Herr Jäger, der Bund hat gerade das dritte Entlastungspaket auf den Weg gebracht. Kommunen stehen zwar nicht im Mittelpunkt, deutliche Auswirkungen auf die Städte und Gemeinden hat das Paket aber dennoch.

Das Entlastungspaket adressiert in erster Linie an Bürger und Unternehmen. Für die Kommunen verstehe ich das Paket aber auch als Auftrag zur Einsparung von Energie. Dazu passiert in den 1101 Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg schon sehr viel. Wie geht man etwa mit Raumtemperatur um? Wie mit Beleuchtung? Wie geht man mit Großverbrauchern um?

Laut einer Umfrage der baden-württembergischen Tageszeitungen sind die Menschen grundsätzlich zum Sparen bereit, solange die Maßnahmen das Private nicht so sehr beschneiden. Deckt sich das mit Ihrer Beobachtung?

Ja, es gibt öffentliche Einrichtungen, die einen übergeordneten Zweck erfüllen. Hier möchten die Bürgerinnen und Bürger, dass es möglichst keine Einschränkungen gibt.

Bei einem Hallenbad zum Beispiel?

Der Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung entnehme ich, dass Schwimmbäder von der jetzigen Einsparauflage ausgenommen sind. Sollten Schließungen im Raum stehen, bin ich der Überzeugung, dass eine klare Übereinkunft aller politischen Ebenen nötig ist.

Auch Schulgebäude, die oft kommunal getragen werden, sind von der strengen Energiesparauflage ausgenommen. Einige Eltern machen sich trotzdem Sorgen, dass Raumtemperaturen gesenkt werden. Kann das auf die Schüler zukommen?

Das kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand realistisch abschätzen. Wichtig ist aber, das sagt auch die Verordnung des Bundes, dass Schulen und Kitas nicht denselben strengen Einsparauflagen unterliegen wie andere Bereiche. Damit gibt der Bund das Signal, dass der Betrieb von Schule und Kita auch in Zeiten einer Mangellage Priorität hat. Ungeachtet dessen wird man auf kommunaler Ebene überlegen müssen, wo man zielgerichtet Energie sparen kann, ohne dass es zu einer heftigen Komforteinschränkung für die Menschen kommt.

Beim Gespräch, von links: Gemeindetagspräsident Steffen Jäger, Steißlingens Bürgermeister Benjamin Mors, Politikredakteurin ...
Beim Gespräch, von links: Gemeindetagspräsident Steffen Jäger, Steißlingens Bürgermeister Benjamin Mors, Politikredakteurin Elisa-Madeleine Glöckner, SÜDKURIER-Chefredakteur Stefan Lutz und Politik-Ressortleiter Dieter Löffler. | Bild: Scherrer, Aurelia

Was verstehen Sie unter einer heftigen Komforteinschränkung?

Eine heftige Komforteinschränkung wäre, wenn ich in Innenräumen bei ordentlicher Kleidung trotzdem frieren müsste.

Ob nun ein Grad in öffentlichen Gebäuden weniger oder mehr – die Preise für Strom und Gas steigen. Und am Ende müssen Kommunen ihre Rechnungen zahlen.

Das wird eine erhebliche Belastung. Da geht es uns wie den Privathaushalten. Mit dieser Preisexplosion hat niemand gerechnet. Wir wissen von Kommunen, die von einer Verfünffachung bei den Energiekosten sprechen.

Die Frage, die man sich dabei stellen muss: Wie können die Kommunen auch in Zukunft handlungsfähig bleiben? Das hat uns allerdings schon vor dem 24. Februar beschäftigt. Denn das Maß an öffentlichen Leistungsversprechen passt schon länger nicht mehr mit dem zusammen, was die Leistungsfähigkeit hergibt – nicht nur wegen finanzieller Knappheit, sondern auch wegen personeller Ressourcen und überbordenden bürokratischen Anforderungen. Durch die Zeitenwende hat sich das nur noch einmal verschärft. Wir müssen dem begegnen. Wir müssen Prioritäten setzen und andere Aufgaben auf den Prüfstand stellen.

Welche Aufgaben könnten das sein?

Wir haben einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule ab dem Jahr 2026. Realistisch betrachtet gibt es im pädagogischen Fachbereich aber keine verfügbaren Arbeitskräfte. Ein solcher Rechtsanspruch ist nach unserer Ansicht also in dieser Form nicht erfüllbar und muss deshalb neu diskutiert werden.

Sie reden von künftigen Leistungen. Wie steht es um die Gegenwart?

Nehmen wir die frühkindliche Bildung. Hier haben wir schon heute eine Überforderung des Systems. Die Nachfrage nach Kita-Plätzen ist höher als die Zahl, die zur Verfügung steht. Auch hier gibt es keinen finanziellen Grund, sondern einen personellen: Der Facharbeitermarkt ist leergefegt.

