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Prism und Tempora Zügellose Überwachung zurückfahren!

Die Überwachungsprogramme Prism und Tempora zeigen: Es wird Zeit, den Datenschutz dem digitalen Zeitalter anzupassen - mit einem internationalen Abkommen und echter Transparenz. Nur so können westliche Demokratien unangemessene Vergleiche mit autoritären Unrechtsregimen widerlegen.
Foto: REGIERUNGonline/Denzel

Peter Schaar, Jahrgang 1954, ist der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit.

Jede politische Diskussion über den Umfang staatlicher Überwachung kann nur sinnvoll geführt werden, wenn die Fakten auf dem Tisch liegen. Nur so lässt sich beurteilen, was verfassungsrechtlich wie politisch vertretbar ist. Nur so können die westlichen Demokratien nach der Enthüllung von Prism und Tempora unangemessene Vergleiche mit Unrechtsregimen widerlegen. Die Ausrede, Transparenz schade der Sicherheit, sollten wir nicht mehr hinnehmen - das Gegenteil ist richtig: Nur wenn rechtsstaatlich festgelegt und nachvollziehbar ist, was die Sicherheitsbehörden tun, wird man ihnen vertrauen.

Prism und Tempora sind auf die globale Kommunikation ausgelegt. Sie betreffen die Rechte aller Internetnutzerinnen und -nutzer. Trotzdem sind die Befugnisse der Überwacher nur durch nationales Recht geregelt. Dabei ist noch nicht einmal geklärt, ob die genannten Programme nach dem jeweiligen "Heimatrecht" der USA und Großbritanniens zulässig sind. Fest steht aber schon jetzt: Hier wie dort geht es vor allem um die Überwachung von Ausländern, die kaum Möglichkeiten haben, die Zulässigkeit der sie betreffenden Überwachungsmaßnahmen gerichtlich überprüfen zu lassen. Wenn dann noch die Dienste ihre "Fänge" gegenseitig austauschen, wird auch der verfassungsrechtliche Schutz der eigenen Staatsbürger unterminiert, weil ja die rechtstaatlichen Begrenzungen jeweils nur die eigenen Sicherheitsbehörden binden.

Internationale Kraftanstrengung nötig

Die immer zügellosere Überwachung kann nur durch eine internationale Kraftanstrengung zurückgefahren werden. In den demokratischen Staaten muss der Wille wachsen, die staatliche Datensammlung und Überwachung durch internationales Recht zu begrenzen. Die Bundesregierung und die Europäische Union sollten sich für ein internationales Übereinkommen stark machen. Ein Zusatzprotokoll zum Artikel 17 des Uno-Paktes für bürgerliche und politische Rechte wäre ein sinnvoller erster Schritt. Um ein solches verbindliches völkerrechtliches Protokoll in Kraft zu setzen, genügt die Unterstützung von 20 Staaten - angesichts der 27 EU-Mitgliedstaaten müsste dies doch zu schaffen sein. Staaten, die sich nicht dazu bekennen, müssten nachweisen, wie sie trotzdem Datenschutz, Privatsphäre und Fernmeldegeheimnis garantieren.

Auch in Deutschland sehe ich Handlungsbedarf: Der Bundesnachrichtendienst darf bis zu 20 Prozent der Kommunikation zwischen Deutschland und festgelegten Gebieten im Ausland an den Knotenpunkten überwachen und nach bestimmten Stichworten durchforsten. Inländische Kommunikation ist für den Bundesnachrichtendienst tabu. Die Öffentlichkeit wird aber nur sehr lückenhaft darüber informiert, welchen Umfang die Überwachung wirklich hat und wie die Vorgaben eingehalten werden.

Demokratische Kontrolle ohne Transparenz kann es nicht geben

Wie wird etwa verhindert, dass eine E-Mail von Köln nach Düsseldorf, die über ausländische Server geleitet wird, als "Auslandskommunikation" vom Bundesnachrichtendienst durchforstet wird? Wie wird gewährleistet, dass deutsche Facebook-Nutzer nicht im Rahmen der "strategischen Aufklärung" erfasst werden? Bisher kennt allenfalls die nur aus vier Mitgliedern bestehende G-10 Kommission  des Deutschen Bundestags die Antworten. So wichtig diese parlamentarische Kontrolle ist, für so unzureichend halte ich die der öffentlichen Diskussion zugänglichen Fakten und Argumente.

Langsam wird deutlich, welche gewaltigen Aufgaben vor uns liegen. Es geht um nicht weniger, als die Nachrichtendienste weltweit aus ihrer Parallelwelt herauszuholen. Demokratische Kontrolle ohne Transparenz kann es nicht geben. Unverzichtbar sind auch klare rechtliche Regeln, damit unabhängige Gerichte und Kontrollgremien prüfen können, ob die Sicherheitsbehörden sich an Recht und Gesetz halten.

Die Definitionsmacht dessen, was zum Schutze unserer Sicherheit und unserer Demokratien notwendig ist, darf nicht an Geheimdienste delegiert werden. Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen und über ihre Parlamente entscheiden, wie weit staatliche Erfassung und Überwachung gehen dürfen. Zwölf Jahre nach 9/11 muss das aus der Balance geratene Verhältnis von Sicherheit und Freiheit neu justiert werden! Verfassungen und Grundrechte müssen wieder zur Leitlinie werden und zwar auch bei der Bekämpfung von Gefahrensituationen.

Die Demokratien haben es nun in der Hand, den hämischen Jubel von Regierungen autoritärer Überwachungsstaaten nach der Aufdeckung der umfassenden Internetüberwachung zu widerlegen. Sie müssen es nur wollen!