Turnerin Elisabeth Seitz: „Wir dürfen nicht mal die Knöpfe im Fahrstuhl drücken“

Elisabeth Seitz ist 23-malige Deutsche Meisterin. So oft holte keine andere Turnerin den Titel

Elisabeth Seitz ist 23-malige Deutsche Meisterin. So oft holte keine andere Turnerin den Titel

Foto: picture alliance / picture allia
Von: frank schneider, thorsten felske und simon dallmeier

Die ersten deutschen Sportler sind seit ein paar Tagen in Japan. Darunter ist auch Turnerin Elisabeth Seitz, die sich in Joetsu auf Olympia vorbereitet. Die Stuttgarterin ist eine der fünf Frauen, die als Fahnenträgerin infrage kommen.

BILD am SONNTAG: Haben Sie schon das Fahneschwenken geübt?

ELISABETH SEITZ: Noch nicht. Sollte man mich wählen, würde das wie von selbst gehen. (lacht) Bereits nominiert zu sein, ist der Wahnsinn. Es wäre ein Traum, der in Erfüllung gehen könnte. Es ist eine Ehre, die nur wenigen zuteilwird. Das wäre on top.

Mit welchem Sportler würden Sie am liebsten die Fahne tragen?

Selbstverständlich mit meinem Turn-Kollegen Andy Toba. Ihn kenne ich sehr gut und lange und weiß, wie hart er arbeitet und sich zurückgekämpft hat nach dem Kreuzbandriss in Rio 2016. Dazu ist er eine herausragende Persönlichkeit.

Sie würden in ein leeres Olympiastadion einlaufen. Verstehen Sie den Zuschauer-Ausschluss?

Mit Zuschauern wäre es am Schönsten, aber wir wissen, dass diese Entscheidung für unsere Gesundheit und die der japanischen Gastgeber so getroffen wurde. Ich würde mit großem Stolz und großer Dankbarkeit einlaufen. Es ist nicht selbstverständlich, dass Olympia stattfindet.

Es gibt skurrile Verhaltensregeln. Was haben Sie schon erlebt?

Wir sind in Quarantäne, dürfen nur vom Hotel in die Turnhalle und zurück. Um den Block gehen gibt’s nicht, nur das eigene Stockwerk und das, wo man isst, darf betreten werden. Den Fahrstuhl darf man nicht allein betätigen, da kommt dann jemand zum Knöpfedrücken. Und beim Essen sind Plexiglas-Scheiben zwischen uns. Wir durften uns anfangs nicht mal selbst das Essen nehmen, jetzt geht das wenigstens mit Handschuhen. Und wir sollen möglichst nicht laut reden, schreien oder jubeln.

Wie oft wurden Sie schon von den japanischen Aufpassern zurechtgewiesen?

Noch nicht. Wir nehmen alles professionell an und versuchen, uns dran zu halten. Es gibt ja auch uns ein Gefühl der Sicherheit.

Wie kommen Sie an Dinge, die es nicht beim Essen gibt?

Das ist super organisiert. Es gibt quasi einen Tante-Emma-Laden auf Rädern. Ein kleiner Bus, der vor die Halle kommt und Sachen aus dem Supermarkt bringt. Da haben vor allem wir Frauen gleich eine „Shopping-Tour“ gemacht.

BILD bei Olympia in JapanDie knallharten Corona-Regeln in Tokio

Quelle: BILD/Reuters

Ohne Zuschauer heißt auch ohne Familie. Hatten Sie Besuch aus der Heimat eingeplant?

Ja, wir hatten Unterkünfte und Flüge, die wir alle stornieren mussten für die Familie und meinen Freund. Zum Glück ging das und wir haben kein Geld verloren.

Haben Sie jemals daran gedacht, Olympia abzusagen?

Nein. Ich habe aber gebangt, ob es stattfindet, und gehofft, dass es einen Weg gibt für die Sportler und die Bevölkerung, dass alle sicher und gesund bleiben. Viele Athleten haben mit sich gekämpft wegen der Unsicherheit und waren kurz davor aufzugeben, da es ein harter, anstrengender und vor allem ungewisser Zeitraum war. ‚Schaffe ich es noch, weiterzukämpfen?‘ – das war die Frage.

Elisabeth Seitz bei den Deutschen Meisterschaften

Elisabeth Seitz bei den Deutschen Meisterschaften

Foto: picture alliance/dpa

Sie waren 2016 Vierte am Stufenbarren. Haben Sie noch eine Rechnung offen?

Jein. Würde ich Ja sagen, würde ich mir Druck machen. Das will ich nicht. Ich will die Spiele bestmöglich genießen, dann kommt der Erfolg. Mache ich mir Druck, bin ich sicher, dass ich keine Medaille hole. Ich will mich nicht so verrückt machen, dass ich durchdrehe.

Simone Biles ist der Superstar: viermal Olympiasiegerin, 19-mal Weltmeisterin. Was hat sie, was Sie nicht haben?

Vieles! Den perfekten Körper fürs Turnen, sie ist sehr schnell, sehr sprunggewaltig, furchtlos. Es ist sehr offensichtlich, dass sie sehr gut und viel trainiert. Sie turnt in einer anderen Welt. Sie ist ein Superstar auch in der Turnwelt. Sie ist super lustig, super angenehm, offen, herzlich.

Bei der EM in Basel feierten die langbeinigen Anzüge der deutschen Frauen Welt-Premiere. Sehen wir die auch in Tokio?

Na klar! Aber nicht nur. Wir tragen ja auch die herkömmlichen noch. Die Botschaft soll sein: Jeder soll tragen, was er will, je nach Lust und Laune. Wir wollen daraus keine Pflicht machen.

Welcher Anzug turnt sich besser?

Ich kann mit beiden alle Geräte gut turnen. Ich mache das nach Gefühl. Aber beim langbeinigen können keine falschen Gedanken bei denen aufkommen, die sich falsche Gedanken machen wollen. Der Fokus beim Spagat-Sprung liegt eben nicht mehr auf dem Schritt, das ist angenehm als Frau.

Turnt es sich leichter, weil Sie wissen, es kann nichts mehr verrutschen?

Natürlich! Diese Gedanken sind weg. Bei ­manchen ist das eine ­echte Sorge und nicht nur ein Gedanke. Es gibt ja auch Tage, zwei, drei, vier, an denen man sich nicht wohlfühlt. Wenn man während der Übung nur eine Millisekunde drüber nachdenkt, kann das die Leistung beeinflussen. Das muss man nun nicht mehr.

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