Pride

Lena Mantler: Warum der Social-Media-Star sich kein Label aufdrücken lassen möchte

Sie wurde als 13-Jährige mit ihrer Zwillingsschwester Lisa auf Social Media berühmt und vor den Augen eines Millionenpublikums erwachsen. Doch wie findet man sich selbst, wenn alle zusehen, kommentieren und sich der eigene Weg von dem der Schwester plötzlich unterscheidet?
Lena Mantler spricht im VOGUEInterview über ihre Findungsphase.
Foto: Eva Baales. Styling: Almut Vogel. Haare und Make-up: Arzu Kücük

Social-Media-Star Lena Mantler war lange mit ihrer Zwillingsschwester als “Lisa & Lena” erfolgreich. Nun fokussiert sie sich auf ihren eigenen Weg. Mit Vogue sprach sie so offen wie nie über ihre Pläne, aber auch über den Druck der Öffentlichkeit, insbesondere was ihr Privatleben betrifft.

Das Internet ist ein wundersamer Ort. Da verkaufen Menschen handgefertigte Ritterrüstungen für Hunde, andere zeigen extravagante Schminktricks. Tanzen wirkt da fast schon gewöhnlich. Lisa und Lena Mantler, 20 Jahre alt, haben damit Millionen Menschen für sich gewonnen: Mit gut gelaunten Lip-sync- und Tanzvideos wurden die Zwillinge aus einem Dorf in Schwaben mit 13 schlagartig berühmt. Ihre Karriere startete auf Musical.ly, dem Vorgänger von TikTok. Sie waren dankbare Projektionsfläche: niedlich, unbedarft, die perfekten Mädchen von nebenan. Ihre Videos symbolisierten gute Laune für den schnellen Konsum, Probleme gab es in ihrer Social-Media-Welt nicht.

Lena Mantler im VOGUE-Interview: Über das Aufwachsen in der Öffentlichkeit und warum die sexuelle Orientierung keine Rolle spielen sollte

Natürlich wurden Lisa und Lena schneller in die Klischeekiste gesteckt, als man Influencer:in sagen kann. Aktuell folgen über 33 Millionen Menschen den beiden auf ihren Kanälen. Dem Kinderstar-Image sind sie inzwischen entwachsen. Es sitzt nicht mehr. Lisa und Lena haben sich weiterentwickelt, in unterschiedliche Richtungen. Das beinhaltet auch immer die Suche nach sich selbst. Für Lena bedeutet es zusätzlich, sich die Deutungshoheit über ihre eigene Identität zurückzuholen. Denn das Internet spekuliert seit Jahren über Privates abseits der Handykamera. Die riesige Fanbase hat sich vor allem an Lenas Sexualität festgebissen. Kein Post ohne Kommentar dazu, oft fordernd und aggressiv. Dass Lena sich bisher nicht dazu geäußert hat, befeuert Theorien über ihr Privatleben. TikTok ist voll mit Videos, in denen Menschen versuchen, sie zu outen. Ihre Klamotten, ihr Styling und die Musik, die in ihren Storys läuft, werden bis ins letzte Detail analysiert. Googelt man Lena, schlägt die Suchmaschine Outing vor. Im deutschsprachigen Raum gibt es keine:n Influencer:in mit Millionenreichweite, der:die sich in einem so jungen Alter schon klar zur eigenen Queerness positioniert hätte, wie es von Lena nun schon über Jahre in Kommentaren, auf Fan-Accounts und in ihren Direct Messages in teils gewaltvoller Sprache verlangt wird. Als die Spekulationen anfingen, war sie 16. Mit uns sprach sie darüber:

VOGUE: Wenn man einen Blick in die Kommentarspalte Ihrer Social-Media-Accounts wirft, fällt die immer wiederkehrende Frage nach Ihrem Privatleben auf. Wann haben Follower:innen angefangen, unter jedem Post auf Ihre Sexualität anzuspielen?

