Noch nie standen Virologen derart im Fokus der Öffentlichkeit. Doch manche Aussagen sorgen für Verwirrung. Völlig normal, findet die Kommunikationswissenschaftlerin Leßmöllmann.
ZDFheute: Wie komplex ist es, Wissenschaft zu erklären und herunterzubrechen?
Annette Leßmöllmann: Bei Corona geht es um massive Risiken für die Gesundheit, die Wirtschaft, die Politik. Und das kann die Menschen schnell in Angst versetzen oder zu falschen Maßnahmen verleiten. Das ist also eine andere Art der Wissenschaftskommunikation, als jemanden beispielsweise über Sterne aufzuklären.
Und das ist eine große Herausforderung: Wie mache ich die Dinge, die ich erklären will, überhaupt verständlich? Angst und Verunsicherung bei den Menschen verschärfen diese Herausforderung noch mehr.
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ZDFheute: Immer wieder kommt es bei den Virologen zu Kursänderungen: Der eine Experte hält das Coronavirus Ende Januar für weniger gefährlich als die Grippe, was später anders klingen wird. Auch die Maskenfrage scheint die Virologen zu spalten. Woran liegt das?
Leßmöllmann: Das ist das Leben der Wissenschaft, dass sie jederzeit bereit sein muss, Dinge zu revidieren. Man hat neue Daten erhoben und diese führen zu neuen Erkenntnissen. Das ist für eine Wissenschaftlerin ihr tägliches Geschäft.
Die Öffentlichkeit sagt natürlich: 'Hey Moment mal, gestern habt ihr mir gesagt, Mundschutz ja, heute nein oder umgekehrt.' Das ist dann natürlich eine Frage der Kommunikation.
Christian Drosten zum Beispiel geht damit sehr offen, sehr transparent um: 'Das habe ich vor zwei Tagen gesagt, aus diesen Gründen, heute habe ich neue Studien gelesen, die ich ausgewertet habe und deswegen habe ich auch neue Erkenntnisse.'ZDFheute: Wir erleben ja derzeit eine Echtzeit-Forschung, sind quasi live dabei. Wird an der einen oder anderen Stelle vielleicht zu schnell, zu voreilig kommuniziert?
Leßmöllmann: Hier kommt man schnell zu den drei Virologen, die ja auch drei komplett verschiedenen Typen entsprechen. Kekulé, Streeck und Drosten machen das sehr unterschiedlich. Kekulé geht mit sehr weitreichenden Forderungen an die Politik heran, was teilweise auch außerhalb seines Forschungsgebietes liegt.
Streeck hat sich schon früh auch sehr stark aus dem Fenster gelehnt mit der Aussage, der Lockdown könne früher beendet werden, als wir zu der Zeit dachten. Und man fragt sich: aus welcher Evidenz zieht er das eigentlich?
Bei Drosten ist es wiederum so, dass er sagt, dass Wissenschaftler unter enormen Druck stehen und die Wissenschaft quasi live und am offenen Herz arbeitet. Er macht das sehr transparent.Es ist eine Riesenherausforderung, weil man derzeit immer einen Tick zu schnell kommunizieren muss, als einem lieb ist. Die Wissenschaft ist gerade in einem anderen Rhythmus, es wird viel schneller publiziert. Man muss ein Auge draufhalten, dass die Qualität dadurch nicht sinkt. Man muss gerade Wissenschaft in einem anderen Modus machen.
ZDFheute: Lässt sich Wissenschaft überhaupt auf Politik übertragen?
Leßmöllmann: Hier geht es um zwei verschiedene, soziale Systeme, die unterschiedliche Funktionen haben. Was passiert, wenn die Politik die Wissenschaft braucht? Sagt man dann: Wir geben eine Studie in Auftrag, die bringt uns dann Ergebnisse und dann entscheiden wir? Ich würde sagen, Herr Laschet hat das so versucht.
Das funktioniert aber nicht so ganz, weil man mit einer einzigen Studie keine Grundlage für weitreichende Entscheidungen schaffen kann. Denn vielleicht gibt es ja auch eine Studie, die genau das Gegenteil sagt. Das ist in der Wissenschaft ganz normal, dass man gegenteilige Evidenzen hat. Da muss man dann abwägen, wer hat denn jetzt Recht, wer hat die besseren Daten, die besseren Argumente?
ZDFheute: Tut es der Debatte gut, dass sich Wissenschaftler widersprechen?
Leßmöllmann: Das Sich-Widersprechen gehört in der Wissenschaft dazu. Denn es ist ja auch eine Form der Selbstkontrolle. Und Wissenschaft lebt am Ende von dieser Selbstkontrolle.
Das Interview führte Julia Lösch.
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