Mit einem guten Stück Trotz

Nehmen wir einmal an, es wäre in den 20 Jahren, die das Sauber-Team seit dem 14. März 1993 in der Formel 1 mitmischt, alles nach Plan gelaufen, wirklich alles: Dann wären die Rennwagen aus Hinwil als Silberpfeile von Mercedes Weltmeister geworden.

Elmar Brümmer, Melbourne
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Der wilde Franzose und sein Schweizer Chef: Jean Alesi und Peter Sauber 1998. (Bild: Keystone)

Der wilde Franzose und sein Schweizer Chef: Jean Alesi und Peter Sauber 1998. (Bild: Keystone)

Nehmen wir einmal an, es wäre in den 20 Jahren, die das Sauber-Team seit dem 14. März 1993 in der Formel 1 mitmischt, alles nach Plan gelaufen, wirklich alles: Dann wären die Rennwagen aus Hinwil als Silberpfeile von Mercedes Weltmeister geworden; sie hätten als Werksteam für die Marke Ford Titel errungen; sie würden heute den Erfolg als Red Bull Racing feiern; sie würden als ruhmreiches malaysisches Nationalteam starten; oder sie wären Seriensieger unter dem Wappen des BMW-Konzerns.

All das sind keine Hirngespinste, sondern entsprachen den realen Bestrebungen des Schweizer Rennstalls. Viele der Partnerschaften haben sich früh zerschlagen oder sind nie richtig ins Rollen gekommen. Wäre es nach Bernie Ecclestones politischen Ränkespielen gegangen, würde es das Team seit drei Jahren gar nicht mehr geben. Der Formel-1-Chef wollte ihm damals keinen Startplatz mehr geben. Doch Sauber ist Sauber geblieben. Denn eine Konstante, einen Antrieb hat es in den abwechslungsreichen zwei Dekaden immer gegeben: Als Firmengründer, Teamchef, Vorstandsvorsitzender und heutiger Zwei-Drittel-Eigner hat der Schweizer Peter Sauber alle Stürme überstanden. Er sagt: «Ein Team zwanzig Jahre lang in der Formel 1 zu halten, ist nicht immer leicht.»

Es war ein Überlebenskampf – ganz von Anfang an. Damals, als sich der Daimler-Konzern nicht so recht zum alten Partner aus den glorreichen Sportwagenzeiten bekennen wollte. «Concepted by Mercedes» stand auf dem Sauber C12, und der Motor lief unter dem Namen des Churer Konstrukteurs Mario Illien als Ilmor. Im allerersten Grand Prix in Südafrika fuhr der Finne JJ Lehto zwei WM-Punkte ein, mit zwei Runden Rückstand – mehr Fahrer kamen beim Regenrennen gar nicht ins Ziel. Später hiess es «Powered by Mercedes», aber plötzlich wechselten die Stuttgarter zu McLaren. Damit oblag der eigentliche Antrieb wieder dem Prinzipal von Hinwil, ganz seinen Initialen PS entsprechend. Die Formel-1-Anfänge umschreibt Peter Sauber heute als «vernünftigen Schritt in die Unvernunft».

Daraus sind bis zum Start der Saison 2013 nächsten Sonntag in Melbourne 273 Formel-1-Rennen geworden, die 70 unter dem Namen BMW-Sauber (2006 bis 2009) nicht eingerechnet. Aus der Zeit stammt auch der einzige Sieg, Robert Kubica gewann 2008 den GP Kanada. Richtig eindrucksvoll wird die Bilanz, wenn man schaut, wie viele Teams aus Saubers Debütjahr 1993 überhaupt noch in der Formel 1 dabei sind: lediglich drei der anderen zwölf.

In den 20 Jahren sind elf Equipen ganz verschwunden, und acht haben den Besitzer gewechselt. Und von den Steuermännern von damals mischen lediglich Frank Williams und Peter Sauber noch immer mit. Jene Herren, die die Bezeichnung «Garagist» stets als Ehrentitel verstanden haben.

