Interview

Mode-Psychologie: Dr. Karen, wie kann Kleidung die Stimmung verbessern?

Dr. Dawnn Karen ist die erste offizielle Mode-Psychologin der Welt. In ihrem Fach lehrt sie am renommierten Fashion Institute of Technology in New York und berät Unternehmen wie etwa den Zahlungsanbieter Klarna genauso wie private Klient:innen.
ModePsychologin Dr. Dawnn Karen
Die Mode-Psychologin Dr. Dawnn Karen aus New YorkPR

Mode-Psychologie: Dr. Dawnn Karen ist die Vorreiterin der Wissenschaft dahinter 

Da Sie, wenn Sie auf diesen Artikel geklickt haben, offenbar VOGUE-Leser:in sind, müssen wir Ihnen an dieser Stelle wohl nicht erklären, was für eine Kraft Mode haben kann, was sie für Emotionen auslöst, dass sie so viel mehr ist als die Oberflächlichkeit, die ihr nicht selten vorgeworfen wird. Glücklicherweise müssen wir dafür aber ohnehin keine Überzeugungsarbeit mehr leisten, denn: Mittlerweile ist die Mode-Psychologie, die die Wirkungsweisen und Mechanismen von Mode und allem, was das impliziert, erforscht, ein offizieller wissenschaftlicher Fachbereich.

Zu verdanken haben wir das Dr. Dawnn Karen, der ersten offiziellen Mode-Psychologin der Welt. Ihre Arbeit umfasst verschiedene Bereiche. Zum einen die Arbeit mit privaten Klient:innen, die ihre psychischen Probleme mit einer tief gehenden Analyse und Verhaltenstherapie in Sachen Kleidung behandeln lassen. Zum anderen den Unterricht (und die Forschung) am renommierten New Yorker Fashion Institute of Technology, wo Dr. Karen unter anderem Modedesign-Student:innen in Mode-Psychologie unterrichtet. Und dann wäre da noch ihr eigenes Fashion Psychology Institute, mit dem die Psychologin genauso verschiedene Unternehmen auf ihrem Feld berät wie auch Seminare in Mode-Psychologie anbietet.

Eines der Unternehmen, mit dem Dr. Dawnn Karen kooperiert, ist der Shopping-Service und Zahlungsanbieter Klarna. Mit diesem hat die Mode-Psychologin eine spannende Studie über das Kaufverhalten der Klarna-Kund:innen der letzten Monate durchgeführt. Dabei kam zum Beispiel heraus, dass nach den Pandemie-Erfahrungen rund 70 Prozent der Befragten ihrem Stil wieder mehr Aufmerksamkeit schenken wollen; dass 35 Prozent schon jetzt wieder mehr Farbe tragen als noch einen Monat zuvor; dass 20 Prozent aus Nachhaltigkeitsgründen bewusst weniger Kleidung kaufen; oder dass Hemden aktuell ein Plus von 39 Prozent erfahren, Jogginghosen ein Minus von 17 Prozent und Sportswear wiederum ein Plus von 68 Prozent.

Was wir tragen und kaufen, sagt also immer etwas über unser Befinden aus, über das Leben, das wir führen oder führen wollen. Dr. Karen geht mit ihrer Mode-Psychologie sogar noch einen Schritt weiter. Sie behauptet, dass Mode das Leben – erwiesenermaßen wissenschaftlich belegt – verbessern kann. Sie hat Kleidung erforscht, die die Stimmung hebt oder Farben, die sie trüben. Was es mit all dem auf sich hat, das hat uns Dr. Karen (oder sollten wir sagen: Dr. Fashion?) im Interview erzählt.

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Durch die Ereignisse der letzten anderthalb Jahre hat sich das kollektive Verhältnis von Mode verändert – die Rolle der Mode wurde wieder mehr wertgeschätzt, weil sie und ihr identitätsstiftendes Potenzial im Lockdown vermisst wurden. 

