China zündet den E-Auto-Turbo: Fahren wir nur noch hinterher, Herr Mercedes-Chef?

Der Mercedes-Boss mit seinem neuesten Produkt – der am Dienstag vorgestellten E-Klasse mit Hybrid-Antrieb. Der Wagen hat je nach Modell ab 145 PS (Verbrennungsmotor) bzw. 129 PS (Elektromotor). Der Preis ist noch nicht bekannt

Der Mercedes-Boss mit seinem neuesten Produkt – der am Dienstag vorgestellten E-Klasse mit Hybrid-Antrieb. Der Wagen hat je nach Modell ab 145 PS (Verbrennungsmotor) bzw. 129 PS (Elektromotor). Preis noch nicht bekannt

Foto: Sascha Baumann / all4foto.de
Von: Roman Eichinger, Burkhard Uhlenbroich und Sascha baumann (Foto)

Drei Wochen war Mercedes-Chef Ola Källenius (53) in China unterwegs. Für den Konzern ist das Land der größte und wichtigste Markt. Mercedes verkauft und produziert dort.

Doch China ist gleichzeitig auch der größte Konkurrent. Immer mehr Hersteller bauen Autos made in China. Und die sind nicht nur preiswerter, sondern werden technisch und optisch immer besser.

BILD am SONNTAG: Herr Källenius, Sie sind gerade aus China zurück, waren auch auf der Automesse in Shanghai. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis?

OLA KÄLLENIUS: Nach drei Jahren Covid herrscht dort eine riesige Aufbruchstimmung. Und der Markt in China entwickelt sich mit unglaublicher Geschwindigkeit.

China ist der größte Pkw-Markt der Welt und der wichtigste für die deutschen Hersteller. Aber die Marktanteile dort sinken. Woran liegt das?

Källenius: „Unsere Verkaufszahlen in China steigen und ich bin recht optimistisch, dass wir dort auch im laufenden Jahr wachsen. Während der Corona-Jahre haben besonders die vermögenderen Chinesen außergewöhnlich viel gespart. Diese Kaufkraft dürfte uns zugutekommen.“

Unter den zehn meistverkauften Elektroautos in China befindet sich kein einziges deutsches Modell. Fahren die deutschen Autobauer nur noch hinterher?

Källenius: „Nein. In China hat sich die Elektromobilität bislang über günstige Kleinwagen und City-Autos entwickelt. Deutlich über 90 Prozent des Absatzes wird mit E-Autos erzielt, die weniger als 40 000 Euro kosten. In dem Segment treten wir ja gar nicht an.

An dem Preiskrieg im Volumen-Markt wollen wir uns auch nicht beteiligen. Mercedes-Kunden erwarten das Besondere. Insgesamt konnten wir 2022 so auch in China unseren Absatz vollelek-trischer Modelle um über 150 Prozent steigern.“

Ihr China-Geschäft ist auch aufgrund der politischen Lage in Gefahr. Was würde ein Angriff Chinas auf Taiwan für Mercedes bedeuten?

Källenius: „Die großen Akteure der Weltwirtschaft, Europa, die USA und China, sind so eng miteinander verflochten, dass ein Abkoppeln von China keinen Sinn macht. Es geht um Win-Win bei Wachstum und Klimaschutz, nicht um ein Gegeneinander.“

Wir fragen nach den militärischen Drohungen einer Diktatur gegen ein demokratisches Nachbarland.

Källenius: „Wir sind nicht naiv. Natürlich sehen wir die politischen Differenzen und Spannungen. Die Corona-Zeit hat gezeigt, wie fragil die Lieferketten sind. Wir müssen hier widerstandsfähiger werden und etwa bei den Lithiumbatterien unabhängiger von einzelnen Staaten.

Aber: Eine Entflechtung von China ist eine Illusion und auch nicht erstrebenswert.“

Ihr Russland-Geschäft konnte mit überschaubaren Verlusten eingestellt werden. Wäre das in China überhaupt denkbar, ohne den Konzern zu gefährden?

Källenius: „Das wäre für fast die gesamte deutsche Industrie nicht denkbar.“

Wo sind uns die Chinesen voraus?

Källenius: „Was dort beispielsweise gut gemacht wird, ist das Infotainment. Die Unterhaltungselektronik im Auto spielte für deutsche Kunden bislang nicht die wichtigste Rolle.

