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Streit um Kosslick-Nachfolge Filmemacher wollen Berlinale revolutionieren

79 Regisseurinnen und Regisseure, darunter Maren Ade, Dominik Graf und Margarethe von Trotta, fordern in einer gemeinsamen Erklärung einen grundlegenden Neuanfang bei der Berlinale. Ein Name fehlt merklich.
Berlinale Palast 2017 in Berlin

Berlinale Palast 2017 in Berlin

Foto: imago/ STPP

Die Erklärung umfasst nur fünf Sätze. Doch die Worte, mit denen sich jetzt 79 Regisseurinnen und Regisseure an die Öffentlichkeit wenden, um auf eine Neuausrichtung der Berlinale zu drängen, dürften noch lange für Nachhall in der deutschen Filmbranche sorgen.

Zum einen ziehen die Filmschaffenden eine klägliche Bilanz der Ära Dieter Kosslick, dessen Vertrag 2019 ausläuft; zum anderen plädieren sie für ein völlig neues Verfahren, um den Nachfolger oder die Nachfolgerin für den noch amtierenden Berlinale-Chef zu finden. Müsste man die Erklärung in fünf Worten zusammenfassen, wären es diese hier: So darf es nicht weitergehen.

Getragen wird die Erklärung von einer neuen Allianz aus etablierten und aufstrebenden Filmschaffenden über die Generationen und Genres hinweg, von Dokumentarfilmern, Kinolegenden und Fernsehpionieren, neuem deutschen Film, Berliner Schule und German Mumblecore - und nicht zuletzt, das dürfte besonders schmerzhaft für die bisherige Festivalleitung sein, von Bären-Gewinnern wie Fatih Akin, Christian Petzold oder Maren Ade.

Ein Name fehlt merklich: Während seine "Babylon Berlin"-Co-Regisseure Achim von Borries und Henk Handloegten unterzeichnet haben, ist Tom Tykwer in der Liste nicht dabei. Er wird Präsident der internationalen Jury bei der Berlinale 2018.


Hier die Erklärung, die SPIEGEL ONLINE exklusiv vorliegt, und die Liste der Unterzeichnenden:

"Die Berlinale ist eines der drei führenden Filmfestivals weltweit. Die Neubesetzung der Leitung bietet die Chance, das Festival programmatisch zu erneuern und zu entschlacken. Wir schlagen vor, eine internationale, zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzte Findungskommission einzusetzen, die auch über die grundlegende Ausrichtung des Festivals nachdenkt. Ziel muss es sein, eine herausragende kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen. Wir wünschen uns ein transparentes Verfahren und einen Neuanfang."

Maren Ade, Fatih Akin, Irene von Alberti, Thomas Arslan, Anne Zohra Berrached, Bettina Böhler, Hermann Bohlen, Jan Bonny, Jutta Brückner, Dietrich Brüggemann, Florian Cossen, Ebbo Demant, Doris Dörrie, Andreas Dresen, Maximilian Erlenwein, Katrin Gebbe, Stephan Geene, Hans W. Geißendörfer, Almut Getto, Ulrich Gerhardt, Hans-Dieter Grabe, Dominik Graf, Valeska Grisebach, Henk Handloegten, Thomas Heise, Sonja Heiss, Benjamin Heisenberg, Christoph Hochhäusler, Barbara Junge, Winfried Junge, RP Kahl, Fred Kelemen, Barbara Klemm, Ulrich Köhler, Nicolette Krebitz, Lars Kraume, Michael Krummenacher, Jakob Lass, Tom Lass, Aron Lehmann, Caroline Link, Max Linz, Pia Marais, Jeanine Meerapfel, Elfi Mikesch, Franz Müller, Peter Nestler, Asli Özge, Christian Petzold, Hans Helmut Prinzler, Lola Randl, Axel Ranisch, Edgar Reitz, Michael Ruetz, Helke Sander, Thomas Schadt, Sebastian Schipper, Volker Schlöndorff, Hans-Christian Schmid, Jan Schomburg, Maria Schrader, Robert Schwentke, Christian Schwochow, Jan Soldat, Hans Steinbichler, Oliver Sturm, Isabel ŠSuba, Sven Taddicken, Tamara Trampe, Georg Stefan Troller, Simon Verhoeven, Achim von Borries, Julia von Heinz, Rosa von Praunheim, Margarethe von Trotta, Nicolas Wackerbarth, Christian Wagner, Henner Winckler, David Wnendt


Kritik an Dieter Kosslick und seiner Ausrichtung der Berlinale ist nicht neu, sie begleitet das Festival mit wechselnder Vehemenz seit Jahren. Während Cannes seine Position als wichtigstes Festival für den internationalen Autorenfilm zementiert hat und Venedig sich als Premierenplattform für Oscar-Kandidaten neu positioniert hat, ist die Berlinale unter Kosslicks Leitung ins Hintertreffen geraten.