In dieser Hinsicht war die Pandemie für meinen Bereich der Mode-Psychologie ein Glücksfall. Wenn ich früher meinen Fachbereich erklärt habe, wurde das zunächst als etwas sehr Oberflächliches wahrgenommen. Wenn ich jetzt darüber spreche, wie Kleidung auch die eigene Psyche beeinflussen kann, stoße ich auf viel offenere Ohren. In meinen Augen ist die Offenheit für den Bereich so groß wie noch nie. Als wir alle nur im immer gleichen Look in den eigenen vier Wänden saßen, ist vielen erst klar geworden, was für eine heilende Wirkung ein richtiges Outfit haben kann. Weil dieses meist auch mit einer Aktivität, mit einem Lebensbereich zusammenhängt. Wenn die Menschen im Lockdown digital an etwas teilnahmen, dann veränderten sie dafür auch ihr Aussehen. Und das macht etwas mit jedem:r. Vor der Pandemie gab es dafür kollektiv kaum bis gar kein Bewusstsein.

Das Ganze hat vermutlich auch die Arbeit mit Ihren Klient:innen verändert?

Oh ja, und wie. Ich kann Ihnen ein Beispiel einer Patientin erzählen. Sie ist Ärztin und musste inmitten der Pandemie mit dem Tod vieler Menschen umgehen. Eines Tages sagte sie, wie schlecht ihre Stimmung die ganze Zeit sei, und ich fragte sie, wie lange sie schon den gleichen Pyjama anhatte. Drei Tage nacheinander, erklärte sie. Also verordnete ich ihr, sofort diesen Pyjama auszuziehen und von nun an jeden Tag etwas Gelbes zu tragen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Farbe Gelb die Stimmung verbessert. Sie kann natürlich keine Depressionen heilen, aber sie kann zu einem positiveren Gefühl beitragen. Und wer immer nur den gleichen Pyjama trägt, strahlt einen Strudel negativer Emotionen auch für sich nach außen aus. Und das Äußere prägt das Innere, weil es andersherum ein Spiegel dessen ist, was wir fühlen. Meine Patientin berichtete, dass es ihr nach und nach besser ging, als sie jeden Tag Gelb trug.

Wie lässt sich Ihre Arbeit als Mode-Psychologin mit Patient:innen im Allgemeinen vorstellen?

Wie eine ganz normale Therapie – aber eben mit einem besonderen Fokus darauf, mit was für Kleidung sich jemand durch sein Leben bewegt. Aber der Kern dessen, woran meine Klient:innen arbeiten wollen, kann ganz unterschiedlich sein, von schlimmen Fällen wie Traumata oder sexuellen Übergriffen bis hin zu leichteren Belastungen. Wir analysieren dann ganz genau, wie sich das in dem Auftreten der jeweiligen Person zeigt und was wir daran ändern können, sodass der:diejenige so durchs Leben geht, wie er:sie will.

Haben Sie Beispiele, von denen Sie uns erzählen können?

Ich hatte schon einige Klient:innen, die sexuelle Übergriffe erleben mussten und ihre Körper deswegen verhüllen und nur schwer mit ihrer eigenen Körperlichkeit umgehen können. Andere Beispiele sind junge Mütter, die damit zu kämpfen haben, ihre Rolle in der Welt neu zu definieren. Einige Klient:innen von mir sind auch Personen aus der LGBTQIA*-Community, die vielleicht noch kein Coming Out hatten, aber trotzdem sie selbst sein wollen. Mit Patient:innen, die extreme Störungen haben, arbeite ich nicht. Es geht eher um typische Ängste oder Depressionen.

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Dass Sie selbst das Feld der Mode-Psychologie eröffnet haben, hatte das auch einen persönlichen  oder einen strikt professionellen Hintergrund?

Eine Mischung aus beidem. Ich selbst habe einen sexuellen Übergriff erlebt, über den ich nicht sprechen konnte. Meine Art, damit umzugehen, war, mich besonders anzuziehen. Tolle Looks waren meine Form der Therapie. Freunde machten mich damals darauf aufmerksam, dass ich zu wenig sprechen würde, und dass es wirke, als habe ich keine Empathie. Dabei war das natürlich überhaupt nicht so gemeint. Da ist mir aufgefallen, dass so wenig Verständnis dafür herrscht, wie verschiedene Personen mit ihrer Kleidung kommunizieren. Also fand ich es wichtig, das in einen wissenschaftlichen Kontext zu setzen. Zum einen, um die heilende Kraft der Mode klar zu machen. Zum anderen, um das Verständnis und die Anerkennung dafür kollektiv zu schärfen.

