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Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Sellering "Wir müssen um AfD-Sympathisanten kämpfen"

SPD-Mann Erwin Sellering will Ministerpräsident in Schwerin bleiben - mit einer Art Schmusekurs gegenüber der AfD. Im Interview kritisiert er Merkels Flüchtlingspolitik und lobt seine mögliche Nachfolgerin.
Erwin Sellering

Erwin Sellering

Foto: imago/BildFunkMV

19 Prozent: So stark könnte die AfD im neuen Landtag von Mecklenburg-Vorpommern der letzten Umfrage zufolge werden. Unter der Stärke der rechtspopulistischen Partei leidet auch SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering.

Seine Partei könnte bei der Wahl am 4. September sogar hinter der CDU landen. Sellering bemüht sich deshalb auch um potentielle Wähler der Rechtspopulisten. "Um diese AfD-Sympathisanten müssen wir kämpfen", sagt er. "Ich bin zuversichtlich, dass wir einige erreichen."

Die Sorgen und Ängste vieler Menschen in seinem Land mit Blick auf die Flüchtlingkrise teilt er - und übt scharfe Kritik an Angela Merkel. Die Kanzlerin habe "vergangenen Herbst den Eindruck erweckt, als müssten wir unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen, und gleichzeitig so getan, als sei jeder, der Bedenken äußerte, entweder rechtsextrem oder ein Dummkopf", sagt Sellering.

Lesen Sie hier das komplette SPIEGEL-ONLINE-Interview:

SPIEGEL ONLINE: Herr Sellering, wie viele Flüchtlinge leben derzeit in Mecklenburg-Vorpommern?

Sellering: Wir haben 25.000 Menschen aufgenommen. Mehr als die Hälfte hat uns aber wieder verlassen und ist weitergezogen.

SPIEGEL ONLINE: Das macht bei rund 1,65 Millionen Einwohnern einen Flüchtlingsanteil von unter einem Prozent. Trotzdem werfen Sie Kanzlerin Angela Merkel vor, ihre Flüchtlingspolitik überfordere die Bürger. Warum?

Sellering: Mein Kritikpunkt ist, dass die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin zu einer Spaltung unserer Gesellschaft geführt hat. Das Klima in Deutschland hat sich massiv verändert. Auch in Mecklenburg-Vorpommern, unabhängig davon, wie viele Flüchtlinge es hier im Land gibt.

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie konkret?

Sellering: Vielen Menschen bereitet die Aufnahme einer so großen Zahl an Flüchtlingen Sorgen. Die Kanzlerin hat jedoch vergangenen Herbst den Eindruck erweckt, als müssten wir unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen und gleichzeitig so getan, als sei jeder, der Bedenken äußerte, entweder rechtsextrem oder ein Dummkopf. Inzwischen ist die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge zurückgegangen. Aber die Integration bleibt eine Riesenaufgabe. Da reicht es nicht aus, wenn die Kanzlerin sagt: Ich bleibe dabei. Wir schaffen das.

SPIEGEL ONLINE: Mit solchen Äußerungen sind Sie nahe bei der rechtspopulistischen AfD.

Sellering: Es geht nicht, jeden, der Kritik äußert, in die AfD-Ecke zu stellen. Das verhindert, dass wir uns ernsthaft mit berechtigter Kritik auseinandersetzen. In dieser schwierigen Frage gibt es nicht nur schwarz und weiß. Eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland spricht sich sehr klar dafür aus, dass wir Flüchtlingen helfen. Aber genauso viele sagen auch: Die Zahl darf nicht zu groß werden, es muss beherrschbar sein.

SPIEGEL ONLINE: Noch einmal - Stichwort unter einem Prozent Flüchtlinge: Ist es nicht Ihre Aufgabe als Ministerpräsident, den Bürgern in Mecklenburg-Vorpommern klarzumachen, dass es beherrschbar ist?

Sellering: Das sage ich. Und natürlich müssen wir Funktionären der AfD entgegentreten, die ausländerfeindliche Parolen rufen und sich nicht von Rechtsextremen abgrenzen. Aber wir kommen auch deshalb verhältnismäßig gut bei der Aufnahme von Flüchtlingen zurecht, weil bei uns die Zahl nicht so groß ist.

SPIEGEL ONLINE: Unser Eindruck ist, dass Sie sich in der Auseinandersetzung mit der AfD eher zurückhalten.

Sellering: Wir in Mecklenburg-Vorpommern zeigen klare Kante gegen Rechtsextremismus. Die NPD sitzt bei uns im Landtag. Tausende im Land sind dagegen aktiv in Initiativen und bei Demonstrationen. Die SPD und ich als Ministerpräsident immer vorneweg.

SPIEGEL ONLINE: Und was ist mit der AfD?

