"Eines der absolut besten Matches"

Von Interview: Florian Regelmann
Sabine Lisicki verlor das Wimbledon-Finale glatt gegen Marion Bartoli
© getty

Tennis-Guru Nick Bollettieri kennt Sabine Lisicki so gut wie kaum ein anderer auf der Welt. SPOX sprach mit dem 81-Jährigen nach Lisickis bitterer Final-Niederlage gegen Marion Bartoli in Wimbledon. Bollettieri über Lisickis Zukunft, ihre Schwächen und das sensationelle Herren-Finale zwischen Andy Murray und Novak Djokovic.

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SPOX: Nick, Großbritannien hat seinen ersten Wimbledon-Champion seit 1936. Andy Murray hat es geschafft. Wie haben Sie das Finale erlebt?

Nick Bollettieri: Ich schaue jetzt über 60 Jahre lang Tennis - und das war eines der absolut besten Matches, das ich in meinem Leben gesehen habe. Das ganze Drumherum war perfekt, das Wetter, die Fans, einfach alles. Es war ein Match voller Emotionen, so dramatisch. Es war perfekt.

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SPOX: Was waren die Schlüssel für Murrays Sieg?

Bollettieri: Für mich waren einige Faktoren ganz entscheidend. Zum einen hat es Murray geschafft, sein Spiel zusammenzuhalten, als er 1:4 und 2:4 in den Sätzen 2 und 3 in Rückstand lag. In diesen Momenten hat er gezeigt, welch große mentale Stärke er inzwischen gewonnen hat. Dazu hat er demonstriert, wie sehr er seinen Aufschlag verbessert hat - sein Serve war eine Waffe gegen Djokovic. Und dann ist da ja noch die Beinarbeit von Murray, heiliger Strohsack, die ist unglaublich! Wahnsinn! Dazu hat er ein tolles Team um sich herum, mit Ivan Lendl, seiner Mutter und seinen Fitnesstrainern. Das Team ist auch sehr wichtig. Und von seinem Training in Miami bei extrem heißem Wetter hat er sicher auch profitiert. Dieses Match wird insgesamt dem Tennissport auf der ganzen Welt helfen, besonders natürlich in Großbritannien.

SPOX: Kommen wir zu Sabine Lisicki, die so ein großes Turnier spielte, aber dann im Finale an Ihren Nerven - und einer guten Gegnerin - scheiterte. Was ist im Finale passiert?

Bollettieri: Sabine hat einen langen Weg hinter sich, am Samstag war die Bühne noch zu groß für sie. Wir müssen aber auch Marion Bartoli respektieren. Sie ist der Typ Spielerin, die den Ball von beiden Seiten sehr früh nimmt, das hat sie sehr gut gemacht. Sie hat besser aufgeschlagen, sich besser bewegt - und sie ist mit dem Scheinwerferlicht besser zurechtgekommen. Sabines Zukunft wird nicht nur von ihrer physischen Fitness bestimmt, die hat sich schon enorm verbessert, sondern vor allem von ihrem Aufschlag. Wo war der gegen Bartoli?

SPOX: Nicht da.

Bollettieri: Ihr Aufschlag war nicht auffindbar. Man hat ja gesehen, was passiert, wenn sie den Ball zu weit nach links wirft, dann macht sie Doppelfehler, das hat ihr wehgetan.

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SPOX: Wie kann es denn eigentlich sein, dass sie so große Probleme mit dem Ballwurf hat?

Bollettieri: Natürlich ist die erste Reaktion, dass man sich fragt: "Wie kann sie das machen?" Aber: Wenn du vor 15.000 Zuschauern auf dem Court stehst und Millionen vor dem Fernseher sitzen, ist es nicht ganz so einfach, das dürfen wir nicht vergessen. Es zeigt nur, dass sie ein Mensch ist. Je mehr sie diese großen Matches spielt, desto mehr wird sie dieses Problem hinter sich lassen. Sie hat der Welt in Wimbledon gezeigt, dass sie großes Tennis spielen kann. Ich bin sicher, dass sie auf ihrem weiteren Weg noch viele Finals bestreiten wird.