Ein großes Vorhaben, das sicherlich insbesondere am Anfang nicht einfach war.

Erst jetzt, nach einigen Jahren an Erfahrung und vielen Kämpfen, wird es einfacher. Alle möglichen -ismen habe ich erleb, von Rassismus bis hin zu Ageism. Ich bin schließlich eine vergleichsweise junge, Schwarze Frau und damit nicht unbedingt das erste, woran die Menschen denken, wenn sie an Psycholog:innen denken. Ernst genommen wurde ich am Anfang selten. Das änderte sich, nachdem ich mit bekannten Namen und großen Unternehmen kooperierte – und seitdem ich als Professorin in dem von mir ins Leben gerufenen Fach Mode-Psychologie am renommierten Fashion Institute of Technology unterrichte. 

Wie viel Raum nimmt Ihre Arbeit als Professorin derzeit ein?

Grob überschlagen würde ich sagen um die 20 bis 30 Prozent. Die Tragweite dessen ist aber riesig, auch weil ich die erste Schwarze Psychologie-Professorin dort bin und dann auch noch die jüngste. Die Student:innen, die ich unterrichte, sind in den unterschiedlichsten Disziplinen unterwegs. Das wiederum ist auch für meine Arbeit spannend. Die Fragen, die sie mir stellen, bringen mich auch immer weiter. In letzter Zeit sind viele von ihnen daran interessiert, was Beauty-Produkte und Make-up mit uns machen, noch mehr als Mode. Das ist ein spannend zu beobachtender Shift.

Forschen Sie auch aktiv zusammen mit Ihren Student:innen?

Vor allem experimentieren wir viel zusammen. Während des Lockdowns etwa probierten sie meine Theorie des "Mood enhancement dress" gleich selbst aus. Dabei geht es darum, etwas anzuziehen, was bewusst die Stimmung hebt, ob das nun bunte gebatikte Shirts sind oder laute Farben. In Studien fanden sie dann heraus, dass das tatsächlich funktioniert hat.

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Ist es generell schwierig, die richtigen Daten für Ihre Forschung und Theorien zusammen zu bekommen?

Die eine Quelle dafür ist meine Arbeit am Fashion Institute of Technology. Die andere sind Kooperationen mit großen Unternehmen, die viele Daten zusammentragen können. Auch deswegen fand ich die Zusammenarbeit mit Klarna so interessant. Mit solchen Partner:innen kann ich die richtigen Studien durchführen und Reports aufstellen. Das Feld der Mode-Psychologie ist ein sehr angewandtes, wenig abstraktes.

Wenn Sie mit solchen Daten arbeiten, finden Sie persönlich es dann spannender, diese im Detail zu analysieren und damit die Vergangenheit zu verstehen, oder ist es interessanter für Sie, Voraussagen über die Zukunft zu treffen?

Das geht beides Hand in Hand. Wenn ich vergangene Daten anschauen, dann hat das immer auch den Hintergrund, dass ich aus dem Verständnis dafür heraus eine Vision für die Zukunft entwickeln kann. Aktuell werde ich natürlich häufig gefragt, was in der Mode als nächstes ansteht, wie sich unsere Kleidung in der Spätphase der Pandemie – und in der Zeit danach – entwickeln wird. Für mich ist die Antwort darauf recht klar. Es wird zwei Arten von Leuten geben: Die, die sich aufdressen, und die, die genau das Gegenteil davon tun. Das werden in meinen Augen zwei starke Extreme sein. Je nachdem, wofür man sich entscheidet, werden auch andere Botenstoffe im Gehirn ausgesendet, das lässt sich tatsächlich messen. Wer besondere, laute Kleidung trägt, die die Stimmung hebt, der produziert mehr Dopamin. Wer sich für etwas Bequemes, Stilles entscheidet, bei dem lässt sich mehr Serotonin messen.

Hat Sie bezüglich der Daten, die Sie zusammen mit Klarna analysiert haben, etwas überrascht?

Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass Sportswear so einen Boost erfahren würde, und dass Outdoor-Kleidung so viel weniger Anklang fand als diese. Andersherum hätte ich es für wahrscheinlicher gehalten. Wenig überraschend fand ich, dass Kleidung aus nachhaltigen Materialien so beliebt ist, beispielsweise Stoffe wie Leinen. Ebenso vorhersehbar fand ich es, dass Anzüge kaum gekauft wurden. 

Was denken Sie, wie sich auch das Shoppen an sich entwickeln wird?

Die Herkunft eines Kleidungsstück wird von immer größerer Bedeutung. Zwanghaftes Shoppen gehört der Vergangenheit an, der Vorgang wird viel bewusster. Der Begriff "Retail Therapy" muss somit auch überdacht und neu erfunden werden. In meinen Augen aber kann ein wissentlicher Shopping-Vorgang ohnehin viel mehr therapeutische Wirkung haben als ein exzessiver.  

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Ist es nicht psychologisch auch ein interessanter Vorgang, dass es in Umfragen immer wieder heißt, viele würden bewusster und nachhaltiger shoppen wollen – und dennoch sinken die Umsätze von Fast-Fashion-Unternehmen kaum bis gar nicht? Da ist doch eine große Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Wenn wir ehrlich sind, machen wir das doch alle mal. Die Verlockung eines hübschen, angesagten Fast-Fashion-Designs ist manchmal einfach zu groß. Das Gute ist, dass diese Versuchung kleiner wird, je mehr ebenso coole nachhaltige Alternativen es gibt. Und diesen Markt sehe ich derzeit ungemein wachsen.

Da Sie gerade von angesagten Designs sprachen: Was macht für Sie denn ein Trend-Piece heute erfolgreich?

Vor allem, dass sie ein gewisses Gefühl von Zugehörigkeit stiften, von etwas Vertrautem. Das perfekte Beispiel dafür sind Crocs, die seit einiger Zeit plötzlich trendy sind, sogar einen Crocs-Stiletto von Balenciaga gibt es ja aktuell. Crocs sind einfach – ich möchte nicht sagen hässlich aber – scheußlich. Trotzdem lieben wir sie. Erstens, weil wir alle mit ihnen etwas verbinden, etwas Häusliches, etwas, das wir gut kennen. Und wenn wir dann alle sie nach und nach auch nach draußen tragen, dann fühlen wir uns in diesem Gefühl, mit diesen sehr individuellen und doch kollektiv sehr ähnlichen Emotionen verbunden. In Crocs fühlt sich niemand allein. Das ist denke ich ihr Erfolgsgeheimnis derzeit, aus psychologischer Sicht. 

Wieso, denken Sie, wurde das Feld der Mode-Psychologie so lange so vernachlässigt – auch von der Modebranche selbst?

Die Antwort darauf ist recht einfach: Weil es – aus wirtschaftlicher Sicht – schlicht nicht beachtet werden musste. Vor der digitalen Revolution konnten Modeunternehmen den Markt recht flexibel selbst gestalten, Trends wurden praktisch diktiert. Mittlerweile haben die Konsument:innen eine viel höhere Autonomie – und auch die Trendsetter:innen. Social Media hat da einen riesengroßen Einfluss. Wer heute erfolgreich sein will, kann psychologische Effekte von Mode gar nicht außer acht lassen, ob nun offensiv oder subtil.

Was erhoffen Sie sich für das Feld der Mode-Psychologie in der Zukunft?

Mein großes Ziel ist es, führende Mode-Psycholog:innen in jedem Land dieser Welt etabliert zu haben. Wer weiß, wie lange das dauern wird. Konkreter arbeite ich gerade an meinem zweiten Buch, und auch eine eigene TV-Show könnte ich mir vorstellen. Außerdem möchte ich auch meine Lehre nicht nur in New York Student:innen beibringen, sondern würde auch das gerne auf die ganze Welt ausweiten. Auch ließen sich Kooperationen mit Modehäusern und Designer:innen noch viel mehr ausbauen, wenn in Kollektionen mehr auf die Psychologie hinter den Designs geachtet werden würde, hätte das einen riesigen Mehrwert für das Wohlbefinden der Träger:innen. Meine Message ist mir so wichtig, weil sie vielen Menschen das Leben schöner machen kann. Mode hat das Potenzial, zu heilen.