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Die Beklagten werden verurteilt, die Veröffentlichung eines Transparenzberichts über den ambulanten Pflegedienst des Klägers aufgrund der MDK-Prüfung am 17. und 18. Oktober 2011 über die Internetportale der Beklagten oder in sonstiger Weise zu unterlassen. Die Beklagten tragen die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Streitig ist, ob der Kläger die Unterlassung der Veröffentlichung eines sogenannten Transparenzberichts verlangen kann.
3Der Kläger ist Träger des durch Versorgungsvertrag zugelassenen ambulanten Pflegedienstes "D ". Am 17. und 18. Oktober 2011 führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) im Auftrag der Beklagten in dieser Pflegeeinrichtung eine Qualitätsprüfung (Regelprüfung) nach den §§ 114 ff des Sozialgesetzbuches Elftes Buch (SGB XI) durch. Zu diesem Zeitpunkt versorgte der Pflegedienst insgesamt 258 Kunden, davon 134 Pflegebedürftige mit Sachleistungsbezug. Von diesen Pflegebedürftigen wurden 14 Kunden in die Prüfung einbezogen. In seiner zusammenfassenden Beurteilung (S. 9 des Prüfberichts) stellte der MDK fest, dass im Rahmen der Qualitätsprüfung überwiegend ein "sachgerechter Umgang bei den auf den Pflegebedürftigen bezogenen Aspekten" habe festgestellt werden können. Meist seien diese Aspekte "unzureichend in den Pflegedokumentationen dargestellt" worden.
4Der auf der Grundlage des Prüfberichts erstellte, auf Einwendungen des Klägers und auf der Grundlage einer Stellungnahme des MDK vom 30. April 2012 geänderte, noch nicht veröffentlichte vorläufige Transparenzbericht weist als Gesamtergebnis die Note "gut" (2,3) aus. Der Qualitätsbereich "Pflegerische Leistungen" erhielt die Note "ausreichend" (3,8). Der Bereich "Ärztlich verordnete pflegerische Leistungen" wurde mit "gut" (1,8) bewertet. Im Qualitätsbereich "Dienstleistung und Organisation" wurde der Pflegedienst mit "sehr gut" (1,4) beurteilt. Als Ergebnis der Befragung der Kunden, das nicht in das Gesamtergebnis einfließt, wurde die Note "sehr gut" (1,0) angegeben.
5Am 02. März 2012 beantragte der Kläger den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der den Beklagten die vorläufige Unterlassung der Veröffentlichung des Transparenzberichts aufgegeben werden sollte. Mit ihrer Zwischenentscheidung vom gleichen Tage verpflichtete die Kammer die Beklagten, bis zur Eilentscheidung des Gerichts die Veröffentlichung des Berichts vorläufig zu unterlassen. Über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat die Kammer aus prozessökonomischen Erwägungen bislang nicht abschließend entschieden.
6Zur Begründung der am 05. März 2012 erhobenen Unterlassungsklage trägt der Kläger vor, der Transparenzbericht sei rechtswidrig und verletze sein Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 des Grundgesetzes (GG). Der Transparenzbericht beruhe auf einer formell und materiell fehlerhaften Qualitätsprüfung und auf der Rechtswidrigkeit der Pflege-Transparenzvereinbarung ambulant (PTVA). Ein ordnungsgemäßer Prüfauftrag habe nicht vorgelegen. Die Stichprobengröße sei zu niedrig gewesen, wirksame Einverständniserklärungen der Pflegebedürftigen seien nicht eingeholt worden, die Qualitätsprüfung sei nicht im gebotenen Maße durch ein Prüfteam erfolgt und die Erläuterung der Bewertungssystematik sei fehlerhaft. Zudem seien zu einigen Bewertungsfragen die Feststellungen fehlerhaft erhoben worden.
7Der Kläger beantragt,
8die Beklagten zu verurteilen, die Veröffentlichung eines Transparenzberichts über den ambulanten Pflegedienst des Klägers aufgrund der MDK-Prüfung am 17. und 18. Oktober 2011 über die Internetportale der Beklagten oder in sonstiger Weise zu unterlassen.
9Die Beklagten beantragen,
10die Klage abzuweisen.
11Sie halten die Veröffentlichung des umstrittenen Transparenzberichts für rechtmäßig. Es sei zwar einzuräumen, dass es "weltweit keine validen Maßstäbe zur Bewertung der Pflegequalität" gebe. Insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität im Bereich der Pflege gebe es keine international anerkannten Indikatoren. Gleichwohl vertreten die Beklagten die Auffassung, die Vorgaben des Gesetzgebers, nach der bei der zu veröffentlichenden Darstellung insbesondere die Ergebnis- und Lebensqualität berücksichtigt werden sollte, seien in der PTVA ausreichend berücksichtigt worden. Bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Ermächtigungsnorm sei nämlich bekannt gewesen, dass es keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität der pflegerischen Versorgung gebe. Die Vereinbarung die PTVA diene jedoch der vom Gesetzgeber gewollten schnellen Verbesserung der Transparenz für Verbraucher, die Pflegeleistungen in Anspruch nehmen wollten. Hinzu komme, dass nach den von der zivilrechtlichen Rechtsprechung zu Waren- und Leistungstests entwickelten Grundsätzen die Veröffentlichung eines vergleichenden Tests zulässig sei, wenn die dem Bericht zugrunde liegenden Untersuchungen im Rahmen eines fairen Prüfungsverfahrens neutral, objektiv und sachkundig durchgeführt worden seien und sowohl die Art des Vorgehens bei der Prüfung als auch die aus den Untersuchungen gezogenen Schlüsse vertretbar erschienen. Für die Darstellung der Testergebnisse habe der Prüfer also einen erheblichen Ermessensfreiraum. Dieser nur sehr eingeschränkt justiziable Freiraum werde nur dann im Einzelfall in unzulässiger Weise überschritten, wenn eine Bewertung den Boden der Neutralität, der Objektivität und der Sachkunde verlasse, insbesondere bei offensichtlichen oder sogar bewussten Fehlurteilen, bewussten Verzerrungen, der Behauptung unwahrer Tatsachen, willkürlichem Vorgehen oder wenn Schmähkritik geübt werde.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakten, die Akten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens S 6 P 41/12 ER und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
13Entscheidungsgründe:
14Die als vorbeugende Unterlassungsklage in Form der Leistungsklage ohne Durchführung eines Vorverfahrens und Einhaltung einer Klagefrist gemäß § 54 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Klage ist zulässig. Sie ist auch begründet.
15Dem Kläger steht ein aus der Abwehrfunktion der Grundrechte abzuleitender öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch zu. Eine Veröffentlichung des Transparenzberichts würde das Grundrecht des Klägers auf Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG) verletzen.
16Nach der gesetzlichen Regelung (§ 115 Abs. 1 a Satz 1 SGB XI) stellen die Landesverbände der Pflegekassen sicher, dass die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei veröffentlicht werden. Hierbei sind die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen des MDK zugrunde zu legen (§ 115 Abs. 1 a Satz 2 1. Halbsatz SGB XI). Sie können durch in anderen Prüfverfahren gewonnene Informationen, die die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, darstellen, ergänzt werden (§ 115 Abs. 1 a Satz 2 2. Halbsatz SGB XI). Die Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik sind so § 115 Abs. 1 a Satz 6 SGB XI durch den Spitzenverband Bund der Pflegekassen, die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zu vereinbaren. Auf dieser Grundlage haben die Vertragsparteien am 29. Januar 2009 die PTVA geschlossen. Sie beinhaltet mit ihren Anlagen 1 bis 4 die Kriterien der Veröffentlichung, die Bewertungssystematik, die Ausfüllanleitung für die Prüfer und die Darstellung der Prüfergebnisse.
