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Verbrechen in Stuttgart Sogar die "New York Times" berichtete über den Schwertangriff – darum schwieg die "Tagesschau"

Tatort in Stuttgart; Logo der ARD-"Tagesschau"; Logo von ZDF-"Heute"
Die Gewalttat vom Mittwochabend sorgte weit über Stuttgart hinaus für Bestürzung. ARD und ZDF erklären, warum das Verbrechen in den "Tagesschau"- und "Heute"-Sendungen keine Rolle spielte
© Sven Kohls / DPA, NDR, ZDF
Der tödliche Schwertangriff von Stuttgart beherrschte in den letzten Tagen die Schlagzeilen. Nicht aber in der ARD-"Tagesschau" und den ZDF-"Heute"-Nachrichten, dort fand das Thema nicht statt. Die Sender erläutern ihre Gründe.

Sogar die renommierte "New York Times" hat über den Angriff, der das ferne Deutschland entsetzte, mit einer Agenturmeldung berichtet. Und hierzulande war die tödliche Schwertattacke von Stuttgart das beherrschende Thema vieler Nachrichtenmedien.

In einem Format fand die Tat am Tag danach nicht statt: in der ARD-"Tagesschau". Nicht um 9 Uhr, nicht um 12 Uhr, nicht um 14 Uhr, nicht um 15 Uhr, nicht um 16 Uhr, nicht um 17 Uhr und auch nicht um 20 Uhr. In der Hauptausgabe ging es unter anderem um den 75. Jahrestag des Warschauer Aufstands, um den kranken deutschen Wald, um einen Anschlag im Jemen und um die Wiederinbetriebnahme der Wuppertaler Schwebebahn – fraglos wichtige Themen.

"Tagesschau"-Chef erklärt Entscheidung

Dennoch fragten zahlreiche Beitragszahler in den sozialen Netzwerken sich und die Redaktion, warum das Nachrichtenflaggschiff des Ersten Deutschen Fernsehens kein einziges Wort über die Tat verlor, über die das Land spricht. So wie sich die Zuschauer schon nach anderen spektakulären Verbrechen über die Themenauswahl der Tagesschau wunderten.

Auch die wahrheitswidrigen Behauptungen von einem gesteuerten "Staatsfunk" oder einer "Lücken"- bzw. "Lügenpresse", die unliebsame Wahrheiten verschweige, machten dabei wieder einmal die Runde.

Dabei hat die ARD Gründe, auf eine Berichterstattung zu verzichten. Wie schon in ähnlich gelagerten Fällen erklärt Chefredakteur Kai Gniffke auf stern-Anfrage: "Ein politisch, rassistisch oder religiös motivierter Hintergrund der Tat hätte für die 'Tagesschau' Grund sein können, über diesen Fall zu berichten. Dies erscheint nach derzeitigem Ermittlungsstand sehr unwahrscheinlich." Es handele sich offenbar "um eine Tat, deren Motiv im privaten Verhältnis zwischen Täter und Opfer zu suchen ist". Damit bleibt die "Tagesschau" bei ihrer Linie, nur in begründeten Ausnahmefällen über Mordfälle zu berichten.

Doch ARD ist nicht nur die "Tagesschau". Die ARD ist auch das Boulevard-Magazin "Brisant", das den Fall aufgriff, das sind auch neben dem Ersten weitere Fernsehprogramme, unzählige Online-Angebote und weit über 60 Radiosender. Vor allem über letztere erreichen die ARD-Anstalten täglich eine Menge an Hörern, die die Zahl der "Tagesschau"-Zuschauer weit übertrifft. Unter anderem bei SWR3, einem der reichweitenstärksten Hörfunkprogramme der ARD, spielte das Verbrechen eine große Rolle. Verschwiegen wird das Thema im öffentlich-rechtlich Rundfunk entgegen aller Vorwürfe nicht.

Angriff in Stuttgart hatte offenbar "persönliches Motiv"

Auch das ZDF berichtete, wenn auch nicht im Rahmen der "Heute"-Nachrichtensendungen, sondern im Magazin "Hallo Deutschland". Auf dem Mainzer Lerchenberg gilt prinzipiell dasselbe wie bei der ARD: "Über grausame und aufsehenerregende Straftaten berichten die 'Heute'-Nachrichten unter anderem dann, wenn eine deutschlandweite, gesamtgesellschaftliche Dimension gegeben ist" , so ein Sprecher zum stern. Hinter dem Stuttgarter Fall stünden jedoch ausschließlich persönliche Beweggründe, weder gebe es religiöse Motive noch politische.

Der ebenfalls beitragsfinanzierte Deutschlandfunk verzichtete auch auf die Berichterstattung über den Mord, mit einer ganz ähnlichen Begründung: "In den Nachrichten des Deutschlandfunks spielen einzelne Kriminalfälle nur selten eine Rolle. Voraussetzung für die Berichterstattung ist eine bundesweite und gesamtgesellschaftliche Bedeutung, so (...) bei der Tat vom Frankfurter Hauptbahnhof." 

Sehen Sie im Video: Tagesschau verspätet sich um eine Minute – so witzig reagiert das Netz

Die Uhr vor Beginn der 20 Uhr Tagesschau zeigt 20:00:51

Deren Relevanz leitete die Redaktion unter anderem von den deutschlandweiten Auswirkungen auf den Bahnfahrplan ab. "Zahlreiche Medien berichteten über die Tat von Stuttgart, insbesondere lokale und regionale. Das finden wir angemessen. Diese Berichte sind im Internet und in den Sozialen Medien für jedermann verfügbar."

Damit haben die Macher des Deutschlandfunks Recht: Jeder, der sich über das Thema informieren wollte, wurde in den deutschen Medien fündig.

Es ist jeweils die Entscheidung einer Redaktion, über welche Themen sie berichtet. Das Boulevardeske, die Blaulichtmeldungen, aber auch Promigeschichten finden in "Tagesschau" und Co. selten bis gar nicht statt. In den Nachrichtenredaktionen von ARD, ZDF und Deutschlandfunk ist die bundesweite und gesamtgesellschaftliche Relevanz das entscheidende Kriterium – und die sehen sie bei einem Tötungsdelikt mit laut Staatsanwaltschaft "ausschließlich persönlichem Motiv" als nicht gegeben an.

Quellen: "New York Times""Tagesschau"SWR3, Deutschlandfunk, "Heute""Eine Stunde was mit Medien"

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