Interview

Ehemaliger Türkgücü-Macher Max Kothny: "Ich habe zu Hasan Kivran oft Nein gesagt"

Exklusives Abschieds-Interview mit dem ehemaligen Türkgücü-Macher Max Kothny. In der AZ spricht der Münchner über Drohungen gegen seine Person, eigene Fehler und seinen neuen Job in Frankreich.
| Krischan Kaufmann
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Der ehemalige Türkgücü-Geschäftsführer Max Kothny übernimmt ab Mai in ähnlicher Position Verantwortung beim französischen Noch-Zweitligisten AS Nancy.
Der ehemalige Türkgücü-Geschäftsführer Max Kothny übernimmt ab Mai in ähnlicher Position Verantwortung beim französischen Noch-Zweitligisten AS Nancy. © imago/Fotostand

AZ-Interview mit Max Kothny: Der 25-jährige Münchner führte Türkgücü als Geschäftsführer in den Profifußball und musste dann den Niedergang (inklusive Insolvenz) des Klubs verwalten. Ab Mai übernimmt er in ähnlicher Position Verantwortung beim französischen Noch-Zweitligisten AS Nancy.

AZ: Herr Kothny, parle tu français? Wie ist es um Ihr Französisch bestellt?
MAX KOTHNY: Ganz gut, ich verstehe eigentlich alles, das flüssige Sprechen fällt mir noch etwas schwer. Ab dieser Woche mache ich aber einen Intensiv-Kurs, jeden Tag zwei Stunden, um da reinzukommen.

Max Kothny über Türkgücü-Insolvenz: "Die Situation tut mir für jeden Einzelnen extrem leid"

Das wird auch nötig sein, schließlich beginnen Sie bereits in wenigen Tagen einen Job beim französischen Zweitligisten AS Nancy.
Das ist richtig, ab dem 1. Mai werde ich dort offiziell starten.

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Besitzer des Klubs ist die Pacific Media Group, also jenes Unternehmen, das im europäischen Fußball bereits an mehreren Vereinen beteiligt ist und das nach AZ-Informationen im letzten Herbst eigentlich auch bei Türkgücü einsteigen wollte. Das kann doch kein Zufall sein, oder?
Kein Kommentar.

Wie auch immer. . . Auf jeden Fall sind Sie - neben Tim Rieder, der zur kommenden Saison zum TSV 1860 zurückkehrt - bislang einer der wenigen ehemaligen Türkgücü-Angestellten, die nach der Insolvenz schnell wieder einen Job gefunden haben. Das hat so manchen im Umfeld der "Türkischen Kraft" überrascht.
Durch meine Arbeit in den letzten Jahren sollte ein neues Engagement eigentlich nicht überraschen. Aber natürlich tut mir die Situation für jeden Einzelnen - egal, ob Spieler oder Vereinsmitarbeiter - extrem leid. Leider sind die Regularien so, dass Profis erst ab dem 1. Juli wieder bei einem anderen Verein unterschreiben dürfen.

Türkgücü spielt im Grünwalder Stadion

Haben Sie mit dem Kapitel Türkgücü schon endgültig abgeschlossen?
Nein. Ich habe Türkgücü von der Landesliga bis in den Profifußball begleitet und habe dem Klub auch wahnsinnig viel zu verdanken. Deshalb habe ich mich ja zuletzt noch darum gekümmert, dass wir in der nächsten Saison in der Regionalliga antreten dürfen. Ich bin auch noch dabei, mögliche Spielstätten für uns zu suchen. Ich habe bereits das Grünwalder Stadion klar gemacht, wo wir fix dann einen Teil der Partien austragen dürfen. Mit einem anderen Verein bin ich in fortgeschrittenen Gesprächen.

Sie sprechen immer noch von "wir". Das überrascht, schließlich werden Sie als Geschäftsführer neben Investor Hasan Kivran zum Hauptverantwortlichen für das Türkgücü-Desaster gemacht. Wie geht man damit um, wenn man intern wie extern zum Buhmann abgestempelt wird?
Was ich mit diesem Verein im letzten halben Jahr erlebt habe, war schon hardcore. Das macht einen psychisch, aber auch körperlich fertig - ich weiß gar nicht, wie viele Nächte ich in dieser Zeit nicht geschlafen habe. Man wird von allen Seiten angefeindet, im Klub, von den Fans, von den Medien und auch von anderen Drittliga-Vereinen. Das ist für mich grundsätzlich nichts Neues, ich bin es ja gewohnt zu polarisieren, aber in so einer Situation, in der ich zur Anmeldung der Insolvenz gezwungen wurde, ist es besonders bitter, so etwas zu erleben. Ich habe zudem auch Drohungen bekommen, da hätte es mich nicht verwundert, wenn mal einer vor meiner Haustür gestanden hätte.

"Es ist doch immer so, dass der Geldgeber entscheiden möchte"

Präsident Hasan Kivran hat die Insolvenz mit seinem finanziellen Rückzieher ausgelöst. Aber welche Fehler haben Sie selber gemacht?
Ich glaube, dass wir uns - und ich spreche hier explizit von wir als ganzen Verein - in manchen Entscheidungen zu sehr haben beeinflussen lassen.

