Inhalt

OLG München, Beschluss v. 13.10.2023 – 33 Wx 73/23 e
Titel:

Zur Wirksamkeit eines komplett durchgestrichenen handschriftlichen Testaments

Normenkette:
BGB § 2255
Leitsätze:
1. Wird ein privatschriftliches Testament in der Wohnung des Erblassers gefunden und kann ausgeschlossen werden, dass Dritte ungehinderten Zugriff darauf hatten, ist davon auszugehen, dass Veränderungen an der Urkunde vom Erblasser selbst vorgenommen wurden. (Rn. 12)
2. Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände kann davon ausgegangen werden, dass großflächige Durchstreichungen, die sich über die gesamte Urkunde erstrecken, in Widerrufsabsicht angebracht worden sind. (Rn. 18)
Eine zwei Wochen vor dem Tod der Erblasserin getätigte Aussage, ihre Brüder sollten nichts bekommen, steht der Annahme nicht entgegen, dass die Streichung einer ursprünglichen Enterbungsregelung der Brüder im Testament doch von der Erblasserin stammt und gewünscht war. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
privatschriftliches Testament, Widerruf, Enterbung, großflächige Durchstreichungen, Veränderungen, ungehinderter Zugriff, Widerrufsabsicht
Vorinstanz:
AG Kempten, Beschluss vom 21.04.2022 – 551 VI 1510/20
Fundstellen:
FamRZ 2024, 312
FGPrax 2024, 36
NWB 2023, 3236
NJW-RR 2024, 69
LSK 2023, 31463
ZEV 2024, 135
RNotZ 2024, 284
BeckRS 2023, 31463

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer wird der Beschluss des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) – Nachlassgericht – vom 21.04.2022, Az. 551 VI 1510/20, aufgehoben.
2. Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 vom 07.03.2020 wird zurückgewiesen.
3. Der Beteiligte zu 1 hat den Beschwerdeführern die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
4. Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren bleibt vorbehalten.

