Nikotin-Gehalt – Staatsanwälte machen Druck: Mit Voll-Dampf! Erste Groß-Razzien wegen E-Zigaretten

Zollfahnder beschlagnahmen 45000 Liquid-Fläschchen

Von: Von DAMIAN IMÖHL

Schwelm/Hannover – Viel Dampf um die immer beliebteren Elektro-Zigaretten! BILD.de erfuhr: Bei den zwei ersten Groß-Razzien in Deutschland wurden rund 45 000 Fläschchen mit Nachfüllflüssigkeiten beschlagnahmt, so genannten Liquids. In Deutschland gibt es bereits über zwei Millionen E-Dampfer. Müssen sie ihre Nikotin-Depots bald in der Apotheke kaufen?

Bei der Firma „SmokerStore“ in Schwelm standen morgens um 6 Uhr vier Beamte der Zollfahndung vor der Tür. Inhaber Michael Koschollek (45) zu BILD.de: „Sie haben rund 16 500 Fläschchen Liquid mit je 10 Millilitern mitgenommen, haben sich darüber gewundert, dass wir so viel auf Lager haben. Es musste extra ein Transporter geordert und ein größeres Lager gefunden werden.“ Der Wert der vor einer Woche sichergestellten Ware: etwa 100 000 Euro. Bei einer Razzia im Raum Hannover am Montag waren es etwa 28 000 Fläschchen. Nach BILD.de-Informationen handelt es sich bei den Aktionen in Schwelm und Wunstorf um die bislang größten Razzien gegen den Nikotin-Liquid-Handel.

Dampfen statt Rauchen: E-Zigaretten sind für viele Qualmer der Ersatz, um von der Sucht nach den klassischen Tabak-Produkten wegzukommen. Man darf mit ihnen sogar trotz Rauchverbot in Kneipen dampfen. Seit 2005 ist die E-Zigarette auf dem Markt. Sie findet immer mehr Fans. Die Flüssigkeiten enthalten Aromastoffe wie Banane, Vanille, Erdbeere, Kaffee, Popcorn, Mango. Sie werden mit einem Glühdraht verdampft. So entsteht der Rauch-Effekt. Viele sind nikotinfrei. Aber es gibt auch welche mit dem Suchtstoff. Die sind steuerfrei und höchst umstritten.

Denn die nikotinhaltigen Liquids fallen nicht unter das Tabakgesetz wie Zigaretten und ähnliche Produkte, die bei entsprechenden Warnhinweisen und mit Tabaksteuer frei verkäuflich sind. Es gibt noch keine eindeutige Regelung. Kritiker der Nikotin-Dampfer stellen sich jedoch auf den Standpunkt, dass die Liquids derzeit schon gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen und somit vom freien Markt geholt werden müssen. Und zu dieser Ansicht neigt aktuell jetzt auch die Bundesregierung. Heißt: Nikotin-Tanks für E-Zigaretten wären zulassungspflichtig, gäbe es wohl nur noch in Apotheken.

Die Dampfmittel werden demnach als „Funktionsarzneimittel“ eingestuft. Und diese sind laut Gesetz dazu geeignet, „den Zustand oder die Funktion des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen“. Das könnte bedeuten: Nikotin-Liquids wären hiernach ein Fall für Ärzte und Apotheker.

Seriöse E-Zigaretten-Händler fordern eine klare Regelung. Koschollek: „Händler sprießen wie Pilze aus dem Boden. Es kann nicht sein, dass die Sachen auf jedem Flohmarkt unkontrolliert verkauft werden können. Das muss eindeutig geregelt werden. Sonst sind solche Beschlagnahmungen sehr willkürlich. Und es drängt sich bei uns Händlern der Verdacht auf, dass in Wahrheit die Steuerausfälle dahinter stehen." Denn: Nikotinhaltige Liquids sind steuerfrei. Der Staat verdient nicht mit beim neuen Millionen-Geschäft. Noch nicht.

Viele E-Zigaretten-Händler befürworten eine rechtliche Einstufung der Liquids als „Genussmittel“ wie Alkohol und Tabak mit Gefahrenhinweisen und Kindersicherungen. Und für sie steht fest: E-Zigaretten sind weniger schädlich als die normalen Glimmstängel mit Tabak, Nikotin und Teer. Kritiker hingegen warnen vor den noch ungeklärten Folgen der Inhalation aus den Dampf-Kartuschen.

Zigaretten enthalten 4000 Giftstoffe, 80 davon sollen krebserregend sein. Händler Koschollek (rauchte früher über zwei Schachteln am Tag): „Die E-Zigarette ist das einzige Produkt, das die klassische Zigarette gefährden könnte. Aber keiner vergleicht die E-Zigarette mit der herkömmlichen aus Tabak, um ein seriöses Ergebnis zu bekommen. Liquids enthalten nur drei bis vier Inhaltsstoffe. Kritisch zu betrachten ist davon nur das Nikotin. E-Zigaretten sind also auf jeden Fall weniger schädlich als Tabak-Zigaretten.“

Die EU-Kommission will Mitte des Jahres entscheiden, ob es sich bei den Nikotin-Liquids um Genuss- oder Arzneimittel handelt.

Rechtsanwalt Thilo Heuser (45), der den Schwelmer Händler vertritt, erklärt gegenüber BILD.de: „Noch ist das alles ungeklärt und ein rechtsunsicherer Raum. Es gibt keine Gutachten, nichts. Deshalb verwundert das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Wenn die Dampfmittel von der EU als Arzneimittel eingestuft werden, freuen sich Ärzte und Apotheker.“

Die Verfahren gegen die Händler nahmen in Frankfurt ihren Anfang, weil am dortigen Flughafen Liquid-Importe aus China vom Zoll einkassiert wurden, die Nikotin enthalten. Zuständig ist die Staatsanwaltschaft Frankfurt. Eine Sprecherin zu BILD.de: „Wir ermitteln in einer Vielzahl von Fällen. Nach unserer Ansicht sind das Arzneimittel.“

Das Frankfurter Landgericht hatte eine Beschlagnahmung in weiten Teilen für rechtens erklärt. In dem Beschluss, der BILD.de vorliegt, entschieden die Richter unter dem Aktenzeichen 5/26 Qs 51/11: „Nikotin hat eine intensive Wirkung auf das vegetative Nervensystem.“ Es erhöhe zudem das Thrombosen- und Herzinfarktrisiko. Dem Stoff käme daher eine pharmakologische Wirkung zu. Deshalb seien nikotinhaltige Präparate grundsätzlich Funktionsarzneien im Sinne des Arzneimittelgesetzes. Dieser Beschluss ebnete den Weg für die Beschlagnahme-Aktionen. Insgesamt laufen rund 30 Frankfurter Ermittlungsverfahren.

In NRW gibt es sogar einen Erlass des Gesundheitsministeriums, dass Nikotin-Liquids unter das Arzneimittelgesetz fallen. Aber auch dieser Erlass ist rechtlich sehr umstritten; viele halten ihn für ungültig – und harte Kontrollen scheint es kaum zu geben. Bis zu den Groß-Razzien...

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