Lena Mantler: Ich war schon immer burschikoser, habe aber über Jahre versucht, so zu sein wie Lisa. Als ich irgendwann begann, Oversized-Klamotten zu tragen und meine kurzen Haare anders zu stylen als Lisa, gingen die Spekulationen los. Aus Panik hab ich dann meine Oversized-Klamotten auf Vinted gestellt, wollte meine Mützen verkaufen, weil ich einfach nicht damit klargekommen bin, dass Menschen wegen meines Aussehens sofort eine Schublade aufmachen und mich reinquetschen. Die Leute haben sich das Recht rausgenommen, darüber zu entscheiden, was ich will.

Lena trägt eine Korsage, eine weite Hose und ein Tanktop, alles von CHRISTIAN DIOR. Dazu Trainers von ADIDAS.

Foto: Eva Baales. Styling: Almut Vogel. Haare und Make-up: Arzu Kücük

Wussten Sie zu dem Zeitpunkt denn selbst, was Sie wollten?

Nein, überhaupt nicht. Und die Öffentlichkeit hat mir die Möglichkeit genommen, das auf meine Art herauszufinden. Ich konnte nicht mehr mit Freundinnen rausgehen, ohne dass behauptet wurde, wir wären zusammen. In einem Livestream habe ich mal einen queerpositiven Song im Hintergrund laufen lassen, und die User:innen haben behauptet, das wäre mein Outing. Mein erster Reflex war, mich zurückzuziehen, weil einfach alles plötzlich auf meine Sexualität gemünzt wurde.

Warum möchten Sie jetzt darüber sprechen?

Weil es nichts Schlimmes ist. Jeder Mensch darf lieben, wen er oder sie lieben will. Es war einfach hart, dass so viele sich in etwas eingemischt haben, womit ich mich selbst noch gar nicht auseinandergesetzt hatte. Es gibt natürlich auch Menschen, die das reflektieren, aber vielen ist es einfach egal, was das mit der Person macht, um die es geht. Man hat mir eine Überschrift aufgedrückt, ohne darüber nachzudenken, ob sie zu mir passt. Ich wünsche mir, dass Menschen verstehen: Meine Sexualität ist nicht meine Identität.

Haben Sie Queerfeindlichkeit erlebt?

Ja, aus unterschiedlichen Richtungen. Manche haben mich gefeiert, ohne zu wissen, was abgeht, andere haben mich beleidigt. Mir wurde sogar vorgeworfen, selbst queerfeindlich zu sein, weil ich Queerness angeblich für den Hype ausnutzen würde.

Sie haben Ihre Sexualität aber nie gelabelt, oder?

Nein, und ich will mich auch heute nicht unter ein Label stellen. Ich dachte lange, ich stehe nur auf Männer, dann, dass ich nur Frauen daten will. Ich finde das gerade für mich heraus. Ich möchte einfach eine Person finden, mit der ich mein Leben leben kann.

Wolle-Seiden-T-Shirts im Layering sowie Open-Toe-Stiefel aus braunem Velours, alles von MIU MIU.

Foto: Eva Baales. Styling: Almut Vogel. Haare und Make-up: Arzu Kücük. 

Ihre Jugend verbrachten Sie vor den Augen Millionen Follower:innen. Wie fühlt sich das rückblickend an?

Mein Aufwachsen ist für immer im Internet archiviert. Ich habe die Erfahrungen anderer 13-Jähriger nie gemacht. In dem Alter bin ich in der Erwachsenenwelt gelandet, habe mich gefühlt wie 25 und vergessen: Was machen andere 13-Jährige? Was beschäftigt die? Damit musste ich erst mal klarkommen. Ich fühle mich immer irgendwie beobachtet, selbst wenn wahrscheinlich gar niemand zusieht. Daraus hat sich eine Angst davor entwickelt, Fehler zu machen. Ich habe mich selbst unfassbar unter Druck gesetzt und mich immer mehr verschlossen. Ich habe mich nie so ausgelebt wie meine Freund:innen und hatte immer das Gefühl, durch das Erlebte ein paar Jahre weiter zu sein. Viele meiner Freund:innen sind jetzt, mit Anfang 20, gerade in einer Phase, in der man sich noch stark von außen beeinflussen lässt. Das habe ich hinter mir und bin unfassbar froh, dass das rum ist. Aber in der Schule und unter Bekannten waren Lisa und ich immer ein Fremdkörper, niemand wusste so recht, wie man mit uns umgehen sollte.

