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Ein gegenüber einem asphaltierten Wirtschaftsweg mit 10-15 cm tiefer liegender, unbefestigter Seitenstreifen ist eine für einen Radfahrer beherrschbare Gefahrenstelle, wenn ein durchschnittlich aufmerksamer und vorsichtiger Radfahrer den unbefestigten Seitenstreifen und die mit einem Verlassen der asphaltierten Wegoberfläche verbundenen Gefahren unschwer erkennen und vermeiden kann. Es ist dann ausreichend, wenn der Weg so gestaltet ist, dass es z. B. einem unsicheren Radfahrer möglich ist, bei nahendem Begegnungsverkehr rechtzeitig vom Rad zu steigen und das Fahrrad auf den Seitenstreifen zu schieben.
Der Senat weist nach Beratung darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs.2 S.1 ZPO zurückzuweisen.
Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, binnen 3 Wochen ab Zugang dieses Beschlusses zu dem Hinweis Stellung zu nehmen oder die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.
Gründe:
2I.
3Die am 00.00.1951 geborene Klägerin nimmt die beklagte Gemeinde auf Schadensersatz nach einem behaupteten Fahrradunfall vom 00.06.2019 in Anspruch. Die Klägerin sieht die Beklagte aufgrund einer Verkehrssicherungspflichtverletzung in der Verantwortung. Die Klägerin hält aufgrund der behaupteten Verletzungen die Zahlung eines Schmerzensgeldes von 7.000,00 € für erforderlich, ferner verlangt sie den Haushaltsführungsschaden ersetzt.Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes, der vor dem Landgericht gestellten Anträge und der tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs.1 ZPO auf das angefochtene Urteil verwiesen.Das Landgericht hat die Klägerin persönlich angehört und sodann die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe im Zusammenhang mit der Unterhaltung des Wirtschaftswegs B ihre Verkehrssicherungspflichten nicht verletzt. Eine etwaige Abschüssigkeit der asphaltierten Wegoberfläche und des sich an den Weg anschließenden unbefestigten Seitenstreifens hätten sich an dem gesamten von der Klägerin zurückgelegten Wegstück gleichförmig dargestellt, die Beschaffenheit des Weges und des Seitenstreifens sei für die Klägerin auch gut erkennbar gewesen. Soweit die Klägerin behaupte, zum Unfallzeitpunkt habe ein deutlicher Höhenunterschied zwischen der asphaltierten Straße und dem Seitenstreifen von 10 – 15 cm bestanden, habe sich dies nicht zur Überzeugung der Kammer ergeben. Anhand der von der Klägerin vorgelegten Fotografien sei allenfalls ein marginaler Höhenunterschied zu erkennen, der sich im Rahmen dessen bewege, was bei vergleichbaren Verkehrsflächen üblich sei. Letztendlich habe die Klägerin auch nicht den Nachweis der Kausalität zwischen einer etwaigen Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten und dem Sturzereignis geführt. Nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung der Klägerin liege es nahe, dass die Klägerin unaufmerksam gewesen sei, aufgrund geringer Geschwindigkeit die Balance verloren habe und deshalb auf den unbefestigten Randstreifen geraten sei, wodurch sie gestürzt sei.
4Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie macht geltend, das Landgericht habe die Anforderungen an die die Beklagte treffende Verkehrssicherungspflicht zu gering bemessen. Es habe durch den massiven Höhenunterschied zwischen Fahrbahn und Seitenstreifen eine Gefahrenquelle bestanden, die für sie nicht rechtzeitig erkennbar gewesen sei. Die Beklagte müsse bei der Unterhaltung ihrer Verkehrsflächen berücksichtigen, dass die Verkehrsflächen auch von Bürgern benutzt würden, die aufgrund ihres Alters kein ideales Reaktionsvermögen mit sich brächten. Hiermit sowie mit dem Umstand, dass die Beklagte nach dem Unfallereignis die Unfallstelle in Stand gesetzt habe, habe sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt.Sie beantragt,
5unter Abänderung des angefochtenen Urteils
61. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen;
72. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche weitere materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 00.06.2019 zu ersetzen;
83. die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 2.079,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Berufung zurückzuweisen.
11II.