Was schlagen Sie also vor?

Wir haben zwei Möglichkeiten. Entweder halten wir an den hohen Qualitätsstandards in Baden-Württemberg fest, was etwa die Fachkraft-Kind-Relation betrifft. Dann werden wir vielen Tausend Kindern sagen müssen, dass es kein oder kein bedarfsgerechtes Angebot für sie gibt. Oder wir führen etwas fort, was während der Pandemie eingeführt wurde: Flexibilisierungsmöglichkeiten in Hinblick auf Gruppengrößen. Das wäre unser Vorschlag, aber das Land hat dem nicht entsprochen. Deshalb lesen wir schon heute in den Medien, dass in einzelnen Städten und Gemeinden 25 Prozent der Kinder noch keinen Kita-Platz haben.

Sie sprechen Kürzungen bei den Leistungen an. Wo müssen die Kommunen denn sparen, von der Energie mal abgesehen?

Es wird tatsächlich nicht außen vor bleiben, dass Städte und Gemeinden ihren Haushalt dahingehend überprüfen, welche Dinge sie im laufenden Betrieb einsparen können. Zumal auch die Baukosten im Zuge der Inflation immens gestiegen sind. Zur Frage, wo das am besten möglich ist, kann es aber keine Direktive aus Stuttgart geben.

Die größten Posten in den kommunalen Haushalten stellt das Personal. Hier stocken die Verwaltungen Jahr um Jahr aber auf. Müssten sich die Kommunen in mehr Bescheidenheit üben?

Der Personalaufwuchs auf gemeindlicher Ebene war in den letzten Jahren nach meiner Wahrnehmung ein im Vergleich zu anderen Verwaltungsebenen eher geringer und schlicht dadurch begründet, das sich Maß an kommunalen Aufgaben immens ausgeweitet hat. Bildung, Klimaschutz und Integration sind hier nur einige Beispiele.

Aber richtig: Es wird insgesamt eine Konsolidierung brauchen. Aber bitte nicht zuvorderst auf kommunaler Ebene, denn dort brauchen wir weiterhin Handlungsfähigkeit. Wir sind offen dafür, eine ernsthafte Aufgabenkritik zu betreiben und zugleich zu reflektieren, welche Anforderungen bürokratischer Art überdacht werden können.

Bürokratieabbau wird politisch immer wieder zugesagt. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat den Kampf dagegen als einen Schwerpunkt seiner dritten Regierungszeit angekündigt. Spüren die Kommunen etwas davon?

Bis jetzt können wir keine Wirkung wahrnehmen. Wir leiden unter diesem mangelnden Bürokratieabbau. Noch mehr leiden wir aber darunter, dass Bürokratieaufbau stattgefunden hat und weiter stattfindet.

Wie kommt das?

Das liegt ein Stück weit in der Natur der Sache. Wenn man ein neues politisches Ziel gesetzlich verankert, ist damit auch die verwaltungsmäßige Erfüllung und Überwachung dieses Ziels verbunden. Das bedeutet immer auch neue Bürokratie. Bürokratie ist also nicht per se schlecht, sondern für einen funktionierenden Staat elementar. Aus unseren Mitgliedskommunen wissen wir aber, dass das Maß an bürokratischer Anforderung so groß ist, dass das selbst in gut funktionierenden Rathausverwaltungen nicht mehr bewerkstelligt werden kann.

Den Kommunen gehen die finanziellen Mittel aus, eigentlich müssten sie investieren – in Wärmedämmung und Photovoltaik zum Beispiel bei gemeindeeigenen Gebäuden. Haben die Kommunen hier geschlafen?

Nein, ich nehme wahr, dass eine sehr große Zahl an Städten und Gemeinden bereits in der Vergangenheit investiert hat. Da müssen wir uns im Vergleich zu anderen politischen Ebenen, zur freien Wirtschaft nicht verstecken. Das heißt nicht, dass nicht noch mehr zu tun ist. In der aktuellen Situation bedeutet das aber eine Herausforderung und eine Frage von Priorisierung.

Es gibt von der kommunalen Seite den Vorschlag zur Einrichtung eines Klimaschutzfonds, der Investitionen etwa in Wärmenetze und in die Beschaffung von Anlagen erneuerbarer Energien unterstützt. Ein Ansatz, der diskutiert werden muss.

Oftmals hindert der Denkmalschutz daran, Solarpanel auf Altstadthäuser zu installieren. Sind Sie für eine Lockerung?

Wenn Klimaschutz diese übergeordnete Bedeutung für unsere Gesellschaft haben soll, dann muss man Wege finden, um Belange auszuräumen, die damit in Konflikt stehen. Das ist beim Denkmalschutz so, aber auch beim Bodenschutz oder dem Artenschutz. In diesem Bereich gibt es noch Hausaufgaben zu machen.