17In ständiger Rechtsprechung hat die erkennende Kammer (zuerst im Beschluss vom 18. Januar 2010, Az.: S 6 P 202/09 ER; im rechtskräftig gewordenen Urteil vom 20. August 2010, Az.: S 6 P 111/10, zuletzt im ebenfalls rechtskräftig gewordenen Urteil vom 24. Juni 2011, Az.: S 6 P 14/11) die Auffassung vertreten, dass die Veröffentlichung von Pflegenoten auf dem Boden der geltenden Pflegetransparenzvereinbarungen das Grundrecht der Einrichtungsträger auf Berufsausübungsfreiheit verletzt und die Verbraucher in die Irre führt. An dieser Rechtsprechung hält die Kammer auch in Kenntnis der Tatsache fest, dass nach einer Pressemitteilung das Landessozialgericht (LSG) NRW (Urteil vom 15. August 2012, Az.: L 10 P 137/11) vor wenigen Tagen erstmals in einem Hauptsacheverfahren entschieden hat, dass die "Veröffentlichung der Pflege-TÜV-Ergebnisse zulässig" sei. Mit der vom LSG NRW bereits in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vertretenen Auffassung (vgl. etwa LSG NRW, Beschluss vom 10. Mai 2010, Az.: L 10 P 10/10 B ER; Beschluss vom 15. November 2010, Az.: L 10 P 76/10 B ER) hat sich die Kammer in ihren Beschlüssen vom 26. Mai 2010 (Az.: S 6 P 35/10 ER) und 10. Dezember 2010 (Az.: S 6 P 138/10 ER) sowie in den genannten Urteilen eingehend auseinandergesetzt. Für die Kammer steht weiterhin fest: Die vom Gesetzgeber gestellten Anforderungen an die Veröffentlichung von Transparenzberichten werden allesamt nicht erfüllt. Weder geben diese Berichte verlässlich Auskunft über die Qualität der von den Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen, noch sind die im Internet veröffentlichten Berichte für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar.
18Nach Auffassung der Kammer dürfte der Unterlassungsanspruch des Klägers im Übrigen bereits deshalb begründet sein, weil die in § 115 Abs. 1 a Satz 6 SGB XI vorgesehene Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die demokratisch nicht legitimierten Vertragsparteien angesichts des Parlamentsvorbehalts und der Schranken des Art. 80 GG verfassungswidrig sein dürfte. Bei ihrer Auffassung stützt sich die Kammer wie bereits in ihren Urteilen vom 20. August 2010 (Az.: S 6 P 111/10) und vom 24. Juni 2011 (Az.: S 6 P 14/11) auf einige gerichtliche Entscheidungen in einstweiligen Rechtsschutzverfahren (etwa Sozialgericht (SG) München, Beschluss vom 13. Februar 2010, Az.: S 19 P 6/10 ER; SG Nürnberg, Beschluss vom 18. Februar 2010, Az.: S 9 P 16/10 ER und SG Frankfurt, Beschluss vom 23. März 2010, Az.: S 18 P 16/10 ER; anderer Ansicht z.B. Sächsisches LSG, Beschluss vom 24. Februar 2010, Az.: L 1 P 1/10 B ER und LSG NRW, Beschluss vom 10. Mai 2010, Az.: L 10 P 10/10 B ER). Auch in der Literatur (etwa Addicks, PflR 2011, 58 ff, und Brochnow, NJOZ 2011, 385 ff) wird die Übertragung der Regelungskompetenz auf die Vereinbarungspartner als verfassungswidrig angesehen. Zuletzt hat Martini, NZS 2012, 201 ff./247 ff., die Verfassungsmäßigkeit des § 115 Abs. 1 a SGB XI verneint. Die Übertragung normativer Regelungsmacht auf private Berufs- und Interessenverbände im grundrechtsrelevanten Bereich könne so das Fazit seiner eingehenden Darlegung nicht mit der Rechtfertigungsfigur der Selbstverwaltung begründet werden. Hinzu kommt, dass erhebliche Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der gesetzlichen Bestimmung auch deshalb bestehen, weil worauf Bachem, Sozialrecht Aktuell, 2010, 123/128, hingewiesen hat Verfahrensregelungen nicht einmal in den Grundzügen vom Gesetzgeber geregelt sind, sondern vollständig fehlen. Diese verfassungsrechtlichen Fragen können hier allerdings dahinstehen, weil die Entscheidung der Kammer nicht von der Verfassungsmäßigkeit des § 115 Abs. 1 a SGB XI abhängt. Denn die Klage hat schon aus anderen Gründen Erfolg. Eine Vorlage gemäß Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) konnte deshalb nicht in Betracht kommen.
19Die auf der Grundlage der PTVA erstellten Transparenzberichte erfüllen nämlich nicht die gesetzlichen Anforderungen, nach denen die von den Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar im Internet veröffentlicht werden sollen. Darüber hinaus entsprechen die Transparenzberichte etwa hinsichtlich der Berechnung der Gesamtnote schon nicht den Vorgaben der PTVA.
