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Deutschland Grünen-Minister Krischer

„Sonst droht uns eine Reduzierung des Nahverkehrsangebotes ab Januar“

Korrespondent
Oliver Krischer (Grüne), 53, Nordrhein-Westfalens Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Oliver Krischer (Grüne), 53, Nordrhein-Westfalens Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr
Oliver Krischer (Grüne), 53, Nordrhein-Westfalens Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr
Quelle: Thomas Trutschel/photothek/picture alliance
NRW-Verkehrsminister Krischer (Grüne) schließt aus, dass die Länder zur Hälfte einen Nachfolger des 9-Euro-Tickets finanzieren. Stattdessen müsse der Bund umweltschädliche Subventionen abbauen. Als größte Bremser bei der Verkehrswende sieht er Lindner und Wissing von der FDP.

WELT: Herr Krischer, die Ampel plant eine Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket. Sind Sie damit zufrieden?

Oliver Krischer: In den Sommerferien hat ein Ampel-Partner das Thema noch mit dem Stichwort „Gratismentalität“ in Grund und Boden geredet.

WELT: Sie meinen FDP-Finanzminister Christian Lindner …

Krischer: Dass die Ampel sich auf eine Nachfolgeregelung verständigt hat, ist deshalb eine sehr positive Botschaft. Problematisch ist, dass der Bund das nicht vollständig aus eigenen Mitteln finanzieren will.

WELT: Der Bund will die Länder zur Hälfte an der Finanzierung beteiligen. Was ist daran falsch, die Belastungen der Krise zu teilen?

Krischer: Die 16 Länder sind ohnehin schon mit enormen Kostensteigerungen und Defiziten beim öffentlichen Personennahverkehr konfrontiert. Allein Nordrhein-Westfalen würde mit mehreren hundert Millionen Euro belastet. Wir werden mit dem Verkehrsminister und dem Finanzminister intensiv verhandeln müssen.

Es gibt keine Spielräume für die Länder, ein Nachfolgeticket zur Hälfte mitzutragen – sonst droht uns am Ende eine Reduzierung des Nahverkehrsangebotes ab Januar, um die Mehrkosten auszugleichen. Dabei wollen wir das bisherige Angebot weiter ausbauen.

Die Verkehrsministerkonferenz fordert über alle Parteigrenzen hinweg eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel um drei Milliarden Euro für die gestiegenen Kosten und den vom Bund gewünschten Ausbau.

„Rund zehn Prozent der Pkw-Fahrten wurden auf den ÖPNV verlagert“

„Für drei Monate ändert man sein Mobilitätsverhalten nicht grundlegend“, sagt Lars Wagner, Sprecher des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen. Zum Ende des 9-Euro-Tickets zieht er im WELT-Interview Bilanz.

Quelle: WELT

WELT: Wie ließe sich das Nachfolgeticket im Bundeshaushalt gegenfinanzieren?

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Krischer: Der Bund müsste endlich den Mut aufbringen, umweltschädliche Subventionen abzubauen. Die steuerlichen Vergünstigungen durch das Dienstwagenprivileg sollten, wie in jedem anderen Land der Welt, endlich gedeckelt werden bis zur Größe eines normalen Mittelklassewagens. Das hätte einen Klimaeffekt, und der Staat könnte drei bis vier Milliarden Euro einsparen.

Wenn das nicht gewollt ist: Das Bundesumweltamt hat eine lange Vorschlagsliste für den Abbau umweltschädlicher Subventionen in Höhe von 65 Milliarden Euro. Die Ampel hat vereinbart, sich diese Liste vorzunehmen.

WELT: Das Nachfolgeticket soll zwischen 49 und 69 Euro kosten. Ist das nicht zu hoch nach der 9-Euro-Premiere?

