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Kunst und Architektur Norbert Lammert

Kunst hat einen Wert, nicht nur einen Preis

Sieht billiger aus, als es ist: Im Juli 2015 kam Andy Warhols „One Dollar Bill“ im Londoner Auktionshaus Sotheby’s unter den Hammer, der Erlös: 21 Millionen Pfund Sieht billiger aus, als es ist: Im Juli 2015 kam Andy Warhols „One Dollar Bill“ im Londoner Auktionshaus Sotheby’s unter den Hammer, der Erlös: 21 Millionen Pfund
Sieht billiger aus, als es ist: Im Juli 2015 kam Andy Warhols „One Dollar Bill“ im Londoner Auktionshaus Sotheby’s unter den Hammer, der Erlös: 21 Millionen Pfund
Quelle: picture alliance / empics/sv ken
In Deutschland gibt der Staat Milliardenbeträge für Kunst und Kultur aus. Er darf auch die kulturellen Güter nicht dem Gesetz des Marktes überlassen. Von Bundestagspräsident Norbert Lammert.

Die öffentliche Debatte zur Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes ist nicht weniger aufschlussreich als das Gesetzesvorhaben, das eben jenem Kunst- und Kulturverständnis konsequent zur Geltung verhilft, das der deutschen Kulturförderung und der Kulturfinanzierung durch die öffentliche Hand zugrunde liegt.

Die heftige, teilweise polemische Kritik am Gesetzentwurf, den Kulturstaatsministerin Monika Grütters vorgelegt hat und der in den nächsten Monaten im Parlament beraten wird, entzündet sich an den darin vorgesehenen Ausfuhrregeln, die dem Staat die Möglichkeit geben, national wertvolles Kulturgut mit einer herausragenden Bedeutung für eine Region oder für unser Land besonders zu schützen.

Diese Möglichkeit der Eintragung eines Werks als national wertvolles Kulturgut ist geltendes Recht seit 1955. Neu ist allein die Pflicht, Ausfuhrgenehmigungen, wie sie für bestimmte Werke bisher nur für den Verkauf ins außereuropäische Ausland erforderlich waren, auch für den Verkauf innerhalb des EU-Binnenmarkts einzuholen, wobei die gesamte zeitgenössische Kunst – also der allergrößte Teil der Geschäfte im deutschen Kunsthandel – davon ausdrücklich ausgenommen ist.

Keine Guillotine

Wer diesem Gesetzentwurf einen inakzeptablen Eingriff in die Eigentumsrechte von Kunstsammlern, einen unzumutbaren Verwaltungsaufwand für Kunsthändler, einen unzulässigen Eingriff in die Freiheit des Kunstmarktes, ja gar „kalte Enteignung“ und die „Guillotine des deutschen Kunsthandels“ zu erkennen meint, ignoriert entweder die geltende Rechtslage wie Rechtsprechung oder stellt ganz grundsätzlich die Berechtigung des Staates in Frage, dem Verbleib national wertvollen Kulturguts in Deutschland Vorrang zu geben vor dem möglichen Verkauf ins Ausland – was die Frage aufwirft, warum ausgerechnet der Kunstmarkt die gesetzlichen Mindestregulierungen nicht ertragen soll, die auf Güter- und Finanzmärkten selbstverständlich erwartet werden.

Im Kontext der nun im parlamentarischen Verfahren zu beratenden Regelungen zur Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes sei deshalb daran erinnert, dass es aus unserem Kunst- und Kulturverständnis heraus gute Gründe dafür gibt, Kunst und Kultur nicht allein dem Markt, der Regulierung durch Angebot und Nachfrage zu überlassen.

Was der Staat muss, darf und kann

Muss, darf und kann der Staat deshalb den Schutz von national wertvollem Kulturgut regeln?

Ja, er muss, denn der „Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland“ ist dem Bund im Grundgesetz ausdrücklich als Verpflichtung auferlegt. Der Staat muss nach unserem Grundgesetz die Möglichkeit haben, national wertvolles Kulturgut, das eine einzigartige, herausragende und identitätsstiftende Bedeutung für unser Land hat, vor Abwanderung zu bewahren.

