Interview mit Michael Kretschmer: „Merz ist unser Kanzler-Kandidat!“

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer legt sich in der K-Frage fest und rechnet mit der Ampel ab. Und er fordert Friedensverhandlungen mit Putin

Michael Kretschmer (48) aus Görlitz ist seit sechs Jahren Ministerpräsident in Sachsen und zugleich stellvertretender Vorsitzender der Bundes-CDU

Michael Kretschmer (48) aus Görlitz ist seit sechs Jahren Ministerpräsident in Sachsen und zugleich stellvertretender Vorsitzender der Bundes-CDU

Foto: NIELS STARNICK / BILD
Von: Thomas Block und Roman Eichinger und Niels Starnick (Foto)

Auf ihn blickt im nächsten Jahr ganz Deutschland: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (48, CDU). Bei der Landtagswahl im nächsten Jahr soll er einen Triumph der AfD (letzte Umfrage: 35 Prozent, CDU nur 29 Prozent) verhindern. Kretschmer regiert derzeit mit SPD und Grünen, ist aber fassungslos über die Politik der Ampel in Berlin.

BILD: Herr Kretschmer, wie besorgt schauen Sie in das Jahr 2024?

Michael Kretschmer: „Ich bin in Sorge, dass die Europawahl im Juni zu einer Protestwahl wird. Das Thema Migration ist in allen Umfragen das wichtigste Thema für die Deutschen. Trotzdem schafft es die Bundesregierung nicht, mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu handeln.“

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Diese Woche wurde bekannt, dass die Ampel ihre Asylpläne nicht pünktlich umsetzen kann ...

Kretschmer: „Dieses Verschleppen einer Lösung beim Thema Migration ist ein Weihnachtsgeschenk für den Europawahlkampf der Extremisten. Die Politik der Ampel schwächt Europa. Dabei ist die EU gerade so wichtig wie nie für Deutschland.“

Von der Schwäche der Ampel profitiert besonders die AfD, kaum aber die Union. Warum?

Kretschmer: „Weil viele Menschen inzwischen so frustriert sind, dass sie ein Zeichen setzen wollen. Kanzler Scholz hat jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder er macht den Weg frei für Neuwahlen oder schafft endlich eine breite, gesellschaftliche Grundlage für seine Politik.“

Wie das denn?

Kretschmer: „Deutschland hat gute Erfahrungen damit gemacht, wichtige Entscheidungen in die Hände von Kommissionen zu legen, die die gesellschaftliche Breite abbilden. Mit Vertretern von Bund und Ländern, aber zum Beispiel auch der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kirchen und der Gewerkschaften. Solche Kommissionen brauchen wir jetzt auch für die zwei großen Themen Migration und Energiewende.“

Hätte die Union bei Neuwahlen überhaupt einen Kanzlerkandidaten?

Kretschmer: „Friedrich Merz leistet als Parteichef seit zwei Jahren hervorragende Arbeit, er hat die CDU wieder geeint und ist damit der logische Kanzlerkandidat. Ich kenne ihn lange und traue ihm zu, das Amt des Bundeskanzlers deutlich erfolgreicher auszufüllen als derzeit Olaf Scholz.“

„Die Ampel versteht nicht, was in diesem Land passiert“

Die Koalition hat sich doch gerade erst geeinigt und ihren Haushaltsstreit pünktlich zum Fest gelöst.

Kretschmer: „Der Beschluss zeigt mal wieder, dass die Ampel nicht versteht, was in diesem Land passiert. In einer Rezession zusätzliche Belastungen zu beschließen, ist unverantwortlich. Mir erklären Spediteure, Handwerker, Mittelständler, dass die aktuellen Belastungen kaum noch zu stemmen sind. Und dann erhöht die Ampel den Preis für CO₂ auf 45 Euro die Tonne. Diese Regierung hat Deutschland in nur zwei Jahren wieder zum kranken Mann Europas gemacht und zeigt nicht den Hauch einer Einsicht.“

2024 wird nicht nur in Europa gewählt, sondern auch in Sachsen. In Umfragen liegt Ihre CDU inzwischen hinter der AfD. Wieso wurden die Rechten in Ihrer Amtszeit so stark?

Kretschmer: „Auch die Umfragen vor der letzten Landtagswahl haben CDU und AfD gleichauf gesehen. Mit einem großen Kraftakt sind wir dann aber wieder stärkste Partei geworden. Das ist auch jetzt unser Ziel.“

Darf man mit der AfD zusammenarbeiten?