Auf den Accounts von @lisaandlena vereinen Sie etwa 33 Millionen Follower:innen, darunter auch sehr junge. Wann haben Sie gemerkt, wie viel Verantwortung Sie dadurch tragen?

Als wir zum ersten Mal auf der Straße angesprochen wurden. Wir sehen natürlich die Kommentare unter unseren Posts, aber das fühlt sich alles weit weg an. Als wir dann angesprochen wurden, war das der Moment, in dem ich dachte: Oh, dahinter stecken echte Menschen. Ich hatte das Gefühl, egal was ich machen würde, sie würden das begeistert annehmen. Diese Begeisterung hat mich ein bisschen abgeschreckt, weil ich nicht als Vorbild gesehen werden wollte. Ich will Inspiration sein, aber ich will nicht wie ein Götze vor ihnen stehen. Deswegen habe ich immer doppelt darüber nachgedacht, worüber ich rede, was ich zeigen will und was mir wichtig ist. Sonst nimmt sich vielleicht jemand ein Beispiel in Momenten, in denen ich mir wünschen würde, dass es mir keine:r nachmacht.

Wie hat die Öffentlichkeit die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrer Schwester Lisa verändert?

Als wir plötzlich berühmt waren und ich in meine Findungsphase gerannt bin, merkte ich, dass Lisa mit dem Druck besser umgehen konnte. Da hat sich Neid entwickelt. Sie kam auch bei den Fans besser an. Natürlich habe ich mich mit ihr verglichen und in ihren Windschatten gestellt, weil ich einfach keine Ahnung hatte, wer ich eigentlich war. Das hat mich sehr verletzlich gemacht. Ich habe immer wieder die Kommentare gescannt und geschaut: Findet mich auch jemand toll? Es gab Phasen, in denen unsere Beziehung stark von unserem Job geprägt war. Aber Lisa hat in so vielen Momenten Stärke gezeigt und uns beide getragen, sodass ich wachsen und zu mir finden konnte. Alleine hätte ich das nie so geschafft.

Lisa (hinten) und Lena Mantler in Paris während der Fashion Week.

COURTESY OF LENA MANTLER

Wie haben Sie sich von dem Wunsch, von allen gemocht zu werden, befreit?

Mit 13 ist es natürlich hart, wenn dir jemand schreibt, dass du hässlich bist, oder sich 30-Jährige auf Facebook über dich das Maul zerreißen. Unser Facebook-Account war der einzige, den wir an andere abgegeben haben, weil wir die extreme Gehässigkeit auf der Plattform nicht ertragen konnten. Dieser Hass kann sich richtig festbeißen. Aber heute zweifle ich dadurch nicht mehr alles an. Ich habe meine Ruhe gefunden, weil ich meine Lebenszeit nicht mit Negativem verschwenden will. Ich bin immer noch erstaunt darüber, dass sich Menschen ein gutes Gefühl verschaffen wollen, indem sie andere aufs Schlimmste beschimpfen. Aber heute versuche ich, solchen Kommentaren keine Aufmerksamkeit zu schenken, und gehe nicht darauf ein. Das würde Hater:innen nur größer und mächtiger machen.

Lena hat ihren Beruf jahrelang priorisiert – und dabei immer wieder Hass und Scham erlebt

Diese Erfahrungen haben Lena Mantler vorsichtig gemacht. Sie wählt sehr genau aus, wohin sie ihre Follower:innen mitnimmt, was sie preisgibt. Das sind manchmal Werbekooperationen, manchmal Videos vom Fußballtraining. In den letzten Monaten war es oft tagelang ruhig auf ihrem Account. Das hätte auch ganz anders aussehen können, denn die Zwillinge haben Angebote ausgeschlagen, die ihnen eine noch viel größere Aufmerksamkeit beschert hätten: Disney wollte die beiden in den USA zum doppelten Lottchen aus Deutschland machen – mit einer eigenen TV-Serie und der dazugehörigen PR-Maschinerie. Die beiden haben abgelehnt. Obwohl es für sie der absolute Traum gewesen wäre. "Wir hätten denen, die uns in Deutschland auslachten, zeigen können: Wir haben es geschafft", sagt Lena Mantler. Ein Ritterschlag im Entertainment. Aber was genau hätten sie dann geschafft? Wen hätten sie beeindruckt? Lena Mantler schwankt zwischen professioneller Abgebrühtheit und einem kämpferischen "Wir zeigen’s ihnen". Ein Wetteifern gegen Unbekannt.