Ja, er darf, denn dies entspricht unserem ganz prinzipiellen Verständnis von Kunst- und Kulturförderung als staatliche Aufgabe. Dieses Verständnis beruht auf der Überzeugung, dass Kunst keine Ware ist wie jede andere und auch keine Geldanlage wie jede andere. Anders als Konsumgüter und Finanzprodukte haben Kulturgüter zunächst keinen Preis, sondern einen ideellen Wert: Kunstwerke sind Werte, die sich weder immer noch angemessen in Preisen ausdrücken; bestenfalls bestimmt der Wert den Preis, nie der Preis den Wert.

Kennzeichen D: Buchstabeninstallation am Deutschen Bundestag
Kennzeichen D: Buchstabeninstallation am Deutschen Bundestag
Quelle: picture-alliance/ dpa/ste/dt

Und schließlich: Ja, er kann, denn die praktischen Herausforderungen, die sich aus dem Regelungsbedarf einerseits und der Legitimation für staatliches Handeln andererseits ergeben, sind entgegen anderslautender Mutmaßungen durchaus lösbar. Der Kunstmarkt – ein Markt, auf dem im vergangenen Jahr weltweit gut 50 Milliarden Euro umgesetzt wurden – ist bisher der am wenigsten geregelte legale Weltmarkt, und es ist nicht ersichtlich, warum hier nicht möglich sein sollte, was für den Handel in anderen Branchen selbstverständlich ist, nämlich ein vernünftiger Ausgleich zwischen öffentlichem Interesse und Partikularinteressen.

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Es geht ja nicht darum, in Zukunft den Kunsthandel genehmigungspflichtig zu machen. Es geht lediglich darum, im Einzelfall eine Rechtsgrundlage dafür zu haben, nach einem festgelegten Verfahren ein zum Verkauf anstehendes Kulturgut unter nationalen Schutz zu stellen, wenn es in besonderer Weise die Geschichte und Identität eines Landes spiegelt. Und dies wiederum in einem gesetzlich geregelten Verfahren, in dem auch der Sachverstand und die Interessen von Sammlern wie von Kunsthändlern zur Geltung kommen. Das betrifft nur wenige, seltene Zeugnisse unseres kulturellen Erbes. Wenn wir zu ihrem Schutz nicht in der Lage sind, untergraben wir das Fundament staatlicher Kulturförderung. Deshalb geht es beim Kulturgutschutz auch um unser Selbstverständnis als Kulturnation.

Subvention verpflichtet

Es gibt nur wenige Staaten, die für Kunst und Kultur absolut und relativ so viele Mittel einsetzen wie Bund, Länder und Gemeinden in Deutschland. Die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden stellen gegenwärtig etwa 9,5 Milliarden Euro für Kunst- und Kulturförderung in Deutschland zur Verfügung, dazu kommen noch einmal etwa 1,5 Milliarden für auswärtige Kulturpolitik, also für die Vermittlung deutscher Kunst und Kultur im Ausland. Diese staatliche Kulturförderung, die weltweit ihresgleichen sucht, verdanken wir dem bisherigen, aus unserem Selbstverständnis als Kulturnation gewachsenen Konsens, wonach der Staat der Kultur, dem Schutz kultureller Güter und Werte verpflichtet und die Förderung von Kunst und Kultur eine öffentliche Aufgabe ist.

Ohne diese Überzeugung, dass Kunst etwas mit der Identität und dem Selbstverständnis einer Gesellschaft zu tun hat, fällt es sehr schwer zu begründen, warum der Staat Milliardenbeträge zur Kunst- und Kulturförderung zur Verfügung stellen und keineswegs allein dem Markt zwischen Angeboten und Nachfragen überlassen sollte, obwohl ein beachtlicher Teil derjenigen, deren Steuergelder dafür in Anspruch genommen werden, von den öffentlich subventionierten Angeboten bekanntlich keinen Gebrauch macht. In ihrem Bezug zu unserer kulturellen Identität darf die Kunst Förderung wie auch Schutz erwarten – und Mitverantwortung auch derjenigen, die mit Kunstwerken oder Kunsthandel ihr Geld verdienen.

Norbert Lammert ist CDU-Mitglied und seit 2005 Präsident des Deutschen Bundestags.

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