Wagenbauer Jacques Tilly im Interview "Humor kann die Angst vor der Gewalt besiegen"

Düsseldorf · Der Düsseldorfer Wagenbauer Jacques Tilly hat mit seinen Anti-Terror-Wagen beim Düsseldorfer Rosenmontagszug ein Zeichen gesetzt. Ein Gespräch über das hohe Gut der Meinungsfreiheit.

Wagenbauer Jacques Tilly beweist seit Jahren Mut zur Provokation.

Wagenbauer Jacques Tilly beweist seit Jahren Mut zur Provokation.

Foto: dpa

Sie bauen seit 31 Jahren Karnevalswagen. War Ihr Geschäft je so politisch brisant wie in diesem Jahr?

Jacques Tilly Vor Rosenmontag hat sich die Situation oft zugespitzt, etwa kurz vor dem Irak-Krieg 2003. Aber dieses Jahr war es durch den Terror, Griechenland und die Ukraine-Krise besonders bedeutsam und eng wie nie. Wir mussten in den vergangenen vier Tagen drei Wagen bauen, um möglichst aktuell zu sein. Es lohnt sich immer weniger, früh anzufangen, wir trauen uns auch mehr zu. Donnerstag Durchbruch in Minsk, aber was ist am Sonntag? Einen bereits fertigen Pegida-Wagen, der einen Ritter auf dem Pferd mit einem Rechtsextremen im Schlepptau zeigt, haben wir stehen lassen und einen neuen gebaut, weil das Motiv überholt war. Die Frage ist für uns stets: Hält das Thema durch bis Rosenmontag, versteht jeder, was wir an diesem Tag zeigen?

Sie haben den Terror aufs Korn genommen. War das für Sie eine besondere Herausforderung?

Tilly Seit den Attentaten von Paris und Kopenhagen hat sich die Gesamtatmosphäre, in der Satire und Humor stattfinden, dramatisch verändert. Insofern: ja. Wir spüren auch, dass die Aufmerksamkeit auf uns liegt. Dafür hat das Kölner Desaster mit dem zurückgezogenen Wagen gesorgt. Sogar die linke "taz" hat jetzt eine ganze Seite über uns publiziert, erstmals wohlwollend - wir waren in den Augen der linken Presse immer eher die Schmierfinken, und wenn es kritisch um den Islam ging, im Zweifel rassistisch. Für mich war jetzt schwierig einzuschätzen: Wie muss der Härtegrad bei einem Wagen zu "Charlie Hebdo", der nun auch für die Opfer von Kopenhagen gefahren ist, sein? Es gab ja auch Sicherheitsbedenken, aber dieser Wagen musste klipp und klar in der Aussage sein, nicht so soft wie in Köln. Eine Herausforderung. Wir haben schließlich einen Ruf zu verlieren.

Wie gehen Sie mit dem Druck um, der in den vergangenen Wochen auf Ihnen gelastet hat?

Tilly Ich lasse mich nicht stressen. Druck gibt's ja immer, vor allem zeitlichen. Wenn's nötig ist, arbeiten wir halt bis Rosenmontag durch.

Sie haben den Wagen zum Attentat auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" dann tatsächlich gebaut. Haben Sie gar keine Angst?

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Foto: Saskia Nothofer

Tilly Nein, das habe ich aufgegeben, sonst könnte ich meinen Beruf nicht ausüben. Auch das Comitee Düsseldorfer Carneval steht hier voll hinter mir, alles wird diskutiert und abgesprochen. Wir ziehen alle an einem Strang. Die Losung lautet: Mach's mit Augenmaß und sei kritisch allen gegenüber, sei blind wie Justitia. Niemand hat bei mir einen Bonus, das hat wohl jeder verstanden. Deswegen findet sich auch der Papst im Zug wieder, wie er einen Kardinal schlägt. Das ist gewissermaßen die ausgleichende Gerechtigkeit.

Welchen Anfeindungen sahen Sie sich in Ihrer Karriere ausgesetzt?

Tilly Das hat sich in Grenzen gehalten. Man hat mich manchmal beschimpft, beim Wagen zum Thema "Abtreibung und Kardinal Meisner" hat man mir saftige Anzeigen angedroht, es gab waschkörbeweise böse Briefe. In den 90er Jahren hat man Wagen eines Mainzer Kollegen, als er den Zölibat behandelte, mit Molotowcocktails beworfen. Das ist ein anderes Kaliber und hat mir gezeigt, dass nicht nur der Islam ein Gewaltproblem hat.

Wie betroffen haben Sie sich selbst durch die Anschläge in Paris und Kopenhagen gefühlt?

