Elektrisiermaschine Deutschland – Seite 1

Zwei Meldungen aus zwei Tagen haben zwei deutsche Pole aufgeladen: der Fall Lisa und der des angeblich gestorbenen Flüchtlings in Berlin. Twitter, Facebook und WhatsApp machten Deutschland zu einer großen Elektrisiermaschine zwischen links und rechts, zwischen Gut- und Bessermenschen.

Was sich da abspielte, erinnerte mich daran, wie ich neulich beim Hausumbau gefährlich wenig Lust auf großartige Ursachenforschung hatte. Ich war auf eine Stromleitung gestoßen, die nervte und deren Ursprung ich mir nicht erklären konnte. Ich entschied mich für die einfache Auflösung: Sie besteht darin, mit einem Stück Draht einen Kurzschluss zu erzeugen. Ein heftiger Knall, ein beeindruckender Lichtblitz – und im Verteilerkasten springt die Sicherung raus, auf der der rätselhafte Stromkreis liegt. Fertig.

Man kann natürlich vorsichtiger vorgehen, systematischer. Eine Sicherung nach der anderen herausnehmen, wieder und wieder zum Leitungsende latschen und prüfen, ob der Strom noch fließt. Das ist die abtörnende Methode, die ohne Thrill. Aber sie birgt gewisse Vorteile. Sie verhindert womöglich, dass die Leitung durchschmort oder das Haus abfackelt. Sicherungen können nämlich versagen.

Über Deutschland zieht gerade ein solches Gewitter von Kurzschlüssen, von rechts wie von links, dass man sich fragt, woher die anscheinend massenhafte Unlust auf gute, alte Zivilisationsmethoden kommt. Es wird nicht mehr geprüft, es wird lieber behauptet, dass es kracht. Die 13-jährige Lisa aus Berlin ist stundenlang von Arabern vergewaltigt worden. Ein 24-jähriger Flüchtling aus Syrien ist infolge unmenschlicher Behandlung durch das Berliner Lageso zu Tode gekommen.

Natürlich: Es kann sein, dass sich das tatsächlich so ereignet hat. Aber bitte, auf Details kann Twitter-Deutschland nicht warten. Wozu geduldiges Forschen, wenn die anderen längst die Funken spritzen lassen?

Das ist die massenpsychologische Gefahr der Massenvernetzung: die Gravitation einer vermeintlichen Mehrheitsmeinung, in der sich aus tausend voreiligen Posts Wahrheitsmacht entwickelt. Der Mob kennt kein Ob, er kennt nur das Dass. Wer jetzt noch fragt, ist dumm.

Sicher, es gibt mittlerweile Gründe, den Ruhepolen der Informationsausteilung zu misstrauen. Zwar hat die Berliner Polizei vehement klargestellt, es spreche wenig bis nichts dafür, dass Lisa vergewaltigt worden sei, vielmehr sei der Geschlechtsverkehr vermutlich einvernehmlich geschehen (was mit einer 13-Jährigen immer noch eine Straftat wäre). Aber Polizeiangaben über mutmaßliche Straftaten von mutmaßlichen Migranten leiden seit der Silvesternacht von Köln unter einem Beschwichtigungsverdacht.

Dasselbe Misstrauen gilt gegenüber "den" Medien, die – wie man ja nun weiß – erst von vereinten Twitter-Kräften zum Jagen getragen werden müssen. Und selbst wenn sie dann endlich berichten, gehen sie nicht etwa naheliegenden Verdachtsmomenten nach, sondern tun alles, um den Verdacht von Flüchtlingen wegzulenken, der arrogant-elitären Haltung folgend: Ätschibätsch, ihr notorischen Rassisten da draußen, es war gar keine Vergewaltigung!

Aus demselben Grund unterstellt man ihnen, aus einem toten Flüchtling allzu schnell ein Opfer deutscher Gleichgültigkeit zu machen. Nun verrät man kein Geheimnis, wenn man sagt, dass selbst bei Journalisten ein Wunschweltbild zum erkenntnisleitenden Interesse werden kann. Nur, sogar Journalisten sollen unterschiedliche Weltbilder pflegen.

Erst prüfen, dann urteilen

Nehmen wir aber einmal an, es wäre alles so, wie der Twitter-Mob es herausschreit: Die Polizei informiert falsch, Journalisten schreiben wahlweise beschwichtigend oder schaukeln hoch, und in Wahrheit ist Lisa tatsächlich brutal vergewaltigt worden (die Polizei erklärte unterdessen, der angebliche Tod des Flüchtlings sei frei erfunden). Das würde dann bedeuten, dass niemand darüber redet, dass die Gefahr solcher Taten in Deutschland gerade ansteigt – obwohl sexuelle oder sexualisierte Gewalt aus der Zuwanderergruppe junger Araber heraus ganz offenkundig häufiger geschieht als etwa aus der junger Dänen. Total vertuscht wird dann garantiert auch, dass in letzter Zeit jede Menge junger Männer aus Nordafrika nach Europa gekommen sind, die vielleicht behaupten, Flüchtlinge zu sein, es aber im seltensten Falle sein dürften, sondern sich hier als Straßenräuber durchschlagen.

Wenn, ach wenn über all das nur geredet werden könnte, dann müsste irgendwer mal echt sagen, dass solche kriminellen Trittbrettfahrer auf dem schnellsten Wege aus dem Land geschafft gehören – oder am besten gar nicht erst hinein.

Ja, komisch: Genau das ist der große Konsens im Lande, wo man auch hinschaut, CDU, SPD, Presse links, Presse rechts (klar, Ausreißer ausgenommen).

Was also genau bringt so viele Deutsche gerade derart auf die Palme?

Vielleicht gar nichts. Vielleicht sind die Kurzschlussbastler nur eine laute Minderheit. Das will man hoffen, denn Vergewaltiger gleichsam prototypisch für Flüchtlinge zu setzen, darauf kann nur kommen, wer es entweder blitzen sehen und krachen hören will – oder wer schlicht zu faul ist, ein paar Gedankenschritte zu unternehmen.

Vielleicht sollten vor allem jene Russlanddeutsche, die dieser Tage vorm Kanzleramt und anderswo gegen die "Gefahr Flüchtlinge" demonstrieren, mal darüber nachdenken, ob sie noch hier wären, wenn man ihrer Einwanderergruppe mit derselben Undifferenziertheit begegnet wäre, wie es viele von ihnen jetzt gegenüber Muslimen tun.

Jeder, der hier lebt – Linke, Rechte, Kulturrussen oder Muslime – trägt eine Verantwortung dafür, dass die zivilisatorischen Sicherungen nicht versagen, dass nichts anschmort in Deutschland. Ursachen auseinanderzuhalten kostet Mühe und Anstrengung. Und es wird noch schwerer werden.

Keine Political Correctness zwingt irgendjemanden, zimperlich zu sein, weder in der Ursachenforschung noch im Urteil. Aber: Genau diese Reihenfolge einzuhalten und umso genauer zu prüfen, je härter man urteilt, diese Korrektheit verlangt unsere Gesellschaftsordnung sehr wohl. Wer auf sie keine Lust hat, der ziehe seine Kurzschlüsse zu Hause in der Küche – vergreife sich aber nicht an den Fundamenten dieses Landes. Weder vorm Kölner Hauptbahnhof noch vorm Kanzleramt und noch nicht einmal im Internet.