Pflegeschutzbund e. V.

Recht auf Rausch?

Überschäumendes BierglasEin Gläschen Wein vor dem Schlafengehen oder die Flasche Bier zur täglichen Lieblingsserie – Alkohol in Maßen genossen kann gerade für ältere Menschen ein Mittel sein, sich ein Stück Lebensqualität im Alltag zu erhalten.
Wird aus dem gelegentlichen Genuss jedoch ein unverzichtbarer Trost, so ist der Weg in einen schädlichen Alkoholmissbrauch schnell beschritten.

Wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung berichtete, mussten allein im Jahr 2015 rund 14.500 Menschen, die das 60. Lebensjahr überschritten hatten, in Deutschland wegen eines akuten Alkoholrausches im Krankenhaus behandelt werden. In den letzten Jahren sei ein stetiger Anstieg solcher Fälle zu beobachten.

Die Gründe für den steigenden Alkoholkonsum im Alter sind vielfältig. Oft stecken Einsamkeit und das Gefühl, nutzlos zu sein, wachsende Altersarmut, die Konfrontation mit dem bevorstehenden Tod oder nicht aufgearbeitete Lebensereignisse hinter dem Griff zur Flasche.
Zudem ist Alkohol besonders für Menschen mit chronischen Schmerzen eine verlockende Alternative zu verschreibungspflichtigen Opiaten. Eine Studie, die in der Zeitschrift The Journal of Pain der amerikanischen Schmerzgesellschaft veröffentlicht wurde, zeigte, dass bis zu 25 Prozent der untersuchten Patienten, die an Arthritis-, Zahn- oder Kieferschmerzen litten, Alkohol tranken, um die Schmerzen zu lindern. Wissenschaftler der University of Greenwich stellten fest, dass 0,8 Promille Alkohol im Blut ausreichen, um die Schmerzen eines Patienten auf einer Schmerzskala von 0 bis 10 um etwa 1,25 Punkte zu senken. Trinkt der Patient mehr, sinken auch die Schmerzen weiter (arzteblatt.de berichtete). 

Der steigende Missbrauch von Alkohol betrifft nicht nur ältere Menschen, die noch im häuslichen Umfeld leben. Auch Bewohner von Pflegeheimen sind zunehmend betroffen. Gerade im regulierten Kontext des Heimes scheint auf den ersten Blick eine Lösung naheliegend: Eine Einschränkung oder gar ein Verbot von Alkohol im Pflegeheim.



Was spricht für eine Regulierung?

Gute Gründe für eine Regulierung oder ein Verbot von Alkohol im Pflegeheim sind schnell gefunden:
Alkoholkonsum kann mit einem Verlust der Kontrolle über das eigene Verhalten einhergehen und somit zu Problemen für das Personal in Pflegeheimen und im Zusammenleben mit den Mitbewohnern führen. Selbst bei nicht-abhängigen Bewohnern bringt der Konsum von Alkohol negative Folgen für die Gesundheit mit sich.

Mit steigendem Alter reagiert das menschliche Gehirn zunehmend empfindlicher auf Alkohol, denn der verringerte Wasseranteil im Körper bedingt bei gleicher Alkoholmenge einen höheren Blutalkoholspiegel als bei jüngeren Menschen. Hinzu kommt, dass die Leistungsfähigkeit der Leber im Alter stark abnimmt, Alkohol kann somit schlechter abgebaut werden.

Kritisch wird dies, wenn Alkohol zusätzlich mit Medikamenten kombiniert wird. Dadurch steigt nicht nur die Belastung für den Organismus, der Alkohol kann auch die Wirkung von Medikamenten in lebensbedrohlicher Weise hemmen oder verstärken. Insbesondere heimliches Trinken kann somit zu falscher Medikamentenvergabe führen und ernsthafte Folgen haben.

Zudem erhöht sich die Sturzgefahr unter Alkoholeinfluss. Dies ist gerade bei älteren Menschen problematisch, denn ihre Knochensubstanz ist spröde und splittert leicht. So gehen Stürze meist mit ernsten Brüchen einher. Zwar heilen Knochen auch im hohen Alter, der Heilungsprozess ist jedoch langwierig und Operationen häufig unvermeidlich.

