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Bühne und Konzert Ignaz Kirchner

„Ich bin mir gegenüber nur ein bisschen verlogen“

Humoristisch zerquält: Ignaz Kirchner, Burgschauspieler Humoristisch zerquält: Ignaz Kirchner, Burgschauspieler
Humoristisch zerquält: Ignaz Kirchner, Burgschauspieler
Quelle: picture alliance / Katrin Bruder
Ignaz Kirchner, seit 25 Jahren in Wien, ist einer der größten deutschen Schauspieler. Ein Gespräch über schwule Eltern, Zadeks Sadismus und die Unmöglichkeit, mit einem Hut durch Marzahn zu gehen.

Ignaz Kirchner, 1946 in Wuppertal geboren, ist ein Charakterkopf und Menschendarsteller. Einer der größten. Und er hat mit allen gearbeitet. Mit Peter Zadek, George Tabori und Claus Peymann, mit Grüber, Castorf und Pollesch. Seine Karriere begann in den Siebzigerjahren an der Volksbühne in Berlin, er hat in Stuttgart und München gearbeitet, seit mehr als einem Vierteljahrhundert spielt Kirchner am Wiener Burgtheater. Auf der Bühne legt er es hintergründig an, und auch im Gespräch ist der Schauspieler ein schonungsloser Psychologe der Macht. Bei einem Treffen im Wiener „Café Landtmann“, gleich neben dem Burgtheater, geht es um glorreiche Zeiten, Gert Voss, gefährliche Mütter und den Theatertyrannen Peter Zadek.

Die Welt: Herr Kirchner, mit Unterbrechungen sind Sie fast dreißig Jahre in Wien. Die Stadt hängt Ihnen noch nicht zum Hals heraus?

Ignaz Kirchner: Ich habe mich schon vor zwanzig Jahren davor gefürchtet, hier millirahmstrudelig zu werden. Wie eine Wiener Mehlspeise. Man könnte bequem, satt, gemütlich werden. Aber das passiert mir nicht. Dazu mache ich zu gern und zu leidenschaftlich Theater.

Die Welt: Demnach wäre das Wiener Burgtheater also eine Option …

Kirchner: … in dieser Stadt zu sterben. Wien ist ja sehr angenehm. Man hat hier die alten Meister. Im Kunsthistorischen Museum kann man stundenlang vor denen sitzen. Es ist ja hier nicht wie im Louvre.

Die Welt: Sind Sie nicht selbst längst eine Figur wie aus einem Stück Thomas Bernhards, wenn Sie im Kunsthistorischen sitzen oder am Vormittag mit Ihrem weißen Hut auf dem Kopf mit der Straßenbahn nach Grinzing fahren?

Kirchner: So ein Hut ist doch etwas Praktisches, vor allem, wenn man eine Glatze hat. Im Winter ist es kalt und im Sommer brennt einem die Sonne auf den Kopf. Ein Hut ist doch nicht schlecht. In Wien ist noch mehr Hut als in Berlin. Ich würde mit diesem weißen Hut nicht durch Marzahn gehen wollen.

Die Welt: Wäre denn Berlin noch eine Option für Sie?

Kirchner: Ich finde Berlin ja spannend. Zwei Jahre nach dem Fall der Mauer habe ich in Wien gekündigt und bin nach Berlin gegangen, weil ich fantasiert habe, dass die Stadt so wird wie London und Paris. Ich habe aber gesehen, dass das ganz schnell eng wurde. Ich habe das Gefühl, dass sich die Berliner nicht so fürs Theater interessieren. Die haben andere Sorgen. Musik, Malerei, Galerien.

Nur echt mit Zigarette: Ignaz Kirchner
Nur echt mit Zigarette: Ignaz Kirchner
Quelle: ASAblanca/Getty Images
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Die Welt: Meinen Sie damit auch Chris Dercon, der von der bildenden Kunst kommt und der Volksbühnen-Chef wird?

