Interview mit EZB-Chef Mario Draghi zur Euro-Krise: „Deutschland ist ein Vorbild“

Von: Von NIKOLAUS BLOME und KAI DIEKMANN

BILD: Als vor einem Jahr klar war, dass Sie – ein Italiener – Chef der Europäischen Zentralbank werden, gab es in BILD eine freche Fotomontage: Sie mit einer Pickelhaube auf dem Kopf. Wir machten Sie zu einem echten Deutschen. Wie fanden Sie das?

Mario Draghi: „Mir hat das gut gefallen. Das Preußische ist ein gutes Symbol für den wichtigsten Auftrag der EZB: Preisstabilität zu wahren und die europäischen Sparer zu beschützen.“

BILD: Für die Deutschen muss ein Zentralbankchef strikt gegen Inflation sein, unabhängig von der Politik und für einen starken Euro. In diesem Sinne: Wie deutsch sind Sie?

Draghi: „Das sind tatsächlich deutsche Tugenden. Aber jeder Zentralbanker in der Euro-Zone sollte diese haben.“

BILD: Der französische Staatspräsident sagt, Europa müsse vom deutschen Vorbild lernen ...

Draghi: „... da hat er recht. Ich habe das schon lange vor ihm gesagt: Deutschland ist ein Vorbild. Das alte europäische Sozialstaats-Modell ist nämlich tot, weil es viel zu oft nicht ohne Schulden auskam. Die Deutschen haben es neu erfunden – ohne übermäßige Schulden.“

BILD: Haben Sie eine Botschaft für die Deutschen?

Draghi: „Macht weiter so!“

BILD: Typisch deutsch ist auch die ständige Angst vor Geldentwertung, Inflation. Können Sie das verstehen?

Draghi: „Die Deutschen haben im 20. Jahrhundert schreckliche Erfahrungen mit Inflation gemacht. Sie vernichtet Werte und macht das Planen unmöglich. Mehr noch: Sie kann die Gesellschaft eines Landes regelrecht zersetzen.“

BILD: Warum lassen Sie als EZB-Präsident dann zu, dass in der Eurozone gegenwärtig 2,7 Prozent Inflation herrschen, deutlich mehr, als es das Ziel der EZB ist?

Draghi: „Moment. Wenn man den Ölpreis und die jüngsten Steuererhöhungen vieler Regierungen berücksichtigt, liegen wir seit Monaten stabil bei 1,5 Prozent. Sollten sich die Inflationsaussichten verschlechtern, werden wir sofort vorbeugend eingreifen. Und schauen Sie auf die Fakten, die sprechen für sich selbst. Die durchschnittliche jährliche Inflationsrate ist seit dem Bestehen der EZB besser als in irgendeinem vergleichbaren Zeitraum vor der Euro-Einführung.“

BILD: In zwei Schüben hat die EZB fast eine Billion Euro in Umlauf gebracht. Das schürt doch Inflation?

Draghi: „Die Banken, denen die EZB das Geld geliehen hat, haben es zu großen Teilen nicht in den Wirtschaftskreislauf eingespeist, sondern damit alte Verbindlichkeiten abgelöst. Deshalb ist das Geld mit Blick auf Inflation gleichsam neutralisiert. Dieser Vorgang schürt nicht die Inflation. Und wir werden sehr genau beobachten, ob und wie das Geld in den Wirtschaftskreislauf eingespeist wird.“

BILD: Der deutsche Bundesbankchef Jens Weidmann warnt aber drastisch vor dieser Geldschwemme.

Draghi: „Mit Jens Weidmann verstehe ich mich beruflich und persönlich sehr gut. Unsere Meinungsverschiedenheit ist aufgebauscht worden.“

BILD: Hat Herr Weidmann seine Sorgen übertrieben?

Draghi: „Er ist ein typischer Notenbanker wie wir alle. Wir machen uns gern Sorgen über Dinge, über die sich sonst niemand Sorgen macht. Und natürlich gibt es Risiken und Nebenwirkungen, wenn Sie ein derart starkes Medikament einsetzen, wie es die knappe Billion Euro Zentralbankgeld war. Darauf hat Jens Weidmann zu Recht hingewiesen und ich bin mit ihm einer Meinung.“

BILD: Gibt es einen Riss zwischen Nord- und Südländern im EZB-Rat?

Draghi: „Nein, da gibt es keinen Graben zwischen Norden und Süden. Alle Mitglieder des EZB-Rates haben die deutsche Stabilitätskultur verinnerlicht. Die Zeit der Konflikte ist vorbei. Aber ich sage Ihnen auch: Im Herbst vergangenen Jahres war die Situation wirklich kritisch. Es hätte zu einer gefährlichen Kreditklemme bei den Banken kommen können und damit zu Pleiten von Unternehmen, die plötzlich finanziell auf dem Trockenen gesessen hätten. Das mussten wir verhindern.“

BILD: Jetzt machen die Banken ein dickes Geschäft, oder?

Draghi: „Das Geld der EZB ist an die richtigen Stellen gekommen. Allein aus Deutschland haben 460 Banken an der Aktion teilgenommen, weit mehr als üblich. Es waren also nicht nur die akut Not leidenden Banken, sondern auch viele, viele kleine darunter. Das hilft vor allem den kleinen und mittleren Firmen, die für 70 Prozent aller Arbeitsplätze in Europa stehen.“

BILD: Das klingt alles sehr optimistisch. Ist der Euro also eine sichere Währung?

Draghi: „Ja, das ist er!“

BILD: Ist die Krise vorüber?

Draghi: „Das Schlimmste ist vorüber, aber es gibt auch noch Risiken. Die Lage stabilisiert sich. Die wichtigen Kennzahlen der Euro-Zone, wie Inflation, Leistungsbilanz und vor allem Haushaltsdefizite, sind besser als z. B. in den USA. Das Vertrauen der Investoren kehrt zurück und die EZB hat seit Wochen keine Staatsanleihen mehr zur Stützung kaufen müssen. Der Ball liegt jetzt bei den Regierungen. Sie müssen die Euro-Zone dauerhaft krisenfest machen.“

BILD: Wenn Sie heute Geburtstag hätten, was wäre Ihr Wunsch an die Bundesregierung und die Kanzlerin?

Draghi: „Vertrauen in die EZB. Vertrauen in Europa.“

Morgen Teil 2: Ist Griechenland ein Fass ohne Boden, Herr Draghi?

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