12Die Berufung der Klägerin hat nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Auch eine mündliche Verhandlung, von der neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind, ist nicht geboten, § 522 Abs.2 S.1 ZPO.Das Landgericht hat die Klage aus zutreffenden Gründen abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus §§ 839, 249, 253 Abs.2 BGB, Art.34 GG i.V.m. §§ 9, 9a, 47 Abs.1 StrWG NRW. Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
13Unstreitig ist die Beklagte Trägerin der Straßenbaulast für den in ihrem Gemeindegebiet liegenden Wirtschaftsweg B. Daher trifft sie die Pflicht, in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die zur Herbeiführung und Erhaltung eines für die Benutzer hinreichend sicheren Zustandes der Verkehrsfläche erforderlich sind. Hierbei ist keine absolute Gefahrlosigkeit herzustellen. Denn dies ist mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen. Vielmehr muss sich der Straßenbenutzer grundsätzlich den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Demgegenüber ist es Sache des Verkehrssicherungspflichtigen, alle, aber auch nur diejenigen Gefahren auszuräumen und erforderlichenfalls vor ihnen zu warnen, die für den Benutzer, der die durchschnittliche und erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzustellen vermag (Senat, Beschl. v. 02.06.2017, 11 U 76/16; OLG Hamm, Urt. v. 05.05.1998, 9 U 7/98, Tz.12; OLG Hamm, Urt. v. 11.12.1992, 9 U 82/92, Tz.4; OLG Saarbrücken, Urt. v. 17.07.2007, 4 U 64/07, Tz.17, jeweils zitiert nach juris).Das Landgericht geht zutreffend davon aus, dass die Beklagte die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt hat. Dahin stehen kann deshalb, ob die weitergehenden Erwägungen des Landgerichts zum Fehlen der Kausalität zwischen einer unterstellten Verkehrssicherungspflichtverletzung und dem Sturzereignis das klageabweisende Urteil tragen.Die von der Klägerin in der Klageschrift und in der Berufungsbegründung vorgetragene Rechtsauffassung überspannt die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht bei der Anlage und Unterhaltung von Wirtschaftswegen mit geringer Verkehrsbedeutung. Die Beklagte war nicht verpflichtet, für ein gleichförmiges Niveau des an den Wirtschaftsweg grenzenden Geländes, das nach ihrem Vortrag die Funktion eines Banketts erfüllt, zu sorgen; sie war auch nicht verpflichtet, auf das unbefestigte Bankett gesondert hinzuweisen.Im Hinblick auf Kraftfahrzeuge hat die Rechtsprechung entschieden, dass der Kraftfahrer auch auf unbefestigten Randstreifen, die er, was die Verkehrssituation erforderlich machen kann, in langsamer und vorsichtiger Fahrweise mitbenutzen darf, ohne besonderen Hinweis nicht mit für ihn nicht erkennbaren Gefahrenstellen zu rechnen braucht, die einer solchen – eingeschränkten – Benutzung des Banketts entgegenstehen (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.169, III ZR 110/66, Tz.21, juris; vgl. Geigel/Wellner, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., 14. Kap., Rn.69). Für den Radverkehr gilt im Grundsatz nichts anderes. Auch für den Radfahrer gibt es Verkehrssituationen, in denen er gezwungen ist, vorübergehend auf den neben dem befestigten Radweg befindlichen Seitenstreifen auszuweichen. Der Radfahrer darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass er, wenn er aus einem dieser Gründe kurzfristig auf den Seitenstreifen gerät, nicht in eine für ihn nicht erkennbare Gefahrensituation kommt (OLG Celle, Urt. v. 22.10.1986, 9 U 28/86, Tz.8, juris).Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten nicht gegeben ist. Denn unter Berücksichtigung der vorstehend dargestellten Grundsätze lag schon keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle vor. Sofern der nicht befestigte Seitenstreifen vor der Sanierung des Wirtschaftswegs für einen Zweiradfahrer eine Gefahrenstelle dargestellt hat, war die Gefahr für einen durchschnittlich aufmerksamen Radfahrer ohne weitere Kennzeichnung hinreichend erkennbar und auch beherrschbar. Dies gilt jedenfalls für einen Radfahrer, der am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt; auf besondere Fähigkeiten des Radfahrers, die möglicherweise altersbedingt nicht mehr vorhanden sind, kommt es nicht an. Eine zusätzliche Sicherung der Verkehrsfläche durch ein Warnschild war deshalb nicht erforderlich. Auf das Vorliegen einer abhilfebedürftigen Gefahrenstelle kann auch nicht deshalb geschlossen werden, weil sich die Beklagte nach dem Unfall veranlasst gesehen hat, den Seitenstreifen im Bereich der Unfallstelle zu befestigen. Es bleibt dem Verkehrssicherungspflichtigen unbenommen, vorsorgliche oder gar überobligate Maßnahmen zur Unterhaltung seiner Verkehrsflächen zu ergreifen.Für die Klägerin war ohne weiteres erkennbar, dass der Wirtschaftsweg im gesamten Bereich der Unfallstelle mit einem nicht befestigten Seitenstreifen versehen war. Dies hat die Klägerin vor dem Landgericht selbst ausgeführt. Dieser Umstand ergibt sich außerdem aus den von der Klägerin sowie insbesondere aus den von der Beklagten zur Akte gereichten Fotografien, Bl.40 ff d.A., die auch nach dem Vortrag der Klägerin den Wirtschaftsweg vor der erfolgten Instandsetzung zeigen. Ein durchschnittlich aufmerksamer und vorsichtiger Radfahrer konnte bei Befahren des Wirtschaftswegs unschwer erkennen, dass an den asphaltierten Weg ein unbefestigter Seitenstreifen angrenzt und dass das Verlassen der asphaltierten Wegoberfläche deshalb mit Gefahren verbunden ist. Denn die Erkenntnis, dass das Passieren der Kante von dem befestigten Weg auf den Seitenstreifen und das Befahren des unbefestigten Seitenstreifens selbst mit Gefahren für einen Radfahrer verbunden ist, darf altersunabhängig von jedem Zweiradfahrer erwartet werden, der am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt.Darüber hinaus war die Gefahrenstelle für einen durchschnittlich aufmerksamen und vorsichtigen Benutzer des Radwegs auch beherrschbar. Dies ergibt sich schon daraus, dass angesichts der Ausgestaltung des gerade verlaufenden Wirtschaftswegs B für einen Radfahrer, der das Verlassen des Wirtschaftswegs auf den Seitenstreifen aufgrund fehlender Fertigkeiten nicht zu bewältigen vermag, kein Anlass bestand, den Weg mit dem Fahrrad zu verlassen. Der Weg ist hinreichend breit und so übersichtlich gestaltet, so dass es einem unsicheren Radfahrer möglich ist, bei nahendem Begegnungsverkehr rechtzeitig vom Rad zu steigen und das Fahrrad auf den Seitenstreifen zu schieben. Des Weiteren ist der Senat gem. § 529 Abs.1 Nr.1 ZPO an das landgerichtliche Urteil gebunden, nach dem ein erheblicher Höhenunterschied zwischen der asphaltierten Wegoberfläche und dem Seitenstreifen von 10 – 15 cm im Bereich der Unfallstelle nicht feststellbar ist, sondern sich der vorhandene Höhenunterschied im Rahmen dessen bewegt, was bei vergleichbaren Verkehrsflächen üblich ist. Die Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zu einem angeblich massiven Höhenunterschied sind nicht in Einklang zu bringen mit dem Zustand der Örtlichkeiten, der sich aus den von ihr vorgelegten Fotografien, Bl.9 f d.A., ergibt. Anhaltspunkte, die konkrete Zweifel an der Richtigkeit der landgerichtlichen Feststellungen begründen könnten, trägt die Klägerin mit der Berufung auch nicht vor. Die vom Landgericht festgestellte, und vom Senat bei seiner Entscheidung zu berücksichtigende Ausgestaltung des Wegs im Bereich der Unfallstelle erlaubt nicht die Annahme, dass ein durchschnittlicher befähigter und aufmerksamer Radfahrer nicht in der Lage gewesen wäre, den Wechsel von der Fahrbahn auf den unbefestigten Seitenstreifen wegen des vorhandenen Höhenunterschieds sicher zu bewältigen.
14Auf diesen Hinweis wurde die Berufung zurückgenommen.