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Griechenland "Ein Staatsbankrott light"

Offiziell wurde ein Schuldenschnitt vermieden - doch materiell durchlebt das hoch verschuldete Griechenland einen "Staatsbankrott light", sagt der Ökonom Bert Rürup. Im Interview erklärt er, warum er eine Beteiligung der privaten Gläubiger begrüßt, welche Belastungen auf die Banken zukommen - und welchen Beitrag Griechenland nun leisten muss.
Von Olaf Wittrock
Bert Rürup: "Man kann das als Sündenfall betrachten - ich betrachte es als Fortschritt für das Projekt Europa"

Bert Rürup: "Man kann das als Sündenfall betrachten - ich betrachte es als Fortschritt für das Projekt Europa"

Foto: Tim Brakemeier/ picture-alliance/ dpa

Frage: Herr Rürup, war gestern ein guter Tag für Europa?

Bert Rürup: Verglichen mit den Bemühungen, die bislang politisch zur Lösung der Schuldenkrise vorgenommen wurden, hat dieser Gipfel gestern jedenfalls große Fortschritte gebracht. Der europäische Rettungsschirm EFSF ist quasi zu einem europäischen Währungsfonds weiterentwickelt worden, es wurden "Eurobonds light" eingeführt. Auch die Beteiligung der privaten Gläubiger ist zu begrüßen, unabhängig davon, wie hoch ihr Beitrag am Ende wirklich ausfallen wird...

Frage: Steht der Beitrag der privaten Gläubiger denn noch gar nicht fest? Deren Milliardenbeitrag zum Rettungspaket war doch eine der Kernbotschaften gestern.

Rürup: Nun ja, Zahlen sind mehr als genug im Umlauf, aber die Lage ist verwirrend. Einerseits liest man in der Abschlusserklärung, dass die Beteiligung des Privatsektors auf bis zu 50 Milliarden steigen kann und für den Zeitraum bis 2019 sogar 106 Milliarden Euro sein wird. Gleichzeitig spricht Herr Ackermann davon, dass die Finanzinstitute in der Summe etwa 20 Prozent abschreiben müssen. Eine Unsicherheit hinsichtlich der tatsächlichen Höhe der Beteiligung der Privaten liegt darin, dass es mehrere Wege für die Bankenbeteiligung gibt und zudem in Barwerten gerechnet wird. Und was bislang in keinen Zahlen enthalten ist, ist die verdeckte staatliche Beteiligung an den Bankverlusten infolge der steuerlichen Abschreibung. Wichtiger als die präzise Höhe der Beteiligung ist aber etwas anderes: Die Banken saßen mit am Tisch, und sie werden sich nicht mehr grundsätzlich verweigern.

Frage: Ist Griechenland damit gerettet?

Rürup: Man hat sich mit dem Gipfelergebnis erneut Zeit gekauft, mehr nicht. Allerdings gehe ich davon aus, dass die Beschlüsse in Summe für Griechenland ausreichen müssten, um das akute Schuldenproblem beherrschbar zu machen. Das dahinterliegende Problem, die Wachstumsschwäche der griechischen Wirtschaft, ist damit jedoch noch nicht gelöst. Das Vertrauen der Märkte wird erst zurückkehren, wenn auch bei diesem Problem Fortschritte erkennbar sind.

Frage: Vor dem Gipfeltreffen haben Sie gesagt, den Griechen sei nur durch einen Schuldenschnitt zu helfen. Der wurde nun doch vermieden.

Rürup: Nur auf dem Papier. Materiell ist das, was gestern vereinbart wurde, durchaus ein Schuldenschnitt und zwar in Höhe von rund 20 Prozent, wenn die privaten Gläubiger mitziehen.

Frage: Also ist Griechenland eigentlich pleite?

Rürup: Da die Gläubiger nur freiwillig mitmachen und auch nur kurzfristig auf Forderungen verzichten, lässt sich formell darüber streiten. Materiell ist dies aber doch so etwas wie ein "Staatsbankrott light"...