20Die PTVA in der bis heute nicht veränderten Fassung vom 29. Januar 2009 regelt in ihrem § 1 und in der Anlage 1 die Bewertungskriterien der Veröffentlichung in der ambulanten Pflege. Danach teilen sich 49 aufgelistete Kriterien in die Qualitätsbereiche "Pflegerische Leistungen", "Ärztlich verordnete pflegerische Leistungen", "Dienstleistung und Organisation" und "Befragung der Kunden" auf. Die Auswahl der in die Prüfungen einbezogenen pflegebedürftigen Menschen wird in § 2 geregelt. Danach werden nach dem Zufallsprinzip 10 v.H., jedoch mindestens fünf und höchstens 15 pflegebedürftige Menschen mit Sachleistungsbezug in die Prüfung einbezogen. § 3 und die Anlage 2 regeln die "Bewertungssystematik für die Kriterien". Sie sieht vor, dass bei den neun einrichtungsbezogenen Kriterien (Nr. 29 bis 37) nur eine dichotome (erfüllt / nicht erfüllt) Bewertung vorgenommen wird und nur die Skalenwerte 10 oder 0 vergeben werden. Aber auch bei den kundenbezogenen Kriterien erfolgt die Bewertung über dichotome Bewertungen des einzelnen in die Prüfung einbezogenen Kunden. Dies bedeutet, dass so das Beispiel der PTVA wenn ein bestimmtes Kriterium bei acht von zehn einbezogenen Kunden erfüllt ist, der Skalenwert 8 vergeben wird. Die Bewertungssystematik regelt ferner, dass die Skalenwerte sodann nach einer im Anhang der Anlage 2 der PTVA dargestellten Tabelle in Schulnoten "mit einer Stelle nach dem Komma" umgerechnet werden. Die nicht arithmetische Zuordnung dieser Tabelle sieht etwa für die Skalenwerte von 8,7 10 die Note "sehr gut" und für die Skalenwerte von 0 4,49 die Note "mangelhaft" vor. Zur Verdeutlichung: Diese Systematik führt dazu, dass die Noten bei den neun einrichtungsbezogenen Kriterien entweder "sehr gut" (1,0) oder nur "mangelhaft (5,0) lauten. Bei kundenbezogenen Kriterien, bei denen z.B. nur zwei Pflegebedürftige einbezogen worden sind, können nur die Noten "sehr gut" (1,0), die Note "mangelhaft" (5,0) oder die Note "ausreichend" (4,1) vergeben werden. Unter 2.2 der Anlage 2 der PTVA ist bestimmt, dass für jeden der vier Qualitätsbereiche als Bereichsbewertung "das arithmetische Mittel der Bewertungen der einzelnen Kriterien des jeweiligen Qualitätsbereichs" ausgewiesen wird. Als Gesamtbewertung wird so die Regelung in 2.3 "das arithmetische Mittel der Bewertungen der Kriterien 1 bis 37" ausgewiesen. In der Anlage 3 zu den PTVA ist die "Ausfüllanleitung für die Prüfer" niedergelegt. Sie beschreibt, wann ein Kriterium durch den Prüfer als erfüllt oder nicht erfüllt zu bewerten ist. In der weiteren Anlage 4 wird das Verfahren der Veröffentlichung und die Darstellung der Prüfergebnisse im Internet geregelt. Hier ist z.B. bestimmt, dass der ambulante Pflegedienst dem Transparenzbericht einen Kommentar mit einem maximalen Umfang von "3.000 Zeichen inklusive Leerzeichen" beifügen kann. Schließlich ist in der Anlage 4 bestimmt, dass die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen auf zwei Darstellungsebenen entsprechend der "verbindlichen Muster 1 und 2" dargestellt werden.
21Die nach diesem hier zusammenfassend skizzierten Regelungswerk erstellten Transparenzberichte können nicht rechtmäßig sein.
22Zunächst ist hervorzuheben, dass entgegen der Auffassung der Beklagten bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung nicht großzügige Prüfungsmaßstäbe angelegt werden können. Zwar können sich die Beklagten insoweit bei ihrer Ansicht auf Beschlüsse einiger Landessozialgerichte berufen (Sächsisches LSG, Beschluss vom 24. März 2010, Az.: L 1 P 1/10 B ER; Bayerisches LSG, Beschluss vom 30. März 2010, Az.: L 2 P 7/10 BE ER; LSG NRW, Beschluss vom 10. Mai 2010 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 31. Mai 2010 und des auf Anhörungsrüge ergänzenden Beschlusses vom 22. Juni 2010, Az.: L 10 P 10/10 B ER und L 10 P 59/10 BER RG). Eine gerichtliche Überprüfung der Transparenzberichte habe sich so diese Gerichte mit ähnlichen Formulierungen darauf zu beschränken, ob ein faires, neutrales, objektives und sachkundiges Prüfverfahren angewandt werde. Nur offensichtliche und besonders schwerwiegende formelle oder inhaltliche Mängel wie etwa bewusste Verzerrungen oder eine Schmähkritik könnten beanstandet werden.
23Der Prüfungsmaßstab der genannten Landessozialgerichte folgt der zivilrechtlichen Rechtsprechung, die zur Beurteilung von Leistungs- und Warentests entwickelt worden ist. Diesen Maßstab auf die hier zu prüfende Frage der Rechtmäßigkeit von Transparenzberichten zu übertragen, ist jedoch rechtsdogmatisch verfehlt.
24Wenn der ADAC Parkhäuser testet, die Stiftung Warentest Staubsauger bewertet oder die Zeitschrift FOCUS Politiker benotet, unterliegen diese Testberichte und Veröffentlichungen nämlich gänzlich anderen rechtlichen Bindungen als hoheitliche, quasi staatliche Benotungen, wie sie im Falle der Veröffentlichung von Transparenzberichten durch die Landesverbände der Pflegekassen gemäß § 115 SGB XI gegeben sind. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 9. Dezember 1975 (Az.: VI ZR 157/73) zur Haftung der Stiftung Warentest für wertende Äußerungen im Rahmen vergleichender Warentests ausdrücklich nur im Hinblick auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG den Beurteilenden einen weiten Freiraum eingeräumt. Deshalb sei eine Testveröffentlichung nicht schon dann unzulässig, wenn sie nur "falsch" oder nicht "sachgerecht" sei (BGH a.a.O., Juris, Rdnr. 24, 25). Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Recht der freien Meinungsäußerung müsse so der BGH auch für die Beurteilung der Veröffentlichung von Wertungen in vergleichenden Warentests Rechnung getragen werden. Wegen des Grundrechts aus Art. 5 GG seien die Grenzen zulässiger Kritik sehr weit gezogen. Deshalb sah der BGH (u.a.) erst bei einer "Schmähkritik" oder bei Bewertungen, die "undiskutabel" seien, die Grenze der zulässigen Bewertung erreicht.
25Dieser sehr weite Prüfungsmaßstab kann hier jedoch nicht gelten, weil sich die hoheitlich handelnden Beklagten auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht berufen können. Auch eine nur "entsprechende Anwendung" von Art. 5 GG wäre dogmatisch abwegig (vgl. Bachem, Sozialrecht Aktuell, 2010, 123, 132). Die Beklagten genießen keinen Grundrechtsschutz, sie sind vielmehr verpflichtet, das Grundrecht des Klägers auf Berufsausübungsfreiheit nicht zu verletzen (Art. 1 Abs. 3 GG).
