Neue BER-Chefin: „Es waren Bilder, die auch uns wehgetan haben“

Der Berliner Flughafen wird ein Jahr alt, doch er hat schon Altersprobleme. Alletta von Massenbach über kaputte Technik, Terminalchaos und Klimadebatten.   

Seit dem 1. Oktober ist sie eine der wenigen Flughafenchefinnen, die es auf der Welt gibt. Aletta von Massenbach, Vorsitzende der Geschäftsführung des FBB, am neuen Hauptstadt-Airport.
Seit dem 1. Oktober ist sie eine der wenigen Flughafenchefinnen, die es auf der Welt gibt. Aletta von Massenbach, Vorsitzende der Geschäftsführung des FBB, am neuen Hauptstadt-Airport.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Berlin-Mal wieder im Flughafen BER, der nun ein Jahr alt wird. Diesmal von Chaos keine Spur: Die Terminalhalle ist fast leer, an der Sicherheitskontrolle langweilen sich die Mitarbeiter. Neben dem Flughafen, gegenüber der neuen Hotelbaustelle, steht ein Bürohaus, das Berlin-Brandenburg Airport Center. Dorthin hat Aletta von Massenbach, seit vier Wochen Chefin der Flughafengesellschaft FBB, zum Gespräch eingeladen.

Haben Sie es schon bereut, dass Sie Chefin des BER geworden sind?

Nein. Warum?

Schon kurz nachdem Sie den Chefposten von Engelbert Lütke Daldrup übernommen haben, sorgte der Flughafen mal wieder für Schlagzeilen. Zu Beginn der Herbstferien machten Bilder von Warteschlangen im Terminal und entnervten Fluggästen die Runde.

Es waren Bilder, die auch uns sehr wehgetan haben. Wir wollen den Menschen das Reisen ermöglichen und nicht schwer machen.

Wo lagen die Probleme?

Eine Menge hat gut funktioniert, zeitweise leider aber nicht alles. Es waren vor allem die Warteschlangen an einem Check-in-Bereich, die an dem Samstag nach dem letzten Schultag unschöne Bilder produziert haben. Weil sich die Schlangen so nahe an der Sicherheitskontrolle befanden, vor der natürlich auch Passagiere warteten, wirkte es dann wie ein großes Durcheinander. Auch ankommende Fluggäste hatten Probleme, es gab zum Teil Wartezeiten, die nicht akzeptabel waren. Wenn ein Flugzeug gelandet ist, müssen die Dienstleister der Airlines die Tür öffnen, müssen Brücke oder Treppe herangefahren werden. Dann ist das Gepäck auszuladen und zum Band zu bringen: Das hat auch nicht so gut funktioniert. Seit dem 9. Oktober arbeiten wir mit den Prozesspartnern am Flughafen noch intensiver daran, solche Situationen zu vermeiden.

Warum kommt es immer wieder zu solchen Szenen?

Während der Corona-Krise ist vieles beim Abflug komplizierter geworden. Passagiere müssen beim Check-in Corona-Impfzertifikate und Testergebnisse vorlegen. Für den einen Reisenden reicht ein Antigen-Schnelltest, der andere braucht dagegen einen PCR-Test. Nicht nur für die Enddestinationen gelten unterschiedliche Regeln, auch für Zwischenstopps. Wenn ich über die Schweiz reise, brauche ich andere Dokumente, als wenn es über Belgien geht. Das ist nicht nur für die Passagiere schwierig, es ist auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Check-in-Schalter deutlich komplexer und zeitintensiver geworden. Die Situation ist für alle eine außergewöhnliche Belastung. Da mussten wir Ruhe und Ordnung reinbringen.

Was hat die Flughafengesellschaft unternommen, um das Chaos zu lindern?

FBB-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren im Einsatz, um die Passagiere vorzusortieren, als eine Art Vorkontrolle der jeweils erforderlichen Dokumente, die den Airlines Arbeit abnimmt. Das hat vieles schon mal erleichtert, und die Fluggäste haben sich gefreut, dass sie Ansprechpartner hatten. Damit die Passagiere nach der Landung das Flugzeug zügig verlassen konnten und ihr Gepäck schnell in der Gepäckausgabe war, haben wir einen Dienstleister, der Kapazität hatte, eingebunden.

Wird das auch in Zukunft so sein, wenn der Andrang mal wieder zu Durcheinander führt?

