Von Start-up aus München

Plötzlich sind neue deutsche Drohnen an der Front

Erst Senkrechtstart, dann Gleitflug: Vector-Drohne des bayerischen Hersteller Quantum Systems.

Erst Senkrechtstart, dann Gleitflug: Vector-Drohne des bayerischen Hersteller Quantum Systems.

Aus britischer Sicht erscheinen die Deutschen derzeit als Drückeberger und Nichtskönner. Erst wollen sie der Ukraine keine schweren Waffen liefern, dann halten sie auch noch an russischen Energieimporten fest.

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Wenn es so weiter gehe, ätzte dieser Tage ein Kommentator des „Telegraph“, müsse man ernsthaft auch mal Sanktionen gegen Deutschland in Betracht ziehen.

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Umso erstaunter blickten viele Briten soeben auf einen Bericht der ehrwürdigen Londoner „Times“, der quer liegt zu diesen Klischees. Die Ukraine, hieß es dort, wolle künftig ihr Artilleriefeuer durch eine deutsche Hightechdrohne neuen Typs aus der Luft steuern lassen. Vector heiße der fliegende Computer, hergestellt von einem Münchener Start-up. Kostenpunkt: 180.000 Euro.

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Reiche Ukrainer zahlten aus eigener Tasche

Vector? Eine Nachfrage im Berliner Verteidigungsministerium führte am Donnerstag zu Achselzucken: Von Drohnen dieses Typs habe man noch „nie gehört“, sagte ein Sprecher. Ob da vielleicht jemand in der Ukraine etwas direkt von einem deutschen Hersteller geordert habe, könne man nicht sagen.

Nach Kritik an der Bundesregierung: So viele Waffen hat die Ukraine aus Deutschland erhalten

Es ist eine lange Liste: Maschinengewehre, Luftabwehrraketen und Panzerfäuste hat Deutschland der Ukraine bereits geliefert.

Genau so war es. Die deutsche Hightechlieferung, die anderswo in der Welt Anerkennung auslöste, war am Ressort von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) glatt vorbei gegangen.

„Unsere ersten Drohnen sind tatsächlich bereits in der Ukraine“, berichtet Florian Seibel (42), CEO des Münchener Herstellers Quantum Systems, im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Weitere Lieferungen seien für die nächsten Tage geplant.

Die Ukrainer haben ihm die Vector-Drohne aus den Händen gerissen: Quantum-Systems-CEO Florian Seibel.

Die Ukrainer haben ihm die Vector-Drohne aus den Händen gerissen: Quantum-Systems-CEO Florian Seibel.

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Seibel hat an der Hochschule der Bundeswehr in München studiert und war 16 Jahre lang bei der Luftwaffe, bevor er sich als Gründer von Quantum Systems selbstständig machte. Dass seine Drohnen schon bald einem realen Kriegseinsatz entgegensegeln würden, konnte Seibel noch vor wenigen Jahren nicht ahnen. Die Ukrainer haben ihm jetzt, grob gesagt, die Vector-Drohne aus den Händen gerissen. Fünf Tage vergingen zwischen Erstkontakt und Vertragsabschluss, dann schickten drei ukrainische Kämpfer schon mit fröhlicher Geste ein Selfie mit Drohne zurück nach Bayern.

Den Kaufpreis haben ukrainische Multimillionäre rasch aus eigener Tasche beglichen, als „Spende an das Territorialkommando zur Verteidigung von Dnipro“. Die Verbindung zwischen den Kämpfern und der Firma in Bayern stellte der ukrainische Konsul in München her.

In Bayern freut sich ein 120-köpfiges Team

Die Geschichte der neuen deutschen Drohne ist umso verblüffender, wenn man bedenkt, dass sie gar keine Waffe im engeren Sinne ist. Begehrt bei den Militärs ist sie allein wegen ihrer extrem fortgeschrittenen Technologie in puncto Flug und Videotransfer. Bomben oder auch nur Handgranaten kann sie nicht abwerfen, das ist technisch nicht vorgesehen.

Allerdings kann Vector bei entsprechender digitaler Verknüpfung Teil eines Waffensystems werden. Die Ukrainer wollen mithilfe der Drohne ihre Artillerie optimal ausrichten, etwa auf heranrückende russische Panzer. Manche Drohnen sind dazu zu groß und zu auffällig, andere zu klein und zu wenig leistungsfähig. Vector dagegen passt ins Anforderungsprofil. Die Drohne kann werkzeuglos aufgebaut werden und braucht trotz ihrer drei Meter Spannweite noch nicht mal eine Startbahn. Sie hebt senkrecht ab, etwa in einer Lichtung im Wald, kippt dann ihre Rotoren nach vorn und fliegt, unterhalb des Radars, wie ein Propellerflugzeug. Das System liefert hochauflösende Echtzeitvideos über 15 Kilometer hinweg und bleibt bis zu zwei Stunden in der Luft.

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Grüße zurück nach Bayern: Dieses Foto mit der Vector-Drohne schickten ukrainische Kämpfer aus ihrer umkämpften Heimat.

Grüße zurück nach Bayern: Dieses Foto mit der Vector-Drohne schickten ukrainische Kämpfer aus ihrer umkämpften Heimat.

Die Drohne eignet sich auch für zivile Missionen, etwa für Einsätze der Feuerwehr oder von Such- und Rettungstrupps. Zwei Merkmale verraten aber ihre militärische Ausrichtung: Die Drohne sendet ihre Videos verschlüsselt, und sie kann in einen extrem geräuscharmen Gleitflug übergehen.

Für Quantum Systems bringt die unkonventionelle Bestellung aus der Ukraine jetzt eine weltweite Werbung. Angesichts des Kriegs, sagt CEO Seibel, sei die Feststellung zwar makaber, aber die dringende Nachfrage nach dem Produkt sei natürlich auch ein Hinweis auf dessen Qualität. Darüber freue sich das gesamte mittlerweile 120-köpfigen Team des Start-ups.

Inzwischen bestellt auch die Bundeswehr

Zum Höhenflug des kleinen bayerischen Drohnenherstellers trägt nicht nur die Ukraine bei. Quantum Systems registriert auch eine wachsende Nachfrage innerhalb der Nato-Staaten. Amerikanische Spezialeinheiten orderten vor Kurzem Vector-Drohnen im Wert von 7 Millionen Euro, weitere Bestellungen dürften folgen.

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Auch die deutsche Truppe zeigt inzwischen Interesse. Acht Drohnen des Systems Vector wurden in der vorigen Woche bei Quantum Systems von der Bundeswehr bestellt.

Das Verteidigungsministerium wird also die Linie, dass man von der Vector-Drohne „nie gehört“ habe, nicht mehr lange aufrechterhalten können. Im Fall der Ukraine walteten die Kräfte von Angebot und Nachfrage sehr viel schneller als die deutsche Beschaffungsbürokratie: Produkt und Geld wechselten mal eben die Hände. Früher oder später aber scheinen die neuen deutschen Drohnen auch zur deutschen Truppe zu finden.

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