26Demgegenüber ist die Kammer der Auffassung, dass angesichts der Grundrechtsbetroffenheit bei marktsteuernden Veröffentlichungen, aber auch angesichts der dabei bestehenden öffentlichen Interessen an einer zuverlässigen Information keine großzügigen Maßstäbe bei der Prüfung der veröffentlichten Bewertungen angelegt werden dürfen (so auch LSG Berlin/Brandenburg, Beschluss vom 29. März 2010, Az.: L 27 P 14/10 B ER). An hoheitliche Informationsakte sind grundsätzlich die gleichen Anforderungen an das Maß der Sachverhaltsaufklärung und die Richtigkeit zu stellen wie bei regulativen staatlichen Eingriffen. Insoweit verweist die Kammer auf Aufsätze des früheren Richters am BVerfG Di Fabio (Grundrechte im präzeptoralen Staat am Beispiel hoheitlicher Informationstätigkeit, JZ 1993, 689 ff., und Information als hoheitliches Gestaltungsmittel, JuS 1997, 1 ff.) der überzeugend vor dem "unbesorgten grundrechtlichen Umgang mit staatlicher Informationstätigkeit" warnt. Auch dem sogenannten Glykol-Beschluss des BVerfG vom 26. Juni 2002 (BVerfGE 105, 252 ff.) ist zu entnehmen, dass die Anlegung eines strengen Maßstabs an die inhaltliche Richtigkeit der zur Veröffentlichung anstehenden Bewertungen geboten ist. In dieser Entscheidung hat das BVerfG zum Problem der Verbreitung marktbezogener Informationen des Staates um das es auch vorliegend geht dargelegt, dass die Veröffentlichung solcher Informationen den grundrechtlichen Gewährleistungsanspruch von betroffenen Wettbewerbern aus Art. 12 GG nur dann nicht beeinträchtigt, wenn bei Vorliegen einer staatlichen Aufgabe insbesondere die Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit der Information beachtet würden. Blieben so das BVerfG selbst nach sorgsamer Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen des Möglichen Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht, könnte eine Verbreitung der unsicheren Information nur zulässig sein, wenn sie im öffentlichen Interesse läge und außerdem die Marktteilnehmer auf die verbliebenen Unsicherheiten hingewiesen würden (BVerfG, a.a.O, S. 272). Bei ihrer Auffassung kann sich die Kammer auch auf aktuelle Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 09. Januar 2012 (Az.: 12 CE 11.2007 und 12 CE 11.2685) stützen, mit denen die Veröffentlichung von Prüfberichten der Heimaufsicht nach dem Bayerischen Pflege- und Wohnqualitätsgesetz unterbunden wurde. Das Gericht hat in diesen Entscheidungen betont, dass die Veröffentlichung eines Prüfberichts als Akt staatlicher Lenkung des Wirtschafts- und Gesundheitswesens in die freie unternehmerische Betätigung der Einrichtungsträger eingreife und wegen ihrer objektiv berufsregelnden Tendenz gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Befugnisnorm bedürfe. Die Unverbrüchlichkeit rechtsstaatlicher Fundamentalprinzipien verlange ein Festhalten an dem Dogma, dass der Schluss von der Aufgabenzuweisung auf die Eingriffsbefugnis einer Behörde unzulässig sei. Unter Hinweis auf Schoch (NVwZ 2011, 193/196) hat das Gericht hervorgehoben, dass ein Informationshandeln unter Inanspruchnahme staatlicher Autorität etwas anderes sei als die Kommunikation unter "Freien und Gleichen" im gesellschaftlichen Raum.
27Diesen hier anzuwendenden strengen Maßstäben können die auf der Grundlage der PTVA erstellten Tansparenzberichte nicht genügen. Die Beurteilungskriterien der PTVA sind nämlich nicht geeignet, die von den ambulanten Pflegediensten erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere wie das Gesetz es ausdrücklich verlangt hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität zu beurteilen. Die Systematik der Bewertung ist verfehlt. Die Ermittlung der Pflegenoten ist für den Leser nicht nachvollziehbar. Die ausgewiesenen Gesamtnoten sind rechnerisch falsch. Eine übersichtliche und vergleichbare Darstellung der Pflegequalität ist nicht gegeben. Die Kammer stellt erneut fest: Die Transparenzberichte führen den Verbraucher nähme er sie noch ernst in die Irre.
28Dass bei der Veröffentlichung der Transparenzberichte die Qualität der Pflege "insbesondere" hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität dargestellt werden soll, hat der Gesetzgeber in Satz 1 und 2 des § 115 Abs. 1a SGB XI zweimal betont. Diese Qualitätsebene ist aber auch in der gesetzlichen Regelung des § 114 SGB XI über die Qualitätsprüfungen hervorgehoben. Die Regelprüfung erfasst so § 114 Abs. 2 Satz 3 SGB XI insbesondere wesentliche Aspekte des Pflegezustandes und die Wirksamkeit der Pflege- und Betreuungsmaßnahmen (Ergebnisqualität). Sie kann so Satz 4 dieser Bestimmung auch auf den Ablauf, die Durchführung und die Evaluation der Leistungserbringung (Prozessqualität) sowie die unmittelbaren Rahmenbedingungen der Leistungserbringung (Strukturqualität) erstreckt werden. Zuverlässige Aussagen über die vom Gesetzgeber in den Vordergrund gerückte Ergebnis- und Lebensqualität können die Transparenzberichte der PTVS und der PTVA nicht machen. Ihre Bewertungskriterien betreffen ganz überwiegend nur die Prozessqualität. Die Pflegenoten beurteilen nicht das erreichte Ergebnis der pflegerischen Bemühungen, sondern bewerten im Wesentlichen nur die Qualität der Dokumentation.
29Bei ihrer Auffassung, dass die auf dem Boden der aktuellen Prüfkriterien erstellten Transparenzberichte nicht den gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität genügen, hat sich die Kammer in ihren Entscheidungen stets auch auf das in den Vorworten der Transparenzvereinbarungen niedergelegte Eingeständnis gestützt, wonach die Vertragsparteien die Vereinbarung in dem Wissen geschlossen hätten, dass es "derzeit keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität der pflegerischen Versorgung in Deutschland" gebe. Deshalb sei die Vereinbarung als vorläufig zu betrachten. Es bestehe Einvernehmen, diese Vereinbarung anzupassen, sobald "pflegewissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität" vorlägen.
30In der im Auftrag der Vereinbarungspartner erstellten "Wissenschaftlichen Evaluation zur Beurteilung der Pflege-Transparenzvereinbarung für den ambulanten (PTVA) und stationären (PTVS) Bereich" der Professorinnen Hasseler und Wolf-Ostermann vom 21. Juli 2010 wird aufgezeigt, dass nicht viel anders als für den stationären Bereich, bei dem immerhin zwei Kriterien als Kriterien der Ergebnisqualität identifiziert werden konnten für den hier streitigen ambulanten Bereich in keinem (!) der Qualitätsbereiche Kriterien der Ergebnisqualität oder der Lebensqualität gefunden werden konnten (vgl. S. 85 der Studie).
31Die insoweit bestehende Unzulänglichkeit der Pflegenoten mag an einem typischen Beispiel veranschaulicht werden. Bei dem Transparenzkriterium Nr. 16 "Werden die Angehörigen über den Umgang mit demenzkranken Pflegebedürftigten (sic!) im Rahmen der Leistungserbringung informiert?" hat die Einrichtung die Note "mangelhaft" (5,0) erhalten. Grundlage dieser Bewertung sind die Feststellungen des MDK bei drei in die Prüfung einbezogenen Kunden, dass "aus der Pflegedokumentation nicht erkennbar" sei, "dass Angehörige Tipps und Hinweise zum Umgang mit vorliegender Demenz erhalten" hätten. Inwieweit die Mitarbeiter der Pflegeeinrichtung die Angehörigen tatsächlich auf diese Weise unterstützen, ist allerdings nicht Gegenstand der Prüfung. Die entsprechende Ausfüllanleitung für die Prüfer verlangt nämlich "Nachweise anhand von Pflegedokumentation". Da nutzt es der Pflegeeinrichtung auch nichts, dass alle elf in die Befragung einbezogenen Kunden im Rahmen des Transparenzkriteriums Nr. 45 "Geben die Mitarbeiter Ihnen Tipps und Hinweise (Informationen) zur Pflege?" diese Frage bejaht haben und der Einrichtung hier ein "sehr gut" (1,0) eingebracht haben.