Dass wir uns direkt in die Prozesse der Airlines einschalten, muss die Ausnahme bleiben.

Weil die Bodenverkehrsdienste zu wenig Personal haben, immer mehr Mitarbeiter wegen niedriger Löhne sowie schlechter Arbeitsbedingungen kündigen, klaffen auch in den November-Dienstplänen am BER wieder enorme Lücken.

Dass Arbeitskräfte fehlen und sich umorientieren, dass es immer schwieriger wird, Menschen für Nacht- und Schichtarbeit zu gewinnen, ist ein generelles gesellschaftliches Thema. Es betrifft nicht nur Flughäfen , sondern auch die Gastronomie, Dienstleistungen und andere Bereiche unserer Wirtschaft. Es geht um grundsätzliche Fragen. Bei den Bodenverkehrsdiensten gibt es Knochenjobs. Es ist harte körperliche Schichtarbeit, die anspruchsvoll ist und in Stoßzeiten unter einem enormen Druck stattfindet, aber trotzdem präzise sein muss. Wenn man die Fluggastbrücke ans Flugzeug fährt, sollte man kein Rambo sein. Wichtig ist, solche Arbeitsplätze so attraktiv zu machen, dass die Beschäftigten die Faszination, an einem Flughafen zu arbeiten, weiter spüren.

Handelt es sich nicht eher um ein strukturelles Problem, das mit der Liberalisierung der Bodenverkehrsdienste zu tun hat? Preisdruck, Unruhe durch Vergabeverfahren, häufige Wechsel: Das bringt viel Unruhe ins System.

Früher waren in Deutschland die Bodenverkehrsdienste das Monopol des Flughafenbetreibers, auch in Berlin. Dann kam die EU-weite Liberalisierung, und der Markt wurde geöffnet. Demnächst vergeben wir wieder Lizenzen, definieren Anforderungen, Spielregeln und Standards. Die Airlines entscheiden dann, welchem der lizenzierten Dienstleister sie ihre Aufträge erteilen. Sie müssen darauf achten, dass die Abläufe funktionieren, aber auch darauf, dass das Ganze preislich darstellbar ist.

Passagiere berichten aber auch über Probleme, die mit betrieblichen Abläufen nichts zu tun haben, sondern mit dem Terminal, zum Beispiel über schlechte Ausschilderung.

Es gibt Dinge im Flughafen, die auch uns stören. Im BER läuft noch nicht alles rund, daran müssen wir noch arbeiten. Da geht es um Themen wie die Sauberkeit der Toiletten oder die Ausschilderung. Wir sind immer dankbar für das kritische Feedback unserer Gäste.

Politiker und Gewerkschafter fordern, dass die FBB, die Berlin, Brandenburg und dem Bund gehört, wieder die Abfertigung übernimmt. 2020 beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus, dass sie ein eigenes Unternehmen gründet oder ein anderes übernimmt. Warum ist das bislang nicht passiert?

Natürlich ist etwas passiert. Wir haben die Aspekte, die in der bisherigen Debatte bei den Gesellschaftern eine Rolle spielten, bei den Ausschreibungskriterien berücksichtigt. Wegen der vielfältigen Herausforderungen, mit denen wir zurechtkommen müssen, müssen wir uns erst einmal auf unser Kerngeschäft konzentrieren. Nicht zuletzt wäre ein solches Geschäft eine anspruchsvolle und komplexe Aufgabe, die wir nicht automatisch beherrschen, weil wir den Flughafen betreiben. Wenn wir ein Abfertigungsunternehmen aufbauen und erfolgreich um die Aufträge der Airlines konkurrieren wollen, dann müssen wir es schon richtig machen. Denn der Wettbewerb um die Aufträge der Airlines bleibt.

Stimmt es, dass Terminal 2 kurz vor Ostern 2022 öffnet, damit der BER mehr Kapazität bekommt?

Wir würden uns sehr freuen, wenn unser zweites Terminal ebenfalls ans Netz gehen könnte. Es ist ein großartiges Flughafengebäude, sehr effizient und kompakt. In der Tat ist es unser Plan, Terminal 2 zum Beginn des Sommerflugplans zu öffnen – also Ende März 2022 beziehungsweise vor den Osterferien. Die Voraussetzung ist allerdings, dass die Nachfrage ausreicht und der Verkehr weiter zunimmt. Im Moment ist das schwer zu sagen, wir fliegen auf Sicht. Und es muss genug Personal geben, um alle Positionen bei allen Prozesspartnern im neuen Terminal besetzen zu können.