Der Verzicht selbst geringer Mengen Alkohol wirkt sich hingegen positiv auf die Gesundheit älterer Menschen aus. Doch rechtfertigt dies eine Bevormundung alter und pflegebedürftiger Menschen? Dürfen Angehörige, Pflegepersonal oder Heimleitung den Konsum von Alkohol einschränken oder verbieten?


Gesetzliche Grundlage

Ein Blick auf die Gesetzeslage verdeutlicht, dass dies nicht ohne Weiteres möglich ist.
Ein Pflegeheim kann den Konsum von Alkohol auf dem Heimgelände zwar explizit ausschließen, dies muss jedoch im Vertrag oder der Hausordnung, wenn diese Vertragsbestandteil ist, eindeutig festgeschrieben sein und dem Bewohner vor dem Einzug bekannt gemacht werden. Dieser Fall ist jedoch unüblich. In der Regel tragen Heime der Tatsache Rechnung, dass Alkohol ein in unserer Gesellschaft akzeptiertes Rauschmittel ist, dessen maßvoller Genuss im Rahmen geselliger Ereignisse und sozialer Interaktionen anerkannt ist. So ist der mäßige Ausschank von Alkohol im Pflegeheim durchaus gebräuchlich – als Gläschen Wein zu einem festlichen Abendessen, als Weizenbier zum bayerischen Frühschoppen oder als Umtrunk bei Geburtstagsfeiern.


Maßvoller Genuss oder Sucht?

Grundsätzlich scheint es sinnvoll, zu unterscheiden: Handelt es sich um einen nach Menge und Häufigkeit im angemessenen Rahmen liegenden Konsum durch einen nicht-abhängigen Menschen, der ausschließlich zum gelegentlichen Genuss erfolgt? Oder liegt bei dem konsumierenden Heimbewohner eine Alkoholabhängigkeit vor?

Im erstgenannten Fall scheint nichts gegen einen mäßigen Konsum zu sprechen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verweist hierzu auf eine Empfehlung des amerikanischen National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA): Demnach gilt für Frauen und Männer über 65 gleichermaßen eine Menge von 10 Gramm Alkohol täglich als unbedenklich. Diese Menge ist etwa mit 0,2 Litern Bier oder 0,1 Litern Wein erreicht.
Etwaige individuelle gesundheitliche Nachteile des Konsums sollten jedoch mit dem medizinischen Personal abgeklärt werden.
Auch ist zu bedenken, dass die Erlebniswelt von Heimbewohnern per se eingeschränkt ist. Genussvolles Essen und Trinken bieten eine Abwechslung im Heimalltag, die Möglichkeit zu positivem Erleben und Anlass zur Interaktion mit den Mitbewohnern. Gelegentlicher Alkoholgenuss kann vor diesem Hintergrund aktivierend wirken und eine Bereicherung des Alltags alter und pflegebedürftiger Menschen darstellen.


Sonderfall Alkoholabhängigkeit

Bei alkoholkranken Heimbewohnern hingegen kann unter bestimmten Voraussetzungen ein komplettes Alkoholverbot indiziert sein. Dies gilt insbesondere, falls vom Konsumenten eine Gefahr für Dritte ausgeht, das Pflegepersonal durch den Konsum in unakzeptablem Maße belastet oder der Heimbetrieb gestört wird. Auch ein gesetzlicher Betreuer kann anordnen, dass dem Betreuten kein Alkohol ausgeschenkt werden darf.
Hier sind jedoch die medizinischen Erfordernisse zu beachten: Ein kalter Entzug kann den Kranken gefährden und ist in jedem Falle zu vermeiden. Ein Entzug darf nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen.