Was hilft Ihnen, trotz dieser Öffentlichkeit bei sich zu bleiben?
Meine Familie und der Glaube.

Glaube?
Ich weiß, dass der Glaube und die Kirche umstritten sind, und ich kann das absolut nachvollziehen. Religion und Kirche haben unfassbar vielen Menschen tiefe Verletzungen zugefügt, mir persönlich auch. Deshalb rede ich kaum darüber, ich habe meinen Platz da noch nicht so ganz gefunden. Aber der Glaube hilft mir, mich nicht im Negativen zu verlieren.

Was hat sich hinter den Kulissen abgespielt?

Als wir unsere Reichweite aufgebaut haben, wurden wir zu großen Events eingeladen. Mit 14 sollten wir auf einer großen Award-Show einen Teil der Moderation übernehmen. Niemand wusste, was Musical.ly eigentlich war und was wir machen. Ich erinnere mich so genau an den Moment, als wir dort auf der Bühne vor richtig großen Stars standen und in deren Gesichter geschaut haben. Sie waren sich alle einig: Was machen diese Kinder da? Niemand hat sich auch nur ansatzweise für uns interessiert, im Gegenteil, wir wurden sofort verurteilt. Obwohl die Menschen, die dort anwesend waren, doch diejenigen sein sollten, die diese Position kennen. Diese Ablehnung in so jungen Jahren von so einflussreichen Menschen zu erfahren, war hart. Wir wurden schnell vorsichtig. Ich habe mich auch immer geschämt für das, was wir machen.

Dabei ist Ihre Geschichte doch das ultimative Aufsteiger:innen-Märchen in den Star-Olymp.

Ja, aber in unserem Freund:innenkreis war dieser Fame immer etwas, das niemand verstanden hat. Von Menschen, die genauso im Rampenlicht standen wie wir, wurden wir auch belächelt. Deshalb konnten wir das nicht wirklich schätzen.

Bereuen Sie es, nicht einfach aufgehört zu haben?

Nein, was ich wirklich bereue, ist die Scham darüber. Dieser Beruf ist ein riesiges Privileg. Ich bin gerade in einer Phase, in der ich die letzten sieben Jahre langsam verstehe und verarbeite. Wir waren immer unterwegs, ich hatte nie Zeit, das alles zu reflektieren. Deshalb fühlte ich mich auch nie cool genug, ich dachte, ich muss noch dieses und jenes erreichen und Jobs annehmen, damit ich genug bin. Im Rückblick sehe ich das anders. Ich kann zum ersten Mal stolz auf mich sein und setze Grenzen. Ich mache nur mehr das, was sich wirklich gut für mich anfühlt.

Die internationale Aufmerksamkeit wurde auch von Marken schnell bemerkt, Sie wurden in Ihrer Jugend mit Kooperations-Angeboten überhäuft. Warum haben Sie die Bremse gezogen?

Wir mussten erst mal verstehen, wie diese Welt funktioniert. Dabei haben uns unsere Eltern sehr geholfen. Sie waren immer für uns da, haben uns Halt gegeben und uns vor vielem bewahrt. Bei jedem neuen Angebot haben sie gesagt: Ihr müsst das nicht machen. Wenn sich irgendetwas daran doof anfühlt, dann sagen wir ab. Das war für mich extrem wichtig. Ich denke, ich hätte sonst großes Potenzial gehabt, komplett abzuheben und die Bodenhaftung zu verlieren. Die plötzliche Bekanntheit war sehr reizvoll, aber wir haben dadurch sehr jung die Erfahrung gemacht, dass diese Glitzerwelt von außen unfassbar schön aussieht, aber von innen eher traurig ist.

