Sessel der Auskunftsperson
ORF.at/Lukas Krummholz
Chats, Chats, Chats

Befragungen im ÖVP-U-Ausschuss starten

Im Untersuchungsausschuss zu mutmaßlicher Korruption durch Vertreter der ÖVP werden ab Mittwoch erstmals Auskunftspersonen befragt. Konkret soll sich das Gremium mit der „Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen ÖVP-Regierungsmitglieder“ beschäftigen – von fragwürdigen Umfragen und Rechnungen über Sideletter bis hin zum mutmaßlichen Postenschacher in den höchsten Kreisen der Republik.

„Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem“, befand Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im vergangenen Dezember. Die Abgeordneten von SPÖ, Grünen, FPÖ und NEOS wollen das ab Mittwoch mit Hilfe zahlreicher Auskunftspersonen überprüfen – und Nehammer ist dabei gleich die erste. Von Interesse für die Opposition wird dabei seine Zeit als Generalsekretär der ÖVP von Jänner 2018 bis Jänner 2020 sein – also auch die stark überschrittenen Wahlkampfkosten der ÖVP im Jahr 2019.

Nehammer wird am ersten Ausschusstag die erste Auskunftsperson sein. Zu seiner Befragung meinte der nunmehrige Regierungschef am Sonntag in der „Pressestunde“, die Überschrift (der Untersuchungsgegenstand, Anm.) sei „entlarvend genug“ und „durchsichtig“. Es gehe offenbar darum, „politische Arbeit zu vollziehen“, so Nehammer. Für die Opposition stellt sich die Sache freilich anders dar: Sie ortet systemische Korruption und ein „schwarzes Netzwerk“.

Schmid kommt nicht

Der frühere Generalsekretär des Finanzministeriums, Thomas Schmid, und der Wirtschaftsboss Siegfried Wolf sagten – nicht ganz überraschend – ab. Die Opposition verfolgt mit der frühen Ladung allerdings ohnehin eine Strategie: Bei nachweislich unbegründeten Absagen kann Druck etwa über Beugestrafen ausgeübt werden. Entscheiden muss das aber das Gericht. Dafür kommt ÖVP-Spender und C-Quadrat-CEO Alexander Schütz zum Ausschussauftakt offenbar doch, wie am Wochenende bekanntwurde.

An den 25 Befragungstagen, die derzeit bis Mitte Juli anvisiert sind, mangelt es jedenfalls nicht an prominenten Namen. So ist in der Ausschusspremierenwoche etwa noch der einstige Grünen-Politiker und nunmehrige Journalist Peter Pilz geladen. Er soll am Donnerstag „laut Eigenaussage und dokumentiert durch diverse Berichte“ seines Onlinemediums Zackzack.at „besondere Einblicke in für die Untersuchung relevante Sachverhalte“ haben.

Finanz, Polizei, Justiz

Auch der ehemalige Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP), der Chef der Finanzprokuratur, Wolfgang Peschorn, der frühere Leiter der „Soko Tape“ und nunmehrige Bundeskriminalamtschef, Andreas Holzer, sowie die Chefin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Ilse-Maria Vrabl-Sanada, sind geladen. Ende März wird es auch ein U-Ausschuss-Wiedersehen mit Justizministerin Alma Zadic (Grüne) geben. Sie soll, so wie bereits im „Ibiza“-U-Ausschuss, Fragen zur Beeinflussung von Ermittlungen beantworten.

Auch einer ihrer Vorgänger im Ressort soll aussagen: Der frühere ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter soll über sein Verhältnis zum ehemaligen Sektionschef Christian Pilnacek aufklären. Bisher nicht auf der Ladungsliste ist Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) – hier wird dem Vernehmen nach noch auf weitere Aktenlieferungen gewartet. Spannend wird wohl dann sicher auch, wie die Grünen als Koalitionspartner im Bund mit der Auskunftsperson Kurz verfahren werden.

Großes Aktenaufkommen

Die Vielfalt der Auskunftspersonen gibt schon Aufschluss über die Masse an Themen, die der U-Ausschuss behandeln soll. Daraus ließ sich gleich das erste Ärgernis des neuen U-Ausschusses für die Opposition ableiten: Statt sich erneut der Aktenausgabe zu erwehren – beim „Ibiza“-U-Ausschuss musste der Rechnungshof den Bundespräsidenten zur Exekution auffordern, zudem gab das Finanzministerium unter Gernot Blümel (ÖVP) rund 180.000 Euro für Rechtsgutachten aus, um die Akten nicht ausliefern zu müssen –, gibt es nun Akten en masse aus der ÖVP-Zentrale.

So viele, dass die Abgeordneten Schwierigkeiten haben dürften, sie alle durchzuackern. Das sei aber der Opposition selbst geschuldet, argumentiert die ÖVP – schließlich habe sie die Untersuchungsgegenstände so breit gestreut.

