Interview

Bassam Tibi: «Der deutsche Staat kapituliert vor dem Islam»

Deutschland brauchte eine kritische Islam-Debatte, aber die werde von der Politik unterdrückt, sagt der Islam-Experte Bassam Tibi im Gespräch. So würden die mächtigen muslimischen Verbände bestimmen, wo es langgehe.

Benedict Neff, Berlin
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Die Integration hält Bassam Tibi selbst bei der dritten Generation für misslungen. (Bild: Thomas Pflaum / VISUM)

Die Integration hält Bassam Tibi selbst bei der dritten Generation für misslungen. (Bild: Thomas Pflaum / VISUM)

Herr Tibi, vor zwei Jahren haben Sie gesagt, die Kölner Silvesternacht von 2015 mit den massenhaften sexuellen Übergriffen sei ein «Dosenöffner» gewesen. Seither finde in Deutschland eine freiere Diskussion über Migration und Islam statt. Hat sich das bewahrheitet?

Ich hatte gehofft, dass die Deutschen aufwachen. Das ist aber nicht passiert. Eine links-grüne Minderheit dominiert die Medien. Viele Menschen denken so wie ich; in privaten Gesprächen äussern sie auch ihre Bedenken. Wenn sie aber öffentlich reden, haben sie Angst. Es gibt eine Atmosphäre der Selbstzensur in Deutschland. Persönlich habe ich keine Angst vor Diffamierung. Ich kann mich wehren. Aber der deutsche Michel ist ängstlich.

Der Diskurs in Deutschland scheint sich in den letzten zwei Jahren aber doch verändert zu haben. In der Flüchtlingskrise und danach haben sich Intellektuelle wie Rüdiger Safranski, Jörg Baberowski oder jüngst Uwe Tellkamp sehr kritisch zur Migrationspolitik geäussert.

Einzelne Individuen haben sich vorgewagt: Das sind mutige Deutsche, und ich bewundere sie. Am Beispiel von Tellkamp kann man aber auch illustrieren, was passiert, wenn einer vom medialen Mainstream abweicht. Tellkamp hat mit der AfD nichts zu tun. Die deutschen Medien versuchten ihn aber gleich als radikalisierten Rechten fertigzumachen. An ihm wurde ein Exempel statuiert: «Guckt alle her, sollte sich ein anderer vorwagen, passiert mit ihm das Gleiche.» Unerhört ist auch, dass sich der Suhrkamp-Verlag von seinem Autor gleich distanzierte. Ich war selbst zwanzig Jahre Suhrkamp-Autor. Ich hielt den Verlag für ein Symbol der Redefreiheit und der wissenschaftlichen Diskussion. Ich schäme mich fremd.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer hat eine Islam-Debatte ausgelöst. Er meint, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt dagegen. Was denken Sie als liberaler Muslim?

«Den Islam» gibt es nicht. Es gibt 57 Länder mit vorwiegend islamischer Bevölkerung, zwei Milliarden Muslime und vierzehn Jahrhunderte islamische Geschichte. Gehört das alles zu Deutschland? Man kann das schlecht behaupten. Ich erkenne sowohl bei Merkel als auch bei Seehofer eine bemerkenswerte Lässigkeit und Ignoranz. Beide reden letztlich am Gegenstand vorbei. Deutschland brauchte eine kritische Islam-Debatte, aber die wird von der Politik unterdrückt. In Deutschland bestimmen die mächtigen muslimischen Verbände, wo es langgeht.

Seehofer wurde vorgeworfen, er «spalte» die Gesellschaft.

Die Gesellschaft ist schon gespalten. Zehn Prozent der Muslime in Deutschland sind beruflich und gesellschaftlich eingegliedert. Neunzig Prozent leben in Parallelgesellschaften. Die meisten möchten auch gar nicht dazugehören. In Berlin gibt es libanesische, türkische und kurdische Parallelgesellschaften. In Cottbus gibt es schon eine syrische Parallelgesellschaft. Das liegt nicht nur an den Einwanderern, sondern auch an den Deutschen.

Warum?