32Bei einem Teil der Kriterien ist schon für den Leser erkennbar, dass nur auf die Dokumentation abgestellt wird, etwa bei dem Kriterium Nr. 28: "Ist aus der Pflegedokumentation ersichtlich, dass ein Erstgespräch geführt wurde?". Bei anderen Kriterien ist das nicht der Fall. So muss der nicht aufgeklärte Leser bei dem Kriterium Nr. 1: "Werden die individuellen Wünsche zur Körperpflege im Rahmen der vereinbarten Leistungserbringung berücksichtigt?" bei einer schlechten Note fürchten, die Mitarbeiter des Pflegedienstes würden ihre Kunden pflegen, ohne etwa Rücksicht auf Wünsche bei der Auswahl der Kleidung oder auf Wünsche zur Wassertemperatur beim Baden zu nehmen. Der Verbraucher kann nicht wissen, dass nur dann eine positive Bewertung erfolgen kann, wenn wie es in der Ausfüllanleitung heißt "in der Pflegedokumentation die auf die Maßnahmen der Körperpflege bezogenen Wünsche nachvollziehbar dokumentiert" worden sind.
33In seinem Aufsatz "Verfahrensrechtliche Anforderungen an die Pflegequalitätsberichterstattung nach § 115 Abs. 1 a SGB XI" (KrV 2012, 14/17 f) hat Schütze die Frage aufgeworfen, ob die Pflegequalitätsberichterstattung nicht auch noch dann als rechtmäßig angesehen werden könne, wenn sie hinter dem gesetzlichen Auftrag die Berichte insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität zu erstatten derzeit noch zurückbleibe. Schütze erwägt, ob die betroffenen Pflegeeinrichtungen jedenfalls für eine Übergangszeit auch Mängel der Berichterstattung hinzunehmen hätten, "solange die in Frage stehende Bewertung mindestens insgesamt als vertretbar anzusehen" sei. Diese Frage ist zu verneinen. Wenn die Veröffentlichungspraxis von ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit abgesehen schon die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt, führt dies zwingend zu ihrer Rechtswidrigkeit. Daran kann auch der Umstand nichts ändern, dass der Gesetzgeber mit der mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom 28. Mai 2008 eingeführten Vorschrift des § 115 Abs. 1 a SGB XI gesetzliche Prüfmaßstäbe verankert hat, von denen er wusste, oder zumindest hätte wissen müssen, dass Qualitätsberichte diesen Anforderungen gar nicht gerecht werden könnten. Denn Berichte, die keine Aussagen über die Qualitätsebene der Ergebnis- und Lebensqualität machen können, sondern lediglich die Qualität der Dokumentation beurteilen, haben für die Verbraucher keinen Wert. Der Verbraucher hat ein Interesse zu erfahren, mit welcher Qualität die Bewohner der Pflegeheime und die Kunden der ambulanten Einrichtungen gepflegt werden, nicht daran, wie umfassend die Dokumentation gepflegt wird. Die Pflegequalitätsberichterstattung kann sich deshalb nicht damit begnügen, nur Angaben zur Prozessqualität zu machen. Wenn ein Lehrer entgegen entsprechenden pädagogischen Vorgaben die inhaltliche Qualität eines Deutschaufsatzes nicht beurteilen kann, weil er fachlich hierzu nicht in der Lage ist, kann er schlechterdings nicht dazu übergehen, die Aufsätze lediglich nach dem Schriftbild zu benoten. Was im schulischen Leben hoffentlich nicht vorkommt, geschieht allerdings durch die seit einigen Jahren veröffentlichten Pflegenoten. Ein Schüler wird bei entsprechender Benotungspraxis sein Schriftbild zunehmend verbessern und den Inhalt seines Aufsatzes vernachlässigen. Die Pflegeeinrichtungen werden genötigt, auf Kosten ihrer eigentlichen Aufgabe noch mehr in die Dokumentation zu investieren. Hierdurch verbessert sich zwar nicht die Pflege, aber im Ergebnis die Note im Transparenzbericht. Der Heimleiter Graber-Dünow beklagt in der Zeitschrift für Gesundheitsberufe "Dr. med. Mabuse" 2011, 50 ff., dass das Instrument der Pflegenoten durch seine Fixierung auf die Verschriftlichung aller Pflegehandlungen vor allem zu einem weiteren Anstieg der Bürokratie führe. Dies binde personelle und zeitliche Ressourcen, was erhebliche negative Auswirkungen auf die Pflege- und Betreuungsqualität habe. Letztlich führe das bestehende Notensystem "zu einer Verschlechterung der Pflegequalität". Da die Pflegenoten mithin keine Aussagen über die Pflegequalität machen können, ist auch die von Schütze aufgestellte Prämisse einer "insgesamt vertretbaren Bewertung" nicht erfüllt, denn sobald die Benotungskriterien hinter einer qualitativen Bewertung der pflegerischen Leistungen zurückbleiben und sich im wesentlichen nur auf angebliche Dokumentationsdefizite beschränken, führen sie zu einer Täuschung der Verbraucher.
34Bei diesen Erwägungen sollte auch nicht außer Acht gelassen werden, dass inzwischen der betriebene Aufwand bei der Pflegedokumentation immens ist. Nach einem Pressebericht ist kürzlich vom Statistischen Bundesamt im Rahmen des Projekts "Bürokratiekosten-Messung im Gesundheitswesen" ermittelt worden, dass allein bei der Pflegedokumentation von den Versicherten, den Leistungserbringern und den Kassenverwaltungen jährlich ein Erfüllungsaufwand von insgesamt 2,7 Milliarden Euro erbracht werde. Etwa "68.000 Mitarbeiter in Pflegeeinrichtungen" seien mit nichts anderem als der Dokumentation beschäftigt.
35Die Transparenzberichte sind aber nicht nur deshalb rechtswidrig, weil die Beurteilungskriterien nicht dem Gesetz (§ 115 Abs. 1 a SGB XI) entsprechen. Der Unterlassungsanspruch des Klägers ist auch deshalb begründet, weil die Bewertungssystematik der PTVA misslungen ist.
36In der "Wissenschaftlichen Evaluation" vom 21. Juli 2010 kommen die Autorinnen zu dem Ergebnis, dass die Bewertungssystematik und die darauf aufbauende Notenbildung theoretisch-methodisch als "äußerst problematisch" zu bewerten sei (S. 202). Die dichotome Beurteilung der Einzelkriterien und die für die Zuordnung einer Note gebildeten unterschiedlich breiten Intervallbereiche führten zu einem unzulässigen Mittelwert. Wörtlich heißt es in der Studie: "Aufgrund der beschriebenen Schwächen bei der Berechnung von Bereichs- und Gesamtnoten ist eine genaue inhaltliche Interpretation dieser Noten auf der Basis der gewählten Methodik nicht mehr nachvollziehbar" (S. 204).
37Der Kern der Methodenkritik, die auch vom SG Oldenburg (Urteil vom 17. Januar 2011, Az.: S 9 P 64/10) geteilt wird, wird anschaulich, wenn man die Bewertungen der einrichtungsbezogenen Kriterien (Nr. 29 37) betrachtet. Die vergebenen Noten können nur "sehr gut" (1,0) oder "mangelhaft" (5,0) sein. Eine differenzierende Bewertung mit anderen Noten ist ausgeschlossen. Eine dichotome Bewertung (erfüllt oder nicht erfüllt) könnte zwar grundsätzlich zulässig sein. Wenn man sich jedoch für eine Bewertungssystematik nach Schulnoten entschieden hat, die wie es in der dem Transparenzbericht angefügten "Erläuterung zum Bewertungssystem" heißt "jeder aus seiner eigenen Erfahrung" kennt, kann eine undifferenzierte Wertung nur mit der besten Note "sehr gut" oder der schlechtesten Note "mangelhaft" nicht mehr zulässig sein. Dies liegt nach Ansicht der Kammer auf der Hand.
