Berlin. Grünen-Fraktionschef Werner Graf verlangt von den Sozialdemokraten ein klares Bekenntnis zu einem öko-linken Bündnis nach der Wahl.

An seiner Bürotür hängt ein „Boykott Katar“-Schild, der eingefleischte Fußball- und Hertha-Fan hat kein WM-Spiel gesehen. Im Team der Grünen ist Fraktionschef Werner Graf für die Abteilung Attacke zuständig und teilt mächtig gegen den Koalitionspartner aus.

Berliner Morgenpost: Herr Graf, Bettina Jarasch gegen Franziska Giffey im Streit um die Friedrichstraße, Ulrike Gote gegen Iris Spranger im Konflikt um den Rettungsdienst, harte Kritik der Grünen an Ex-Innensenator Geisel wegen der verkorksten Wahl: Wie steht es um das Verhältnis zwischen Grünen und SPD zwei Monate vor der Wahl?

Werner Graf: Parteien müssen unterscheidbar sein. Ich glaube, dabei sieht man sehr gut, wer reformieren und wer beim Weiter-so bleiben möchte. Wir kämpfen beide ums Rote Rathaus und die CDU tut das auch. Im Wahlkampf stellt man die eigenen Positionen deutlich heraus. Aber im Augenblick bekommen wir bei der SPD eine gewisse Angespanntheit mit.

Wie äußert die sich?

Zum Beispiel in der Diskussion um die Rettungsdienste. Da wird erst ein Gesetz der Öffentlichkeit präsentiert und erst danach mit uns gesprochen. Oder man versucht, uns öffentlich Ansagen zu machen, um vermeintlich Fakten zu schaffen. Wir fordern aber erstmal ordentliche Prozesse ein, denn wir sind eine politische Kraft, die etwas verändern will. Wir haben zum Beispiel nach der Klatsche des Landesverfassungsgerichts zur Wahl darauf gedrungen, dass Fehler ehrlich benannt werden und man nicht alles schönredet. Nur mit einer ehrlichen Fehlerkultur kann man auch die Strukturen verbessern.

Können Sie sich vorstellen, dass die SPD das gleiche über die Grünen sagt?

Wir machen keine Politik, bei der wir Koalitionspartnern ohne vorherige Absprachen fertige Gesetze vor die Nase knallen. Dass wir den Gesetzentwurf zum Rettungsdienst nicht zur Mitzeichnung bekommen haben, war weder professionell noch kollegial. Dass wir die Entscheidung über den Wahltermin zum Klimavolksentscheid aus der Presse erfahren haben, fand ich auch kein schönes Vorgehen von Seiten der SPD. Nach 21 Jahren im Roten Rathaus hat die SPD das Gefühl, die Stadt gehöre ihr. Aber sie gehört den Berlinerinnen und Berlinern.

Wollen Sie dennoch mit der SPD weiter regieren?

Wir haben ganz klar die Präferenz, die Stadt weiter ökosozial zu regieren, aber unter grüner Führung. Diese Klarheit würden wir uns auch von der SPD wünschen, sehen sie aber im Augenblick nicht.

Sie vermuten also, wenn die SPD Zweite wird hinter den Grünen, dann schwenken sie um und regieren mit CDU und FDP, um so das Rote Rathaus zu halten?

Die SPD ist gerade eine Wundertüte, in der auch eine Deutschland-Koalition mit CDU und FDP stecken könnte. Die SPD benennt keine Präferenzen. Gleichzeitig machen wir uns Sorgen um die SPD, weil wir erste Äußerungen hören, sie wollten sich in der Opposition regenerieren, falls sie nicht stärkste Kraft werden. Aber wir brauchen die Sozialdemokraten als starken Partner in einer ökosozialen Koalition. Deswegen wünschen wir uns, dass auch die SPD ein klares Bekenntnis zu einer Regierung mit Grünen und Linken abgibt. Und zwar auch als Juniorpartner und nicht nur zum Amtszimmer im Roten Rathaus.

