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Vorlage - R 1342  

 
 
Betreff: Willensbekundung des Gemeinderates zu den Überlegungen des Landes in Pforzheim eine Erstaufnahmeeinrichtung zu schaffen
Status:öffentlichVorlage-Art:Beschlussvorlage
Unterzeichner:Oberbürgermeister Peter Boch
Bürgermeister Frank Fillbrunn
Federführend:Jugend- und Sozialamt Bearbeiter/-in: Hülsmann, Joachim
Beratungsfolge:
Ausschuss für Soziales und Beschäftigung Vorberatung
16.03.2023 
Sitzung des Ausschusses für Soziales und Beschäftigung zur Kenntnis genommen   
Internationaler Beirat Anhörung
21.03.2023 
Sitzung des Internationalen Beirats abgelehnt   
Hauptausschuss Vorberatung
28.03.2023 
Sitzung des Hauptausschusses zur Kenntnis genommen   
Jugendgemeinderat Anhörung
30.03.2023 
Sitzung des Jugendgemeinderats siehe Niederschrift   
Gemeinderat Beschlussfassung
04.04.2023 
Sitzung des Gemeinderats ungeändert beschlossen   

Beschlussvorschlag
Finanzielle Auswirkungen
Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Modellrechnungen

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Antrag:

Im Wissen um die aktuelle Situation hinsichtlich der Unterbringung von Geflüchteten in Pforzheim bekundet der Gemeinderat seinen Willen zu den Überlegungen des Landes Baden-Württemberg, in der Adolf-Richter-Straße 8 im Brötzinger Tal eine Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Baden-Württemberg einzurichten, wie folgt:

 

a) Der Gemeinderat befürwortet eine weitere ergebnisoffene Prüfung der Errichtung einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete im Brötzinger Tal durch das Land sowie die Aufnahme von Verhandlungen zwischen der Stadt Pforzheim und dem Land Baden-Württemberg über die Modalitäten einer solchen Einrichtung (Kapazitätsgrenze, Sicherheitsaspekte etc.), unter der Voraussetzung eines „LEA-Privilegs“ von 100 % verbunden mit der Maßgabe, dass die Ergebnisse dieser Verhandlungen dem Gemeinderat zur erneuten Beratung und Beschlussfassung vorzulegen sind.

oder

b) Der Gemeinderat lehnt die Einrichtung einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Pforzheim generell ab und beauftragt den Oberbürgermeister, dies dem Land Baden-Württemberg mitzuteilen.

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Ziel:
 

Personelle Auswirkungen:

 


Finanzielle Auswirkungen

 

Finanzhaushalt (Investitionen)

Ergebnishaushalt

Investitionsauftrag:

Produktgruppe:

bisher bereitgestellt

CO-Objekte:  

Gesamtkosten der Maßnahme

 

Ordentliche Erträge

 

Einzahlungen

 

Ordentlicher Aufwand

 

Auszahlungen

 

davon Abschreibungen

 

Saldo aus Investitionstätigkeit

 

Nettoressourcenbedarf

 

 

Finanzhaushalt

Jahr

Einzahlungen

Auszahlungen

Sachkonto

Bisheriger Planansatz

Veränderung

2023

 

 

 

E

 

 

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2024

 

 

 

E

 

 

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2025

 

 

 

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2026

 

 

 

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2027ff

 

 

 

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Ergebnishaushalt

Jahr

Erträge

Aufwand

Sachkonto

Bisheriger Planansatz

Veränderung

2023

 

 

 

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2024

 

 

 

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2025

 

 

 

E

 

 

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2026

 

 

 

E

 

 

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Weitere Informationen

Gesetzliche Pflichtaufgabe

 

Freiwillige Aufgabe

 

 

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Das Land Baden-Württemberg prüft im Moment die Einrichtung einer Erstaufnahmeeinrichtung des Landes (EA) im Bader-Gebäude im Brötzinger Tal. Diese Prüfungen sind mit Stand der Fertigstellung der Vorlage noch nicht abgeschlossen. In den bisherigen Gesprächen mit dem Regierungspräsidium Karlsruhe (RP KA) wurde eine Höchstbelegung von 1.000 Personen genannt, die laut RP KA mit der Kommune vertraglich fixiert werden soll. Im Falle der Realisierung der EA hat das Land die Gewährung eines sogenannten „LEA-Privilegs“ (§ 1 Abs. 2 S. 1 DVO FlüAG) in Aussicht gestellt; im Gespräch wurde hier bislang die Reduzierung der Zuweisung von Geflüchteten um 80 % im Verhältnis zum aktuellen Zuweisungsschlüssel genannt. Herr Oberbürgermeister Boch hat in den aktuellen Gesprächen mit dem Ministerium unmissverständlich kommuniziert, dass aus seiner Sicht die Realisierung einer EA in Pforzheim nur mit einem LEA-Privileg von 100 % einhergehen kann. Ebenfalls wurde in den Gesprächen durch Herrn Oberbürgermeister Boch mit Nachdruck ein angemessenes Sicherheitskonzept, verbunden mit der Einrichtung einer Polizeipräsenz vor Ort gefordert. Sowohl die maximale Belegungszahl als auch die Höhe des LEA-Privilegs sowie weitere Rahmenbedingungen sind wie dargestellt noch nicht endverhandelt. Der Gemeinderat wird um die Abgabe einer Willenserklärung gebeten, die in die Gespräche mit dem zuständigen Ministerium einfließen wird.

