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Öffentlicher Web-Dialog "Online-Konsultationen sind kein demokratischer Selbstläufer"

Bürgerbeteiligung, Netzregulierung, Street View, Datenschutz: In einem Gastbeitrag zieht Innenminister Thomas de Maizière sein Fazit der "e-Konsultation" - seines Versuchs, den Dialog über Netzpolitik via Web zu befördern. Er verrät, was die Politik und er gelernt haben. Und noch zu lernen haben.

Das Internet verändert: Sich selbst in seiner unablässigen Weiterentwicklung, uns Menschen, in der Art und Weise wie wir kommunizieren und uns Informationen beschaffen. Und es verändert auch die Politik, die lernen muss, mit diesen neuen Kommunikationsformen und -möglichkeiten umzugehen.

"Wenn etwas wichtig ist, dann wird es mich schon erreichen!" So hat ein unbekannter Internetnutzer seine Einstellung im Umgang mit der "Nachrichtenzentrale" Internet beschrieben , der auch andere beipflichten . Auf den ersten Blick eine bestechende Logik - wenn ich gut vernetzt im Internet unterwegs bin und via Facebook, Twitter und Co. auf dem Laufenden bleibe, ohne mich anzustrengen.

Auf den zweiten Blick aber wird deutlich: Wenn sich alle zurücklehnen und darauf warten, dass die wichtigen Nachrichten zu ihnen kommen, wird eben genau das nicht passieren. Das Netz lebt - genau wie die Demokratie - vom Mitmachen, und dabei können wir uns nicht wie vorm Fernseher bequem zurücklehnen. Bildhaft gesprochen müssen wir uns vorbeugen, uns aktivieren, um Tastatur und Rechner zu bedienen - jedenfalls zurzeit noch, ich bin mir fast sicher, dass die Technologie auch hier in Zukunft Veränderungen bringen wird…

Die "Aktivierung", sich zu gesellschaftlichen und politischen Themen zu äußern und zu positionieren, ist dank der Möglichkeiten des World Wide Web leichter als je zuvor, ich verweise hier nur beispielhaft auf die Möglichkeiten der Online-Petition beim Deutschen Bundestag.

Eines können wir dabei nicht verbergen: Die Politik hat der rasanten Entwicklung des Internets in den letzten Jahren kaum folgen können. Umso wichtiger ist es, nun nicht das vielleicht Versäumte mit gut gemeintem, aber unangebrachtem Aktionismus nachholen zu wollen. Wir dürfen hier nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.

Aus diesem Grund habe ich auch im Umgang mit Google Street View zur Gelassenheit geraten. Denn jetzt, wo das Angebot von Google online ist, nimmt die Diskussion einen durchaus anderen Verlauf, als die erste Woge der Empörung dies vielleicht nahegelegt hat. Mit einem schnell verabschiedeten Einzelfallgesetz, wie dies seinerzeit verschiedentlich gefordert wurde, wären wir der Sachlage nicht gerecht geworden.

Der Sache gerecht werden. Das sollte die Online-Konsultation  zu meinen 14 Thesen zu den Grundlagen einer gemeinsamen Netzpolitik  der Zukunft leisten. Und nebenbei wollte ich auch etwas lernen…

Ich war daher neugierig, wie dieses Angebot zur Beteiligung aufgenommen wird. Mit Interesse habe ich wahrgenommen, wie heterogen das Gesamtbild ist. Erstaunt haben mich z.B. die Bewertungen zur These, in der ich ein stärkeres Bewusstsein für gemeinsame Werte gefordert habe. Für mich eine Selbstverständlichkeit, bilden doch gemeinsame Werte das Fundament unseres Zusammenlebens und prägen damit auch unsere Einstellung zum Internet.

Dennoch haben nur ungefähr 50 Prozent der Teilnehmenden dieser These zugestimmt. Befürchtet wurde in diesem Kontext die Durchsetzung stärkerer staatlicher Kontrolle. Dieses Misstrauen gegenüber dem Staat ist falsch, aber wir müssen es ernst nehmen. Wenn Misstrauen die Diskussionen beherrscht, ist es schwer, Sachargumente in den Vordergrund zu rücken.

