Leben wir in einer Diktatur?

Die Einschränkungen im neuen Alltag sind für alle anstrengend. Aber die zunehmende Kritik einiger Intellektueller wie Juli Zeh an den Maßnahmen ist ideologisch, übertrieben und seltsam kalt. 

Berlin-Der Alltag ist anstrengender geworden mit Kontaktsperre, Besuchsverboten, Social Distancing. Aber muss man deshalb gleich von Diktatur reden, wie das der Journalist Dirk Kurbjuweit in seinem morgendlichen Briefing des Magazins Spiegel getan hat?

Derzeit kontrolliert die Polizei verstärkt in Parks die Einhaltung der Corona-Regeln. Manch einer empfindet das als Diktatur.
Derzeit kontrolliert die Polizei verstärkt in Parks die Einhaltung der Corona-Regeln. Manch einer empfindet das als Diktatur.

„In diesen Tagen kann ich manchmal nachempfinden, wie es sich anfühlen würde, einer Diktatur ausgeliefert zu sein“, schrieb er. Was ist passiert? Ist er wegen eines Artikels verhaftet worden? Bekam er Berufsverbot? Nein, er hatte beim Spaziergang auf dem Tempelhofer Feld zweimal einen Mannschaftswagen der Polizei vorbeifahren sehen. Das versetzte ihn offenbar in Angst. „Sie beäugten uns Flaneure misstrauisch, als seien uns blitzartige Zusammenrottungen zuzutrauen“, schrieb er weiter. Mehr ist allerdings nicht passiert auf dem Tempelhofer Feld.

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Vorwürfe gegenüber der Bundesregierung

Während viele Menschen in aller Welt um ihr Leben kämpfen, um ihre berufliche Existenz kämpfen, sich selbst in Gefahr bringen, zwölf Stunden am Tag arbeiten bis zum Umfallen, schwadronieren andere von Diktatur, weil sie mal drei Wochen nicht in ihr Lieblingslokal gehen können. Die Stimmen, die Deutschland in der dritten Woche der Corona-bedingten Einschränkungen auf dem Weg in einen Unrechtsstaat oder in einen Überwachungsstaat sehen, häufen sich.

Der bekannte Journalist Heribert Prantl spricht von einer Aussetzung der Grundrechte. Auch Juli Zeh, Schriftstellerin und brandenburgische Verfassungsrichterin, wirft der Bundesregierung in der SZ eine „orientierungslose Geringschätzung gegenüber unserer Verfassung“ vor. Sie bringt das Konzept der Herdenimmunität ins Gespräch, die besagt, dass sich erst einmal sechzig bis siebzig Prozent der Bevölkerung infizieren müssen, bevor die Pandemie abflaut. Das ist das Konzept, das der britische Premier Boris Johnson favorisiert hat und das er angesichts der steigenden Fallzahlen revidieren musste. In Großbritannien starben bis Montagmittag 5300 Menschen.

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Desinteresse am Leiden in aller Welt

Es geht nicht darum, exzessive Kontrollen der Polizei zu rechtfertigen, sondern Maß zu bewahren. Was an den Beiträgen der Mahner auffällt, ist das Desinteresse an dem Sterben und Leiden in aller Welt, eine seltsame Kälte. In Italien und Spanien sind sehr viele Menschen gestorben. In Frankreich verteilt die Armee schwer erkrankte Patienten im Land. In New York sind schon Tausende tot, der Höhepunkt der Krise ist dort noch nicht erreicht.

Am Wochenende brachte die New York Times einen Artikel, in dem voller Bewunderung beschrieben wird, wie es Deutschland geschafft hat, die Opferzahlen vergleichsweise niedrig zu halten. Die hohe Zahl an Tests, aber auch das entschlossene Handeln der Regierung werden genannt.

Wie man auch über diese Krise reden kann, zeigte am Sonntagabend eine 93 Jahre alte Dame. „We will meet again“, sagte Königin Elizabeth II. in ihrer Rede. Wir sehen uns wieder.