Bündnispartner Bettina Jarasch (Grüne), Franziska Giffey (SPD) und Klaus Lederer (Linke). Grüne und Linke bekennen sich zur Fortsetzung der Zusammenarbeit, die SPD hält sich bedeckt
Bündnispartner Bettina Jarasch (Grüne), Franziska Giffey (SPD) und Klaus Lederer (Linke). Grüne und Linke bekennen sich zur Fortsetzung der Zusammenarbeit, die SPD hält sich bedeckt © dpa | Carsten Koall

Die SPD sagt nun, dass auch die Grünen sich gegebenenfalls als Zweiter hinter der SPD mit CDU und FDP zusammentun könnten, um das Rote Rathaus zu bekommen. Schließen Sie das aus?

Wir mussten nach der letzten Wahl die SPD-Führung gemeinsam mit der SPD-Basis in eine Koalition mit uns und der Linken drängen. Wir hätten schon damals ein Jamaika-Bündnis machen können unter grüner Führung mit der Regierenden Bürgermeisterin Bettina Jarasch. Aber wir stehen zu unseren Ansagen. Ich bin mir sicher, so eine Klarheit würde auch der SPD gut zu Gesicht stehen.

Das heißt, es gibt keine grüne Regierende Bürgermeisterin mit einer Jamaika-Koalition?

Wir glauben, dass eine ökosoziale Koalition für diese Stadt das Beste ist.

Jetzt liegt die CDU in einigen Umfragen vorne. Ist es denkbar, dass der CDU-Landeschef und Spitzenkandidat Kai Wegner auch bei einem solchen Ergebnis nicht Regierender Bürgermeister wird?

In der Parlamentarischen Demokratie geht es darum, im Parlament eine stabile Mehrheit hinter sich zu bringen. Grün-Rot-Rot hat dauerhaft und in allen Umfragen eine solche Mehrheit. Eine so linksliberale Metropole wie Berlin, hat es natürlich verdient, dass sie ökosozial regiert wird und die stärkste Kraft auch aus dem linken Lager kommt.

Sehen Sie denn eigentlich Schnittmengen mit der CDU? Hat man sich angenähert? Immerhin wäre ein Zusammengehen mit Ihnen für die CDU fast die einzige Option, um mitzuregieren.

Natürlich spricht man unter demokratischen Parteien miteinander. Wenn ich höre, was Herr Wegner zur Verwaltungsreform sagt, gibt es durchaus Schnittmengen. Die CDU scheint es ernst damit zu meinen. Bei der SPD habe ich da so meine Zweifel. Aber natürlich sehe ich auch große Differenzen zur CDU. Kai Wegner geriert sich gerade als Schutzpatron der Autos und der Parkplätze. Wir sind dagegen die Schutzpatronen der FußgängerInnen. Es kann nicht sein, dass es auf Kosten der Schwächsten geht, wenn auf den Straßen Platz für Radwege, Busse oder Trams geschaffen wird. Da prallen Welten aufeinander.

Sie selbst haben kürzlich den Neustart für die Berliner Verwaltung ausgerufen und weit reichende Reformen verlangt. Kommt das nicht ein bisschen spät nach sechs Jahren Grüne im Senat?

Wir haben einiges angestoßen und umgesetzt. Die Pop-Up-Radwege oder die schnellen Corona-Hilfen. Wir haben aber auch in den ersten fünf Jahren an der Regierung den Maschinenraum von innen gesehen und gemerkt, wo es wirklich krankt, was in der Verwaltung schiefläuft und was die MitarbeiterInnen ausbaden müssen, weil die Strukturen nicht funktionieren. Wir haben vieles in den Koalitionsvertrag gebracht, das von der Senatskanzlei noch nicht mal angegangen wurde. Das ärgert uns sehr. Wir wollen diese Stadt wieder zum Funktionieren bringen. Das kann man aber nur aus dem Roten Rathaus heraus wirklich für die ganze Stadt angehen.

Und die SPD hat sich nicht um die Verwaltungsreform gekümmert?

Wir sind mit der SPD mit der Verwaltung bei Walter Momper und Eberhard Diepgen stehen geblieben.

Gibt es denn große Unterschiede zwischen Ihren Plänen und dem, was der für Verwaltungsreform zuständige SPD-Staatssekretär Ralf Kleindiek anstrebt?