Krischer: Ein 9-Euro-Ticket ließe sich nicht dauerhaft finanzieren. Aber wenn man es mit der bestehenden Vielzahl an Tarifen vergleicht, dann wäre ein bundesweit gültiges Nahverkehrsticket für 49 Euro oder für 69 Euro immer noch wahnsinnig günstig und würde die ÖPNV-Nutzung viel einfacher machen. Es wäre vor allem eine langfristige Entlastung für Pendlerinnen und Pendler. Ich sehe da einen erheblichen Anreiz, vom Auto auf Bahn und Busse umzusteigen.

In NRW hat sich das 9-Euro-Ticket positiv bemerkbar gemacht und den Autoverkehr zeitweise um etwa zehn Prozent reduziert. Dass das Ticket auch für Kurzurlaube und Ausflüge genutzt wurde, finde ich in Ordnung. Wenn wir es hinkriegen, dauerhaft ein günstiges Nahverkehrsticket zu etablieren, dann wird man auch auf viele spezielle Zielgruppentickets verzichten können.

Die Aufgabe der Länder ist es, das Angebot auszubauen. Es gibt Regionen, die kaum bis gar keinen ÖPNV haben, und wenn dort Busse fahren, dann sind sie oft noch zu teuer.

WELT: Sie haben mit Ihrem Amt auch die Zuständigkeit für überfüllte Straßen und Züge und eine stark überlastete Infrastruktur übernommen. Unter Ihren Vorgängern – einer von ihnen ist der jetzige NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) – hat sich die Situation verschlechtert. Was macht Sie zuversichtlich, dass Sie es besser hinkriegen?

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Krischer: Ehrlicherweise kann niemand versprechen, dass die Staus weniger werden. Ich werde viele schwierige Entscheidungen treffen müssen, denn bei uns gilt die Priorität Erhalt vor Neubau. Nordrhein-Westfalen hat die bundesweit schwierigste Infrastruktur. Hier ist der Sanierungsaufwand am größten. Das ist eine zentrale Aufgabe. Wir wollen zugleich den ÖPNV und die Radwege ausbauen, um die Straßen zu entlasten.

WELT: Ist die Höhe der ÖPNV-Regionalisierungsmittel, die der Bund an die Länder verteilt, für NRW angemessen?

Krischer: Nordrhein-Westfalen hat über Jahre zu wenig bekommen, aber ich will jetzt keine Diskussion unter den Ländern anfangen, wem mehr zusteht. Das größte Problem ist doch derzeit, dass sich der Bundesfinanzminister und der Bundesverkehrsminister weigern, das umzusetzen, was im Koalitionsvertrag der Ampel steht, nämlich die Kapazitäten des ÖPNV zu verbessern.

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WELT: Da sind wir wieder bei der FDP, der die beiden Minister angehören. Sehen Sie dort die größten Bremser bei der geplanten Verkehrswende?

Krischer: Ich habe den Eindruck, dass man sich dort gegen Veränderungen stemmt. Gerade der Verkehrsminister steht ja bei der Klimabilanz seiner Arbeit nicht gut da. Dabei hätten wir die große Chance, mit einem ÖPNV-Ausbau auch Schadstoffemissionen zu reduzieren.

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WELT: Sie waren Staatssekretär beim grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und sind dann von der Ampel-Bundesregierung ins schwarz-grüne NRW-Landeskabinett gewechselt. Ist das für Sie die zukunftsträchtigere Koalitionsvariante?

Krischer: Ich habe aus Erfahrungen mit früheren rot-grünen Wunschkoalitionen in Nordrhein-Westfalen, die dann besonders schwierig waren, einen wichtigen Schluss gezogen: Koalitionen sind rein politische Zweckehen, in denen man hoffentlich gut miteinander zusammenarbeitet. Man muss mit einem Wahlergebnis umgehen, das Wähler geschaffen haben.

In NRW gab es einen klaren Auftrag für Schwarz-Grün. Ich denke da nicht in Kategorien von Wunschkonstellationen. Es kommt auf die richtige Politik an. Die Grünen sagen schon lange, dass die Bekämpfung der Klimakrise die zentrale Aufgabe unserer Zeit ist. Wenn das in NRW jetzt auch ein Ministerpräsident der CDU sagt, dann sieht man, wie viel sich verändert hat.

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