Kirchner: Das ist doch jetzt genauso Mode wie das, was Matthias Lilienthal in München macht. Als ob das jetzt was Neues wäre! Wenn Lilienthal die Container aufstellt in der Stadt. Das hat Schlingensief vor zwölf Jahren hier in Wien gemacht. Also dass das jetzt das Wahre ist! Und Castorf ist doch an der Volksbühne ein toller Gegenpol zum Peymann-Theater gewesen.

Die Welt: Könnten Sie sich denn vorstellen, bei Chris Dercon zu arbeiten?

Kirchner: Ich glaube, der interessiert sich nicht fürs Theater oder für Schauspieler. Der möchte ein Gesamtkunstwerk machen. Videos, Tänzer, Popkünstler! Da werde ich doch nicht gebraucht.

Die Welt: Sind Sie denn ein Nostalgiker, der sagt: damals in Stuttgart! Damals in München! Die schöne Peymann-Zeit in Wien!

Kirchner: Wenn ich bei gewissen Gesprächen in einem Lokal den dritten Veltliner intus habe und um mich sind Menschen in meinem Alter, dann bleibe ich höflich, zahle und werfe ein Kärtchen auf den Tisch: „Nichts war früher schöner.“ Beim Theater geht es um das Hier und Jetzt. Ich merke doch, wie schwer das ist, wenn jungen Kollegen von der Schaubühne erzählt wird, was das dort mal war. Wenn von Brecht, Grüber oder Zadek erzählt wird. Ein junger Mensch langweilt sich doch da. Früher ist out.

Die Welt: Aber man steckt doch selber noch in diesen früheren Zeiten.

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Kirchner: Natürlich. Die haben ja alle Maßstäbe gesetzt. Grüber, Zadek, Tabori. Wie man einen Text liest, wie man mit der Sprache umgeht. Aber trotzdem: Ich kann die Alten nicht ertragen, die sagen, dass früher alles besser war. Ich habe jetzt drei Mal mit dem jungen Antú Romero Nunes gearbeitet. Ganz spannend! Wenn der nicht irgendwann verblödet, dann könnte das ein neuer Zadek werden.

Die Welt: Auch mit René Pollesch haben Sie’s noch versucht …

Kirchner: Das hat großen Spaß gemacht. Das ist hochintelligent, weil man das Stück gemeinsam entwickelt. Mit Pollesch immer wieder. Aber ich kenne auch Kollegen, die sagen, das ist alles Quatsch. Da diskutiere ich jetzt gar nicht mehr drüber. Man kommt ja nicht dann zu sich, wenn man sich nach alter Sitte in sich selbst versenkt, sondern wenn man sich wie einen Gegenstand betrachtet. Das ist das Pollesch-Ding.

Die Welt: Sie langweilen sich nie, auch wenn Sie mit Ihren fast siebzig schon einiges gesehen haben?

Kirchner: Nein, niemals! Ich kann noch wie ein Kind sein. Kostüme anprobieren, mich schminken, etwas ausprobieren. Spielen! Das ist doch Luxus. Und ich bekomme Geld dafür. Und Anerkennung.

Die Welt: „Man will ja nichts sagen, man redet ja nur“, sagt der Wiener. Denunziation und Selbstexkulpation fallen immer schon in eins.

Kirchner: Der Wiener macht es noch feiner. Er sagt nicht aber, sondern er sagt aber eigentlich, und das geht genau andersherum: Der Herr XY war früher bei der „NZZ“ und jetzt ist er bei der „Welt“, aber eigentlich ist er ein netter Mensch. So!

Die Welt: Die Wiener haben Ihnen einmal einen Scheißhaufen in einer Schachtel des k. u. k Hofzuckerbäckers Demel geschickt.

Kirchner: Ja, ist schon ein dickes Ding.

Die Welt: Sie haben den Wienern das verziehen?