Hat sich der Hass aus dem Netz auch ins reale Leben übertragen und Sie dort getroffen?

Es gab einen Zwischenfall, ich war in Frankfurt, musste früh raus, um zu einem Job zu fahren. Auf dem Weg zu meinem Auto habe ich bemerkt, dass ich erkannt wurde, dann hat mir ein Fremder ins Gesicht geschlagen. In dem Moment habe ich überhaupt nicht gecheckt, was passiert ist. Ich bin direkt danach ans Set gefahren und habe drei Tage durchgearbeitet. Dort hat mich keine:r gefragt, wie es mir geht, alle waren nur damit beschäftigt, mein geschwollenes Gesicht überzuschminken. Ich habe mich so geschämt, weil ich ein Problem für die anderen verursacht hatte. Im Nachhinein war das der Punkt, an dem ich mir dachte: Okay, kein Job der Welt ist es wert, meine Gesundheit und Psyche so zu übergehen. Ich will nur mehr mit Menschen arbeiten, die mich in solchen Situationen unterstützen, anstatt mir ein schlechtes Gefühl zu geben.

Heute konzentriert sich Lena mehr auf sich selbst

Lena Mantler spricht immer wieder über Scham und das Gefühl, nicht dazuzugehören. Die Bewertung anderer schwingt in all ihren Erzählungen mit. Social Media füttert die Angst vor Ablehnung, besonders im Millionen-Maßstab, in dem sich die 20-Jährige bewegt. Das Gefährliche an der Art von Hype, den sie erfahren hat: Irgendwann schwindet die Aufmerksamkeit wieder. Was bleibt dann übrig? Wer will Lena sein? Woran orientiert man sich, wenn man alles, wovon viele Menschen ihr Leben lang träumen, in so jungen Jahren erreicht hat? Die große Aufregung um die beiden ist jetzt vorbei. Das Image, das ihnen anhaftete, passt nicht mehr. Heute posten sie auf ihren jeweils eigenen Accounts und bewegen sich weg von den Klischees, die über sie als Zwillinge und Influencerinnen erzählt wurden. Lena will sich Zeit lassen, um herauszufinden, wer sie sein will. Mit dem Druck von außen kann sie heute besser umgehen. Trotzdem hat sich die Aufmerksamkeit in ihr Erwachsenwerden eingeschrieben. Den Hype erleben jetzt andere. Zuletzt etwa die Elevator Boys, die in kürzester Zeit international bekannt wurden.

Lena interessiert sich für Fotografie und macht vor allem Schwarz-Weiß-Fotos

COURTESY OF LENA MANTLER

Wie fühlt es sich an, aus Ihrer Perspektive andere zu beobachten, die gerade auf Social Media zu viralen Stars werden?

Ich hoffe, dass jede:r, der oder die einen so großen Hype erlebt, ein starkes Fundament hat. Social Media ist so gebaut, dass du es sofort merkst, wenn deine eigene Kurve nach unten zeigt. Wir haben zwar die erste Million Follower:innen in einem Monat geknackt, aber natürlich blieb das Tempo nicht. Damals habe ich mich geschämt, wenn wir nicht mehr so viele Likes auf Posts bekommen haben, jetzt bin ich unendlich froh, nicht mehr so im Fokus zu sein. Ich bin zum ersten Mal ein bisschen entspannter.

Entscheidungen wie die damals gegen Disney haben Lisa und Lena Mantler immer mit ihren Eltern getroffen. Wenn Lena von Support spricht, dann selten von Freund:innen, sondern von ihrer Kernfamilie. Ihre Mutter begleitete sie auf Jobs, entschied mit den Zwillingen, was gepostet wird und was nicht. Der Vater war dabei, wenn er sich freinehmen konnte. Vor dem Durchbruch kannten sie die Entertainment-Branche nicht. Das hat die Familie strapaziert. "Wir haben Angebote für einzelne Posts bekommen, die uns mehr Geld eingebracht hätten, als mein Papa in einem Monat verdient", sagt Lena Mantler. "Das ist ziemlich verwirrend, wenn man keine Ahnung hat, wie die Arbeitswelt funktioniert." Disney, das große Geld, globale Aufmerksamkeit in jungen Jahren: Das alles kennt man aus den Geschichten von Kinderstars wie Britney Spears, Lindsay Lohan oder Selena Gomez. Die Kritik an den Eltern blieb nicht aus.