Wann wird der BER mit beiden Start- und Landebahnen betrieben? Seit der Eröffnung vor einem Jahr ist immer nur eine Piste offen, und immer wieder stauen sich Flugzeuge.

Es ist nicht so, dass wir uns freuen, wenn Infrastruktur stillliegt. Aber wir müssen schauen, was sinnvoll ist. Derzeit dürfen mit unserem Einbahnsystem 40 Flugzeuge pro Stunde starten und landen, das reicht in der Regel aus. Wir müssen die Kosten im Blick behalten, zumal in der kalten Jahreszeit, wenn zusätzliche Aufwendungen für den Winterdienst anfallen. Wenn wir merken, dass der Verkehr weiter zunimmt, werden wir die zweite Bahn aufmachen. Das wäre in Absprache mit der Deutschen Flugsicherung relativ schnell zu bewerkstelligen. Wir beobachten die Situation sehr genau.

Sind Sie schon mal vom BER geflogen?

Ja.

Wie war’s?

Als ich zum Beispiel am 9. Oktober startete, ging die Abfertigung reibungslos.

Vermissen Sie den Flughafen Tegel?

Ich habe nicht diese enge Bindung, die viele Berliner immer noch an diesen Flughafen haben. Doch die Emotionalität verstehe ich total. Der Tegel-Spirit steckt an.

Am 31. Oktober wird der neue Flughafen ein Jahr alt. Welche Bilanz ziehen Sie für den BER?

Eine gemischte Bilanz. Das erste Jahr des neuen Flughafens war nicht normal. Es war ein Corona-Jahr. Ich kann mich nicht an einen Tag erinnern, an dem am BER alles normal und routinemäßig lief. Alles war von den weltweiten Lockdowns beeinflusst. Insgesamt hatten wir rund acht Millionen Passagiere. An manchen Tagen kamen fast keine Fluggäste, dann wurde es wieder voll. Sie müssen sich vor Augen führen, was das für die Menschen, die am Flughafen arbeiten, bedeutet. Über den Beginn der Herbstferien haben wir ja schon gesprochen. Business as usual, das gibt es in der Pandemie nicht. Es war auch deshalb kein einfaches Jahr, weil wir es mit einem besonderen Terminalgebäude zu tun haben. Zwar steht nun erst der erste Geburtstag des BER an, normalerweise ist das kein Alter. Trotzdem ist der erste Jahrestag definitiv kein Kindergeburtstag, denn der Jubilar ist schon deutlich älter. Der BER hat da und dort schon Altersbeschwerden in den Bereichen, die lange nicht genutzt worden sind.

Meinen Sie die kaputten Fahrsteige im Terminal?

Sie sind ein prominentes Beispiel, wenn unsere Gäste sagen: Wie kann das denn bitte schön sein? Von den 17 Fahrsteigen im Terminal 1 sind acht außer Betrieb. Die anderen überprüfen wir sehr engmaschig. Die Fahrsteige wurden vor einem Jahrzehnt falsch eingebaut. Wir stehen vor einem massiven Problem. Für unsere Passagiere ist der Stillstand sehr ärgerlich, wenn sie weite Wege im Terminal zurückzulegen haben. Schließlich haben wir viel Geld ausgegeben, damit Senioren, Reisende mit Gepäck oder Eltern mit Kindern gut von A nach B kommen. Nun stehen mit der Sanierung oder dem Neubau der Fahrsteige weitere Ausgaben an. Schnell wird es nicht gehen, die Lieferschwierigkeiten in großen Teilen der Wirtschaft betreffen auch uns.

Wo hat der BER am ersten Geburtstag unter Betrieb sonst noch schon Altersprobleme?

Es gibt ganz schön viel, was funktioniert. Ich freue mich natürlich nicht, wenn ich Rolltreppen und Aufzüge sehe, die nicht funktionieren. Sie wurden ebenfalls zwischen 2010 und 2012 eingebaut, haben aber auch bereits Altersprobleme. Wie gesagt: Der BER hat schon seine Zipperlein. Immerhin, die viel zitierte Entrauchungsanlage funktioniert. Die Sicherheitssysteme, die Fluggastbrücken, viele andere Systeme arbeiten ebenfalls sehr gut.