Gründe

I.
1
Die Erblasserin ist zwischen dem 25.09.2020 und dem 26.09.2020 verstorben. Sie war geschieden und kinderlos.
2
Sie hinterließ ein handschriftliches Testament vom 07.03.2020. In diesem setzte sie ihren Freund/Lebensgefährten, den Beteiligten zu 1, als Alleinerben ein. Ihre Brüder, die Beteiligten zu 2 und 3, wurden ausdrücklich enterbt. Das 3-seitige Testament weist über alle 3 Seiten jeweils mehrere Durchstreichungen auf, die den gesamten Text umfassen. Zudem wurde ein undatiertes und nicht unterschriebenes maschinenschriftliches Testament aufgefunden, das im Wesentlichen denselben Inhalt wie das handschriftliche Testament hat.
3
Auf der Grundlage des Testaments vom 07.03.2020 beantragte der Beteiligte zu 1 einen Erbschein (Antrag vom 30.08.2021), der ihn als Alleinerben ausweisen soll.
4
Das Nachlassgericht kündigte mit Beschluss vom 21.04.2022 die Erteilung eines solchen Erbscheins an. Es begründete seine Entscheidung im angefochtenen Beschluss vom 21.04.2022 im Wesentlichen wie folgt: Das Testament sei durch die Durchstreichungen nicht widerrufen worden. Das eingeholte Sachverständigengutachten könne zwar keinen Aufschluss darüber geben, wann die Durchstreichungen erfolgt sind (mithin also auch nicht belegen, ob oder dass sie nach dem Tod der Erblasserin erfolgten). Da aber Zweifel verblieben, ob die Durchstreichungen von der Erblasserin vorgenommen worden seien, gingen diese Zweifel zu Lasten der Beteiligten zu 2 und 3.
5
Der Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 vom 12.05.2022 half das Nachlassgericht nicht ab und legte die Akten dem OLG München zur Entscheidung vor.
6
Der 31. Zivilsenat (31 Wx 291/22) hat die Nichtabhilfeentscheidung mit Beschluss vom 02.08.2022 aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Durchführung des Abhilfeverfahrens an das Nachlassgericht zurückgegeben.
7
Nach Richterwechsel hat das Nachlassgericht mit Beschluss vom 13.03.2023 der Beschwerde erneut nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Es stützt seine Entscheidung nunmehr im Wesentlichen auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf (3 Wx 63/16), wonach „bei – unterstellter – Urheberschaft des Erblassers in Bezug auf die Streichung grundsätzlich eine Vermutung für einen entsprechenden Aufhebungswillen spricht, diese widerlegt [sei], wenn sich … der Wille des Erblassers ergibt, dass der durch die Streichung nahe gelegte Widerruf der Verfügung bloß eine neue letztwillige Verfügung mit der Bestimmung eines neuen Erben vorbereiten, bis zu deren Errichtung indes die alte fortgelten sollte“. Derartige Zweifel sollen hier bestehen, weil die Erblasserin noch kurz vor ihrem Tod Dritten gegenüber geäußert habe, ihre Brüder (die Beteiligten zu 2 und 3) sollten nichts bekommen.
8
Der Senat hat am 09.10.2023 mündlich verhandelt und die Beteiligten persönlich angehört.
II.
9
Die Beschwerde ist zulässig und auch in der Sache erfolgreich.
10
Der Senat teilt die Ansicht des Nachlassgerichts, wonach sich ein Widerrufswille seitens der Erblasserin nicht feststellen lasse und deswegen das handschriftliche Testament vom 07.03.2020 fortgelte, nicht.
11
1. Das Testament vom 07.03.2020 wurde formwirksam errichtet. Zwischen den Beteiligten ist allein streitig, ob dieses Testament, das über alle drei Blätter, die physisch nicht miteinander verbunden sind, jeweils schräge Durchstreichungen enthält, die den gesamten Text umfassen, von der Erblasserin in Widerrufsabsicht durchgestrichen worden ist, oder ob die Durchstreichungen von einer dritten Person, oder aber von der Erblasserin, aber nicht in Widerrufsabsicht, erfolgt sind.
12
a) Grundsätzlich trägt derjenige die Feststellungslast für die Wirksamkeit eines Testaments, der Rechte aus diesem herleiten will. Die Feststellungslast für eine Widerrufshandlung des Erblassers in Widerrufsabsicht trägt derjenige, der sich darauf beruft (BayObLG, Beschluss vom 22.07.1983, 1 Z 49/83, BayObLGZ 1983, 204; MüKoBGB/Sticherling, 9. Aufl. 2022, § 2255 Rn. 5; NK-BGB/Kroiß, 6. Aufl. 2022, § 2255 Rn. 21). Falls sich die vorhandene Urkunde bis zuletzt im Gewahrsam des Erblassers befand und keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Veränderungen an der Urkunde von Dritten vorgenommen worden sind, sind die Anforderungen an den Beweis, dass die Veränderung der Urkunde auf eine Handlung des Erblassers zurückzuführen ist, nicht hoch anzusetzen (BayObLG, a.a.O.; NK-BGB/Kroiß, 6. Aufl. 2022, § 2255 Rn. 22; Krätzschel in: Krätzschel/Falkner/Döbereiner, Nachlassrecht, 12. Aufl. 2022, § 14 Rn. 8).
13
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat davon überzeugt, dass die Erblasserin das fragliche Testament vom 07.03.2020 in Widerrufsabsicht vernichtet hat.
14
