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Renate Künast – „Schwarz-Grün funktioniert nicht“

Renate Künast will Spitzenkandidatin der Grünen 2013 werden Renate Künast will Spitzenkandidatin der Grünen 2013 werden
Renate Künast will Spitzenkandidatin der Grünen 2013 werden
Quelle: dpa
Nach dem Scheitern bei der Berlin-Wahl hatte Renate Künast einiges aufzuarbeiten. Jetzt sieht sich die Fraktionschefin der Grünen gestärkt – und hat ein ehrgeiziges Ziel für die Bundestagswahl.

Jetzt beginnt das Schaulaufen für die Basis, die über die Spitzenkandidaten der Grünen für die Bundestagswahl entscheiden soll. Renate Künast, Fraktionsvorsitzende und frühere Verbraucherministerin, will die 10,7 Pozent vom letzten Mal klar übertreffen.

Die Welt: Frau Künast, willkommen zurück!

Renate Künast: Danke. Ich war aber gar nicht weg.

Die Welt: Zwischen der Berlin-Wahl und der Bewerbung um die Spitzenkandidatur im Bund ist es ungewohnt leise um Sie gewesen …

Künast: Es gab einiges zu verdauen und aufzuarbeiten. Das war anstrengend und brauchte Zeit.

Die Welt: Gab es Momente des Selbstzweifels?

Künast: Ich bin wie alle anderen. Mir ist nichts fremd. Aber jetzt sehen Sie mich gestärkt um diese Erfahrung – und motiviert, anzugreifen.

Die Welt: Wer hat Ihre Bereitschaft zur Spitzenkandidatur geweckt?

Künast: Es gab Freunde, private und aus der Partei, die mich ermuntert haben. Aber man muss es auch selber wollen.

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Die Welt: Die Grünen bekommen jetzt die Urwahl, die sie nie wollten. Wer ist schuld an dem Schlamassel?

Künast: Schlamassel? Wir bekommen bereits jetzt viel Zustimmung für diesen transparenten und demokratischen Prozess. Im nächsten Jahr werden viele sagen: Mensch, haben die Grünen das gut gemacht.

Die Welt: Würden Sie der SPD dasselbe Verfahren empfehlen?

Künast: Ich bin nicht Berater der SPD. Das muss jede Partei für sich entscheiden. Ich weiß ja gar nicht, ob es mehrere Sozialdemokraten gibt, die tatsächlich Kanzlerkandidat werden wollen.

Die Welt: Beachten Sie Umfragen, die Jürgen Trittin und Sie vorne sehen?

Künast: Umfragen sind Stimmungen – und keine Kreuze auf Wahlzetteln. Dem schenke ich wenig Beachtung. Entscheidend werden gute Auftritte bei den Regionalkonferenzen sein.

Die Welt: Der Wunsch nach jüngeren Gesichtern scheint bei den Grünen eher unterentwickelt zu sein …

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Künast: Wir haben eine gute Mischung in unseren Reihen. Ich halte nichts davon, gute Politik über Altersgruppen zu definieren. Ich möchte erreichen, dass junge Wähler ihre Stimme weiterhin den Grünen geben – und nicht den Piraten. Die Grünen überzeugen mit Konzepten und nicht mit Geburtsjahren. Uns traut man zu, Probleme seriös zu lösen.

Die Welt: Trauen Sie sich zu, die 10,7 Prozent der vergangenen Bundestagswahl zu übertreffen?

Künast: Das ist unser Ziel. Die grüne Kernwählerschaft liegt inzwischen bei neun Prozent. Darüber hinaus haben wir ein sehr großes Potenzial. Gerade Menschen mit bürgerlichen Werten und liberalen gesellschaftspolitischen Vorstellungen, die Verantwortung für Mitmenschen und die Gesellschaft übernehmen, begeistern sich für die Grünen.

Die Welt: Gibt es noch Unterschiede zwischen Realos und Fundis beziehungsweise Reformern und Linken, wie sie sich inzwischen nennen?

Künast: Hier und da werden unterschiedliche Akzente und Schwerpunkte gesetzt, aber alle machen mit demselben Programm grüne Politik. Die Phase der harten Konfrontation haben wir längst hinter uns.

Die Welt: Was waren Sie noch mal?

Künast: Reformerin. Danke der Nachfrage.

Die Welt: Manche Bewerber um die Spitzenkandidatur wollen das verwischen.

Künast: Wenn Sie mich fragen, wo ich abends hingehe, wenn andere ins Kino gehen oder Bridge spielen, sage ich: zu den Reformern. Aber mein Anspruch ist, das Ganze zu vertreten, und das gilt auch für die anderen Mitbewerber um die Spitzenkandidatur. Jeder von uns sieht es als seine Aufgabe, die grüne Familie zusammenzuhalten und grüne Politik mehrheitsfähig zu machen.

Die Welt: Unterscheiden sich Reformer und Linke in ihrer Haltung zur Union? Oder schließen beide Flügel eine schwarz-grüne Koalition nach der Bundestagswahl aus?

Künast: Das ist für mich eine praktische, keine ideologische Frage. Schwarz-Grün gibt es vielfach auf kommunaler Ebene. Im Bund haben wir eine ganz andere Lage. Ich sehe nicht, wie im Bund eine Koalition aus Union und Grünen funktionieren sollte. Wir sind uns einig: Grün macht einen klaren, eigenständigen Wahlkampf. Wir wollen diese schwarz-gelbe Regierung ablösen – und zwar gemeinsam mit der SPD.

Die Welt: Lieber große Koalition als Schwarz-Grün?

Künast: Ach, Sie sehen das zu schwarz. Wenn Grün-Rot in Baden-Württemberg und Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein geht, dann ist es auch im Bund möglich.