Im kommenden Jahr bekommt Berlin wieder Nonstop-Verbindungen in die USA. Sind weitere Interkontinentalrouten absehbar?

Von der Strecke nach Doha in Katar abgesehen, sind alle Langstrecken, die es in Berlin vor der Pandemie gab, in der Corona-Krise eingestellt worden. Während der ganzen Zeit blieben wir aber mit unseren Kunden, den Airlines, auch zu diesem Thema in Kontakt. Jetzt geht es darum: Wie stellen sich die Fluggesellschaften für die Zukunft auf? Einige aktuelle Signale sind für uns sehr erfreulich. Wir freuen uns, dass United ab März 2022 wieder nach New York und ab Mai 2022 auch nach Washington fliegen wird. Erfreulich ist auch, dass Scoot Singapur bereits wieder nonstop vom BER ansteuert und es eine neue Verbindung nach Dubai gibt.

Fridays for Future und andere Klimaschützer demonstrieren gegen eine Mobilität, die den Fortbestand unserer Welt aufs Spiel setzt. Trotzdem nimmt der Flugverkehr wieder zu, der Inlandsverkehr in den USA und China hat schon fast das Vor-Corona-Niveau erreicht. Warum scheinen sich so viele Menschen um das Klima nicht zu scheren?

Ich glaube nicht, dass das so ist. Die meisten Menschen wollen dazu beitragen, dass der Kohlendioxidausstoß sinkt. Wohnen, Essen, Fortbewegung in der Stadt: In wichtigen Bereichen haben sie sich bereits für klimafreundliches Handeln entschieden. Viele fragen sich aber auch: Ist Fliegen wirklich das Hauptthema, wenn es um eine klimaneutrale Zukunft geht?

In vielen Familien wird über Klimaschutz diskutiert. Was sagt Ihr elfjähriger Sohn eigentlich dazu, dass Sie Flughafenchefin sind?

Mein Sohn interessiert sich derzeit vor allem für Fußball. Doch es stimmt, die Diskussion über das Klima kommt jetzt langsam auch bei uns auf.

Wissen Sie, ob es auf der Welt sonst noch eine Flughafenchefin gibt?

Ich habe eine tolle Kollegin in Salzburg, Bettina Ganghofer, und eine tolle Kollegin in Rostock, Dörthe Hausmann. Auch wenn weltweit die meisten Menschen in dieser Position männlich sind: Es ist nicht total unüblich, ich bin keine Exotin. Zumal in Berlin und Brandenburg nicht, wo schon einige Frauen in verantwortungsvoller Position arbeiten.

Sie waren auch im Ausland tätig, in Chile, Peru, Portugal, Puerto Rico, Russland, Spanien, in der Türkei, auf den Philippinen und in Bulgarien. Wo hat es Ihnen am besten gefallen?

Das ist eine unfaire Frage, weil sie so schwer zu beantworten ist. Es sind Länder, Flughäfen, Menschen, die mir alle ans Herz gewachsen sind. Zu Peru habe ich allerdings ein ganz besonderes Verhältnis.

Haben Sie noch persönliche Drähte dorthin? Dort hat es ja einen Regierungswechsel gegeben.

Ich verfolge, was dort passiert. Die häufigen Regierungswechsel haben das Land fast zerrissen.

Ceviche, roh marinierter Fisch in Limettensaft, ist das peruanische Nationalgericht. Konnten Sie sich daran gewöhnen?

Ja, so sehr, dass ich Ceviche auch selbst zubereite.

Sie sind Juristin. Warum sind Sie in die Luftfahrt gegangen?

Es war die Neugierde, in eine Branche mit starkem öffentlichen Bezug einzusteigen. Fraport gab mir dazu 1997 die Gelegenheit im Rahmen eines Management-Trainee-Programms. Ich habe dann bald Kerosin gerochen. Mich hat die Faszination gepackt, und das liegt bis heute daran, dass es so viele unterschiedliche spannende Themenfelder gibt. Es war nicht so sehr die technische Faszination, die mich zum Luftverkehr gebracht hat, sondern die Idee des Reisens, Menschen zu verbinden, die Vielfalt, die dahintersteckt, zu ermöglichen. Das alles fasziniert mich.

Sie haben also keine Flugzeugmodelle oder Flugzeugpuzzle zu Hause?

Jetzt haben Sie mich ertappt!