Die Leute, die hierherkommen, werden nicht integriert. Ich habe als Berater mit Verwaltungsleuten über Integration geredet und war erstaunt. Mit Integration meinen sie: Registrierung, Alimentierung, häusliche Unterbringung, bestenfalls Sprachkurse. Integration heisst aber, dass man eine Bürgeridentität annimmt. Zu einer Heimat gehört Identität. Wenn dieser Faktor ausgeschlossen wird, bleibt nichts. Da steckt aber das deutsche Problem: Es gibt kein Identitätsangebot.

In Deutschland deuten Politiker gern auf die Wichtigkeit der Islam-Konferenz hin. Hat der Dialog zwischen dem Staat und den muslimischen Verbänden irgendetwas gebracht?

Die Islam-Konferenz ist ein «first-class ticket to nowhere». Es ist eine Veranstaltung der Unehrlichkeit. Am Anfang war ich selber dabei. Da konnte ich das Fassadenhafte dieser Verbände erleben: In den offiziellen Diskussionen gaben sie sich integrationswillig, verfolgte man dann während der Pausen die Diskussionen der Teilnehmer untereinander, klang es ganz anders. Kennen Sie den Roman «Soumission» von Michel Houellebecq? Die Islam-Konferenz ist deutsche Unterwerfung. Der Staat kapituliert vor dem Islam. Im letzten Jahr haben die muslimischen Verbände durchgesetzt, dass keine individuellen Muslime zugelassen sind.

Was heisst das?

Liberale Musliminnen wie Seyran Ates und Necla Kelek wurden rausgeschmissen. Deutschland führt seinen Dialog nur noch mit vier Verbänden, die allesamt aus dem Ausland finanziert werden und islamistisch und schriftgläubig sind. In der Islam-Konferenz geht es nicht um die Integration von Muslimen, sondern um die Minderheitsrechte des organisierten Islams. Über Themen wie Sicherheit und Zuwanderung wollen die Verbände gar nicht reden.

Der Moscheeverband Ditib wird von der Türkei finanziert. Hintertreibt der Verband die Integration der Türken in Deutschland?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In Berlin-Neukölln wollte man durchsetzen, dass muslimische Kinder während des Ramadan nicht fasten. Der Bezirk ging in den Dialog mit dem organisierten Islam. Der bat sich Zeit aus. Irgendwann stieg der türkische Verband Ditib aus den Gesprächen aus. Später präsentierten schiitische Moscheevereine eine Fatwa aus Teheran – und die Sache war vom Tisch. Die Integration in Deutschland hintertreiben nicht nur die Vereine, sondern die Länder, die hinter ihnen stehen: die Türkei, Saudiarabien, Iran und Katar.

Wie kann der ausländische Einfluss eingedämmt werden?

Ditib war ursprünglich eine Organisation von Kemal Atatürk, um eine Trennung von Politik und Religion durchzusetzen. Es war einmal eine gute Organisation. Seitdem die AKP an der Macht ist, ist Ditib ein Instrument der AKP geworden. Es ist eine Unterorganisation der religiösen Behörde der Türkei, die Diyanet heisst. Diyanet entsendet die Imame nach Deutschland und bezahlt sie auch. Da muss man das ganze System ändern. Der deutsche Staat hat Ditib in den letzten Jahren aber auch noch Millionen für Integrationsprojekte bezahlt. Dabei weiss jeder Depp, dass sich Ditib nicht für Integration einsetzt. Der Verband will die Türken in Deutschland als selbständige Gemeinde bewahren. Sie sollen ein Instrument der türkischen Aussenpolitik bleiben. Dafür spendet Deutschland noch Geld – ist das nicht Wahnsinn? Kurz vor den Wahlen wurden die Zahlungen eingefroren, wegen ein paar Skandalen. Unter anderem kam heraus, dass Ditib-Imame Anhänger der Gülen-Bewegung bespitzelten, also auch noch geheimdienstliche Tätigkeiten wahrnahmen. Das ist Integration in Deutschland.

Sie haben Deutschland in der Flüchtlingskrise als Worst Case bezeichnet: Schlecht integrierbare Menschen treffen auf eine Gesellschaft, die nicht fähig ist, Menschen zu integrieren. Hat sich in der Integrationspolitik seither irgendetwas geändert?