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Tilly Ich saß mit meinem Team beim zweiten Frühstück, als mich mein Bruder über das Attentat in Paris informierte. Mir war sofort klar, dass sich die Gesamttektonik für unsere Arbeit verschiebt, dass es auch um Sicherheitsfragen geht. Und die Nachrichten aus Kopenhagen am Samstag und Sonntag haben uns erschüttert, gleich zwei Anschläge, das ist schrecklich. Wir haben uns jedoch entschieden, weiterzumachen. Satire kann man nicht töten, das ist unsere Botschaft.

Die Kölner haben ihren Wagen zu "Charlie Hebdo" zurückgezogen, die Mainzer machen dazu auch nichts und nennen es Solidarität. Erst kurz vor Rosenmontag kam aus Köln wieder ein zeitkritisches Lebenszeichen. Fühlen Sie sich von den närrischen Kollegen im Stich gelassen?

Tilly Ja, ein wenig schon. Die Narren dort müssen doch ihre Arbeit machen. Düsseldorf hat vier Wagen zu dem ganzen Themenkomplex, wir haben also die Wagen für Köln und Mainz gleich mitgebaut. Von den Mainzern habe ich zuletzt einen Entwurf gesehen, in dem sie das Grundgesetz ins Zentrum stellten. Das fand ich gut, darum geht es. Wir leben in Freiheit und können unsere Meinung sagen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wie die Attentate zeigen. Schön, dass die Kölner am Ende doch noch einen Wagen auf die Reise geschickt haben.

Sind Karnevalisten nicht tatsächlich damit überfordert, die Meinungsfreiheit zu verteidigen?

Tilly Es ist ihre Pflicht, sie zu verteidigen. Das sehen meine Karnevalschefs genauso. Denn unsere Narrenfreiheit, der Spott, ist eine Unterkategorie der Meinungsfreiheit. Wir Narren müssten da eigentlich an vorderster Front stehen. Die Kölner hatten doch alle gefragt, muslimische Organisationen und die Polizei, niemand hatte was gegen den Hebdo-Wagen. Dennoch sagten sie ihn ab. Ich musste dann sehr lachen, als ich den "Postillon" gelesen habe. Da wurde ein Kölner Umzug nur mit weißen Quadern gezeigt, abgesegnet vom internationalen Kubisten-Verband. Wenn das unsere Freiheit ist, dann vergehen wir am Ende in Harmlosigkeit.

Auf dem eindrucksvollsten Wagen des diesjährigen Rosenmontagszuges ruft bei Ihnen der Geköpfte seinem Henker den Fortbestand der Satire entgegen. Kann Humor den Hass besiegen?

Tilly Humor kann die Angst vor der Gewalt besiegen. Totalitäre Herrschaft beruht immer auf Gewalt. Nicht ist befreiender als ein angstfreies Lachen. "Charlie Hebdo" macht weiter, trotz des Terrors. Es wird weiter Satire geben, auch satirische Islamkritik, egal, was die Mörder tun. Das ist die Botschaft. Die Terroristen werden nichts erreichen, außer vielleicht, dass wir uns in Europa nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch verstärkt als Wertegemeinschaft verstehen.

Was ist Ihre Mission?

Tilly Ich bin ein Anhänger des säkularen Rechtsstaates, der Gewaltenteilung, und ein Verteidiger der Menschenrechtsidee, zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Ich bin parteilich nicht gebunden und schaue nur, wo der höchste Grad an Humanität erreicht ist. Auf diese Seite schlage ich mich. Deswegen habe ich auch bevorzugte Satireopfer, beispielsweise in der Vergangenheit sehr oft Ahmadinedschad. Im Iran werden Frauen gesteinigt, weil sie im Verdacht des Ehebruchs stehen. Schlimmer geht's nicht, das ist klerikaler Staatsterror.

Ist der Kampf der Terroristen in Ihren Augen auch ein Kampf der Kulturen?

Tilly Auf keinen Fall. Die Frontlinie verläuft nicht zwischen dem Westen und der arabischen Welt oder zwischen Christentum und Islam. Es geht um Vernunft und Menschlichkeit auf der einen und einem fanatisierten Wahnsinn auf der anderen Seite.

Ihre Mottowagen werden mittlerweile in aller Welt gezeigt. Bekommen Sie eigentlich Angebote?

Tilly Nein, meine Arbeit ist zu anonym. Ich bin als Düsseldorfer sehr zufrieden damit, dass entgegen dem schlechten Image meiner Stadt - wir sind ja angeblich langweilig, oberflächlich, neureich und schicki-micki - diese Wagen hier fahren und nicht woanders. Das hätte man uns doch kaum zugetraut.

UWE-JENS RUHNAU FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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