aa) Nach den vom Nachlassgericht durchgeführten Ermittlungen und der Beweisaufnahme vor dem Senat befand sich das Testament bis zum Tode der Erblasserin in deren Besitz. Der Beteiligte zu 1 schilderte im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat, dass er das Testament in einem Stapel mit alten Zeitungen, Zeitschriften, Kontoauszügen und Katalogen gefunden hat. Dass es dort dem ungestörten Zugriff Dritter ausgesetzt war, lässt sich praktisch ausschließen, zumal sich die Erblasserin in der letzten Phase ihres Lebens überwiegend auf der Couch im Wohnzimmer aufhielt. Da die Erblasserin zudem als Person mit wenigen sozialen Kontakten beschrieben wurde, kann zur Überzeugung des Senats ausgeschlossen werden, dass Dritte zu Lebzeiten der Erblasserin Zugriff auf das Testament hatten und die Veränderungen vorgenommen haben, zumal nach der durchgeführten Anhörung der Beteiligten zu 2 und 3 feststeht, dass diese zu Lebzeiten keinen Zutritt zur Wohnung der Erblasserin hatten, da zwischen den Geschwistern seit vielen Jahren kein Kontakt mehr bestand.
15
bb) Dass die Veränderungen nach dem Tod der Erblasserin und vor Abgabe der Verfügung an das Nachlassgericht von Dritten vorgenommen worden sind, ist nach der durchgeführten Anhörung der Beteiligten ebenfalls auszuschließen.
16
Der Beteiligte zu 1, der durch das Testament als Erbe berufen wurde, hatte zwar Zutritt zur Wohnung, da er über einen Schlüssel verfügte, aber keinerlei Interesse daran, die Veränderungen an der Urkunde vorzunehmen. Im Gegenteil: Er suchte das Testament und fand es schließlich in einem Stapel von alten Zeitungen und Zeitschriften. Es kann deswegen ausgeschlossen werden, dass der Beteiligte zu 1 die Veränderungen vorgenommen hat.
17
Die Beschwerdeführer hatten lediglich im Anschluss an die Beerdigung der Erblasserin Zutritt zu deren Wohnung und dort nach eigenem Bekunden lediglich Zugriff auf alte Familienfotos, die im Wohnzimmer der Erblasserin verstreut lagen. Für die rein theoretische Möglichkeit, dass sie sich bei dieser Gelegenheit einen Schlüssel zur Wohnung verschafft hätten und das später aufgefundene Testament verändert haben, ließen sich keinerlei Anhaltspunkte finden.
18
Das Testament befand sich mithin bis zum Tode im Besitz der Erblasserin. Der Senat ist aufgrund der von ihm durchgeführten Anhörung überzeugt, dass Dritte die Veränderungen an dem Testament nicht vorgenommen haben, so dass daraus zu schließen ist, dass die Erblasserin die Streichungen vorgenommen hat. Gemäß § 2255 S. 2 BGB wird mithin vermutet, dass die Erblasserin die Streichungen in Widerrufsabsicht vorgenommen hat.
19
2. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass die Erblasserin, entsprechend der vom Nachlassgericht herangezogenen Entscheidung des OLG Düsseldorf, die Absicht hatte, das durchgestrichene Testament fortgelten zu lassen, bis sie eine neue Verfügung errichtet hatte, die Vermutung des § 2255 S. 2 BGB mithin widerlegt wäre.
20
Für eine solche Annahme fehlt es schon an belastbaren Anknüpfungstatsachen.
21
Solche ergeben sich nicht aus der Aussage der Zeugin .... Es mag sein, dass die Erblasserin, auch noch kurz vor ihrem Tod, erklärt hat, ihre Brüder sollten nichts bekommen. Der letzte Kontakt der Zeugin mit der Erblasserin soll aber am 11.09.2020, mithin knapp 2 Wochen vor dem Tod der Erblasserin stattgefunden haben. Für den Zeitraum danach liegen keine Anhaltspunkte in diese Richtung vor. In dieser Zeit, in der es Erblasserin spürbar schlechter ging – sie hielt sich überwiegend nur noch auf der Couch im Wohnzimmer auf und eine ursprünglich geplante Reise mit dem Beteiligten zu 1 musste wegen ihres Gesundheitszustands abgesagt werden und wurde vom Beteiligten zu 1 allein angetreten – kann es ohne weiteres zu einem Sinneswandel bei der Erblasserin gekommen sein, der sie veranlasst hat, die Streichungen auf ihrem Testament vorzunehmen.
22
3. Damit erweist sich die Entscheidung des Nachlassgerichts als unzutreffend. Sie war auf die zulässige Beschwerde aufzuheben und der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 zurückzuweisen. Da über den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2 und 3 noch keine Entscheidung des Nachlassgerichts vorliegt, ist der Senat insoweit nicht zur Entscheidung berufen.
III.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 81 Abs. 2 FamFG. Gerichtliche Kosten fallen für die erfolgreiche Beschwerde nicht an. Der Beteiligte zu 1 hat den Beschwerdeführern die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten, da deren Beschwerde erfolgreich war, so dass die angeordnete Kostenerstattung billigem Ermessen entspricht.
24
Der Geschäftswert wird auf den vollen Nachlasswert festzusetzen sein, § 61 GNotKG.
25
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.