Selbstverständlicher Bestandteil unserer Kultur

Umso mehr freue ich mich, dass die meisten Thesen vielen kritischen Stimmen im Internet zum Trotz eine breite Zustimmung gefunden haben. Dies gilt beispielsweise für die These zur Stärkung der Medienkompetenz. Die Beiträge der Online-Konsultation zeigen, dass sich viele "User" die aus einem sorglosen Umgang mit ihren eigenen Daten entstehende Gefahr bewusst gemacht haben. Genau das ist mein Anliegen. Wir brauchen mehr und vor allem auch frühzeitige Aufklärung, wenn wir von den Internetnutzern ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Handeln erwarten. Und wir brauchen Engagement, d.h. Bürgerinnen und Bürger, denen es selbst ein Anliegen ist, für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet zu werben.

Das Engagement, die Aktivierung des Einzelnen im Rahmen dieser Online-Konsultation, kann erst ein Anfang sein. Für künftige Beteiligungen wünsche ich mir eine höhere Zahl an Rückmeldungen und noch mehr konkrete Ideen und Vorschläge.

Deutlich wurde der Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger, die Konsultation noch nutzerfreundlicher zu gestalten. Gleiches gilt für die Sprache: Auch komplexe Themen können noch verständlicher dargestellt werden. Hieran werden wir arbeiten, gerade wenn es darum geht, unterschiedliche Erwartungen und Wissensstände zu bedienen, d.h. den Experten ebenso anzusprechen wie den "normalen" Internetnutzer.

Deutschland hat bisher nur wenige "Prototypen" für Online-Konsultationen auf Bundesebene und diese haben sicherlich an der einen oder anderen Stelle Kinderkrankheiten. Auch Politik muss erst lernen, mit den neuen Möglichkeiten umzugehen.

Gleiches gilt aber auch für die Bürgerinnen und Bürger. Es muss sich eine politische Netzkultur entwickeln, die dem Sachargument und der Idee verpflichtet ist. Das Internet ist nicht nur Gegenstand der Politik - es ist auch Mittel der Politik. Seine vielfältigen Möglichkeiten lassen sich nutzen, um einen politischen Dialog auf eine breitere Basis zu stellen. Wenn aktuell mehr Partizipationsmöglichkeiten gefordert werden, wenn es gilt, Politik verständlich und transparent zu gestalten, dann bietet das Internet dafür eine geeignete Plattform.

Aber ich sage ganz deutlich: Online-Konsultationen sind kein demokratischer Selbstläufer. Einfach nur "dagegen sein" bringt niemanden weiter. Wenn es selbstverständlicher Bestandteil unserer Kultur ist, dass auch im Internet Diskussionen sachbezogen, offen und nachvollziehbar geführt werden, dann wird es auch nicht darauf ankommen, ob der Bürger sich hinter einem Pseudonym versteckt oder seinen tatsächlichen Namen angibt.

Wie werden die nächsten Schritte aussehen? Zum einen werde ich im Dezember einen Gesetzesvorschlag vorlegen, durch den eine "rote Linie" im Umgang mit Geodaten und personenbezogenen Daten markiert wird, welche die Diensteanbieter nicht überschreiten dürfen. Es wird festgelegt, wann ein besonders schwerwiegender Eingriff in Persönlichkeitsrechte vorliegt und - für den Fall eines Verstoßes - werden entsprechende Sanktionen geregelt.

Zum anderen wollen wir das "Know-how", die Möglichkeiten und den Willen der Internetwirtschaft nutzen, um nutzerorientierte und bürgerfreundliche Angebote zu schaffen. Selbstverpflichtungen sind ein wichtiges Instrument, um international einheitliche Standards bei der Prävention von Internetkriminalität, aber auch in den Bereichen des Daten- und Verbraucherschutzes zu schaffen. Mit Interesse sehe ich deshalb dem Datenschutzkodex entgegen, den die Internetwirtschaft aktuell erarbeitet und der ebenfalls noch im Dezember vorliegen soll.

Und dann geht die Diskussion weiter.