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Kritik am DFL-Sicherheitspapier "Die Macht der Fans wird völlig unterschätzt"

Der Jurist Thomas Feltes sollte den Liga-Verband DFL bei der Stadionsicherheit beraten, nach einem Zerwürfnis musste er gehen. Im Interview spricht der Kriminologe über die Sinnlosigkeit von Stadionverboten und beklagt die Unwissenheit der Verbandsbosse über die Fankultur.
Proteste von Dortmund-Fans: "Wir stochern mit unseren Sanktionen im Nebel"

Proteste von Dortmund-Fans: "Wir stochern mit unseren Sanktionen im Nebel"

Foto: Kevin Kurek/ dpa

SPIEGEL ONLINE: Am Mittwoch wird die DFL über ihr Sicherheitspapier entscheiden, womit man das vermeintliche Gewaltproblem in den Stadien in den Griff bekommen möchte. Sollte der Verband dem Papier zustimmen?

Feltes: Es ist völlig egal, ob ihm zugestimmt wird oder nicht. Es ist nämlich ein völlig unkonkretes Wunschpapier, das nur wenig aussagt.

SPIEGEL ONLINE: Was sind Ihre konkreten Kritikpunkte?

Feltes: Allein der Name "Sicheres Stadionerlebnis" ist grotesk. Der könnte auch von irgendeiner Waschmittelfirma entwickelt worden sein. Durch dieses Papier und die öffentliche Diskussion dazu wird suggeriert, dass wir ein Sicherheitsproblem in deutschen Stadien haben. Das stimmt aber nicht.

SPIEGEL ONLINE: Das ist eine sehr grundsätzliche Kritik. Welche konkreten Fehler hat das Papier?

Feltes: Wie Watzlawick in seiner "Anleitung zum Unglücklichsein" schon sagte: Mehr vom Selben hilft nicht. Genauso ist es bei diesem Papier. Dort werden mehr und schärfere Reaktionen gefordert. Dabei haben wir keine Erkenntnis darüber, ob die derzeitigen Sanktionen überhaupt wirken oder Sinn machen.

SPIEGEL ONLINE: Sie meinen die Stadionverbote?

Feltes: Zum Beispiel. Es wird gefordert, dass Stadionverbote häufiger und konsequenter ausgesprochen werden. Dabei wissen wir nichts über die Menschen, die von Stadionverboten betroffen sind. Wir wissen noch nicht einmal, wie viele Stadionverbote es insgesamt gibt. Offiziell heißt es, es gebe etwa 3200. Aber wenn man sich die Liste genauer ansieht, stellt man fest, dass es aufgrund von Doppel- und Falscherfassungen wohl eher 2600 sind.

SPIEGEL ONLINE: Ist das nicht Zahlenklauberei?

Feltes: Von der meist unklaren Beweislage einmal abgesehen: Wenn wir nicht einmal wissen, wie viele Stadionverbote es überhaupt gibt, wie sie genau aussehen und warum sie konkret verhängt wurden, können wir dann etwas Signifikantes über die Wirkung dieser Maßnahme oder über die Menschen sagen, die davon betroffen sind?

SPIEGEL ONLINE: Sie stellen die Effizienz von Stadionverboten also in Frage, weil man nichts über die Bestraften weiß?

Feltes: Das Ganze ist vergleichbar mit einem Medikament, das man einnimmt, um eine Krankheit zu bekämpfen. Statt einer Heilung bekommt man aber nur Nebenwirkungen. Dann nimmt man doch nicht noch mehr von diesem Medikament, in der Hoffnung, dass es die richtige Wirkung zeigt. Solange wir keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Ultra-Szene und insbesondere über die Personen haben, die Stadionverbot erhalten, stochern wir mit unseren Sanktionen nur im Nebel herum und erzielen verheerende Nebenwirkungen.

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie genau?

Feltes: Stadionverbotler werden in der Szene zu Helden glorifiziert. Es ist ein bisschen wie bei den Märtyrern im alten Rom: Statt dass Stadionverbote zur Ausgrenzung der Bestraften führen, entstehen in den Ultra-Gruppen Solidarisierungseffekte. Das "Wir gegen die Anderen" wird damit verstärkt. Damit ist keinem geholfen.

SPIEGEL ONLINE: Im Sicherheitspapier geht es grob auch um den Umgang der Polizei mit den einzelnen Fangruppen. Sie als Kriminologe und Polizeiwissenschaftler haben interne Einblicke in dieses Thema. Wie viel Optimierungsbedarf gibt es dort?

Feltes: Die Probleme fangen bei der Zusammenstellung der Einsatzgruppen der Bereitschaftspolizei an. Dort werden in großem Maße Berufsanfänger eingesetzt. Diese sind jung, starten mit hohen Erwartungen in ihren Job und werden in solch nervtötenden Einsätzen verheizt. Diese Frustration muss dann natürlich irgendwo ausgelebt werden, und sie hat, nebenbei bemerkt, auch negative Auswirkungen auf die Institution Polizei selbst.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es realistische Verbesserungsmöglichkeiten?

