“

Sterbewünsche in auswegloser Lage

In der Schweiz ist es seit Jahrzehnten erlaubt, dass Sterbehilfevereine wie Exit und Dignitas nach durchaus strengen Kontrollen eine Suizid-Hilfe für Menschen ermöglichen, die ihrem Leben ein Ende setzen möchten. Der Verein Dignitas führt solche Suizid-Begleitungen auch bei Nichtschweizern durch, also etwa bei Deutschen, die dafür dann in der Regel nach Zürich reisen.

Allerdings würden diese Vereine bei einem Apalliker, wie es Kubickis Bruder war, wohl keine Suizid-Begleitung durchführen. Denn das apallische Syndrom ist eine schwere neurologische Erkrankung, bei der die Großhirnrinde ganz oder teilweise funktionell ausfällt, sodass die Patienten die Kommunikations- und Bewusstseinsfähigkeiten verlieren. Dann aber können sie nicht mehr jene freiverantwortliche Entscheidung für den Suizid treffen, die bei allen Sterbehilfevereinen Voraussetzung ist.

Doch dass es durchaus Krankheiten gibt, bei denen die Betroffenen in freier Entscheidung einen Suizid verlangen, hat nun eine Studie der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ergeben.

Neue Studie zum Suizid-Verlangen

Für die Studie wurden Patienten befragt, die an ALS erkrankt sind, an Amyotropher Lateralsklerose, einer neurodegenerativen Krankheit, die zu zunehmenden Lähmungen und innerhalb von drei bis fünf Jahren zum Tod führt. 42 Prozent der für die Studie befragten Patienten gaben an, dass sie bereits darüber nachgedacht hätten, sich das Leben zu nehmen.

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Jeder zweite Befragte, so die Mitteilung der LMU, könne sich vorstellen, einen Arzt um Hilfe bei der Selbsttötung zu bitten. Doch mit ihren Ärzten hatte keiner von ihnen je darüber gesprochen.

„Der Wunsch, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden, ist ein großes Tabu in der Beziehung zwischen Arzt und Patient“, sagte Ralf Jox vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der LMU über die Ergebnisse der Studie. Jox vermutet, dass es bei Patienten mit anderen tödlich verlaufenden Krankheiten ähnliche Ergebnisse geben könnte, „beispielsweise mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung in fortgeschrittenem Stadium oder mit Tumorerkrankungen, für die es keine Therapiemöglichkeiten gibt“.

Ein striktes Verbot der Suizidhilfe wird diesen Patienten nach Meinung von Jox nicht gerecht. Jox plädiert für eine Regelung mit klaren Bedingungen und Kontrollen, die den Ärzten die Suizidhilfe ermöglichen solle. Eine solche Regelung müsse sowohl Rechtssicherheit bieten als auch „die Sorgen und Ängste der Patienten“ sowie „ihre Autonomie ernst nehmen“.

Kusch erinnert an Not von ALS-Patienten

Auf die Lage von ALS-Patienten verweist auch Roger Kusch, Vorsitzender der Vereins Sterbehilfe Deutschland (StHD), der als einziger in Deutschland eine organisierte Suizid-Beihilfe für Mitglieder anbietet. „Ein Verbot der Sterbehilfe würde gerade die Menschen in Verzweiflung stürzen, denen kein Arzt mehr helfen kann“, sagte Kusch der „Welt“. „Wenn der Bundestag uns daran hindern würde, beispielsweise Patienten mit ALS beim Sterben zu helfen, wäre es für diese von ihrer Krankheit gequälten Mitbürgerinnen und Mitbürger wie zusätzliche staatlich angeordnete Folter.“

Der ehemalige Hamburger Justizsenator Kusch hält die Verbotspläne der Unionsfraktion für „eklatant verfassungswidrig“. Deshalb rechne er damit, „dass es außer unserem Verein noch viele andere Menschen in Deutschland geben dürfte, die Einspruch gegen ein solches Gesetz erheben und sich dafür einsetzen werden, dass es nicht zum Verfassungsbruch kommt“.