Es ist gut, dass Herr Kleindiek und die SPD jetzt endlich mal was aufgeschrieben haben. Vieles davon ist gut, einiges stammt auch von uns, anderes müssen wir diskutieren. Wichtig ist, dass wir einen Reformprozess einleiten. Allein die Aufgaben zu definieren und zwischen Senat und Bezirken klar zu verteilen, ist nicht trivial. Wir würden zum Beispiel die Kältehilfe für Obdachlose bei einem Landesamt zentralisieren, die Bezirke könnten hingegen allein für Spielplätze zuständig sein. Aber die Senatskanzlei hat ja schon mehr als ein Jahr gebraucht, um überhaupt einen Geschäftsverteilungsplan aufzustellen.

Der Volksentscheid über mehr Klimaschutz und Klimaneutralität bis 2030 wird nicht parallel zu den Wahlen am 12. Februar abgehalten, sondern am 26. März. Bringt das nicht eher einen Booster für das Thema Klimaschutz, weil zweimal darüber diskutiert wird?

Wir sind schon sauer, dass die SPD einen möglichen gemeinsamen Termin so schlecht vorbereitet hat. Das ist respektlos gegenüber den vielen Menschen, die sich ehrenamtlich für den Volksentscheid engagieren. Demokratietheoretisch wäre ein gemeinsamer Termin geboten, weil Abstimmungen und Wahlen laut Gesetz zusammen stattzufinden haben. Beim Enteignungsvolksentscheid wurde das vorbereitet, beim Klimavolksentscheid hat die Innensenatorin die Hände in den Schoß gelegt.

Meinen es SPD und CDU ernst mit dem Klimaschutz?

Nee. Wenn es hart auf hart kommt, ist denen der Klimaschutz egal. Sie kämpfen im Zweifel lieber um den Parkplatz, der entsiegelt werden müsste. Sie denken, es gäbe ein Menschenrecht auf einen Parkplatz. Wir sagen, es gibt ein Menschenrecht auf Zukunft. Sie bauen lieber billig mit Beton und nicht mit Holz, wie wir das gerne hätten, auch wenn das teurer ist. Sie trauen sich nicht, die Bauordnung ins Parlament zu geben, weil sie befürchten, dass dann da noch etwas mehr Klimaschutz reinkommt. Wenn die Probe aufs Exempel kommt, gibt es nur eine Partei, die sich immer für den Klimaschutz entscheidet. Und das sind wir.

Streitpunkt Friedrichstraße: Wenn es ernst wird, seien SPD und CDU eben doch nciht für mehr Klimaschutz, sagt Werner Graf
Streitpunkt Friedrichstraße: Wenn es ernst wird, seien SPD und CDU eben doch nciht für mehr Klimaschutz, sagt Werner Graf © dpa | Paul Zinken

Aber es ist doch völlig irreal, Berlin bis 2030 klimaneutral zu machen, wie das der Volksentscheid fordert. Muss man das den Menschen nicht auch sagen?

Es ist gut, wenn Menschen fordern, dass wir beim Klimaschutz eine große Schippe drauflegen müssen, denn das wollen wir Grüne auch. Erst 2045 klimaneutral zu werden, wie es das aktuelle Gesetz vorsieht, ist indiskutabel. Das muss und kann schneller gehen und den Druck in dieser Richtung finde ich gut. Technisch würde 2030 ja sogar gehen, nur praktisch werden wir daran scheitern, weil wir nicht genug Fachkräfte für die Transformation haben. Mit anderen Forderungen der Initiative gehen wir vollumfänglich mit, wie zum Beispiel, dass Reduktion von CO2 vor Kompensation kommen muss.

Ihre Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sagt als Senatorin, sie könne keinem Gesetz zustimmen, dass nicht umsetzbar ist. Werden Sie den Grünen-Wählern empfehlen, dem Volksentscheid zuzustimmen?

Jede Stimme für mehr Klimaschutz ist eine gute Stimme.

Das ist nicht die Antwort auf meine Frage.

Wir brauchen mehr Klimaschutz. Und wir brauchen dafür den Druck und die Unterstützung der Gesellschaft. Wir müssen zum Beispiel dahin kommen, dass Denkmalschutz nicht mehr über Klimaschutz steht. Es darf nicht sein, dass wir die Vergangenheit in Stein meißeln und dafür die Zukunft riskieren. Auch auf alte Gebäude müssen Solaranlagen drauf.

Verkehrspolitik ist für die Grünen das wichtigste Wahlkampfthema. Wird es weitere Straßensperrungen geben?

