Krankenhaus-Report der AOK:Operation Geldsegen

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Es sind Rekorde mit Beigeschmack: Deutsche Patienten tragen weit mehr künstliche Gelenke und Defibrillatoren im Körper als andere Europäer. Jahr für Jahr operieren Chirurgen häufiger und aufwändiger. Doch wer profitiert davon?

Von Berit Uhlmann

2011 gab es erneut einen Rekord: 18 Millionen Einweisungen verzeichneten deutsche Kliniken. Dies sind 300.000 mehr als ein Jahr zuvor, und 1,8 Millionen mehr als noch 2005. Jahr für Jahr kommen mehr Menschen ins Krankenhaus, wie der aktuelle Report der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) darlegt. Werden wir immer kränker? Oder krankt das System?

Deutschlands größte Krankenkasse hat eine eindeutige Antwort: Fehlanreize im Abrechnungssystem bringen Kliniken in erster Linie dazu, Patienten möglichst häufig zu behandeln - vor allem mit dem Skalpell. Dagegen sei die Überalterung der Gesellschaft nur zu einem Teil für den Anstieg der Klinikbehandlungen verantwortlich. Denn so rasant altern die Deutschen nun auch nicht, wie Jürgen Klauber, Herausgeber des Reports, darlegt: Schaut man sich die demografische Entwicklung an, müsste es pro Jahr 0,6 Prozent mehr Krankenhausbehandlungen geben. In der Realität sind es dreimal so viele.

So liegt Deutschland bei einigen gängigen Operationen europaweit an der Spitze. Hierzulande werden fast doppelt so viele Hüft- und Knieprothesen eingesetzt wie im Durchschnitt der 34 Länder, die sich in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vereinen. Doch "mehr Menge bedeutet nicht zwangsläufig mehr Nutzen für den Patienten", kritisiert Uwe Dreh, Geschäftsführender Vorstand der AOK. Jede Operation birgt grundsätzlich Risiken. Studien zeigten, dass längst nicht alle Gelenkoperationen zu einer Verbesserung der Leiden führen. Hinzu kommt, dass künstliche Gelenke nicht immer sorgfältig geprüft werden. In diesem Jahr offenbarten Untersuchungen schwerwiegende Fabrikationsmängel, die zu Schmerzen führen und das Krebsrisiko erhöhen können.

Den europaweit höchsten Anteil erreicht Deutschland auch bei Defibrillatoren, die Herzpatienten in die Brust gepflanzt werden. Dieser Eingriff nahm binnen zwei Jahren um 25 Prozent zu. Nur zehn Prozent dieses Anstiegs sind dem AOK-Bericht zufolge durch die Überalterung der Bevölkerung zu erklären.

Die Implantation der Defibrillatoren ist zugleich ein eklatantes Beispiel für eine weitere Auffälligkeit: Die Zahl der Eingriffe ist in manchen Regionen viermal so hoch wie in anderen. Eine solche Schwankung lässt sich nicht allein durch unterschiedliche Erkrankungszahlen erklären. Sie spricht vielmehr dafür, dass Ärzte bei der Wahl der Therapie recht unterschiedliche Maßstäbe anlegen.

Eingriffe am Herzen sind deutschlandweit besonders häufig. (Foto: dpa)

Laut AOK lassen sie sich dabei wesentlich von finanziellen Interessen leiten. Die Analyse der Behandlungen ergebe, dass Kliniken vor allem die Therapien immer häufiger ansetzten, die wirtschaftlichen Gewinn versprechen. Auch Boni, die Chefärzte für besonders häufige Operationen erhalten, führten zu einem permanenten Anstieg von Eingriffen.

Dabei leidet mitunter auch die Qualität, wie die Kasse am Beispiel von Herzkathetern darlegt, die zur Diagnose eingesetzt werden. Manche Krankenhäuser weisen bei dieser Untersuchung eine Komplikationsrate von mehr als 15 Prozent auf, bei anderen kommt es in maximal fünf Prozent zu Problemen. Bezahlen müssen die Kassen alle Leistungen gleichermaßen. Die AOK fordert daher, es solle künftig möglich sein, nachweislich schlechte Qualität nicht zu honorieren.

Der Kritik an zu vielen Operationen schlossen sich auch die Orthopäden an. Die Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie räumt ein, dass sich die Zahl der Wirbelsäulen-OPs innerhalb von fünf Jahren verdoppelt hat. Eine solche OP bringt etwa 12.000 Euro ein. Das entspricht 100 Jahren Behandlung ohne Chirurgie. "Über- und Fehlversorgung sind genauso problematisch wie eine mögliche Unterversorgung", warnt der Verband. Zuletzt hatte auch der Spitzenverband der Krankenkassen kritisiert, dass viele Patienten ohne zwingenden medizinischen Grund unters Messer kämen.

Die Kliniken dagegen wehren sich gegen diese Darstellungen. Der Anstieg bei den Operationen sei auf die zunehmend älter werdende Gesellschaft sowie den medizinischen Fortschritt zurückzuführen, heißt es in einer aktuellen Untersuchung der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Sie beklagt "eine generelle Diffamierung der Krankenhausmitarbeiter und eine haltlose Verunsicherung vieler Patienten".

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