Die chinesischen Kunden hingegen legen großen Wert darauf. Ein Beispiel: Karaoke im Auto. In der Langversion der neuen E-Klasse können sie deshalb auch Karaoke singen.“

Die Chinesen geben Gas, und in Deutschland drängen die Gewerkschaften auf eine 4-Tage-Woche. Wie passt das zur wirtschaftlichen Lage?

Källenius: „In der Tat: Während in China eine extrem hohe Wettbewerbsintensität herrscht und hier in den Medien nahezu täglich der Fachkräftemangel thematisiert wird, diskutieren wir gleichzeitig über die 4-Tage-Woche.

Wenn unsere erste Priorität ist, bei vollem Lohnausgleich weniger zu arbeiten, gewinnen wir international kein Spiel mehr.“

Müssen wir in Zeiten des Fachkräftemangels alle mehr und länger arbeiten statt weniger?

Källenius: „Unsere Industrie befindet sich in einer Jahrhundert-Transformation. Da müssen wir die Ärmel hochkrempeln. Sonst verlieren die deutschen Autohersteller ihren Spitzenplatz auf der Welt.

Die Industrie ist das Rückgrat unseres Wohlstands. Wir brauchen eine Reindustrialisierung, keine De-Industrialisierung.“

In den letzten drei Jahren ist der Durchschnittspreis für einen Mercedes-Pkw von 51.000 auf 73.000 Euro gestiegen. Ist Autofahren in einem Mercedes nur noch etwas für Reiche?

Källenius: „Nein. Der Durchschnittspreis ist ja nicht der Einstiegspreis – unser Angebot reicht von A- bis S-Klasse. Und wir bleiben im Kompaktsegment. Auf der IAA in München zeigen wir in diesem Jahr einen ersten Ausblick auf die nächste Generation.

Mercedes war schon immer ein Symbol für sozialen Aufstieg.“

Der Stern soll daher auch in Zukunft für Normalverdiener erreichbar sein.“

Sie haben letzte Woche die neue E-Klasse vorgestellt. Was ist die wichtigste Neuerung?

Källenius: „Die digitalen Komponenten sind revolutionär, das Auto wird zum Entertainment-Center, der Innenraum zum Wohlfühlraum. Wir entwickeln und denken neue Modelle jetzt von innen nach außen. Früher war das umgekehrt.

In der neuen E-Klasse kann der Fahrer Videokonferenzen abhalten, für den Beifahrer gibt es Videostreaming.“

Wie gehen Sie mit den wegen der Energiewende steigenden Kosten um?

Källenius: „Energiekosten und Inflation machen Druck auf unsere Preise. Damit wir die Autos nicht zu teuer anbieten müssen, versuchen wir, die Kosten in allen Bereichen zu senken. Mit schwäbischer Mentalität.“

Ist 2030 das Ende der Verbrennermotoren gekommen?

Källenius: „Mercedes will bis zum Ende dieses Jahrzehnts für das vollelektrische Zeitalter bereit sein, wenn die Märkte das auch sind. Wann wir das letzte Auto mit hybridem Verbrennermotor verkaufen werden, steht aber noch nicht fest. Das entscheidet der Markt.“

Ist das nicht blauäugig? Weltweit fahren über Jahrzehnte noch Autos mit fossilem Brennstoff.

Källenius: „Weltweit werden auch nach 2030 noch rund zwei Milliarden Autos mit Verbrennermotoren fahren. Dafür sind Kraftstoffe sinnvoll, die den CO2-Ausstoß senken. Wie beispielsweise E-Fuels. Bei Neufahrzeugen ist unser Kurs klar: Elektro!“

Für die Klimaaktivisten sind die großen und teuren Geländewagen Feindbild Nummer 1.

Källenius: „Aus meiner Sicht geht es nicht um einzelne Fahrzeugformen, sondern darum, Autos insgesamt nachhaltig zu machen. Bei Mercedes werden alle Autos grüner.

Wir streiten doch auch nicht darüber, ob Wohnungen, Doppelhaushälften oder Einfamilienhäuser wegen des Klimawandels verboten werden sollen.“

Gehören Aktivisten, die sich auf der Straße festkleben und den Verkehr behindern, hinter Gitter?

Källenius: „Ich fände es besser, wenn sie sich als Ingenieurinnen und Ingenieure bei uns bewerben würden, um aktiv an dem gemeinsamen Ziel der CO2-Neutralität mitzuarbeiten. Wenn sie gut sind, stellen wir sie gerne ein.“

Teaser-Bild

Foto: BILD

Dieser Artikel stammt aus BILD am SONNTAG. Das ePaper der gesamten Ausgabe gibt es jeden Samstag ab 22 Uhr hier.

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