 

Im Gegensatz zu einer Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) sind die Flüchtlinge in einer EA laut dem zuständigen RP KA bereits registriert und somit sicherheitstechnisch erfasst und gesundheitlich untersucht. Grundsätzlich wird sowohl eine EA als auch eine LEA vom Land Baden-Württemberg organisiert und betrieben sowie komplett finanziert. Zur Einrichtung einer EA gehören nicht lediglich die bloßen Unterkünfte mit Sanitär- und Verpflegungseinrichtungen sondern auch eine Vielzahl von Sozialeinrichtungen (z. B. Sozialberatung, Kinderbetreuung Sozialräume, Sportangebote, etc.).

 

Aus Sicht der Stadtverwaltung sind die aktuellen Flüchtlingszahlen in Pforzheim besorgniserregend. Mit Stand Ende Januar 2023 befinden sich 426 Personen in der vorläufigen Unterbringung und 789 Personen in der Anschlussunterbringung. In Summe sind derzeit 1.215 Personen in städtischen Flüchtlingsunterkünften untergebracht. Damit sind analoge Zahlen zur Flüchtlingskrise 2015/2016 erreicht: Damals waren in der Spitze 1.243 Personen untergebracht, heute befinden sich 1.215 Personen in der kommunalen Unterbringung. Ein weiterer Anstieg ist durch die monatlichen Zuweisungen zu erwarten. Hinzu kommt, dass aktuell deutlich mehr Geflüchtete in privatem Wohnraum untergekommen sind als 2015/16.

 

Diese Gesamtsituation stellt die Stadt Pforzheim vor enorme Herausforderungen. Schon jetzt kann die vorläufige Unterbringung nur mittels Notunterbringung in Hallen (für die nächsten drei Jahre vorrangig eine große Halle auf dem ehemaligen Thales-Gelände) gewährleistet werden. In der Anschlussunterbringung wird im Laufe der Jahres die aktuell vorhandene Kapazität nicht mehr ausreichen und zahlreiche Plätze in der Anschlussunterbringung drohen zudem wegzufallen; nennenswerte neue Plätze sind aufgrund fehlender Grundstücke und ungeeigneter Gebäude kaum in Sicht.

 

Aufgrund des Krieges in der Ukraine und den dauerhaften Konflikten in Länder wie Afghanistan und Syrien ist davon ausgehen, dass sich die hohen Zuweisungen des vergangenen Jahres weiter fortsetzen und sich die Situation damit weiter verschlechtert. Daher sind die Überlegungen zu einer EA und dem damit einhergehenden „LEA-Privileg“ aus Sicht der Verwaltung überlegenswert.

 

Auf Grundlage der aktuellen Zahlen können folgende beiden Modellrechnungen angestellt werden, die mit und ohne LEA-Privileg dargestellt werden (s. Anlage 1). Dabei wird entsprechende der Verhandlungsposition der Stadt ein LEA-Privileg von 100 % vorausgesetzt:

 

Die Modellrechnung 1 beruht auf der Annahme, dass Pforzheim in den nächsten Jahren jeweils so viele Geflüchtete zugewiesen werden, wie im Durchschnitt der letzten drei Jahre (2020-2022). Dabei war 2020 mit nur 120 Zuweisungen, das Jahr mit den wenigsten Zuweisungen. 2021 nimmt mit 185 Zuweisungen eine Mittelstellung ein und 2022 war mit 336 Zuweisungen das seit 2016 zuweisungsstärkste Jahr. Im Durchschnitt ergibt sich ein Wert von 214 Zuweisungen, der als jährlicher Basiswert angenommen wird. Nach 6 Jahren wären folglich ohne LEA-Privileg Zuweisungen von 1284 Geflüchteten erfolgt. Bei dem von der Verwaltung geforderten LEA-Privileg von 100% ergäbe sich stattdessen eine jährliche Zuweisung von Null.

 

Die Modellrechnung 2 geht von einer pessimistischeren Annahme aus, nämlich dass sich die auch ohne ukrainische Geflüchtete hohen Flüchtlingszahlen und Zuweisungen von 2023 auch in den nächsten Jahren forstsetzen werden. Hier ergäbe sich schon nach 4 Jahren das Bild, dass ohne LEA-Privileg Zuweisungen von 1344 Geflüchteten erfolgen werden. Bei dem von der Verwaltung geforderten LEA-Privileg von 100% ergäbe sich stattdessen eine jährliche Zuweisung von Null.