Von der Union werde „ein Maß an Freiheitsbeschneidung geplant, wie es das bisher in der Bundesrepublik noch nicht gegeben“ habe. „Wenn unser Verein verboten würde, so hätten viele Menschen, die in verzweifelter Lage nach Hilfe suchen, keinen Ansprechpartner mehr für ihr Anliegen.“

Sterbehelfer für Palliativmedizin

Als „absurd“ bezeichnet es Kusch, „dass diese Gesetzespläne, obwohl sie ausschließlich auf unseren Verein zielen, an unseren Positionen völlig vorbeigehen“. Zur Begründung verweist Kusch auf die Ankündigungen der Union, dass ein Verbotsgesetz mit einer Stärkung der Palliativmedizin einhergehen müsse. Dazu Kusch: „Genau diese Stärkung der Palliativmedizin ist als Ziel in unserer Vereinssatzung festgelegt.“

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Dieses Ziel verfolge der Verein StDH auch in seiner konkreten Arbeit. „In allen Gesprächen, die wir im Vorfeld eventueller Suizid-Begleitungen mit Schmerzpatienten führen, weisen wir auf den Vorrang der Palliativmedizin hin. Wer wegen unerträglicher Schmerzen sterben will, aber noch nie bei einem Palliativarzt war, dem helfen wir nicht beim Suizid“, sagte Kusch.

Manche Schmerzpatienten hätten erst auf Drängen des Vereins einen Palliativarzt aufgesucht oder ihren Arzt gewechselt. Allerdings mit unterschiedlichem Ergebnis. „Denn“, so Kusch, „es gibt nicht nur unheilbare Krankheiten, sondern auch unheilbare Schmerzen“.

41 Suizid-Begleitungen im Jahr 2013

Von einem Verbotsgesetz wollen sich Kusch und der Verein aber nicht komplett an der bisherigen Tätigkeit hindern lassen: „Wir haben vorgesorgt und mit unserem zweiten Standort in Zürich einen eidgenössischen Schutzschild gegen die Exzesse deutscher Politiker geschaffen.“

StHD hat im vergangenen Jahr 41 Suizid-Begleitungen durchgeführt. Diese Zahl, die Kusch gegenüber der „Welt“ nannte, liegt um eine Suizid-Assistenz höher als bisherige Angaben.

Daher muss auch die Gesamtzahl von Suizid-Begleitungen in Deutschland erhöht werden, die am Dienstag vom ARD-Magazin „Report Mainz“ errechnet wurde. Dort hieß es – auf der Basis von nur 40 Sterbehilfen bei StHD –, es hätte 2013 in Deutschland insgesamt mindestens 155 Fälle von begleiteten Suiziden bei Schwerstkranken gegeben. Jetzt ist davon auszugehen, dass es mindestens 156 waren.

Hollande will Sterbehilfe in Grenzen erlauben

Neben StHD wurden bei der ARD auch Angaben von weiteren Sterbehelfern berücksichtigt, insgesamt zwölf, die überwiegend anonym tätig sind. Zitiert wird in dem Bericht unter anderem ein pensionierter Schulleiter, der nach eigenem Bekunden seit 2005 jährlich vier bis fünf Menschen zum Tod verholfen hat, meist durch die Besorgung eines Medikamentencocktails.

Der Mehrheit der Bevölkerung dürften solche Aktionen durchaus recht sein. Denn ausweislich allen verfügbaren Umfragen, ist eine stabile Mehrheit der Bundesbürger der Ansicht, dass eine ärztliche Beihilfe bei der Selbsttötung von schwer kranken Menschen erlaubt sein sollte. Ganz offensichtlich wollen die meisten Bürger, dass es wie bisher möglich bleibt, Patienten in aussichtsloser Lage ein tödlich wirkendes Medikament zukommen zu lassen, mit dessen Einnahme sich jene Menschen selbst umbringen.

In Frankreich will Staatspräsident François Hollande so etwas nun ermöglichen. Bei einer Pressekonferenz in Paris über die Zukunftsperspektiven des Landes sagte Hollande am Dienstag, wenn ein unheilbar kranker Mensch angesichts unerträglicher Lebensbedingungen medizinische Hilfe für die Beendigung seines Lebens verlange, solle diese gewährt werden.

Dies dürfe aber nur unter streng kontrollierten Bedingungen geschehen. Im Zentrum müsse dabei die Würde des Menschen stehen.

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