38Nicht ganz so offensichtlich ist die Tatsache, dass der umstrittene Transparenzbericht ferner auch deshalb rechtswidrig ist, weil er für die einzelnen Qualitätsbereiche und für das Gesamtergebnis rechnerisch unzutreffende Noten ausweist. Nach dem Ergebnis des Prüfberichts und den Vorgaben der PTVA hätte der Pflegedienst des Klägers nämlich etwa für den Bereich "Pflegerische Leistungen" nicht wie der vorläufige Transparenzbericht angibt die Note "ausreichend" (3,8), sondern die Note "befriedigend" (2,9) erhalten müssen. Das Gesamtergebnis lautet nach der Berechnung der Kammer - richtig 2,1 nicht 2,3.
39Für die Berechnung der Bereichsbewertung wie für die Gesamtbewertung ist nach der Anlage 2 der PTVA (2.2 und 2.3) "das arithmetische Mittel der Bewertungen" der einzelnen Kriterien des jeweiligen Qualitätsbereichs bzw. (für das Gesamtergebnis) das Mittel der Bewertungen der Kriterien 1 - 37 auszuweisen.
40Die Formulierung "arithmetisches Mittel der Bewertungen" ist nicht eindeutig. Sie lässt offen, ob bei der Durchschnittsbewertung auf die ermittelten Einzelnoten (bei den einrichtungsbezogenen Kriterien also auf die Noten 1,0 oder 5,0) oder auf die diesen Noten zugrunde liegenden Skalenwerte (10 oder 0) zurückzugreifen ist. Diese Frage ist nicht unerheblich, weil wegen der in der Anlage 2 der PTVA (2.1) festgelegten nicht arithmetischen Zuordnung der Skalenwerte zu den Schulnoten die genannten Berechnungswege zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die veröffentlichten Transparenzberichte gehen bei den Gesamtnoten rechnerisch von den Skalenwerten aus. Dies führt dazu, dass für einen Qualitätsbereich, bei dem beispielsweise für vier Kriterien die Note 1,0 und bei vier weiteren Kriterien die Note 5,0 vergeben worden ist, nicht wie jeder mit den Grundregeln der Arithmetik vertraute Leser es erwarten würde die Durchschnittsnote 3,0 ("befriedigend") angegeben, sondern die Gesamtbewertung 4,1 ("ausreichend") bescheinigt wird. Weil aber die Leser der Transparenzberichte die tatsächlich durchgeführte Berechnungsweise nicht erkennen können, die Veröffentlichung der Qualitätsberichte nach dem Gesetz für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen aber "verständlich" und "übersichtlich" sein muss, kann eine Ermittlung des Gesamtergebnisses, die nicht das arithmetische Mittel dieser einzelnen Noten ergibt, obwohl es durch die Platzierung unter einem "Schlussstrich" auch optisch den Eindruck erweckt, es sei aus den Einzelnoten abgeleitet, keinesfalls zulässig sein. Bereits in ihrem Beschluss vom 26. Mai 2010 (Az.: S 6 P 35/10 ER) hat die Kammer anknüpfend an einen Beschluss des SG Magdeburg (Beschluss vom 15. April 2010, Az.: S 5 P 19/10 ER) die Auffassung vertreten, dass bereits allein die Intransparenz der Notenbildung die Rechtswidrigkeit der "Transparenzberichte" begründe. Inzwischen hat auch das LSG Niedersachsen-Bremen in seinem Beschluss vom 12. August 2011 (Az.: L 15 P 2/11 B ER) eingehend dargelegt, dass die praktizierte Berechnungsweise nicht den Vorgaben der PTVA entspreche. Zutreffend hat dieses Gericht auch darauf hingewiesen, dass es ein weiteres Argument für die Annahme gibt, dass selbst nach den Vorgaben der PTVA bei der Ermittlung des Gesamtergebnisses die Einzelnoten und nicht die ihnen zugrunde liegenden Skalenwerte maßgebend sind. Denn in dem in den PTVA ausdrücklich als "verbindlich" (Anlage 4 S. 1) bezeichneten "Muster 2" ("2.Darstellungsebene") ist das Bewertungsergebnis für einen Qualitätsbereich ebenfalls aus dem arithmetischen Mittel der Einzelnoten nicht aus Skalenwerten ermittelt worden.
41Im "verbindlichen Muster" hat das Kriterium Nr. 23 die Note 2,2, das Kriterium Nr. 25 die Note 2,4 und das Kriterium Nr. 26 die Note 2,6 erhalten. Diese Benotungen erwecken den Eindruck, als ob bei den einzelnen Kriterien fein ausgewogene Bewertungen möglich seien. Das Gegenteil ist allerdings der Fall. Bei den erwähnten Kriterien Nr. 23 und 26 wurden im verbindlichen Muster ausgehend von jeweils einem (!) in die Prüfung einbezogenen Kunden die Noten 2,2 (entspricht "gut") und 2,6 (entspricht "befriedigend") angegeben, obwohl nach der (dichotomen) Bewertungssystematik der PTVA einrichtungsbezogene Kriterien sowie Bewertungen, die auf der Prüfung bei nur einem Kunden beruhen, nur (!) entweder mit "sehr gut" oder "mangelhaft" bewertet werden können. Die im Muster 2 auf der Grundlage einer Prüfung von zwei Kunden bei dem Kriterium Nr. 25 ausgewiesene Note 2,4 kann gar nicht in Betracht kommen. Bei der Prüfung von zwei Pflegebedürftigen ist nämlich ein Kriterium entweder bei keinem (Skalenwert 0), bei einem (Skalenwert 10) oder bei beiden (Skalenwert 20) erfüllt. Hier können unter Berücksichtigung der tabellarischen Notenzuordnung der Bewertungssystematik nur die Noten 5,0 ("mangelhaft"), 4,1 ("ausreichend") oder 1,0 ("sehr gut") vergeben werden. Haben schon die Verfasser der PTVA die abstrusen Konsequenzen ihres eigenen recht offenkundig unausgegorenen Regelungswerks nicht verstanden?
42Die nach dem PTVA mögliche Bewertung auf der Grundlage einer Prüfung bei einer nur geringen Zahl von Pflegebedürftigen stellt im Übrigen einen eigenen, weiteren Umstand dar, der die Rechtswidrigkeit der Transparenzberichte begründet. Schon wegen einer unzureichenden Stichprobengröße sind tragfähige Ergebnisse ausgeschlossen und Zufallsergebnisse vorprogrammiert. In ihrer "Wissenschaftlichen Evaluation" haben Hasseler und Wolf-Ostermann deshalb im Rahmen ihrer eingehenden Methodenkritik empfohlen, unter Beibehaltung der grundsätzlichen Stichprobengröße von 10 % aller Kunden (bzw. Bewohner) die zusätzliche Einschränkung zu machen, dass nicht "mindestens fünf" (so die PTVA und die PTVS), sondern mindestens zehn Kunden in die Prüfung einbezogen werden (S. 285 der Studie). Bei der Bewertung eines einzelnen Kriteriums sei die Einbeziehung von mindestens fünf Fällen die für eine sinnvolle Bewertung notwendige Untergrenze (S. 283 der Studie).