Kretschmer: „Nein.“

Wie ist Ihre Einschätzung zum Bündnis Sahra Wagenknecht?

Kretschmer: „Es ist nicht meine Aufgabe, über dieses Projekt zu spekulieren.“

Dann erklären Sie uns doch zumindest mal, wie die CDU mit ihrem neuen Grundsatzprogramm gegen Rechts- und Links-Populisten Wahlen gewinnen will. Sie fordern darin unter anderem eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung und Einschnitte beim Bürgergeld.

Kretschmer: „Das neue Programm macht ganz klar, wofür die CDU steht. Und ja, in dem Programm stehen auch Zumutungen drin. Wir geben eben ehrliche Antworten auf die Probleme des Landes. Und dazu gehört auch, dass unsere sozialen Sicherungssysteme nicht so sicher sind, wie sie sein müssten.“

Sind die Renten nicht mehr sicher?

Kretschmer: „Doch, aber wir müssen uns wieder stärker vergegenwärtigen, was die Grundlage für unseren Sozialstaat ist: eine starke Wirtschaft. Aber hohe Energiepreise, Migration und Sanktionen schwächen die Wirtschaft in Deutschland.“

Wir können Putins Angriffskrieg doch nicht einfach so hinnehmen!

Kretschmer: „Nein, natürlich nicht. Aber es reicht eben auch nicht nur, Sanktionen zu verhängen. Deutschland wird gebraucht für Friedensverhandlungen. Aber niemand auf der Welt nimmt unsere Außenministerin noch ernst. Unser Image hat gelitten, weil Frau Baerbock alle Brücken zu Ländern abgebrochen hat, die nicht ihre Werte teilen.“

„Niemand auf der Welt nimmt unsere Außenministerin noch ernst“

Sie glauben ernsthaft, ein anderer Außenminister könnte Putin von seinem Angriffskrieg abbringen?

Kretschmer: „Wir brauchen in Deutschland einen Außenminister, der auch bei schwierigen Partnern geachtet wird und deshalb Deutschlands Interessen in der Welt durchsetzt. Außenminister müssen Brückenbauer und nicht Besserwisser sein. Oberstes Ziel ist, dass das Sterben in der Ukraine ein Ende hat. Dafür muss man Allianzen bilden, die auf Putin einwirken. Frau Baerbock redet aber nur über Waffenlieferungen und riesige Milliardenhilfen für die Ukraine. Sie hat selbst keinen Plan, wo das enden soll.“

Sie wollen der Ukraine die Unterstützung entziehen?

Kretschmer: „Nein. Aber seit einem Jahr gibt es keinerlei diplomatische Initiativen, die diesen Krieg beenden könnten. Währenddessen steigen der Blutzoll und die Kosten für diesen Krieg ins Unermessliche.“

Beenden kann den Krieg aber doch nur Putin. Und der hat gerade erst wieder klargestellt, dass er das nicht tun wird.

Kretschmer: „Diplomatie heißt nicht, sich nur mit Leuten zu treffen, mit denen man einer Meinung ist. Sondern mit Menschen zu reden, die das Gegenteil von dem wollen, das man selbst will. Aber dazu braucht es Klugheit, Kraft und Akzeptanz in der Welt. Die hat die Bundesregierung mit ihrem Rumgepoltere verspielt.“

Sind Sie für einen EU-Beitritt der Ukraine?

Kretschmer: „Die Ukraine braucht nach dem Ende des Krieges eine Perspektive in Europa und Schutz vor weiteren Angriffen. Aber einen Beitritt zur EU sehe ich auf absehbare Zeit nicht. Erst mal geht es um den Wiederaufbau, die Rechtsstaatlichkeit, eine Normalität und gemeinsame Ziele.“

2024 – der Osten wählt

Nächstes Jahr dürfen die meisten Ostdeutschen zweimal wählen: Bei der Europawahl am 9. Juni wird in allen 27 EU-Staaten abgestimmt.

Dann folgen drei Landtagswahlen: am 1. September in Thüringen (2,1 Mio. Einwohner, Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow) und in Sachsen (4,1 Mio. Einwohner). Dort ist Michael Kretschmers CDU an der Macht.

Am 22. September folgt Brandenburg (2,6 Mio. Einwohner, SPD-Regierungschef Dietmar Woidke).

Brisant: In allen drei Ländern würde laut Umfragen derzeit die rechtsextreme AfD stärkste Partei.

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