Sellering: Da sage ich den möglichen AfD-Wählern: Lasst es sein, es ist eine verschenkte Stimme! Es geht am 4. September um unser Land. Mecklenburg-Vorpommern hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt. Und wir müssen jetzt die Weichen stellen, dass sich diese positive Entwicklung fortsetzt.

SPIEGEL ONLINE: Eine Kampfansage klingt anders. Dabei gibt es doch offenkundig Verstrickungen zwischen AfD und NPD.

Sellering: Ja, die NPD verzichtet etwa zugunsten der AfD darauf, Direktkandidaten aufzustellen. Die AfD schielt in die rechtsextreme Ecke, da müssen wir sie stellen. Aber diese etwa 19 Prozent der Menschen hier im Lande, die sich laut Umfragen vorstellen können, die AfD zu wählen, sind nicht alle rechtsextrem. Um diese AfD-Sympathisanten müssen wir kämpfen. Ich bin zuversichtlich, dass wir einige erreichen. Bei einer großen Zahl werden wir es aber auf die Schnelle nicht schaffen. Das wird eine große Aufgabe der nächsten fünf Jahre sein, diese Menschen zurückzuholen - für unsere Demokratie.

SPIEGEL ONLINE: Sie hätten also auch kein Problem, sich mit AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm auf ein Podium oder in eine TV-Debatte zu setzen?

Sellering: Ich habe gerade mit ihm und den anderen Spitzenkandidaten bei der IHK Rostock auf dem Podium gesessen. Was er da geäußert hat, war ohne Substanz, das sollen die Leute ruhig sehen. Der Erfolg der AfD beruht vor allem auf Provokationen und Verschwörungstheorien. Dem darf man nicht nachgeben.

SPIEGEL ONLINE: Sie stammen aus dem Ruhrgebiet, seit 20 Jahren leben Sie in Mecklenburg-Vorpommern. Könnte es sein, dass Sie deshalb nicht so hart gegenüber der AfD und ihren potentiellen Wählern auftreten, weil es sonst heißen könnte: Ach, der Wessi.

Sellering: Unsinn. Ich vertrete als Ministerpräsident dieses Land und seine Menschen mit ihren Biografien. Es stimmt, dass die AfD im Osten stärker ist als im Westen. Die Menschen hier haben nach 1990 einen tiefgreifenden Umbruch erlebt. Viele haben sich mit großem Einsatz etwas aufgebaut. Da fragt sich mancher: Ist das alles in Gefahr? Müssen wir wieder ganz von vorn anfangen? Die Unsicherheit ist hier größer. Aber die klare Mehrheit im Osten lehnt rechtsextremes Gedankengut entschieden ab. Es gibt keinen Grund für einen arrogant-überheblichen Blick von West nach Ost.

SPIEGEL ONLINE: Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig aus Schwerin gilt manchem bereits als künftige Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Wo sehen Sie Ihre Parteifreundin in fünf Jahren?

Sellering: In einer Position, in der sie hervorragende sozialdemokratische Politik macht. Mir gefällt sehr gut, was sie in Berlin macht. Ich kann mir ja zugutehalten, dass ich ihr Talent seinerzeit als erster erkannt und sie hier zur Landesministerin gemacht habe.

SPIEGEL ONLINE: Aber Sie trauen ihr noch mehr zu?

Sellering: Ich habe ihr von Anfang an eine Menge zugetraut.

SPIEGEL ONLINE: Im kommenden Frühjahr wird ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Wen wünschen Sie sich in Schloss Bellevue?

Sellering: Eine starke Persönlichkeit, die eine ganz wichtige Aufgabe haben wird: die weitere Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. In unserem Land geht es mittlerweile so aggressiv zu - das darf auf Dauer nicht so bleiben.

SPIEGEL ONLINE: Hat Joachim Gauck zu wenig gegen die Spaltung der Gesellschaft getan?

Sellering: Ich spreche über die Hauptaufgabe des künftigen Staatsoberhaupts. Bundespräsident Gauck hat einen anderen Schwerpunkt gesetzt.

SPIEGEL ONLINE: Sollte Ihre Partei einen gemeinsamen Kandidaten oder eine Kandidatin mit Linken und Grünen durchsetzen?

Sellering: In erster Linie geht es für mich darum, ein geeignetes Staatsoberhaupt zu finden - egal mit welcher parteipolitischen Konstellation.

Zur Person
Foto: Jens Büttner/ dpa

Erwing Sellering, Jahrgang 1949, ist seit 2008 Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern. Zuvor war der im Ruhrgebiet geborene und aufgewachsene Sellering ab 2000 zunächst Justizminister und dann Sozialminister in Schwerin. In die SPD trat der Jurist erst 1994 ein, nachdem er Richter am Verwaltungsgericht in Greifswald geworden war.