Es ist jedoch nicht zwingend notwendig, alkoholkranken Heimbewohnern Alkohol ganz vorzuenthalten. Eine Alternative zum Verbot stellt das betreute Trinken dar. Wie im Düsseldorfer Altenzentrum St. Josef: Dort erhalten alkoholabhängige Bewohner dreimal täglich unter Aufsicht wahlweise ein Glas Wein, Bier oder Sekt. Ob die Bewohner auch zwischen den Ausgaben Alkohol konsumieren, kann die Einrichtung aber nicht prüfen. Das Privatzimmer und die darin befindlichen Schränke fallen unter das Mietrecht. Sie gelten als Privatsphäre und dürfen nur mit Einwilligung des Mieters kontrolliert werden (Deutschlandfunk berichtete). Seit 2010 setzt die Einrichtung das Konzept zur Betreuung von alkoholkranken älteren Menschen in der Abteilung Johannes erfolgreich um. Die Resonanz der Bewohner ist positiv. Wie bei Monika Schneider, deren Weg in die Sucht mit einer gescheiterten Ehe und dem Tod ihres Sohnes begann. Trotz jahrelanger Versuche und externer Hilfe gelang es ihr nicht, vom Alkohol loszukommen. Seit sie in St. Josef lebt, kann sie ihr Trinkverhalten wenigstens kontrollieren. Und die Gesellschaft der Mitbewohner leistet zusätzlich einen Beitrag zur Lebensqualität. Sie ist sicher: Würde sie alleine leben, würde sie mehr trinken (Bericht Berliner Zeitung).


Recht auf Selbstbestimmung

Geht vom Bewohner unter Alkoholeinfluss jedoch keine Gefahr der Fremdgefährdung aus, stellt sich die Frage nach dem Recht auf Selbstbestimmung des Einzelnen. Haben Heimbewohner im Allgemeinen und alkoholabhängige Heimbewohner im Speziellen ein Recht auf Rausch?
Im Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes legt für jedermann das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die allgemeine Handlungsfreiheit fest, sofern nicht die Rechte anderer verletzt werden oder ein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz vorliegt. Anders als beim Rauchen, das eine nachgewiesen schädliche Wirkung auf den Passivraucher hat, schädigt der Alkoholkonsum Dritte grundsätzlich nicht.

Unter Entfaltung der Persönlichkeit könnte es beispielsweise fallen, wenn ein alkoholkranker Heimbewohner Alkohol alleine in seinem Zimmer konsumiert, wo er während seines Rausches niemanden in Mitleidenschaft zieht und sich mindestens so weit unter Kontrolle hat, dass er nicht auf die Hilfe Dritter, beispielsweise des Pflegepersonals, angewiesen ist. Ähnlich würde es sich mit einem Trinker verhalten, der zwar auf die tägliche Zufuhr von Alkohol angewiesen ist, jedoch nur in dem Maße trinkt, dass der für ihn nötige Blutalkoholspiegel erreicht wird, ohne dass sich dies in unkontrolliertem oder die Mitmenschen schädigendem Verhalten äußert.


Recht auf selbstschädigendes Verhalten

Dritte können beim Alkoholkonsum also lediglich durch das rauschbedingte Verhalten des Konsumenten geschädigt werden. Trinkt der Konsument jedoch in einer Weise, die Dritte nicht beeinträchtigt und liegt auch kein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz vor, so würde der Konsument im Einklang mit den im Grundgesetz festgeschriebenen Grundrechten handeln.
Dies wäre auch dann zutreffend, wenn der Konsument sich selbst durch den Alkoholkonsum gesundheitlich schädigen würde. Denn dem Recht auf Selbstbestimmung immanent ist auch das Recht auf selbstschädigendes Verhalten.
Einem alkoholkranken älteren Menschen oder einem gesundheitlich fragilen älteren Menschen, der für sich selbst die Entscheidung getroffen hat, trotz der ihm bekannten gesundheitlichen Nachteile sein tägliches Pensum an Alkohol zu konsumieren und dies in einer Weise vollzieht, bei der Dritte nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, kann dies gemäß Grundgesetz demnach nicht verweigert werden.

Ein Grenzfall liegt vor, wenn ein Heimbewohner selbst nicht mehr in der Lage ist, den gewünschten Alkohol zu erwerben, beispielsweise aufgrund eingeschränkter Mobilität. Das Gesetz räumt dem Einzelnen kein Anrecht auf schädliche Mittel ein. Angehörige, Pflegepersonal oder Heimleitung können nicht veranlasst werden, den Bewohner mit Alkohol zu versorgen, selbst wenn bei diesem keine Abhängigkeit vorliegt. Die Besorgung ist andererseits aber auch nicht verboten. Schließlich hat ein Pflegeheim keinen erzieherischen Auftrag inne.

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