Geste vor dem Anpfiff: „Der Kniefall darf keine symbolische Geste bleiben“

Im EM-Achtelfinale zwischen Belgien und Portugal knien Spieler und Schiedsrichter vor Spielbeginn auf dem Rasen.

Im EM-Achtelfinale zwischen Belgien und Portugal knien Spieler und Schiedsrichter vor Spielbeginn auf dem Rasen.

Seit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd setzen die Spieler des englischen Nationalteams vor jedem Spiel mit einem Kniefall ein Zeichen gegen Rassismus. In der englischen Premier League ist diese Geste längst Alltag, nun auch bei EM-Spielen. DFB-Nationaltorhüter Manuel Neuer würdigt dies in der Zeitschrift „Kicker“: „Grundsätzlich finden wir das sehr gut von der englischen Nationalmannschaft und von den Teams, die das in der Premier League auch machen.“ In der Bundesliga und den Länderspielen kenne die DFB-Elf dies bisher noch nicht, sagt Neuer. Aber: „Wir sprechen in der Mannschaft darüber.“

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Am Montagabend war dann klar: Auch das Löw-Team wird vor dem Anpfiff des Achtelfinales ein Zeichen gegen Rassismus setzen. Neuer kündigte bei der abschließenden Pressekonferenz an, dass die deutschen Spieler wie ihre englischen Kollegen auf die Knie gehen werden.

„Kniefall ist richtige Geste“

„Der Kniefall des DFB-Teams ist eine richtige Geste“, sagt auch Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Die Regenbogenaktion habe gezeigt, dass der Fußball politische Statements setzen könne. „Der Kniefall darf aber keine symbolische Geste bleiben“, warnt Della und fordert dazu auf, die Strukturen im Fußball stärker auf Rassismus zu überprüfen. „Es geht nicht, dass schwarze Fußballerinnen und Fußballer rassistisch beleidigt werden“, kritisiert Della und fordert, dass im Fußball mehr gegen Rassismus getan werde.

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Auch Rassismusexperte Gerd Wagner befürwortet das klare Statement der DFB-Elf. „Ich finde es gut, wenn sich Fußballer Gedanken zu gesellschaftlichen Themen machen und sich positionieren wie beim Kniefall“, sagt Wagner dem RND. Er arbeitet für die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) und leitete das Projekt „Am Ball bleiben – Fußball gegen Rassismus und Diskriminierung“. Allerdings betont Wagner: „Wie glaubwürdig das bei Fans ankommt, muss man dann sehen.“

Gerade im Fußball kommt es immer wieder zu rassistischen Übergriffen und Äußerungen, berichtet die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Rassismus dürfe auch auf dem Fußballplatz nicht ignoriert werden, sagt ISD-Sprecher Della dem RND. „Deshalb ist ein Kniefall vor dem EM-Spiel super.“ Doch der Kniefall allein reiche nicht aus, ist aber dennoch ein wichtiger Schritt. Auch Wagner fordert gegenüber dem RND, dass die Fußballvereine dabei unterstützt werden, den Kampf gegen Rassismus selbst in ihrem Verein fortzusetzen.

Experte fordert schnelleres Eingreifen bei Rassismus im Stadion

Auch bei den EM-Spielen gab es diskriminierende Kommentare. Eigentlich gibt es bei Fifa und Uefa einen Dreistufenplan, um gegen Rassismus und andere Formen der Diskriminierung vorzugehen: Zuerst unterbricht der Schiedsrichter das Spiel und der Stadionsprecher spricht eine Warnung über die Lautsprecher aus. Bei weiteren Vorfällen schickt der Schiedsrichter die Teams vorübergehend in die Kabinen oder bricht im dritten Schritt die Partie endgültig ab. Ein Abbruch bei internationalen Fußballspielen ist nicht bekannt, allerdings wurde erst im April dieses Jahres in Spanien wegen einer rassistischen Äußerung eine Partie zwischen dem FC Cádiz und dem FC Valencia unterbrochen, nach 30 Minuten aber fortgesetzt.

„Bei dem rassistischen Vorfall im EM-Spiel zwischen Frankreich und Portugal hätte ich mir ein früheres und konsequenteres Vorgehen gewünscht“, meint Rassismusexperte Wagner im Gespräch mit dem RND. Er kritisiert: „Den Dreistufenplan muss man auch konsequent anwenden, nicht nur mit dem Zeigefinger drohen.“ Wagner fordert, auch Spielunterbrechungen und Bestrafungen in Erwägung zu ziehen. Gleichzeitig räumt er ein: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Uefa ein EM-Spiel wegen rassistischer Äußerungen absagt.“ Aber es sei ein wichtiges Signal, wenn der Schiedsrichter bei der EM ein Spiel zumindest unterbrechen würde.

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Wagner hat das Spiel Ungarn – Deutschland im Stadion verfolgt und dabei beobachtet, wie Fangruppen während der Partie homophobe Gesänge angestimmt haben. Inzwischen ermittelt die Uefa. „Ich war selbst im Stadion und da gab es keine Durchsage, wie zum Beispiel der Dreistufenplan vorsieht“, sagt Wagner dem RND. Er sei gespannt, was bei den Untersuchungen der Uefa herauskommen wird.

„Neutralität im Stadion ist nicht hilfreich“

Bei den vergangenen EM-Spielen gab es immer wieder Fanreihen, die wegen rassistischer Äußerungen aufgefallen waren. Hat ein schwarzer Fußballer den Ball gespielt, ertönten Affenlaute von der Tribüne. „In den Fanreihen gibt es viele Menschen, die kein Problem mir Rassismus haben“, kritisiert Tahir Della von der ISD. Deshalb müssten sich die Spieler klar positionieren, dass Rassismus auch im Fußball nichts zu suchen habe.

Della ist der Ansicht, dass auch der Fußballplatz der richtige Ort für den Kampf gegen Rassismus sei. „Denn jeder Platz ist der richtige Ort, um gegen Rassismus einzustehen“, meint er. Neutralität im Stadion sei nicht hilfreich. „Alle gesellschaftlichen Ebenen müssen in den Blick genommen werden, auch der Fußballplatz.“ Della fordert eine umfassende Auseinandersetzung darüber, was Rassismus ist, wie er sich ausdrückt und welche Folge er hat. „Diese Debatte kann der Fußball vorantreiben“, ist sich Della sicher. Immerhin erreicht die Fußball-EM Millionen Menschen. „Damit steigt die Verantwortung der Spieler“, so Della. Der Kniefall ist als Zeichen bei der EM für ihn eine sinnvolle Geste. „Wichtig ist aber auch: Tun das die Fußballer nur, um sich gut zu fühlen, oder aus Überzeugung und um sich klar gegen Rassismus zu positionieren?“

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Kniefall löst Rassismusdebatte in Großbritannien aus

Der Kniefall der englischen Nationalmannschaft hatte Pfiffe und Buhrufe im Stadion und eine Rassismusdebatte in Großbritannien ausgelöst. Die Mannschaft erklärte jedoch, weiterhin bei Spielen im Wembley-Stadion am Kniefall festhalten zu wollen. Kritik an der Reaktion der Fans gab es auch vonseiten der Uefa: „Wir bitten die Zuschauer dringend, den Spielern und Mannschaften, die auf die Knie gehen, Respekt zu zeigen“, so der Verein.

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