Lena trägt einen Jumpsuit mit überlangen Armen sowie schwarze Overknee-Stiefel aus Leder, beides von SPORTMAX. Sonnenbrille, von KHAITE X OLIVER PEOPLES

Foto: Eva Baales. Styling: Almut Vogel. Haare und Make-up: Arzu Kücük.

"Als wir die erste Million Follower:innen erreicht haben, saßen wir zusammen mit unseren Eltern im Wohnzimmer und haben überlegt: Wollen wir das wirklich?", erzählt Lena Mantler. Sie haben weitergemacht. Die Eltern waren da, haben unterstützt und sie laut Lena vor vielen Fehlern bewahrt, die sie in ihrer Euphorie bestimmt gemacht hätten. Aber sie haben die Öffentlichkeit auch nicht unterbunden. Lisa und Lena Mantler wollten sich zeigen, testen, was möglich ist. Lena erzählt, dass sie vor ihrem Durchbruch Youtuberin werden wollte. Wie soll man also damit umgehen, wenn Kinder Spaß daran haben, was sie tun, und ihren Träumen hinterherjagen, dabei aber Millionen Menschen zusehen? Die liebste Erzählung im Turbo-Kapitalismus ist die der persönlichen Erfüllung durch Arbeit. Heute ist Influencer:in einer der Top- Berufswünsche Jugendlicher. Was davon ist Selbstverwirklichung, was richtet Schaden an? Die Zwillinge haben viele Angebote abgelehnt, "wir haben uns nicht verheizt", sagt Lena. Darauf sei sie heute stolz.

Mittlerweile arbeiten Sie als Schauspielerin, Moderatorin und Model, privat fotografieren Sie gern. Das sind oft konsequente Wege aus einem Job wie Ihrem, so richtig fest legt man sich aber lange nicht. Hat das auch mit der großen Auswahl an Möglichkeiten zu tun?

Schwer zu sagen. Ich habe das Privileg, durch die Reichweite super viel ausprobieren zu können, mir stehen Türen offen, die anderen nicht offen stehen. Aber das ist Fluch und Segen zugleich. Durch die vielen Zuschauer:innen habe ich den Anspruch, alles von Anfang an professionell und perfekt machen zu müssen. Aber all diese Jobs brauchen Übung und Kenntnis, dazu gehört Handwerk, das man lernen muss. Woher soll ich es können? Bei der Fotografie versuche ich, das wirklich nur für mich zu machen. Ich will meinen Wert nicht nur aus der Anerkennung anderer ziehen. Ich will bewahren, was mir selbst Freude bereitet. Aber da waren auch Zweifel. Ich habe mich gefragt: Bin ich als Einzelperson überhaupt interessant genug? Heute bin ich positiv überrascht, wie viel Zuspruch wir aktuell bekommen. Und es wäre auch nicht authentisch, wenn wir immer nur zu zweit auftreten würden. Früher war es tatsächlich so, dass wir die gleichen Dinge mochten und einen ähnlichen Geschmack hatten. Heute ist das anders, und das sehen die Menschen ja auch. Wir haben Dinge, die uns verbinden, können aber auch unseren eigenen Weg gehen.

Die Zeit der Tanzvideos ist also endgültig vorbei?

Vielleicht feiern wir mit 30 Jahren dann unser Comeback, ich habe gehört, das kommt gut an (lacht).

Full Credits Fotoshooting:

Fotos: Eva Baales
Styling: Almut Vogel
Haare und Make-up: Arzu Kücük
Fotoassistenz: Nicolaj Koraus
Produktion: Michael Weniger

Dieser Artikel erschien zuerst in unserer Juni-Ausgabe 2023. Entdecken Sie das Heft schon bald im Zeitschriftenhandel oder lassen Sie es sich bequem nach Hause liefern – zum Beispiel über Amazon.

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