Vier Themenkomplexe

Grob umfasst geht es bei den Untersuchungen um vier Komplexe: die mögliche Beeinflussung von Vergabe- und Förderverfahren, die mögliche Einflussnahme auf Beteiligungen des Bundes, die mögliche Beeinflussung von Ermittlungen und Aufklärungsarbeit sowie eine mögliche Begünstigung bei der Personalwahl.

Ex-Kabinettschef Michael Kloibmüller
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Michael Kloibmüller

Dabei soll der Zeitraum zwischen 18. Dezember 2017 und 11. Oktober 2021 beleuchtet werden, also jene Zeit, in der Kurz mit Unterbrechung Bundeskanzler war. Auch Vorbereitungshandlungen im Zusammenhang mit dem „Projekt Ballhausplatz“ sollen einbezogen werden.

ÖVP sieht andere Themen

Die ÖVP will den Fokus auch auf die übrigen Parteien legen, wie ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger ankündigte. So will sie auch untersuchen, inwiefern eine „Geheimdienstclique“ aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) Informationen an Oppositionspolitiker weitergegeben haben könnte und ob dafür Geld floss. Hanger nannte am Montag in diesem Zusammenhang die Abgeordneten Hans-Jörg Jenewein (FPÖ) und Helmut Brandstätter (NEOS).

Auch die SPÖ hat Hanger im Visier. Im Zuge der Ermittlungen zu Umfragen der Meinungsforscherin Sabine Beinschab gab es im Vorjahr Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt, dem Finanzministerium und der ÖVP-Zentrale. Beinschab, die offenbar auf einen Kronzeugenstatus hofft, lieferte den Ermittlern zuletzt zahlreiche neue Hinweise und bestätigte teilweise die Vorwürfe, dass Rechnungen nicht ordnungsgemäß an das Finanzministerium geschickt wurden.

Mit ihrem Einvernahmeprotokoll stehe nun der Vorwurf im Raum, dass Wahlumfragen durch die SPÖ manipuliert worden seien, so Hanger. Geschäftsführer der Zeitung „heute“ sei damals Wolfgang Jansky gewesen, und es sei „lebensfremd“, dass die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) als Janskys Lebensgefährtin über diese Umfragemanipulation nichts gewusst habe.

Neues zu Beinschab-„Studien“

Ursprungsquelle der meisten Verdachtslagen sind aber freilich die zahllosen Chats, die über Parteien, Anwälte und Interessengruppen an die Öffentlichkeit gespült worden sind – und wohl weiterhin werden. Zusätzlich zur Zentralfigur aller Chatverläufe, Thomas Schmid, sind zuletzt auch die Onlineunterhaltungen von Michael Kloibmüller, dem früheren Kabinettchef des Innenministeriums, dazugekommen.

Aus den Schmid-Chats werden vor allem einmal mehr die mutmaßlichen Absprachen um die Beteiligungsgesellschaft des Bundes (ÖBAG) und deren früherer Chef, Schmid, selbst Thema sein. Aber auch der Komplex der Beinschab-„Studien“, die in „Österreich“ publiziert wurden, sind so publik geworden.

Noch mehr Chats

Durch die Schmid-Chats kamen auch Vorwürfe gegen ÖVP-Klubobmann August Wöginger hoch: Er soll sich in die Bestellung des Vorstands des Finanzamts Braunau 2017 eingemischt haben. Gegen den Investor Wolf gibt es infolge der Chats Vorwürfe, er habe einen Deal mit einer Finanzbeamtin geschlossen, um einen Steuerschuldennachlass zu bekommen.

Die Nachrichten aus dem Handy Schmids waren auf offiziellem Wege beschlagnahmt worden. Jene aus Kloibmüllers Handy sollen illegal abgesaugt worden sein: Nachdem bei einem Kabinettsausflug im Jahr 2017 sein Handy im Wasser gelandet war, wurde es zur Reparatur und Datensicherung an einen IT-Experten im Verfassungsschutz übergeben. Dieser soll laut Staatsanwaltschaft Wien eine Kopie des Inhalts angefertigt und diese verbreitet haben. Sie gaben neben Befindlichkeiten hochrangiger ÖVP-Politikerinnen und -politiker auch Einblicke in mutmaßliche Interventionen im Sinne der Partei.

