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Büren in Nordrhein-Westfalen
Neue Regeln für Deutschlands größte Abschiebehaftanstalt

140 Menschen sitzen im nordrhein-westfälischen Büren in Deutschlands größter Abschiebehaftanstalt ein. Bald sollen hier sogar 175 Menschen auf ihre Abschiebung warten können. Die Landesregierung will nun das Abschiebehaftgesetz verschärfen - denn Stress zwischen Insassen und Personal steht in Büren auf der Tagesordnung.

Von Moritz Küpper | 15.03.2018
    Insasse im Abschiebegefängnis Büren blickt aus dem Fenster
    Insasse im Abschiebegefängnis Büren (Deutschlandradio/Küpper)
    Nicolas Rinösl öffnet die Tür zu einer Zelle.
    Der 41-jährige Jurist, groß gewachsen, Brille, grau Haare, Bürstenhaarschnitt ist Chef in Deutschlands größter Abschiebehaftanstalt, trägt einen grauen Anzug, lila Krawatte – und betritt den unbewohnten Raum:
    "Die Räume sind alle, auch vom Mobiliar her, ein bisschen anders als eine klassische JVA, da hätten sie eher Metallbetten. Die haben sie hier nicht. Das ist ein bisschen Jugendherbergsstandard nachempfunden, was dem Mobiliarstandard angeht. Eben mit eigenem Kühlschrank, Fernseher, der eben auch von uns gestellt wird. Normalerweise fehlen hier noch die Töpfe mit dem altmodischen Blümchenmuster, die haben wir hier normalerweise auch, ich weiß gar nicht, wieso die hier nicht drin sind…"
    Erweiterung auf 175 Plätze geplant
    Rinösl blickt sich suchend in dem kleinen Raum mit den vergitterten Fenstern um. 140 Plätze hat die Abschiebehaftanstalt aktuell, soll in den nächsten Wochen und Monaten auf 175 erweitert werden. Rinösl schließt die Tür.
    Wer hier, auf dem Flur steht, die vielen Gitter und Schlösser sieht, bekommt das Gefühl, in einer Justizvollzugsanstalt zu sein, die Büren einmal war. Aber: Die Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige ist etwas anderes:
    "Deswegen hat man da einen größtmöglichen namentlichen Abstand schaffen wollen zwischen einer Justizvollzugsanstalt auf der einen Seite und der Abschiebehaftanstalt, nein, der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige auf der anderen Seite."
    Rinösl ist dagegen eher für klare Worte:
    "Das ich das etwas, naja, kritisch sehe, hängt einfach damit zusammen: Es ist letztlich Haft, was wir hier machen und alles andere ist Augenwischerei. Wir entziehen Leuten die Freiheit."
    "Eigenes Telefon, sie haben Zugang zum Internet"
    Dennoch: Im Jahr 2014 sagte der Europäische Gerichtshof dass sich Abschiebehaft deutlich von der Strafhaft zu unterscheiden habe - wie in Büren umgesetzt:
    "Einmal haben sie eine deutlich erweiterte Möglichkeit im Vergleich zum Justizvollzug sich zu bewegen, innerhalb der Hafthäuser. Das heißt, sie haben lange Zeiten, wo sie einfach im Haus komplett von einem in den anderen Raum gehen können, Leute besuchen können, sie haben immer Zugang zum Außenbereich, also immer dann in der Zeit auch wirklich die Freiflächen, die sie aufsuchen können. Sie haben, jetzt wird es wirklich für jemanden, der im Justizvollzug ist ganz schlimm, sie haben eigenes Telefon, sie haben Zugang zum Internet in Interneträumen, sie haben deutlich andere Besuchsmöglichkeiten."
    Zelle im Abschiebegefängnis in Büren
    Zelle im Abschiebegefängnis in Büren (Deutschlandradio/Küpper)
    Nämlich an jedem Tag die Woche. Rinösl führt durch die Gebäude, die innerhalb der rund sechs Meter hohen Mauern stehen: Verwaltung, Besuchsraum, kommt in den Innenhof…
    "Rechts ist Krankenabteilung."
    Mehr als die Hälfte "mit strafrechtlicher Vorgeschichte"
    Immer wieder muss er Türen auf- und zuschließen.
    Er zeigt den Einkaufsladen für die Insassen, bevor er die Tür zum Gang mit den Sportgeräten öffnet. Junge Männer, teilweise aus Nordafrika, in älteren Trainingsanzügen, üben hier. Der Blick durch das vergitterte Fenster zeigt Fußballplätze, Basketballkörbe, auch einen Beachvolleyball-Platz:
    "Beachvolleyball ist theoretisch ganztägig, macht aber erstaunlicherweise überhaupt keiner. Also, wenn dann alle Fußball."