Die Welt: Natürliche Partner sind SPD und Grüne nicht. Das haben die Koalitionsverhandlungen nach der Berlin-Wahl gezeigt. Wowereit hat die Gespräche abgebrochen und die Grünen als Dilettanten verspottet.

Künast: Das mit den Dilettanten muss er in einem Selbstgespräch gesagt haben. Das wissen wir spätestens seit dem Debakel um den Flughafen.

Die Welt: Warum stellen die Berliner Grünen keinen Misstrauensantrag?

Künast: Es gibt einen Untersuchungsausschuss. Das ist das schärfste Schwert jeder Opposition.

Die Welt: Wie wollen sich die Grünen im Bundestagswahlkampf gegen die Euro-Retterin Merkel behaupten, die seit dieser Woche auch noch den Segen des Bundesverfassungsgerichts hat?

Künast: Die Karlsruher Entscheidung war kein Sieg für Merkel. Der Rettungsschirm ist nur deswegen vom Bundesverfassungsgericht gebilligt worden, weil wir Grüne zuvor eine starke Bundestagsbeteiligung durchgesetzt haben. Merkel ist mit einem blauen Auge davongekommen.

Die Welt: Das reicht nicht für einen grünen Euro-Wahlkampf.

Künast: Unser Ansatz ist ein nachhaltiger Schuldenabbau und Investitionen in eine moderne Wirtschaftsstruktur. Wir werben für einen europäischen Altschuldentilgungsfonds, der die Zinslast für Krisenländer mindert und ihre Schulden in festgelegten Schritten abbaut. Weil Frau Merkel sich dieser sinnvollen Lösung verweigert, muss Sie Herrn Draghi um die schlechtere Variante bitten – den unbegrenzten Aufkauf von Staatsschulden durch die EZB.

Die Welt: Merkel will die Griechen unbedingt in der Euro-Zone halten – Sie auch. Das macht die Abgrenzung schwieriger.

Künast: Es ist aber die einzige vernünftige Lösung. Wenn wir Griechenland aus der Euro-Zone drängen, dauert es nicht lange, bis größere Staaten wie Italien oder Spanien ins Rutschen geraten. Daran haben wir null Interesse. Gerade Deutschland profitiert von einem starken Europa.

Die Welt: Anders als die Regierung streben die Grünen eine grundlegende Geheimdienstreform an – und fordern die Abschaffung des Militärischen Abschirmdienstes. Was soll das bringen?

Künast: Die systematischen Ermittlungspannen bei der Terrorzelle NSU, aber auch der mangelnde Wille zur Aufklärung zeigen, dass der Verfassungsschutz in seiner bisherigen Struktur und Aufgabenstellung nicht reformierbar ist. Es reicht nicht, hier und da einen Chef auszutauschen. Es muss einen kompletten institutionellen und personellen Neustart geben – ohne MAD. Wir brauchen einen neuen Inlandsgeheimdienst mit einem per Gesetz eng begrenzten Auftrag: Bekämpfung des aggressiven, gewaltbereiten Extremismus jeglicher Couleur. Weniger Schlapphut-Mentalität und mehr wissenschaftliche Analyse. Und der Einsatz von V-Leuten muss von parlamentarischen Kontroll gremien überwacht werden.

Die Welt: Bundestagsabgeordnete sollen Informanten kontrollieren?

Künast: Genau. Der V-Mann ist ja das gefährlichste nachrichtendienstliche Mittel. Bei einer Person, die zwei Seiten gegenüber loyal ist, kann man auf eine eigenartige psychische Disposition schließen. Wenn man solche Leute einsetzt, dann müssen Parlamentsausschüsse über sie Bescheid wissen. Nur so lässt sich überprüfen, ob sich V-Leute jahrzehntelang vom Amt den Lebensunterhalt finanzieren lassen – und ob ihre Mitteilungen überhaupt etwas nutzen.

Die Welt: Der MAD legte 1995 eine Akte über den späteren Rechtsterroristen Uwe Mundlos an – und gab sie nicht an den NSU-Untersuchungsausschuss weiter. Wer trägt dafür die Verantwortung?

Künast: Auch Verteidigungsminister de Maizière trägt die Verantwortung für diesen MAD-Skandal. Auch er saß auf der Akte – und hat sie nicht weitergeleitet.

Die Welt: Was folgt daraus?

Künast: Der Minister muss sicherstellen, dass alle Informationen auf den Tisch kommen. Ich will auch wissen, wie die Bundeswehr mit Rechtsextremisten umgeht. Es kann ja nicht sein, dass solche Leute als Informanten angeworben werden – und gleichzeitig in der Bundeswehr an der Waffe ausgebildet werden. Ich will Klarheit haben von de Maizière, und ich will, dass er aufräumt.

Die Welt: Frau Künast, haben Sie eigentlich das Buch von Bettina Wulff schon gelesen?

Künast: Nein, und ich werde es auch nicht lesen. Ich verstehe nicht, wie sich jemand über zu viel Öffentlichkeit beklagen kann, der gleichzeitig sein Leben mit intimsten Details nach außen kehrt. Das will ich alles gar nicht wissen. Mein Bedarf in der Causa Wulff ist schon seit Monaten gedeckt.

Die Welt: Soll Bettina Wulff von den Grünen lernen, die ihr Privatleben zumeist aus der Öffentlichkeit heraushalten?

Künast: Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wer sich mit Privatem auf die öffentliche Bühne begibt, muss damit rechnen, dass er dort nicht nur in guten Zeiten präsentiert wird, sondern auch in schlechten. Persönlich finde ich es wunderschön, wenn ich mich im Urlaub mit Menschen unterhalten kann, die gar nicht wissen, wer ich bin.

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