SPOX: Im zweiten Satz war sie so traurig über ihre eigene Leistung, dass die Tränen kamen.

Bollettieri: Ich habe mitgelitten, Sabine ist emotional etwas zusammengebrochen. Aber das Entscheidende war wirklich, dass ihre großen Stärken im ganzen Turnier, ihr Service und ihre Beinarbeit, nicht funktionierten. Wenn Sabine nervös wird, fängt sie immer an, Stopps zu spielen. In Situationen, in denen sie das lieber lassen sollte.

SPOX: Hatten Sie nach dem Finale Kontakt zu Sabine?

Bollettieri: Ich habe Sabine eine SMS geschickt und Ihr gesagt: "Sabine, dein Tag wird kommen!" Sie hat mit Serena die beste Spielerin der Welt geschlagen. Wenn man das macht, gehört man ganz nach oben. Es war insgesamt eine tolle Leistung. Gratulation auch an ihren Vater und ihren neuen Coach Wim Fissette.

Reaktionen zum Finale: "Wir sind trotzdem krass stolz auf Dich!"

SPOX: Was beeindruckt Sie am meisten an Sabine?

Bollettieri: Es macht mir einfach Spaß zu sehen, dass sie so einen großen Spaß auf dem Platz hat. Dass sie Tennis genießt und nicht unglücklich ist. Sie darf sich von dieser Niederlage im Finale nicht herunterziehen lassen. Wenn sie das nächste Mal in einem großen Finale stehen wird, dann wird sie besser mit der Situation umgehen können. Es war seit zwei, drei Jahren unvermeidbar, dass Sabine so weit kommt. Sie hatte schon immer alle Schläge, die man braucht, sie hat es nur nie ganz zusammengebracht. Diese Erfahrung wird ihr jetzt sehr helfen.

SPOX: Ist ein Grand-Slam-Sieg dann auch nur noch eine Frage der Zeit?

Bollettieri: Das denke ich absolut. Ich glaube, dass Sabine ein Grand-Slam-Turnier gewinnen wird. Serena Williams wird in diesem Jahr 32 Jahre alt, Maria Sharapova wird auch älter. Und Sabine ist mit 23 immer noch ein junges Mädchen, sie hat ihr bestes Tennis noch nicht gespielt. Ob sie auch die Nummer eins der Welt werden kann, weiß ich nicht. Das hängt viel davon ab, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt die Konkurrentinnen sind, das müssen wir abwarten.

SPOX: Sie hat eine herausragende Bilanz in Wimbledon, aber bei den anderen drei Grand-Slam-Turnieren lief es bis jetzt nicht so richtig gut. Wo muss sie sich in der Zukunft am meisten verbessern?

Bollettieri: Sabine muss jetzt an sich glauben, sie muss daran glauben, dass sie in den Kreis der Besten reingehört, das ist das Wichtigste. Eine Schwäche, die sie noch hat, ist, dass sie zu sehr emotional zusammenbricht. Jeder Spieler hat in einem Match Tiefen, aber bei ihr hält man jedes Mal den Atem an, ob sie da noch einmal herauskommt. Sie muss lernen, wie man gewinnt, auch wenn man schlecht spielt. Wenn der Aufschlag scheiße ist, wenn die Beinarbeit scheiße ist. Sie muss lernen, wie man auch an schlechten Tagen gewinnt. Das macht einen Champion aus.

SPOX: Es war ein völlig verrücktes Wimbledon-Turnier mit unzähligen Überraschungen. Ihre Einschätzung dazu?

Bollettieri: Alles ist möglich, Baby! Du kannst den Ausgang der Welt nicht vorhersagen. Wenn du das könntest, warum sollte jemand noch zu einer Sportveranstaltung gehen? Das ist doch das Schöne!

SPOX: In Deutschland hat dank Sabine plötzlich wieder jeder über Tennis gesprochen. Wir hoffen auf einen Boom...

Bollettieri: (lacht) Es war ja nicht nur Sabine, vergesst nicht Tommy Haas! Es gibt nur einen Tommy, meinen Boy. Es kommen ja auch einige gute deutsche Talente nach. Ich denke, dass dieses Wimbledon-Turnier eine Inspiration für das deutsche Tennis sein wird.

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