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Ausland Francis Fukuyama

„Es gibt Grenzen, was Neuankömmlinge anbetrifft“

| Lesedauer: 5 Minuten
epa03367827 Yoshihiro Francis Fukuyama, US political scientist, political economist, and author gives lecture to audiences on 'Leadership Academy for Development Program', in Yangon, Myanmar, 23 August 2012. Fukuyama is visiting Myanmar and will give seminars in Yangon and Naypyitaw. EPA/LYNN BO BO +++(c) dpa - Bildfunk+++ | epa03367827 Yoshihiro Francis Fukuyama, US political scientist, political economist, and author gives lecture to audiences on 'Leadership Academy for Development Program', in Yangon, Myanmar, 23 August 2012. Fukuyama is visiting Myanmar and will give seminars in Yangon and Naypyitaw. EPA/LYNN BO BO +++(c) dpa - Bildfunk+++ |
Francis Fukuyama gehört zu den bekanntesten Historikern und Politologen unserer Zeit. Berühmt wurde er mit seiner These vom „Ende der Geschichte“. Kurz nach dem Fall der Mauer in B...erlin prophezeite Fukuyama, die liberale Demokratie werde bald für eine dauerhaft sichere politische Zukunft der Menschheit sorgen
Quelle: Lynn Bo Bo-picture alliance / dpa/lbb ts
US-Politologe Francis Fukuyama hält einen moderaten Islam durchaus für mit der Demokratie vereinbar.
  • Einen groß angelegten Krieg gegen die Terrormiliz hält er für den falschen Weg. Der IS werde so oder so scheitern.
  • Merkel wirft er Führungsschwäche vor. Zugleich sieht Fukuyama Grenzen bei Eingliederungsmöglichkeiten von Flüchtlingen.

Frage: Professor Fukuyama, sie vertreten die These, dass man gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) keinen Krieg führen dürfe. Aber wäre das nicht eine plausible Lösung, angesichts der immer häufigeren Attacken?

Francis Fukuyama: Nein. Die wahre Bedrohung wäre eine Überreaktion unsererseits. Das ist doch genau das, was der Terrorismus erreichen will, vor allem der Islamische Staat. Wir dürfen den fürchterlichen Fehler des Irakkriegs von 2003 nicht wiederholen. Die Bürger wollen eine schnelle Lösung für dieses Problem. Doch ganz ehrlich: So eine Lösung gibt es nicht.

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Kleine, aber heftige Attentate von labilen Individuen, wie bei den letzten, die wir erlebt haben, und wie sie auch in den USA immer wieder passieren, sind nicht vorhersehbar. Alle zu beschützen ist vollkommen unmöglich.

Gleichzeitig jedoch dürfen wir die Rechte und die Freiheit eines Teils unserer Gesellschaft nicht einschränken, wie es die fremdenfeindlichen und rassistischen Bewegungen fordern. Damit würden wir die Grundpfeiler unserer Demokratie untergraben.

Frage: Was können wir dann tun, um uns gegen den Islamischen Staat zu wehren?

Fukuyama: Weiterhin gezielt bombardieren, zusätzlich zum Einsatz der Bodentruppen der lokalen Milizen. Der IS hat in letzter Zeit viele Gebiete sowie die Stadt Falludscha verloren. Der Islamische Staat wird untergehen, früher oder später. Unsere Soldaten in den Mittleren Osten zu schicken würde die Situation nur verschlimmern.

Frage: Einigen Beobachtern zufolge beruhen die Probleme des Islam darin, dass er nie reformiert wurde. Er sei allein wegen seiner Grundlagen und politischen Ansichten eine Gefahr für unsere Demokratie. Sind Sie auch dieser Meinung?

Fukuyama: Nein. Der moderate Islam kann gut mit den modernen Institutionen leben, wie man in Malaysia und Indonesien sieht. Die Türkei ist ein Fall für sich, Erdogan ist meiner Ansicht nach der autoritärste Islamist. Die Dschihadistenideologie hat nur wenige Anhänger. Natürlich stellt sie eine ernste Bedrohung dar. Doch die größte Gefahr für den Bestand unserer Demokratie ist eine andere. Sie liegt in uns selbst.

Frage: Wie meinen Sie das?

Fukuyama: Der von Angst getriebene Vertrauensverlust der Bürger in unsere eigenen Institutionen. Auf diese Weise wächst der Populismus, der potenziell tödliche Maßnahmen verspricht. Das ist leider die Folge eines derzeit beunruhigenden Mangels an Führungskraft in Europa.

Frage: Zum Beispiel?