Wieder Streit über Vorsitz

Aus den Kloibmüller-Chats ist nun auch bekannt, dass Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) auf dem Server der Kabinettsmitarbeiter offenbar eine Liste mit dem Namen „Interventionen“ führte – für die ÖVP nicht mehr als übliche „Bürgeranfragen“. Sobotka leitet nun erneut den Vorsitz des U-Ausschusses – sehr zum Ärger der Opposition und auch des Koalitionspartners. Der Nationalratspräsident beruft sich dabei wie schon beim „Ibiza“-U-Ausschuss auf die Geschäftsordnung. Sollten ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragt werden, will Sobotka den Vorsitz für diese Zeit abgeben.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP)
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Sobotka will gegebenenfalls den Vorsitz vorübergehend abgeben

Diskussion über Vorsitz mit 1933 gleichgesetzt

Erst zuletzt hatte Sobotka zum Thema Vorsitz wieder für Aufregung und Empörung gesorgt: So hatte er in einem Interview gemeint, es werde „nicht möglich sein, mit permanenten Unterstellungen jemanden rauszukicken.“ Und weiter: „Dann könnte man auch die Zweite Präsidentin und den Dritten Präsidenten rauskicken. Und wer soll es dann machen? Das haben wir schon einmal gehabt – 1933.“

Nach rasch aufbrandender Kritik an dieser Darstellung musste Sobotka zu seiner Aussage Stellung nehmen. Er habe zum Ausdruck bringen wollen, „dass heutzutage immer stärker mit Vorverurteilungen gearbeitet wird, unabhängig von der tatsächlichen rechtlichen Grundlage“, so ein Sprecher des Nationalratspräsidenten. Die Keule der Befangenheit könnte so gegen jeden Vorsitzenden gerichtet werden, was zur Folge hätte, dass der U-Ausschuss nicht durchgeführt werden könnte. Der Vergleich mit dem Jahr 1933 habe sich daher ausschließlich auf die Rücktritte von Vorsitzenden und nicht auf das von der Polizei des Dollfuß-Regimes verhinderte Zusammentreffen des Nationalrates bezogen.

Am Montag entschuldigte sich Sobotka für Aussagen bezüglich des Ukraine-Kriegs. In einem Schreiben war auch davon die Rede, dass „jeder historische Vergleich unzulässig sei“.

Nehammer verteidigt Sobotka-Vorsitz

Kanzler Nehammer verteidigte Sobotkas Festhalten am Vorsitz. Als U-Ausschuss-Vorsitzender sei er jedenfalls tragbar. „Er handelt entsprechend dem Gesetz“, so Nehammer in der „Pressestunde“ am Sonntag. Sobotka wisse genau, wann es „wichtig“ sei, den Vorsitz abzugeben (bei Ausschusssitzungen kann fliegend von Stellvertreterinnen und Stellvertretern übernommen werden, Anm.).

Beginn des ÖVP-Untersuchungsausschusses

Zudem sei Sobotka „redlich“, und ohnehin könne Sobotka als Vorsitzender „nichts“ ohne den Verfahrensrichter machen – beim „Ibiza“-Ausschuss habe es zwischen den beiden „keine einzige Differenz gegeben“, argumentierte Nehammer – ungeachtet des Umstands, dass sich der Einwand der Opposition zur Personalie Sobotka nicht am Verhältnis der beiden Instanzen entzündete, sondern in der vermuteten Rolle des Parlamentspräsidenten in bestimmten untersuchungsrelevanten Causen. Wie im „Ibiza“-U-Ausschuss wird auch diesmal Wolfgang Pöschl Verfahrensrichter sein.

Die Reaktionen auf Nehammers Aussagen waren bereits ein Vorgeschmack auf Mittwoch: „Nur mehr grauslig und skandalös“ ist für den Freiheitlichen Fraktionsführer Christian Hafenecker, was die ÖVP derzeit abliefere. Auch die SPÖ kritisierte die „unbeirrte Unterstützung“ des Nationalratspräsidenten durch Nehammer, ohne die historischen Vergleiche zu kritisieren. Auch NEOS vermisste klare Worte des Kanzlers zu Sobotkas „jenseitigen Geschichtsvergleichen“.

25 Stellen müssen Akten liefern

Stoff für den U-Ausschuss gibt es aber nicht nur infolge von derlei Debatten und durch Chats. Insgesamt 25 Stellen müssen dem Parlament ihre Akten liefern, so soll etwa das Finanzministerium erheben, wie Spenden an die ÖVP steuerlich behandelt wurden. Der Rechnungshof soll wiederum Zahlungsströme zwischen dem Bund und einer Reihe von Firmen aus dem Umfeld von, aber auch in direktem oder indirektem Eigentum der ÖVP stehenden Firmen auflisten. Die Medienbehörde KommAustria soll dem Ausschuss eine Aufstellung von Inseraten diverser Stellen liefern.

Die Menge der Daten nimmt Zeit in Anspruch. Die Dauer des U-Ausschusses ist laut Verfahrensordnung grundsätzlich auf 14 Monate begrenzt, im Bedarfsfall kann er auf bis zu 20 Monate verlängert werden. Auch wenn der U-Ausschuss allein die politische Verantwortung klären soll und keine strafrechtliche – für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.