Viele Menschen und Initiativen in der Stadt wünschen sich, dass das Auto in ihrem Stadtteil nicht mehr eine so große Rolle spielt. Sie wollen, dass ältere Menschen nicht mehr von Autos überfahren werden und die Kinder dort spielen. Wir brauchen mehr Spielstraßen und autofreie Kieze.

Oft wird mangelnde Kommunikation der Verkehrsplaner mit den autofahrenden Bürgern beklagt. Busspuren mussten nach Gerichtsentscheid zurückgenommen, die Friedrichstraße wieder geöffnet werden. Sind die Grünen zu eigenmächtig?

Die einen sagen, wir sind zu langsam, die anderen finden es zu schnell. Von mir aus dürften wir schneller sein. Der Umbau zu einer lebenswerteren Stadt wird breit unterstützt. Aber es wird immer Besitzstandswahrer geben. Und ein großes Problem ist die Straßenverkehrsordnung. Überall da, wo wir die Fläche zwischen zwei Häuserwänden nicht den Autos geben, müssen wir nachweisen, dass Leib und Leben gefährdet sind. Es muss also erst Verletzte oder schlimmstenfalls Tote geben. Das ist doch perfide.

Die SPD will bauen, bauen, bauen. Warum funktioniert das aus Ihrer Sicht nicht so richtig in Berlin?

Das Wohnungsbündnis der Regierenden Bürgermeisterin Giffey war von Anfang an ein zahnloser Tiger. International agierende Konzerne lachen sich bei Freiwilligkeit doch ins Fäustchen. Jetzt steigen die Zinsen und die Baukosten explodieren, dadurch sind die Wohnungsbauziele überhaupt nicht mehr zu erreichen. Nur auf Neubau zu setzen, rächt sich jetzt, weil der Neubau faktisch zum Erliegen gekommen ist. Für die letzten Fertigstellungszahlen können sich Frau Giffey und Herr Geisel beim linken Ex-Bausenator Scheel bedanken. Seit dem Angriffskrieg und den vielen anderen Krisen ist der Schutz der Mieterinnen und Mieter umso zentraler geworden. Deswegen setzen wir schon immer auf den Dreiklang aus Regulieren, Wohnungserwerb und Neubau.

Apropos Erwerb. Der Zwischenbericht der Enteignungskommission hält eine Vergesellschaftung von Wohnungen ja grundsätzlich für möglich und offenbar auch weniger teuer als vom Senat behauptet. Werden Sie das jetzt durchziehen und sind Enteignungen eine Bedingung für eine Neuauflage der Koalition?

Wir wollen ein Gesetz erarbeiten auf Basis der Eckpunkte und Hinweise, die die Kommission vorlegt. Wir haben einen Volksentscheid umzusetzen. Aber ich glaube nicht, dass eine Vergesellschaftung als einziges Instrument ausreicht, um Mieterinnen im Bestand ausreichend zu schützen. Wir Grüne wollen deshalb zusätzlich ein Wohnraumbewirtschaftungsgesetz. Das hat zwei Komponenten: Ein Mietenkataster, damit Mieter die Vormiete ihrer Wohnung erfahren und wir die Mietpreisbremse wirklich anwenden können. Und wir wollen einen Vermieter-Führerschein. Wer Instandhaltung unterlässt, keinen Wohnungstausch ermöglicht oder keine Sozialwohnungen vermietet, soll auch nicht vermieten dürfen. Das soll ein Landesamt für Wohnungswesen überwachen.

Innensenatorin Spranger wollte 600 Moldauer abschieben, kauft Hunderte Taser für die Polizei, richtet die Wache am Kottbusser Tor ein. Das kam bei den Grünen nicht gut an. Kommen Sie in der Innenpolitik zueinander?

Ich wünsche mir in der Innenpolitik mehr Sachlichkeit und nicht eine Senatorin, die mit markigen Worten jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treibt, um Tatkraft zu simulieren und dann doch wieder zurückrudert, wie beim Abschiebestopp, den sie ignorieren wollte. Wir Grüne haben auch in Kreuzberg schon immer eine (mobile) Polizeiwache am Kotti gefordert. Aber die Bevölkerung muss mit eingebunden werden und der Ort in der Überführung der Adalbertstraße ist bescheuert, das sagt sogar die Polizeigewerkschaft. Da sollte man mal innehalten und überlegen, ob ein Schreibstübchen für drei Leute für mehr als drei Millionen Euro wirklich das Richtige ist.

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