43Gestützt auf diese Empfehlung der Wissenschaftlerinnen hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt im Beschluss vom 08. Juli 2011 (Az.: L 4 P 44/10 B ER) die Auffassung vertreten, die Regelung des § 2 Satz 2 PTVA sei "verfassungskonform dahingehend einschränkend auszulegen und anzuwenden", dass insgesamt nicht mindestens fünf, sondern mindestens zehn pflegebedürftige Menschen in die Prüfung einzubeziehen seien. Dieser Rechtsprechung ist das LSG NRW im Beschluss vom 02. Mai 2012, Az.: L 10 P 5/12 B ER) auch mit der Begründung, die PTVA sei im Wege einer verfassungskonformen Auslegung zu korrigieren gefolgt und hat im Wege einer einstweiligen Anordnung die Veröffentlichung eines Transparenzberichts untersagt, bei dem der zugrunde liegende Prüfbericht nur fünf pflegebedürftige Menschen einbezogen hatte. Der Auffassung, die Bestimmung in der PTVA ("mindestens 5") könne im Wege einer verfassungskonformen Auslegung in "mindestens 10" korrigiert werden, kann die Kammer aus rechtsdogmatischen Gründen zwar schon deshalb nicht zustimmen, weil auch eine "verfassungskonforme" Auslegung die Grenze des noch möglichen Wortsinns einer Regelung nicht überschreiten darf (vgl. Larenz, Methodenlehre, 5. Auflage, S. 326). Richtig hingegen ist die Feststellung, dass eine zu kleine Stichprobengröße zu nicht tragfähigen Ergebnissen führt, so dass allein deshalb die Rechtswidrigkeit des Transparenzberichts anzunehmen ist. Das LSG Sachen-Anhalt und das LSG NRW haben sich in ihren Beschlüssen darauf beschränkt, nur für die Gesamtzahl der in die Prüfung einbezogenen Pflegebedürftigen eine größere Stichprobe zu fordern. Konsequent wäre es aber, entsprechend den Empfehlungen der Wissenschaftlerinnen auch für die Beurteilung eines einzelnen Kriteriums die für eine sinnvolle Bewertung erforderliche Mindestanzahl von fünf Fällen zu verlangen. Wegen der Vielzahl der verschiedenen ärztlich verordneten pflegerischen Leistungen, die durch die PTVA erfasst werden, treffen nämlich stets (!) einige dieser Kriterien nur bei sehr wenigen Pflegebedürftigen zu. So betreffen z.B. die Kriterien Nr. 20, 22 und 26 (bei denen es um die Frage der Dokumentation bei der Blutdruckmessung, der Blutzuckermessung und der Katheterisierung der Harnblase geht) im vorliegenden Fall jeweils nur einen Kunden, obwohl die Einrichtung des Klägers insgesamt 258 Personen versorgt. Es leuchtet ein, dass bei einer derartigen Prüfung von vornherein keine verlässlichen Aussagen zur tatsächlichen Pflege gemacht, sondern nur Zufallsergebnisse mitgeteilt werden können.
44In ihrem Urteil vom 24. Juni 2011 (Az.: S 6 P 14/11) hat die Kammer die Rechtswidrigkeit der Transparenzberichtserstattung des weiteren auch damit begründet, dass entgegen den datenschutzrechtlichen Bestimmungen des SGB I und des § 67 b Abs. 2 SGB X wirksame Einverständniserklärungen der Pflegebedürftigen (bzw. ihrer Vertreter) vor ihrer nach § 114 a Abs. 3 S. 2 SGB XI freiwilligen Inaugenscheinnahme und vor Auswertung personenbezogener Daten nicht eingeholt worden seien. Der Verzicht auf die Einholung der gesetzlich gebotenen schriftlichen Einverständniserklärungen führe zu einer Verletzung des grundrechtlich geschützten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Heimbewohner (bzw. der Kunden der ambulanten Pflegedienste). Auf die nähere Begründung in diesem Urteil nimmt die Kammer Bezug. Das LSG NRW hat im Beschluss vom 23. April 2012 (Az.: L 10 P 111/11 B ER) dieser Argumentation entgegengesetzt, die Vorschrift über die Freiwilligkeit bei der Mitwirkung bei den Qualitätsprüfungen sei eine Schutzvorschrift zu Gunsten der Pflegebedürftigen, nicht der Pflegeheime. Wenn die Pflegeeinrichtungen die Interessen der ihr anvertrauten Pflegebedürftigen nicht im Auge hätten und sich selbst an die datenschutzrechtlichen Vorgaben nicht gehalten hätten, indem sie ohne schriftliche Einwilligung der Pflegebedürftigen dem MDK Einsicht in die Dokumentationen gegeben hätten, würden die Einrichtungen sich widersprüchlich verhalten, wenn sie dies jetzt rügten. Diese Ansicht des LSG NRW teilt die Kammer unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 05. Februar 2008 (Az.: B 2 U 8/07 R) nicht. Das BSG hat in dieser Entscheidung nämlich überzeugend dargelegt, dass bei einem Verstoß gegen das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen sei.
45Der Soziologe Reimer Gronemeyer hat in einem Vortrag auf einem Symposium zum Thema Pflegequalität im Januar 2012 das System der gegenwärtigen Pflegenoten als eine "Anleitung zum Bau Potemkinscher Dörfer" bezeichnet. Die Kammer hält diesen bildhaften Vergleich für treffend. Die Potemkinschen Dörfer sind inzwischen errichtet. Nach der aktuellen Statistik der DatenClearingStelle (DCS) Pflege Stand 06. August 2012 liegt der Notendurchschnitt für ambulante Pflegedienste bundesweit bei 1,5. Für die stationären Einrichtungen wird als Bundesdurchschnitt inzwischen die Note 1,2 angegeben. Die Befragung der Bewohner von Pflegeheimen ergibt aktuell die Note 1,1. Der Bundesdurchschnitt bei der Befragung der Kunden von ambulanten Pflegediensten beträgt 1,0. Da der Trend zu besseren Noten seit Beginn der Erhebungen im März 2010 bislang ungebrochen ist, ist zu erwarten, dass beispielsweise die stationären Pflegeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen Durchschnittsnote aktuell "nur" 1,2 bald auch wie bereits heute in den Bundesländern Baden-Württemberg, Brandenburg und Sachsen die Durchschnittsnote 1,1 erreichen werden. In den jedem Transparenzbericht beigefügten "Erläuterungen zum Bewertungssystem" heißt es: "Noten kennt jeder aus seiner eigenen Erfahrung. Jeder weiß, was eine Eins oder eine Fünf bedeutet". Weil das so ist, weiß aber auch jeder, dass bei einem Bewertungssystem, das zu Durchschnittsnoten von 1,2 oder 1,5 führt, von einer auch nur annähernd realistischen Bewertung keine Rede mehr sein kann. Der "Pflege-TÜV" hat sich inzwischen selbst ad absurdum geführt.