Immer mehr Gemeinden klagen, dass sie bei Bürgermeisterwahlen nicht genug Kandidaten finden. Ist die Aufgabe als Bürgermeister nicht mehr attraktiv genug?

Das Amt der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters ist herausfordernd: Man hat eine hohe Verantwortung für umfassende Haushalte, ist in aller Regel Bauherr, Chef einer Verwaltung, Vorsitzender des Gemeinderats und man steht natürlich auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Was Letzteres betrifft, ist es so, dass außerhalb der organisierten medialen Welt gewisse Veränderungen im Diskussionsklima stattgefunden haben. Das trägt sicherlich nicht zur Attraktivierung dieses Amtes bei.

Bei 1101 Städten und Gemeinde und einer achtjährigen Amtszeit haben wir rund 100 Stellen im Jahr zu besetzen – bisher ist es noch überall gelungen, eine Bürgermeisterin oder einen Bürgermeister zu finden.

Tatsächlich hört man immer wieder, dass Bürgermeister und Gemeinderäte in Baden-Württemberg bedroht oder beschimpft werden. Was kann man aus Ihrer Sicht dagegen tun?

Da ist jeder Einzelne gefragt. Grundsätzlich ist es vordefiniert, was ein Bürgermeister, eine Bürgermeisterin an entsprechendem Gehalt bekommt. Damit ist das, was an Einsatz gebracht wird, immer ein Einsatz für das Gemeinwohl. Es geht nicht um persönliche Interessen. Ich würde mir also wünschen, dass es in der Breite der Bevölkerung den adäquaten Respekt und die Anerkennung für ein solches Amt gibt, in das Menschen ja oft 70, 80 Stunden und mehr pro Woche investieren.

Warum gibt noch immer so wenige Frauen im Amt der Bürgermeisterin?

Schon bei den Bewerbungszahlen zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen Männern und Frauen. Man muss sich die Frage stellen, wie die Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Erwartungshaltungen so angepasst werden können, um Frauen besser anzusprechen. Denn bei den Verwaltungsschulen gibt es keinen Mangel an sehr guten weiblichen Absolventinnen.

Der Bürgermeister in Teilzeit – ein Modell der Zukunft?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass man dieses Amt in Teilzeit ausführen kann. Es gibt aber Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, die Elternzeit beanspruchen. Allgemein wird dieses Rollenbild ein moderneres, auch wenn die Akzeptanz dafür noch nicht vollständig vorhanden ist.

In den vergangenen sieben Wochen hat sich die Zahl neuer Flüchtlinge aus der Ukraine mehr als verdoppelt. Baden-Württemberg fällt es immer schwerer, ausreichend Unterkünfte bereitzustellen. Woran liegt das?

Die Situation ist angespannt, in ganz Baden-Württemberg. Wir haben zwischenzeitlich 120.000 Geflüchtete aus der Ukraine, zuzüglich knapp 15.000 Asylbegehrende, die bis zum heutigen Tag des Jahres 2022 nach Baden-Württemberg gekommen sind. Eine Zahl, die deutlich über dem Zugang von 2015 liegt.

Wir hatten zu Beginn der Aufnahme das große Glück, dass es ein zivilgesellschaftliches Zusammenstehen gab. Dass viele Menschen Privaträume zur Verfügung gestellt haben. Das war auch erforderlich, weil viele der Unterkünfte von 2015/16 belegt sind – und wenn sie es nicht sind, dann wurden sie an den allgemeinen Wohnungsmarkt übertragen.

Die reguläre Aufnahmestruktur ist überlastet, private Räume sind erschöpft. Die Folge: Erste Hallen müssen wieder belegt werden mit allen negativen Auswirkungen auf Angebote, die dort für Vereine, Kultur und Schulen stattfinden. Das tut in der Seele weh, auch mit Blick darauf, dass vieles während der Pandemie geschlossen war. Aber es gibt momentan keine Handlungsalternative.

Der Tischtennisverein muss diesen Winter deshalb wieder auf seine Halle verzichten?

Die vergangenen Jahre zeigen, dass es einen steigenden Zugang geben wird. Ich sehe keine Alternative, als dass man Hallen in zunehmender Zahl beanspruchen wird, um Flüchtlinge unterzubringen. Ja, das kann leider einen Einschnitt für den Vereinssport bedeuten. Die Verantwortlichen werden aber alles versuchen, diesen auf das erforderliche Maß zu begrenzen.

„Wir schaffen das“, sagte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel angesichts der Flüchtlingswelle von 2015. Wie sehen Sie es sieben Jahre später, schaffen wir es diesmal?

Wir sprechen über eine Vielfachkrise. Eine Energiemangellage, die Inflation, Flüchtlinge: Wir schaffen das nur, wenn wir gesamtstaatlich bereit sind, uns aufs Wesentliche zu konzentrieren. Und wenn ein Weniger in manchen Bereichen mehr Akzeptanz findet.