Vor allem der Wettbewerb gilt mit einer Mischung aus unerheblichem Starkino und diffus politischem Film als der mit Abstand schwächste unter den großen Filmfestspielen. An einem Angebot, das durch die zeitliche Nähe der Berlinale zu Sundance und den Oscars beschnitten ist, kann es nur begrenzt liegen. Berichte, welche herausragende Filme die Berlinale abgelehnt oder in Nebenreihen verschieben wollte und damit die Filmemacher verärgert hat (der spätere Oscar-Gewinner "Sauls Sohn" von László Nemes zum Beispiel), häufen sich mit jedem Jahr.

Statt das inhaltliche Profil des Festivals zu schärfen, hat Kosslick dem Bedeutungsverlust eine ständige Erweiterung der Sektionen und Sonderprogrammierungen entgegenzusetzen versucht. Dadurch ist ein Wust an Reihen entstanden, die für sich genommen ebenso wenig stichhaltig wie der Wettbewerb sind und Aufmerksamkeit und Diskurse eher streuen als bündeln.

Wer folgt in welcher Konstellation?

Für das junge deutsche Kino hat beispielsweise das Filmfest München der "Perspektive deutsches Kino" den Rang als bestes Schaufenster abgelaufen. Wie Retrospektiven filmästhetische und -politische Akzente setzen können, macht Locarno der Berlinale seit vielen Jahren vor. Diese Kritikpunkte nehmen die Regisseurinnen und Regisseure auf, wenn sie auf Erneuerung und Entschlackung pochen.

Neue Dringlichkeit hat die Kritik an Kosslick nun dadurch erhalten, dass sein Vertrag 2019 ausläuft. Wer ihm in welcher Konstellation folgen sollte, versucht Kulturstaatsministerin Monika Grütters gerade in Gesprächen zu erkunden. Welche Kriterien für sie dabei entscheidend sind, ist unklar. Ein ums andere Mal ist aus der Branche deshalb schon die Forderung nach mehr Transparenz bei der Besetzung eines der wichtigsten Posten in der internationalen Filmszene laut geworden.

Aus Grütters Umfeld ist zumindest zu hören, dass die Besetzung mit einer Frau für sie Priorität hat, weshalb auch der Name Kirsten Niehuus immer öfter fällt. Niehuus ist als Geschäftsführerin der Filmförderung beim Medienboard Berlin-Brandenburg eine der wichtigsten Geldgeberin für den deutschen Film. Mit ihr würde nach Kosslick, der einst von der Filmstiftung NRW zur Berlinale wechselte, eine weitere deutsche Funktionärspersönlichkeit das Festival leiten - und eine programmatische Neukonzeption, die mehr die Filmkunst und weniger den deutschen Förderungskomplex aus Film und Fernsehen berücksichtigt, höchstwahrscheinlich wegfallen.

Kaum verschleiertes Misstrauensvotum

Wenn sich die Regisseurinnen und Regisseure in ihrer Erklärung für eine "kuratorische Persönlichkeit" einsetzen, "die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt" ist, dann lässt sich das in diesem Zusammenhang auch als eine Absage an die mögliche Berufung von Niehuus verstehen. Da viele der Unterzeichnenden von den Förderungsentscheidungen des Medienboards abhängen, weist die Erklärung über die Eigeninteressen der Filmschaffenden hinaus. Ob Grütters dieses kaum verschleierte Misstrauensvotum gegen Niehuus ignorieren kann?

Bislang hat sich die Staatsministerin wenig offen für neue Wege bei der Besetzung der Berlinale-Leitung gezeigt. Ein offenes, internationales Ausschreibungsverfahren sowie eine mit Expertinnen und Experten besetzte Findungskommission hatte im Frühjahr bereits der Verband der deutschen Filmkritik (VdFK) gefordert*. Beides hatte Grütters ohne weitere Erläuterungen abgelehnt und darauf verwiesen, dass sie sich auf intensive Beratung stützen werde.

Mit der Erklärung der Regisseurinnen und Regisseure wird sich Grütters nun kaum mehr einer Diskussion über die Zukunft der Berlinale verschließen können. Für eine nichtöffentliche Gesprächsrunde, die für Montag, den 4. Dezember im Berliner Haus der Kulturen der Welt angesetzt ist, ist das eine vielversprechende Vorlage. Bei der Runde sollen unter anderem Christoph Hochhäusler und Kirsten Niehuus über "Filmfestivals heute" diskutieren. Vielleicht kommt dabei auch etwas zur "Berlinale morgen" rum.


*Offenlegung: Die Autorin ist Mitglied im Beirat des VdFK.