Frage: … den die übrigen Euro-Länder finanzieren müssen. Ist das nicht der Sündenfall, der letzte Schritt hin zu einer Transferunion, die man im Maastricht-Vertrag per No-Bail-Out-Klausel bewusst ausgeschlossen hatte?

Rürup: Man kann das als Sündenfall oder als Erpressung betrachten, wie manche Kritiker das tun. Ich betrachte dies als Fortschritt für das Projekt Europa. Die EU sollte immer eine Transferunion sein. Dies steht in den Gründungsverträgen. Und es passt einfach nicht zusammen, dass die Europäische Währungsunion keinerlei solidarische Elemente haben darf.

Frage: Was meinen Sie damit?

Rürup: Letztlich ist die Gemeinschaftswährung für jedes Euro-Land eine Fremdwährung. Denn anders als beispielsweise in den USA können einzelne Euro-Länder bei ihren Verschuldungsproblemen nicht mehr von ihrer Zentralbank unterstützt werden.

Frage: Können die Euro-Staaten denn gemeinsam den Bankrott verhindern? Oder machen sie sich eher noch angreifbarer, wenn jeder für jeden einsteht?

Rürup: Spekulative Attacken kann es gegen einzelne Länder, wie zum Beispiel gegen Griechenland, Portugal oder Irland geben. Wenn es aber über den EFSF zu einer Art Haftungsverbund zwischen den Staaten kommt, wird es ziemlich aussichtslos, gegen die gesamte Eurozone zu spekulieren.

Frage: Der Preis dafür ist allerdings: Deutschland muss womöglich noch mehr marode Staaten stützen. Ist das gerecht?

Rürup: Es ist keine Frage der Gerechtigkeit, ob Deutschland mit zahlt, sondern schlicht eine Frage der Leistungsfähigkeit. Wir sind nun mal die stärkste Wirtschaftsnation in Europa. Und es liegt nahe, dass die stärkeren Schultern mehr tragen. Was mir bei den Beschlüssen von gestern fehlt, ist, dass in dem Maße, in dem man Solidarität gewährt, auch Durchgriffsmöglichkeiten existieren müssten. Hierzu braucht es klare Regeln, weil ansonsten die Akzeptanz in der Bevölkerung noch geringer wird als sie es schon ist.

Frage: Hätte man nicht auch ein ordentliches Insolvenzverfahren für Griechenland einleiten können?

Rürup: Das ist so eine akademische Idee, die vielleicht im Modell charmant sein mag. Aber de facto hätte es bedeutet, dass dieses Land auf absehbare Zeit nicht mehr an den Kapitalmarkt hätte zurückkommen können. Und wie teuer dies geworden wäre, weiß niemand. Im übrigen: Hätte man gewusst, wie teurer der Lehman-Brothers-Bankrott wird, hätte man diese Bank nie pleite gehen lassen. Gelegentlich muss man Kompromisse eingehen. Die beiden sauberen Lösungen, entweder direkt die Vereinigten Staaten von Europa zu gründen oder das Modell Nord-Euro, für das Hans Olaf Henkel wirbt, will eigentlich niemand. Beides ist politisch völlig illusorisch.

Frage: Und warum bittet man nicht die privaten Gläubiger noch stärker zur Kasse? Die haben schließlich am meisten von der Schuldenkrise in Griechenland profitiert.

Rürup: Das ist zu plakativ. Denn viele der privaten Gläubiger haben ihre Griechenland-Anleihen vor 2010 gekauft. Und mit diesen Altschulden wurden erhebliche Kursverluste produziert. Aber letztlich wird gezahlt werden müssen, und zwar von allen.

Frage: Wie teuer wird's?

Rürup: Auch wenn von Einigen konkrete Zahlen genannt werden: das weiß heute niemand. Aber unstrittig ist, dass einiges auf Deutschland zukommen wird. Letztlich heißt das, zu dem bestehenden hausgemachten Konsolidierungsdruck aufgrund einer Schuldenstandsquote von mehr als 80 Prozent kommt auf uns zu einem ungewissen Zeitpunkt ein importierter Konsolidierungsbedarf in unbekannter Höhe hinzu.