Der ehrliche Wille der Deutschen ist da. Das Problem ist aber, dass selbst Sprache keine Integration garantiert. Ich habe mit libanesischen und türkischen Jungs geredet, die in dritter Generation in Deutschland sind. Sie sprechen fliessend Ausländerdeutsch, besser als Türkisch und Arabisch. Aber sie sind nicht integriert, weil sie das Wertesystem nicht anerkennen.

Man könnte einwenden: Auch viele Deutsche identifizieren sich nicht mit dem sogenannten Wertesystem.

Diese Logik ist primitiv. Wenn es deutsche Feinde der offenen Gesellschaft gibt, sollen wir sie vermehren mit Feinden der offenen Gesellschaft aus dem Ausland? Als ehemaliger Ausländer sage ich: «Wer die Grundwerte nicht akzeptiert, soll gehen. Bitte, hier ist die Tür.»

Sie haben gerade ein Buch geschrieben über den muslimischen Antisemitismus. Deutschland fühlt sich dem «nie wieder» verpflichtet. Gleichzeitig scheint man sich nun aber eine gewisse Toleranz gegenüber dem Antisemitismus muslimischer Einwanderer leisten zu wollen.

Ich erzähle Ihnen, was ich vergangenes Wochenende in Worms erlebt habe. Ich sprach mit zwei Lehrern am Rande eines Vortrags. Einer plante eine Reise nach Israel. Als er seiner Klasse davon erzählte, forderten ihn syrische Schüler auf, zu sagen, er reise nach Palästina, sonst würden sie ihm nicht zuhören. Als er dies eingestand, forderten sie ihn auf, nicht von Jerusalem zu sprechen, sondern von al-Quds. Der zweite Lehrer erzählte mir, dass seine Schulleitung veranlasst habe, alle Themen, die den Nahostkonflikt und Juden beträfen, nicht zu behandeln, um arabische Jugendliche nicht zu reizen. Zwei Drittel der Anschläge auf Synagogen werden von deutschen Richtern nicht als antisemitisch dargestellt; als Motiv gilt dann «Protest gegen Israel». – Antisemitismus gibt es bei Arabern laut der deutschen Justiz fast nicht: Es ist entweder Protest gegen Israel oder Ausländerkriminalität.

Wie antisemitisch sind die muslimischen Kulturen?

Ich bin in Damaskus aufgewachsen, da war Judenhass selbstverständlich: in der Schule, im Fernsehen, überall. Ich bin als Antisemit nach Deutschland gekommen und in Frankfurt umerzogen worden. Ich will hier nicht die Flüchtlinge anklagen. Sie können nichts dafür. Sie wurden im Orient zu Antisemiten erzogen.

Was kann dagegen getan werden?

Zuerst muss Deutschland endlich anerkennen: Es gibt einen arabischen Antisemitismus unter den Migranten. Und dann brauchen wir Integrationskurse, die mehr sind als Sprachkurse. Zu Integrationskursen gehört die Aufklärung über Antisemitismus. Aber dies wird gar nicht erst versucht.

Neben dem Eingeständnis des Antisemitismus-Problems und der Aufklärung brauchte es dann aber auch ein robusteres Vorgehen der Behörden gegen Antisemitismus.

Im Dezember haben mehrere tausend Muslime in Berlin demonstriert gegen die Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Da fielen Parolen wie «Hamas, Hamas, Juden ins Gas». Ich glaubte, nicht recht zu hören: Das in Berlin! Bei Arabern lässt man das durchgehen. Der neue deutsche Aussenminister sagte in Israel, es gebe keinen Platz für Antisemitismus in Deutschland. Er blieb vage und sagte nicht, welchen Antisemitismus er meinte. Im vergangenen Jahr habe ich Herrn Schuster getroffen, den Präsidenten des Zentralrats der Juden. Er konzentriert sich leider ebenfalls auf den Kampf gegen den deutschen Antisemitismus. Es gibt in Deutschland eine Fixierung, die erst allmählich aufbricht: Antisemitismus ist deutsch und kommt von den Nazis. Die Migranten werden verschont.

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