    Sport ist eine Form der Abwechslung, Kochen die andere, doch Rinösls Blick ist wachsam, denn die Zusammensetzung in Büren hat sich verändert. Der Begriff der Kölner Silvesternacht fällt:
    "Ja, inzwischen muss man sagen, dass wir sagen können, dass wirklich mehr als die Hälfte der hier untergebrachten auch eine strafrechtliche Vorgeschichte hat. Auch häufig mit einer Vielzahl von Verfahren, die da vorangegangen sind."
    Rückführregime und legale Einwanderung
    Das ist auch bei Joachim Stamp angekommen. Der 47-Jährige von der FDP ist stellvertretender NRW-Ministerpräsident, zugleich zuständig für Flüchtlinge und Integration. Seine Devise: Nur ein durchsetzungsfähiges Rückführregime schaffe bei Einwanderungs- und Asyl-Fragen eine Akzeptanz in der Bevölkerung.
    "Je besser wir beim Rückführungsmanagement sind, desto großzügiger können wir bei der legalen Einwanderung sein und deswegen sollte auch die politische Linke mal darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, auch solche Einrichtungen wie in Büren anders zu unterstützen."
    Stamp kennt die neue Situation in Büren, will dies ändern:
    "Aber wir werden alles, was das europäische Recht hergibt dann auch nutzen, um auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtung das Arbeiten dort erträglich zu machen, denn da tanzen jetzt doch einige der dort Inhaftierten den Mitarbeitern ziemlich auf der Nase herum und deswegen muss es Korrekturen geben, bei den Schließzeiten und es muss Korrekturen geben, beispielsweise bei der Handy-Nutzung. Es kann nicht sein, dass dort Mitarbeiter fotografiert werden."
    Vorstellung Gesetzesänderung zu Personalanweisungen
    Die Neuregelung des Abschiebehaftgesetzes soll bis Ende des Monates vorgestellt werden, was auch Einrichtungsleiter Rinösl begrüßen würde:
    "Im Moment gibt es im Gesetz, wenn sie reingeschaut haben, haben sie vielleicht den Paragraf 18 gesehen. Da steht: Den Weisungen des Personals ist Folge zu leisten. Aber dann kommt kein weiterer Satz."
    Und das wissen die Insassen ganz genau:
    "Dahinter steckt auch wiederrum ein gewisser Kontrast, je nach Herkunftsland sind die Untergebrachten es eher gewohnt, dass staatliche Institutionen anders auftreten und das wird dann sehr schnell als Schwäche ausgelegt hier."
    Angst vor schlechter Beurteilung
    "Since 2012 I am here in Germany."
    Bilal aus Bangladesch, 38 Jahre alt, sitzt im Büro der Sicherheitsleute. Seine Familie, erzählt er, wurde umgebracht, er fürchtet dies auch. Bilal ist mit falschen Papieren eingereist, hat sich von seinem Melde-Ort entfernt. Nun sitzt er in Büren, beschreibt manche der Sicherheitskräfte als gut…
    "Some Security-Guards are so good, most of them are not good, they are just rude with us."
    Aber die meisten seien grob. Er könne dies auch nicht melden, weil sie ihm dann eine schlechte Beurteilung schreiben würden, sagt er, während Rinösl dabei sitzt. Anschließend ist Bilal noch bereit, seine Zelle zu zeigen, doch im Flur ist Aufregung. Die Insassen haben sich versammelt, Rinösl reagiert:
    "Sobald jetzt jemand von ihnen nochmal über den Flur geht, besser nicht."
    "Ich kann mitfühlen, ja. Aber richtig Mitleid? Nein."
    Er führt raus. Im Verwaltungsgebäude ist auch der Empfangsbereich untergebracht: Fünf Personen pro Tag werden im Schnitt in Büren aufgenommen - und treffen dort auf Gerhard Aust, 51 Jahre alt, wovon er fast die Hälfte in Büren verbracht hat. In der Mitte des Raumes steht eine Art Umkleide, darum herum Tische, im Nebenraum Regale mit Schuhen oder anderen Bekleidungsstücken:
    "Wir kontrollieren den Mann erstmal."
    Im Hintergrund dudelt das Radio, auch Aust weiß von schwierigen Situationen zu berichten:
    "Es kann schon mal sein, dass Leute wirklich renitent werden. Auch bei der Aufnahme. Dann müssen wir halt, leider, wenn gar nichts anderes mehr geht, auch unmittelbaren Zwang anwenden, mit körperlicher Gewalt quasi."
    Dafür habe er seine Ausbildung bekommen, so Aust. Aber, letztendlich, das wird auch hier deutlich, ist es stets eine Gratwanderung. Ob er, Aust, Mitleid habe mit den Ankömmlingen?
    "Mitleid? Nein. Dann wäre ich, glaub ich, an der falschen Adresse hier. Ich kann mitfühlen, ja. Aber richtig Mitleid? Nein."