Feltes: Vieles würde erleichtert werden, wenn Polizisten eingesetzt würden, die mit den regionalen, räumlichen und personellen Bedingungen vertraut sind. Derzeit werden oftmals Beamte eingesetzt, die weder das Stadion, noch die Fans kennen. Das führt zur Verunsicherung, sowohl bei den Fans als auch bei den Polizisten. Zudem wäre es sinnvoll, angemessene Einsatzphilosophien zu entwickeln, die von allen mitgetragen werden. Von den teilweise bunt zusammengewürfelten Hundertschaften, die bei den Spielen eingesetzt werden, kann man aber nicht wirklich erwarten, dass sie konsequent und einheitlich auftreten.

SPIEGEL ONLINE: Solche konkreten Verbesserungsvorschläge sind im Sicherheitspapier an keiner Stelle zu erkennen. Warum versucht die DFL überhaupt, dieses Papier durchzubringen?

Feltes: Weil es die Politik so will und Maßnahmen fordert. Hätte die DFL einen unabhängigen Sicherheitsexperten, dann könnte sie aus einer anderen Position heraus argumentieren.

SPIEGEL ONLINE: Die DFL hat doch aber extra einen Beirat eingerichtet, in dem sich Experten mit Fan- und Sicherheitsfragen befassen sollten. Sie haben diesem ebenfalls angehört.

Feltes: Der Beirat sollte ein Löwe sein, hat sich aber schnell als Bettvorleger entpuppt. Wir sind eigentlich mit dem Wunsch angetreten, selbst Forschung im Bereich der Fans durchzuführen. Doch das war möglicherweise von den Verbänden nicht gewünscht. Stattdessen wollte man uns zu einer Abnicker-Fraktion degradieren, die sich in unregelmäßigen Abständen anhört, wie toll oder auch wie schwierig alles ist und diesem dann die Absolution erteilt. Im Nachhinein habe ich das Gefühl, dass man den Beirat eher als Schutzschild eingerichtet hat, um der Kritik von außen besser entgegenwirken zu können.

SPIEGEL ONLINE: War dies auch der Grund, warum Sie aus diesem Gremium ausgeschieden sind?

Feltes: Ich bin nicht freiwillig ausgeschieden, ich bin rausgeworfen worden. Man kann sagen, dass ich den Rauswurf mit meiner pointierten Kritik - vor allem am DFB - selbst provoziert habe. Auf der anderen Seite habe ich zuvor eineinhalb Jahre versucht, argumentativ etwas zu bewegen - ohne Erfolg. Allerdings war ich schon verwundert, wie wenig selbstbewusst, wie abhängig und fast unterwürfig sich die DFL gegenüber dem DFB dabei gezeigt hat.

SPIEGEL ONLINE: Ein von Ihnen geäußerter Verbesserungsvorschlag ist die Etablierung von unabhängigen Spielbeobachtern. Wie soll das funktionieren?

Feltes: Die DFL und der DFB sollten einen Kreis an Personen benennen, die an den Spieltagen als Beobachter fungieren. Die Personen sollten aber weder aus den Verbänden noch aus den Vereinen kommen, sondern unabhängige, externe Experten sein. Dadurch wäre eine objektive Rückmeldung über die Probleme in den Stadien möglich.

SPIEGEL ONLINE: Warum wird dieser Vorschlag nicht realisiert?

Feltes: Ich kann hier nur mutmaßen: Vielleicht, weil die Verbände Angst haben, dass durch externe Mitarbeiter etwas von den Dingen, die unrund laufen, an die Öffentlichkeit dringen könnten. Die Verbände pflegen mittlerweile eine Art der Nicht-Kommunikation und des Abschottens. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum die Situation zwischen Ultras und Verbänden so verfahren ist. Und wenn mal kommuniziert wird, dann um des Kommunizierens willen: Man will den Eindruck erwecken, dass man miteinander redet. Allerdings ist dies keine "herrschaftsfreie" Kommunikation, sondern wird nur als solche vorgespielt.

SPIEGEL ONLINE: Woran machen Sie das genau fest?

Feltes: Es herrscht bei den Verbänden immer noch die Meinung vor, dass man mit eigenen Public-Relations-Mitteln die öffentliche Meinung prägen könnte. Die Verbände verzichten dabei ganz bewusst auf Transparenz. Die Fans hingegen wollen noch stärker an den Entscheidungen beteiligt werden. Die Verbände müssten völlig neue Gesprächsstrukturen schaffen. Aber auch das geht nur, wenn ich auch weiß, wer das überhaupt ist, der mit mir sprechen will.

SPIEGEL ONLINE: Ist das bei jährlich 18 Millionen Besuchern in der ersten und zweiten Liga überhaupt möglich?

Feltes: Zumindest kann ich mir durch Befragungen, wie wir sie durchgeführt haben, ein gewisses Bild von den Wünschen und Vorstellungen der Besucher verschaffen. Es geht aber auch um grundsätzliche Dinge. Die Verbände müssen verstehen, dass Fußballfans keine dumpfe, unkritische Masse sind. Es entsteht eine immer größere Basis, welche die Vermarktung der Ware Fußball kritisch hinterfragt und Antworten sucht. Die Verbände hätten aber am liebsten lauter Jubelperser, die das Geld ins Stadion tragen, sich anständig benehmen und in die Kameras lächeln - so wie beim Tennis oder Golf. Die derzeitige Macht der Fans wird von den Verbänden völlig unterschätzt.

Das Interview führte Rafael Buschmann