Sauber, der im Oktober 70-jährig wird, hat die Geschäfte und ein Drittel seiner Firmenanteile in die Hände von Monisha Kaltenborn gelegt – aber natürlich wird er am kommenden Wochenende in Melbourne wieder vor Ort sein. Obwohl er rückblickend eingesteht: «Es gab viele Momente, in denen ich aufgeben wollte. Was mich jedoch immer angetrieben hat, war der Wille, vor einer schier unlösbaren Aufgabe nicht zu kapitulieren.»

Alles eine Frage von Kraft und Effizienz? Platz 4 in der Konstrukteurs-WM in der Saison 2001 war der grösste Erfolg, der vollumfänglich auf eigene Rechnung ging. Mit BMW gelangen 2008 ein Doppelsieg und Platz 2 in der Konstrukteurs-Wertung. Mit der Hälfte oder auch nur einem Drittel der Budgets der anderen Teams hat sich Sauber in der Geldmeisterschaft etabliert. Dahinter steckt ein gutes Stück Trotz: Sauber hat es nie akzeptieren wollen, dass die Engländer die Herrschaft in der Formel 1 für sich beanspruchen. Er hat den Standortnachteil Schweiz in eine eigene, besondere Identität umgemünzt. Selbst wenn der Höhenflug des Frankens das Überleben in diesem vom Dollar und vom Euro dominierten Geschäft noch schwieriger gemacht hat – gerade in den letzten Jahren.

Aber es ist nicht nur der Trotz, der das Team erfolgreich macht – sondern auch das gute Händchen des Chefs bei der Talentsuche. Was in der Sportwagen-WM mit Michael Schumacher begann, setzte sich in der Formel 1 mit Kimi Räikkönen, Felipe Massa, Robert Kubica, Sebastian Vettel und Sergio Perez fort. Das Prinzip war ein Mix aus Fördern und Fordern, und es hat Renommee und Geld gebracht. Selbst bei Misserfolgen oder Übermut blieb es in Hinwil ruhiger als anderswo. Vielleicht mit Ausnahme des technischen Bereichs. Vor allem britische Ingenieure hielten es meist nur kurz in dem Team aus, in dem vieles der Mannschaft und wenig dem Personenkult geschuldet ist. Anders als in den meisten Teams gibt es bei Sauber keinen Star-Designer, sondern ein Führungsteam. Das Kollektiv als Schweizer Weg, der manchmal beschwerlich sein kann.

Besonnenheit ist einer jener Charakterzüge des Chefs, die sich auf das Team übertragen haben. Allerdings hat man es nicht immer leicht mit Peter Sauber, und wenn ihm Partner zu sehr ins Geschäft dreinreden wollen, so wie der ehemalige Teilhaber und Sponsor Dietrich Mateschitz oder die Konzernstatthalter von BMW, kann er sich trotzig geben bis hin zur Sturheit. Aber auch das hat zur Schärfung seines Profils beigetragen.

Loyalität ist nicht allzu verbreitet in dem schnellen Geschäft, doch die Berufung Monisha Kaltenborns zur CEO und Teamchefin hat viel damit zu tun. Ende 2009, als der Aussteiger BMW Geld und Infrastruktur, aber auch viele Trümmer hinterliess, stand sie Peter Sauber bei der Rettungsaktion tatkräftig zur Seite. Sie baute das Management und die Struktur sukzessive um und gehört zu den aktiven Befürwortern einer generellen Budgetobergrenze. Und sie findet sich heute in einer Situation wieder, die das Team schon seit den 1990er Jahren begleitet: Grosse finanzielle Sprünge sind nicht drin, es zählen Synergieeffekte und Sparmassnahmen. Das Design des aktuellen Autos C32 ähnelt nicht nur in der Farbgebung dem ersten Formel-1-Boliden von 1993 – damals wie heute fehlt auch der Schriftzug eines Hauptsponsors.

Aus der Zwangslage könnte Gutes gedeihen. 2012 hatte Sauber eines der ausgeglichensten Autos im Feld, vielleicht das beste der Geschichte des Teams, dennoch ging am Ende Platz 5 in der WM-Wertung verloren. 2013 geht das Team ein bewusst hohes Risiko bezüglich des Designs ein, um den Sprung nach vorne zu forcieren.

Der neue Wagen trägt im Übrigen eine weitere Konstante in sich – das C in der Typenbezeichnung steht für Christiane Sauber, Patin seit der allerersten Fahrzeugschöpfung des Gatten.

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