Von wem genau haben Sie sich beeinflussen lassen?
Es ist doch immer so, dass der Geldgeber entscheiden möchte - und das ist auch sein gutes Recht. Vielleicht hätte man aber in einigen Situationen noch mehr auf seine eigene Meinung pochen müssen.

Sie hätten also gegenüber Hasan Kivran öfter mal Nein sagen müssen?
Auch wenn mir das keiner glaubt, ich habe oft Nein gesagt. Aber in manchen Entscheidungen, gerade bei Kapitalfragen, also wenn es darum geht, noch teurere Spieler zu holen, dann kann ich zwar Nein sagen, weil es nicht in meinen Budgetplan passt, aber wenn der e.V.-Präsident, Aufsichtsratsvorsitzende und Hauptgesellschafter sagt, dass es so gemacht wird, dann wird es auch so gemacht. Das ist in jedem Fußballverein und Unternehmen so.

Viele Fans sehen die Installation von Serdar Dayat auf dem Trainerposten als Nachfolger von Alexander Schmidt als den Anfang vom Ende bei Türkgücü. Angeblich soll der Präsident seinem Kumpel bei ihren wöchentlichen Treffen im Hotel Rilano teilweise sogar die Aufstellung diktiert haben.
Dazu möchte ich lieber nichts sagen.

Abgesehen von der Präsidenten-Problematik, hat dem Projekt Türkgücü nicht auch eine echte Identität gefehlt?
Auf jeden Fall. Ich habe zwar versucht, eine Identität zu schaffen als ein Verein, der aneckt - was heute in der stromlinienförmigen Fußballbranche ein Alleinstellungsmerkmal ist, trotzdem haben wir die Gesamtvision des Vereins nicht ausreichend verfolgt, weil wir ja immer Brände löschen mussten. Wir hätten vielleicht mehr türkisch sein müssen, um uns auch mit Blick auf Sponsoren und Zuschauer besser zu positionieren.

Vor Job-Antritt bei AS Nancy: Fans fordern Rücktritt von Max Kothny

Mit Blick auf Ihren neuen Arbeitgeber stellt sich die Frage: Haben Sie eine Vorliebe für schwere Fälle? Auch wenn die AS Nancy mehr Tradition vorweisen kann, sind die Probleme doch ganz ähnlich wie bei Türkgücü. Sportlich ist die Lage desaströs, der Abstieg in die dritte französische Liga ist nicht mehr zu vermeiden. Und die Fans gehen gegen den Investor auf die Barrikaden; es werden sogar Rücktrittsforderungen gegen Sie laut, obwohl sie ihren Job noch gar nicht offiziell angetreten haben.
Der Verein ist seit geraumer Zeit mit einer Transfersperre belegt, brauchte also frisches Geld. 2020 hat dann die Pacific Media Group den Klub übernommen und in der letzten Saison auf Platz acht geführt. Dass Nancy jetzt sportlich so schlecht dasteht, ist natürlich unter aller Erwartungen - von jedem hier: von der Investorengruppe, von den Fans, von den Sponsoren und natürlich auch von den Spielern. Der Präsident der AS Nancy (Gauthier Ganaye, Anm. d. Red.) ist gleichzeitig auch Präsident des KV Ostende in Belgien, auch ein Klub der Pacific Media Group. Er macht eine sehr gute Arbeit seit Jahren, aber er kann sich ja nicht zweiteilen. Und wenn es sportlich schlecht läuft, erwarten sich die Leute hier einfach einen Mann, der action macht, mit dem man sich vor Ort auch mal austauschen kann.

Action können Sie ja. . .
Ich repräsentiere in Nancy die Investorengruppe, werde mich auch um die Restrukturierung des Vereins kümmern, weil er immer noch auf Erstliga-Niveau aufgestellt ist, wir aber sportlich nun ganz wo anders stehen. Ich werde auch intensiv den Kontakt mit Stadt, Sponsoren und Fans suchen, weil das zuletzt vernachlässigt wurde.

"Ich sehe mich ganz klar im Profifußball"

Bleibt bei all diesen Aufgaben noch Zeit, um sich um sportliche Belange wie Transfers zu kümmern?
Die Pacific Media Group ist in Europa an sieben Fußballvereinen beteiligt, das bedeutet, dass hier sportliche Entscheidungen etwas anders getroffen werden. Wir haben eine Spielphilosophie für die gesamte Gruppe - hohes Anlaufen, Gegenpressing, 4-3-3, usw. - und hier wird auch viel datenbasiert gescoutet. Natürlich spielt aber die spezielle Situation vor Ort auch eine Rolle. Wenn man - wie wir dann - in der Dritten Liga spielt, kann man nicht mit Gegenpressing kommen, sondern man muss jedes Spiel dominieren. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ich bin sowohl in die strukturellen als auch in die sportlichen Entscheidungen voll involviert.

Das klingt nach einen 24/7-Job. Viel Privatleben bleibt da nicht mehr, oder?
Wenn man die Chance hat, in so frühen Jahren bereits so viel Verantwortung in einem Profiverein zu übernehmen, dann kann das Privatleben auch mal ein bisschen warten.

Wann sehen wir Sie wieder im deutschen Fußball?
Ich sehe mich ganz klar im Profifußball. Aber nach der Sache mit Türkgücü wartet in Deutschland sicher erstmal niemand auf mich. Deshalb freue ich mich umso mehr über die Chance, jetzt hier in Nancy etwas aufbauen zu dürfen.

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