46Auch nach den Feststellungen von Dürschke/Brembeck ("Der Pflege-TÜV auf dem Prüfstand", 2012, S. 62), die auf Erfahrungen aus der Prüfpraxis in Bayern beruhen, haben die veröffentlichten Transparenzberichte für die Klienten und pflegenden Angehörigen tatsächlich keine Bedeutung. Gründe für eine Entscheidung für einen Pflegedienst seien Erfahrungsberichte aus dem Bekanntenkreis und Empfehlungen von Krankenhäusern und Hausärzten. Transparenzberichte dienten nicht als Orientierungshilfe.
47Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Beklagten die Veröffentlichung des Transparenzberichts auch mit dem Hinweis zu rechtfertigen versucht, bei den Pflegenoten handele es sich um ein "lernendes System". Bereits in den Vorworten zu den Transparenzvereinbarungen vom 17. Dezember 2008 und vom 29. Januar 2009 wurde eine "Anpassung" der Vereinbarungen angekündigt, sobald gesicherte Erkenntnisse über Indikatoren der Pflegequalität vorlägen. Wiederholt hat der GKV-Spitzenverband seit Juli 2010 zuletzt am 06. Juli 2012 die "Anpassung der Pflegenoten" als dringend notwendig erachtet. Die Stichprobe sollte anders gebildet, Kernkriterien sollten stärker berücksichtigt, auf unnötige Kriterien sollte verzichtet werden. Auch die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag bereits am 25. Oktober 2010 (BT-Drucks. 17/3372, S. 2 ff) für die Umsetzung der "Wissenschaftlichen Evaluation" vom Juli 2010 in "kurz-, mittel- und langfristigen Entwicklungsschritten" plädiert. Tatsächlich
48aber ist bislang nicht ein einziger Entwicklungsschritt erfolgt. An den Transparenzkriterien und der Bewertungssystematik hat sich in den letzten Jahren nichts geändert.
49Inzwischen hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze vom 28. Juli 2011 auf den Stillstand der Entwicklung reagiert und in § 115 Abs. 1 a Satz 9 SGB XI bestimmt, dass die Vereinbarungen über die Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik an den medizinisch-pflegefachlichen Fortschritt anzupassen seien. Komme so Satz 10 der gesetzlichen Vorschrift innerhalb von sechs Monaten ab schriftlicher Aufforderung eines Vereinbarungspartners zu Verhandlungen eine einvernehmliche Einigung nicht zu Stande, könne jeder Vereinbarungspartner die Schiedsstelle nach § 113 b anrufen. Ob eine Schiedsstellenentscheidung ein geeignetes Instrument sein könnte, eine rechtmäßige Qualitätsberichterstattung in die Wege zu leiten, mag bezweifelt werden. Eine derartige Entscheidung liegt jedenfalls bislang nicht vor.
50Bei dieser Sachlage hält es die Kammer wie schon in ihrem Urteil vom 20. August 2010 für nicht verantwortbar, dass der eingeschlagene Weg der Pflege-Transparenzvereinbarungen "ohne etwaige Aussetzung" wie es in den Empfehlungen des die "Wissenschaftliche Evaluation" begleitenden Beirats vom 15. Juli 2010 heißt weiter verfolgt wird. Die Kammer hält es vielmehr für ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit, dass eine hoheitliche, systematische öffentliche Leistungsbewertung eines ganzen Berufsfeldes, die auf der Basis evident ungeeigneter Kriterien und unter Verletzung der Grundrechte der Einrichtungsträger und der Pflegebedürftigen erfolgt, beendet wird.
51Darüber hinaus vertritt die Kammer die Auffassung, dass zwar eine sachgerechte, zuverlässige Pflegequalitätsberichterstattung zulässig sein mag. Nicht rechtmäßig kann aber nach dem Grundrechtsverständnis der Kammer in einer freiheitlichen Gesellschaft eine quasi staatliche Leistungsbewertung eines gesamten Berufszweiges durch Schulnoten sein. Die auf Dauer angelegte, regelmäßige, bis ins einzelne gehende hoheitliche, im Internet veröffentlichte Bewertung mit Noten stellt unabhängig von dem Grad der Gewähr für ihre Richtigkeit eine massive Beeinträchtigung der Pflegeeinrichtungen dar. Der Rückgriff auf Schulnoten statuiert nämlich eine Beziehung, die dem Schüler-Lehrer-Verhältnis entspricht. Ein derartig bevormundendes Verhältnis ist mit der Berufsausübungsfreiheit nicht vereinbar. Auch deshalb steht den Pflegeeinrichtungen selbst wenn sie etwa mit der Note "sehr gut" beurteilt worden sind das Recht zu, von derartigen Benotungen verschont zu bleiben.
52Nach Angaben des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. betragen die aus Versicherungsbeiträgen finanzierten Prüfkosten des Pflegetransparenzverfahrens jährlich werden in Deutschland etwa 22.500 Pflegeeinrichtungen geprüft mehr als 100 Millionen Euro. Nicht eingerechnet sind dabei die vermutlich noch höheren Kosten der Pflegeeinrichtungen, die durch ihre Mitwirkung am Prüfverfahren entstehen. Angesichts dieser Kosten stellt sich für die Kammer auch die Frage nach der politischen Verantwortung für die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Pflegetransparenzverfahrens.
53Der Klage war nach alledem stattzugeben.
54Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
55Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Da der Sach- und Streitstand für eine anderweitige Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, war der Auffangwert festzusetzen. Im Beschluss vom 02. Mai 2012 (Az.: L 10 P 5/12 B ER) hat das LSG NRW unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. etwa Beschlüsse vom 05. Juli 2010, Az.: L 10 P 10/10 B ER und L 10 P 59/10 B ER RG) entgegen der nahezu einhelligen Praxis in der Sozialgerichtsbarkeit für Streitigkeiten der vorliegenden Art es für angemessen erachtet, den Streitwert "im Hinblick auf die subjektive Bedeutung für die Beteiligten" nunmehr mit 25.000 Euro festzusetzen. Der veröffentlichte Transparenzbericht gebe so die Begründung des LSG die Bewertung für einen Zeitraum von regelmäßig etwa einem Jahr wieder und zwar auch dann, wenn die festgestellten Mängel bereits beseitigt worden seien. Der geänderten Rechtsprechung des LSG NRW zur Streitwertbemessung, die den Eindruck erwecken könnte, als sollten die Pflegeeinrichtungen von der Wahrnehmung gerichtlichen Rechtsschutzes abgeschreckt werden, vermag die Kammer nicht zu folgen. Jedenfalls seitdem auch für die Öffentlichkeit aufgrund der evident unrealistisch guten Noten die Untauglichkeit und Bedeutungslosigkeit der gegenwärtigen Transparenzberichte offenbar geworden sind, kann der Veröffentlichung eines derartigen Berichts jedenfalls im Einzelfall keine besondere, die Erhöhung des Regelstreitwerts rechtfertigende Bedeutung mehr beigemessen werden.
56Die Kammer hat die Revision zum BSG unter Übergehung der Berufungsinstanz gemäß §§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 161 Abs. 1 SGG zugelassen, um nunmehr eine möglichst baldige höchstrichterliche Rechtsprechung zu ermöglichen. Bedauerlicherweise haben die Beklagten bislang von der Möglichkeit einer derartigen rechtlichen Klärung keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr haben sie die Urteile der Kammer vom 20. August 2010 und 24. Juni 2011 rechtskräftig werden lassen.