German Chancellor Angela Merkel giv
Bundeskanzlerin Merkel attestiert Fukuyama mangelnde Führungskraft. Außerdem gehe es ihr nur darum, wie sie im eigenen Land wahrgenommen werde
Quelle: AP/Markus Schreiber

Fukuyama: Nehmen wir mal Deutschland. Es sollte eigentlich das Land sein, das Europa zu Frieden und Wohlstand führt. Doch stattdessen geht es Kanzlerin Angela Merkel nur um die Zustimmung im eigenen Land. Ihr Verhalten während der Euro-Krise in den Auseinandersetzungen mit Griechenland war bezeichnend. Jetzt tut sie dasselbe mit den italienischen Banken.

Das Schlimme ist, dass dieser Mangel an Führungskraft nicht von anderen europäischen Staatshäuptern ausgeglichen wird, weder von François Hollande noch dem desaströsen Cameron, der ja jetzt abgetreten ist. Das sind alles Politiker niedrigen Niveaus, die wirklich kaum etwas für Europa erreicht haben.

Frage: Und zwischen alledem die Notsituation der Flüchtlinge, trotz des Abkommens mit der Türkei. Was denken Sie, wie Europa mit dieser Frage umgegangen ist?

Fukuyama: Die Willkommenspolitik ist bewundernswert. Sie ist aber auch sehr gefährlich. Sie kann einen verheerenden Aufruhr innerhalb der Europäischen Gemeinschaft verursachen. Es gibt Grenzen, was die Eingliederungsmöglichkeit der Neuankömmlinge anbetrifft. Und Schengen hat an seinen Außengrenzen überall Lücken.

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Frage: Aus diesem Grund will das Vereinigte Königreich die EU verlassen.

Fukuyama: Schon. Aber im Grunde war der Brexit eher ein Votum gegen die Globalisierung. Die Arbeiterklasse hatte keine Stimme mehr. Sie fand sie dann über dieses Referendum wieder.

Frage: Die Globalisierung hat immer mehr Gegner. Wie sehen Sie diese Wut auf den freien Markt?

Fukuyama: Das Hauptproblem ist doch, dass der technologische Fortschritt nicht nachhaltig ist. Zwar hat er die Arbeit an sich erleichtert, jedoch nicht die Situation der Arbeiter.

Dementsprechend hat er für erhebliche Einschnitte innerhalb des Wohlfahrtsstaats gesorgt. Den freien Markt grenzenlos anzunehmen und das Sozialwesen derartig zu kürzen, nach dem Muster von US-Präsident Ronald Reagan, ist zu einem Dauerzustand geworden. Das war ein Fehler, dessen Konsequenzen für uns noch heute spürbar sind. Auch aus diesem Grund kann Donald Trump tatsächlich die Wahl gewinnen.

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Quelle: Die Welt

Frage: Was halten Sie von ihm?

Fukuyama: Er ist eine Gefahr für die amerikanische Demokratie, das liegt vor allem an seiner Verteufelung der Minderheiten. Doch er hat es geschafft, der Politik in den Vereinigten Staaten eine neue Ordnung zu verleihen. Und er hat, genau wie die Verfechter des Brexits, die Arbeiterklasse und die einfacheren Arbeiter für sich gewonnen.

Was die Außenpolitik anbetrifft, so passt er mit seinem Isolationismus perfekt zu Putin. Was mich aber am meisten beunruhigt, ist sein Protektionismus. Falls er gewinnt, könnte das eine weltweite wirtschaftliche Depression hervorrufen. Und dann wer weiß, was als Nächstes passiert.

Frage: Ein dritter Weltkrieg, wie ihn sogar Papst Franziskus schon befürchtet?

Fukuyama: Wir sollten nicht übertreiben. Nach 1945 haben wir schon chaotischere Zeiten erlebt, wie die Kriege im Mittleren Osten oder die Ölkrise.

Frage: Die Welt scheint sich dennoch immer mehr in ein Pulverfass zu verwandeln: Terrorismus, Krieg, Populismus, sektiererische Konflikte. Für einige ist das ein „Kampf der Kulturen“, wie es Ihr früherer Lehrer Samuel Huntington nannte. Ihr „Ende der Geschichte“ lässt sich dagegen eher Zeit, finden Sie nicht?

Francis Fukuyama: Ich glaube nicht an den „Kampf der Kulturen“. Die große Mehrzahl der Muslime ist friedlich, und sogar die Fehde zwischen Sunniten und Schiiten hat eher ideologische und strategische Ursachen als kulturelle.

Ich bin kein Hellseher, aber die Zukunft der Menschheit liegt weder in einem „Islamischen Staat“ noch in einem antiliberalen Staatsapparat im Stile Russlands oder Chinas. Die wahre Demokratie wird sich auf lange Sicht durchsetzen. Davon bin ich nach wie vor überzeugt.

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit unseren Partnern der Zeitungsallianz Lena. Er ist zuerst in „La Repubblica“ erschienen.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit unseren Partnern der Zeitungsallianz Lena. Er ist zuerst in „La Repubblica“ erschienen.
Quelle: medien

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