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Wirtschaft Gehaltsvergleich

4365 EU-Beamte verdienen mehr als die Kanzlerin

Sehr ordentliches Einkommen: Von links nach rechts gelesen zeigt diese Übersicht, wie viele EU-Beamte ähnlich oder mehr verdienen wie deutsche Staatsdiener Sehr ordentliches Einkommen: Von links nach rechts gelesen zeigt diese Übersicht, wie viele EU-Beamte ähnlich oder mehr verdienen wie deutsche Staatsdiener
Von links nach rechts gelesen zeigt diese Übersicht, wie viele EU-Beamte ähnlich oder mehr verdienen als deutsche Staatsdiener
Quelle: Infografik Die Welt
Ein Posten bei der EU kann äußerst lukrativ sein. Nach Berechnungen der „Welt am Sonntag“ verdienen Tausende Beamte sogar mehr als Angela Merkel. Kritiker sprechen vom „Schlaraffenland“.

Ein paar Hundert Beamte in Brüssel verdienten mehr als ein Premierminister oder eine Bundeskanzlerin, hatte sich Großbritanniens Regierungschef David Cameron ausrechnen lassen. „Damit muss Schluss sein“, kündigte er vor dem EU-Gipfel im November an, in dessen Verlauf er sich mit den Kollegen nicht auf einen Haushalt für die EU einigen konnte.

Die „Welt am Sonntag“ hat vor dem nächsten Gipfel, bei dem Ende kommender Woche das Billionen-Budget endlich verabschiedet werden soll, nachgerechnet: Es sind nicht Hunderte, sondern Tausende EU-Beamte, die mehr verdienen als ein typischer europäischer Regierungschef – wegen hoher Gehälter und der vorteilhaften EU-Steuersätze.

Rund 46.000 Beamte stehen in Diensten der EU, bei der Kommission arbeitet der größte Teil. Mit Grundgehalt und steuerfreien Zulagen – für Kinder und deren Schulgeld, für Haushaltsführung, Managementaufgaben und den Dienst im belgischen Ausland – kann schon in der 13. von insgesamt 16 Gehaltsstufen der Sprung auf das Niveau des Regierungschefs gelingen.

Mit 16.358,80 Euro brutto im Monat verdient ein altgedienter Beamter (verheiratet, ein Kind) dann rund so viel wie die Bundeskanzlerin, leistet dafür Dienst etwa als Leitender Rechtsrat oder Referatsleiter. Die seien „das Rückgrat der Verwaltung“, wirbt die Kommission auf ihrer Webseite, es könne „leicht passieren, dass Sie eine entscheidend wichtige Rolle in den Verfahren der EU spielen“. Referatsleiter haben Verantwortung für ein paar Dutzend Mitarbeiter.

Auch der Bundespräsident wird übertrumpft

In Besoldungsstufe 13 (ohne Berücksichtigung des Dienstalters) und darüber arbeiteten Mitte 2012 genau 4365 Beamte. Davon waren 1760 in die höheren Gehaltsstufen 14, die etwa einem Direktor mit nach Angaben der EU-Kommission im Durchschnitt 100 Untergebenen zusteht, sowie 15 und 16 eingruppiert.

Als einer von 79 Generaldirektoren in der höchsten Besoldungsstufe kann ein EU-Beamter im Gehaltsvergleich selbst ein deutsches Staatsoberhaupt um Längen schlagen. Nach vier Jahren im Amt verdient ein kinderloser Single in Brüssel 21.310,17 Euro im Monat, Zulagen inklusive. Rechnet man nicht brutto, sondern netto, dann bekommen in Brüssel und Luxemburg noch erheblich mehr Menschen mehr Geld als eine Bundeskanzlerin, von Ministern und Staatssekretären gar nicht zu reden.

Denn die Beamten zahlen keine nationale Einkommensteuer, sondern direkt an die EU – und die begnügt sich mit geringen Sozialabgaben von 13,3 Prozent des Grundgehalts, mit moderaten Steuersätzen und bescheidener Progression.

Die Europaparlamentarierin Inge Gräßle (CDU), Mitglied im Haushaltskontrollausschuss, hat einen detaillierten Steuervergleich für jede Besoldungsgruppe und jede Dienstaltersstufe anfertigen lassen. Von Letzteren gibt es je fünf, „die Beamten steigen alle zwei Jahre automatisch in die nächste Dienstaltersstufe auf“, so die Kommission.

Die Ergebnisse der Untersuchung liegen der „Welt am Sonntag“ vor. Nur ein Beispiel: Der Referatsleiter mit Merkels Brutto nimmt netto 11.863,56 Euro mit. Würde er in Deutschland versteuern, hätte er rund 2000 Euro weniger im Monat. Um wiederum diesen Nettobetrag, rund 9600 Euro, zu bekommen, muss ein EU-Beamter – sagen wir: ein Hauptübersetzer – nicht so weit klettern: Gehaltsstufe 11 und vier Jahre Wartezeit reichen.

Niedrige Steuerquote für EU-Beamte

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Die stärksten Schultern tragen auch im EU-Steuersystem die meiste Last. Aber ein alleinstehender Topverdiener zahlt an die EU etwa 25 Prozent des Bruttoeinkommens an Steuern. Ein vergleichbarer Fall, der in Gräßles Heimat Baden-Württemberg versteuerte, müsste 39 Prozent abgeben.

Die Abgeordnete zahlt wie alle ihre deutschen Kollegen in Deutschland Steuern auf die Diäten, die denen von Bundestagsabgeordneten entsprechen. Ein Übersetzer kann in Brüssel mehr verdienen.

„Der Beamtendienst der EU ist der bestbezahlte in Europa. Selbst gegenüber der deutschen Beamtenschaft leben EU-Beamte in einem Schlaraffenland“, sagt Rainer Holznagel, Präsident des deutschen Bundes der Steuerzahler. Er kritisiert „die unzähligen und teils üppigen Privilegien“ und fordert: „Sowohl die Bezahlung, die steuerliche Behandlung als auch die generösen Pensionsregelungen müssen dringend reformiert werden.“

Die Verwaltungskosten der EU und damit die Ausgaben für das Personal sind einer der  zentralen Streitpunkt zwischen Brüssel und den Hauptstädten. Sie sollten sinken, sagte Holznagel: "Dann stehen zugleich mehr Mittel für wichtige Projekte zur Verfügung. Zu Recht fordern daher die EU-Nettozahler substanzielle Einschnitte bei den Personal-und Verwaltungsausgaben im Rahmen der laufenden Verhandlungen zum Finanzrahmen bis 2020.“

Gräßle befindet: „Das EU-Steuerrecht macht den Dienst in der EU unverändert attraktiv.“ Sie widerspricht der großen Sorge der Kommissionsspitze: Wenn sie den Regierungschefs nachgebe und bei den eigenen Verwaltungsausgaben spare, dann suchten sich die besten Leute womöglich künftig andere Arbeitgeber.

Dabei steht nicht zu befürchten, dass der öffentliche Dienst in Spanien, in Portugal oder Griechenland zur Konkurrenz für Brüssel wird. Überall dort wurden in den vergangenen Jahren die Gehälter im Staatsdienst gekürzt, teils erheblich – und oft unter Mitwirkung von EU-Beamten als Mitglieder der Troika.

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