Von Susan Sontag

In liberalen Gesellschaften vollzieht sich die Rehabilitation geächteter Gestalten nicht mit jener radikalen bürokratischen Entschiedenheit, die die Sowjetische Enzyklopädie beweist, wenn sie in jeder neuen Auflage mit einem Dutzend bis dahin unnennbarer Gestalten aufwartet, um gleichzeitig ein Dutzend oder mehr durch eine Falltür ins Nichts versinken zu lassen.

Unsere Rehabilitationen sind von sanfterer, schleichenderer Art. Die Nazi-Vergangenheit von Leni Riefenstahl ist nicht etwa über Nacht akzeptabel geworden. Das Rad der Kultur hat sich weitergedreht, und diese Vergangenheit spielt ganz einfach keine Rolle mehr. Die Reinigung des Namens Leni Riefenstahl von seinen nazistischen Schlacken wird bereits seit einiger Zeit mit wachsender Intensität betrieben. Eine Art Höhepunkt erreichte dieser Läuterungsprozeß im Sommer des vergangenen Jahres, als die Riefenstahl bei einem neuen, von Cineasten beherrschten Filmfestival in Colorado als Ehrengast auftrat, zum Thema einer zweiteiligen Interview-Sendung in der CBS-Reihe "Camera Three" wurde und als schließlich auch eine amerikanische Ausgabe ihres Bildbands "Die Nuba" erschien.