 

Zu beachten ist, dass es sich hierbei lediglich um Modellrechnungen unter Zugrundelegung bestimmter Annahmen handelt, da niemand weiß, wie sich die künftigen Flüchtlingszahlen und damit auch die Zuweisungen des Landes nach Pforzheim tatsächlich entwickeln werden. Wie oben dargestellt ist aber eher nicht von einer deutlichen Reduzierung der Flüchtlingszahlen auszugehen, sondern kurzfristig und vermutlich auch mittelfristig von einer weiterhin angespannten Lage mit vergleichsweise hohen Zuweisungen.

 

Wie in den Abbildungen der Anlage 1 ersichtlich, stellt sich daher nicht die Frage „1.000 Flüchtlinge in der EA oder keine Flüchtlinge“. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob maximal 1.000 Flüchtlinge innerhalb einer Einrichtung, die ausschließlich in der finanziellen und personellen Zuständigkeit des Landes liegt und die innerhalb kurzer Zeit nach Pforzheim kommen, im Stadtgebiet Aufnahme finden und ein sehr geringer Anteil der bisherigen Zuweisungen erfolgt oder über einen längeren Zeitraum durch die unveränderten monatlichen Zuweisungen weiter ungesteuert und ohne maximale Obergrenze von 1.000 Personen weitere Flüchtlinge dauerhaft in der Stadt aufgenommen werden müssen, für die die Kommune sämtliche Unterbringungs-, Versorgungs- und Integrationsaufgaben und –kosten zu tragen hat.

 

Sollte keine EA in Pforzheim mit dem entsprechenden „LEA-Privileg“ eingerichtet werden, muss davon ausgegangen werden, dass sich auf Dauer zumindest jeweils temporär eine Belegung von Sporthallen kaum verhindern lassen wird. Auch wird das längerfristige Aufstellen von Containern auf kommunalen Flächen, die eigentlich für Gewerbeentwicklungen oder Quartiersentwicklungen angedacht sind, notwendig werden. Dies begründet sich durch den aktuelle schwierigen Wohnungsmarkt und die extrem geringe Bautätigkeit, wodurch die Überführung der Geflüchteten in eine Anschlussunterbringung kaum möglich ist und Geflüchtete in der Anschlussunterbringung schwer eigenen Wohnraum finden. Eine substantielle Reduzierung der Unterbringungsplätze im Eutinger Tal oder gar dessen Auflösung erscheint so noch weniger realistisch.

 

Herausforderungen ergeben sich bei den Flüchtlingen in der kommunalen Unterbringung daneben u.a. durch die notwendigen Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse, ausländerrechtliche Bearbeitung durch das Amt für öffentliche Ordnung, die Notwendigkeit der Schaffung von Kita- und Schulplätzen sowie teils kommunal zu tragende Kosten für die gesundheitliche Versorgung. All diese Aufgaben sind personell und finanziell auf die Kommune übertragen und verschärfen die Herausforderungen, vor denen Pforzheim als finanzschwache Stadt mit hohen Migrationsanteil bereits heute steht. Perspektivisch wird es angesichts des Fachkräftemangels immer problematischer werden hierfür den personellen Bedarf zu decken. Durch die Einrichtung einer EA auf Pforzheimer Gemarkung könnte die Stadt Pforzheim von all diesen Aufgaben relevant entlastet werden.

 

Die Herausforderung einer Aufnahme von 1.000 Flüchtlingen in der EA ist sicherlich groß. Gerade die Wahrung von Sicherheit und Ordnung innerhalb der Einrichtung, aber auch in den umliegenden Stadtteilen und in der Innenstadt, wird mit einem umfangreichen polizeilichen Sicherheitskonzept sichergestellt werden müssen. Hierzu steht die Stadtverwaltung bereits in Gesprächen mit der Polizei, Regierungspräsidium und Justizministerium und wird eine entsprechende Ausstattung mit Polizeikräften bei einem entsprechenden Votum des Gemeinderates klar einfordern.

 

Das zuständige Justizministerium hat mehrfach betont, dass bislang noch keine EA oder LEA in einer Kommune eingerichtet wurde, die einer solchen Einrichtung nicht zugestimmt hat. Eine weitere ergebnisoffene Verhandlung mit dem Land mit Vorstellung der Ergebnisse im Gemeinderat ist aus Sicht der Verwaltung daher empfehlenswert. Dabei können Forderungen des Gemeinderates in die Verhandlungen aufgenommen und ebenso direkte Gespräche zwischen Gemeinderat und Justizministerium anberaumt werden. Die Ergebnisse dieser Gespräche werden dem Gemeinderat zur erneuten Behandlung vorgelegt.

 

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Anlage 1: Modellrechnungen

Anlagen:  
  Nr. Name    
Anlage 1 1 Modellrechnungen (400 KB)