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Sportstudio Typologie der Fitness-Jünger

In Fitnessstudios treffen die unterschiedlichsten Persönlichkeiten aufeinander. Kolumnist Jens Lubbadeh hat eine kleine Sozialstudie getrieben: über Körperfett-Fanatiker, Klatschtanten und Fans von schwerem Metall.
Hanteln stemmen: Im Fitnessstudio gibt es diverse Typen und Motivationen

Hanteln stemmen: Im Fitnessstudio gibt es diverse Typen und Motivationen

Foto: Corbis

Fitnessstudios sind ja eigentlich total Achtziger. Und die Achtziger kommen erst in 66 Jahren wieder. Ich bin trotzdem jetzt schon da. Ein Wort: Rücken. Tatsächlich haben mich die regelmäßigen Übungen geheilt. Aber mittlerweile gehe ich nur noch aus soziologischem Interesse hin. Denn die Vielfalt der Persönlichkeiten, denen man dort begegnet, ist immer wieder erfrischend. Hier eine kleine Auswahl:

Der Ehrgeizige

Von dieser Sorte gibt es zwei Typen. Version 1 ist Anfang 20 und sieht seinen Körper wie sein Fixie-Bike: Das Ziel ist perfekter Minimalismus oder minimalistische Perfektion - ob es da einen Unterschied gibt, ist erstmal nachrangig, denn alles ist stets optimierbar. Das David-Beckhamchen ist immer glattrasiert, immer haargetollt und hat jeden Muskel seines Waschbrettbauchs einzeln definiert, per iPhone-App gescannt, vermessen, mit Idealwerten abgeglichen und bei sexysixpax.com hochgeladen und schon 593 Likes für den letzten bekommen, 150 mehr als für den davor. Ihm geht's nicht um Aufpumpen, sonst hätte er keine Kermit-Beine. Ihm geht's um Kontrolle. Und wenn er die mal verliert, muss er büßen. Zum Beispiel für den Fruchtjoghurt mit 1,5 Prozent Fettanteil, den er vorgestern noch nach 19 Uhr gegessen hat. 1,5 Prozent, hallo? Und nun ist sein Körperfettanteil von 7 auf 7,5 Prozent förmlich explodiert, was er ausgiebig, anklagend und affektiert mit den anderen Haartollen in der Umkleidekabine diskutiert. Es hilft nichts, das bedeutet eine Woche lang Extradiät. Wer schön sein will, muss leiden. Und wer leiden will, muss schön sein.

Version 2 klotzt und kleckert nicht mit Joghurt herum. "Pumping Iron" läuft bei ihm in der Dauerschleife auf dem einzig untrainierten Organ seines Körpers: dem Gehirn, in dessen alleräußerste bestoppelte Hülle kunstvolle Geometrien einrasiert sind. Sein Kraftfutter bestellt er im Dutzend bei dem Ebay-Händler in Thailand. Das für seinen Hund, eine Französische Bulldogge, packt er gleich mit drauf. Er hat als Kind vielleicht zu oft mit dem Michelin-Männchen oder der He-Man-Puppe gespielt, weswegen er jetzt so aussieht wie die Helden im neuesten Hollywood-Marvel-Scheiß, den er immer voll geil findet. Und während er nackt vor irgendeinem Spiegel in der Umkleide steht und wartet, dass der letzte Wassertropfen an ihm von selbst verdunstet und damit der letzte Grund verschwindet, noch länger nackt herumzustehen und zu posen, ärgert er sich. Und zwar darüber, dass der Hantelraum in letzter Zeit so voll geworden ist und er wieder in den "Fitness-Raum" ausweichen musste, in dem er die Gewichte immer von 20 auf 120 Kilo umstecken und dann noch extra Hantelscheiben von drüben holen muss, um sie draufzupacken. Mein Gott, das nervt!

Die Klatschtante

Das fliederfarbene Stirnband harmoniert gut mit ihren wadenfreien Leggings, über die locker das halbtransparente, leopardengepunktete Sportshirt fällt. Ihr Handtuch bleibt meist trocken. Und wenn nicht, trocknet es irgendwann auf dem Gerät - während sie in der Cafeteria ein Stück Schwarzwälder-Kirsch, pardon, einen Eiweißhappen zu sich nimmt. Das Fitnessstudio ist für sie zuallererst Begegnungsstätte, wo sie gerne ausgiebige Schwätzchen hält: über XY oder YX, mit denen sie beide noch letzte Woche über YZ und ZY getratscht hat, die nun aber gerade mit ihr tratschen. Unterhalten geht besser an den Geräten als in der Cafeteria, denn da würde sie wieder einen Eiweißhappen essen und YZ und ZY würden das sehen und es sicher nächste Woche XY und YX erzählen. Warum alle um sie herum nur noch mit Kopfhörern trainieren, hat sie sich noch nie gefragt.

Der Hektiker

Er will nur eines: fertigwerden. Am schnellsten geht das mit Multitasking, sein Laptop hat ja auch mehrere Prozessorkerne. Also trainiert er an fünf Geräten parallel. Damit es keine Interferenzen gibt, hat er alle mit Handtüchern blockiert, am Hotel-Pool hat sich das ja auch bewährt. Wenn er Reps macht, hat das etwas insektoides. An den Geräten ist er schneller als ein Duracell-Hase klappern kann. Dass das für den Muskelaufbau überhaupt nichts bringt, ist ihm schnurz - hier geht es um Effizienz. Denn was ist das Leben anderes als ein Jour fixe?

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Der Phlegmat

Wenn er mal ins Studio geht, dauert das fast den ganzen Tag. Regungslos verharrt er im Butterfly, manchmal minutenlang, ohne mit einem Muskel zu zucken - er zuckt nicht einmal mit der Wimper. Der stärkste Muskel des Körpers ist immer noch das Gehirn, denkt er und denkt dann wieder nichts, minutenlang, bevor er irgendwann wieder zwei Reps macht und wieder denkt, dass Nichtdenken auch mal ganz schön ist und alles ja im Fluss und es schön ist, sich einfach nur mal treiben, einfach mal den Fluss entscheiden zu lassen.

Der Heavy-Metal-Fan

Galt es im Punk und in der Prä-Posermetal-Ära noch als Tugend, seinen Körper möglichst zu vernachlässigen beziehungsweise mit Haltung zugrunde zu richten, ist der Heavy-Metal-Fan von heute genauso körperbewusst wie der Beckham-Styler. Auch ihn trifft man im Frühjahr im Fitnessstudio an, wenn Frauen die Bikini-Angst überfällt. Er aber trainiert nicht für den Strand, sondern für Wacken, denn beim Crowdsurfing will er gut aussehen mit seinem neuen "Napalm Death"-Schriftzug auf der Brust, vor allem, wenn das später auf Facebook landet. Also wird trainiert, auch wenn's eigentlich peinlich ist. So lastet bei jedem Rep nicht nur auf den Muskeln des Heavy-Metal-Fans eine schwere Last, sondern auch auf seinem Gewissen. Schweres Eisen schön und gut, aber Hedonismus geht gar nicht. Aber er kommt einfach nicht raus aus seiner tätowierten Haut. Doch ein bisschen Rebellion muss sein, und wenn's nur olfaktorische ist. Es wird sich also nicht mehr gewaschen, bevor man ins Fitnessstudio geht und schon gar nicht das Trainingsshirt, das natürlich nicht irgendein schweißdurchlässiger Goretex-Sportscheiß ist, sondern seine Lieblings-Slipknot-Kutte aus Bangladesch, die ganz besonders saugfähig ist. Und so riecht es dann auch dort, wo er war: heavy.