Kirchner: Man denkt ja immer, die Wiener würden eine Entwicklung durchmachen. Als ich in die Stadt gekommen bin, war gerade die Waldheim-Affäre, und es war hier so braun, dass man’s kaum ausgehalten hat. Und dann hab ich mit der Zeit gedacht, es wird besser. Auch politisch. Aber wenn ich jetzt gerade sehe, dass sogar die SPÖ mit den Kellernazis von der FPÖ koaliert, dann wird mir doch wieder anders. Alfred Polgar hat 1926 gesagt: „Die Österreicher sind ein Volk, das mit Zuversicht in die Vergangenheit blickt.“ Mit Zuversicht!

Yorick und ich: Ignaz Kirchner auf der Bühne, 2005 in Klaus Pohls „Der Anatom“
Yorick und ich: Ignaz Kirchner auf der Bühne, 2005 in Klaus Pohls „Der Anatom“
Quelle: REUTERS

Die Welt: Der gebrochene Gegner: Das ist ja auch ein Thema Ihrer Kindheit und Jugend.

Kirchner: Och, die Kindheit!

Die Welt: Die Mutter war lesbisch, der Vater schwul. Ihre Geburt war also ein Glücksfall, wenn nicht überhaupt ein Mirakel. Und es ging weiter wie bei Strindberg. Als Sie Ihre erste Freundin nach Hause brachten, die zwölf Jahre älter war als Sie, hat Ihre Mutter Sie in die Psychiatrie gebracht.

Kirchner: Die Kindheit interessiert mich nicht mehr. Es zählt das Hier und Jetzt. Jetzt, wo wir hier sitzen, das ist es. Und wenn ich als Kind schon den Satz von Theodor Lessing, der zu meinem Lebensmotto wurde, gekannt hätte, dann wär’s mir viel besser gegangen. Der Satz lautet: „Das Leben ist die Sinngebung des Sinnlosen.“

Die Welt: Wenn überhaupt, bekommt die Kindheit aber erst nachträglich einen Sinn.

Kirchner: Natürlich. Und es ist auch ein Kampf um und gegen die Mütter. Der am Burgtheater so grandios gescheiterte Matthias Hartmann hat auch so ein Mutter-Problem. Ich habe zu ihm einmal gesagt: Du bist jetzt fünfzig, aber du hast null Selbstwertgefühl. Und deshalb bist du so überheblich zu den Menschen. Ich habe einmal beobachtet, wie ihn seine Mutter vor allen Leuten niedergemacht hat. Hartmann hatte ja eigentlich viel Glück gehabt. Das Burgtheater ist ja das tollste Spielzeug, das man sich denken kann. Und dann kommt die Mutter und macht ihn runter. Da geht es um Macht.

Die Welt: Als Sie ein junger Mann waren, hat Ihnen Ihre Mutter gedroht, dass sie stirbt, wenn Sie nicht sofort wieder zurückkommen und wieder bei ihr zu Hause einziehen. Und sie hat ernst gemacht.

Kirchner: Da muss man erst mal drüber wegkommen. Und wenn man älter ist, sagt man sich: Die hatte ja auch ein schlimmes Leben. Arme Frau! Nur damals konnte ich das nicht sagen. Da gab’s nur eins: weg hier! Ich habe mich dann sehr damit beschäftigt. Einer wie Matthias Hartmann rettet sich in die Oberflächlichkeit. So einer redet ungeheuer gern über Autos. Dicke und teure Autos. Ich hab zu Matthias Hartmann einmal gesagt: Warum fährst du eigentlich so einen popeligen Porsche? Du musst einen Bentley haben! Das hat ihn ganz verunsichert.

Die Welt: Ihre Kindheit hätte auch von Beckett erfunden worden sein können.

Kirchner: Ja, natürlich. Wawrinka, der Paris-Sieger, hat übrigens den Beckett-Satz am linken Arm eintätowiert: Scheitern. Wieder scheitern. Besser scheitern. Und besser scheitern kann ja am Ende auch ein Sieg sein.

Die Welt: Sind Sie sehr selbstkritisch?

Kirchner: Bei meiner Arbeit schon. Ich rechne mit mir selbst immer schon eine Woche vor der Premiere ab. Die Kritiken ändern daran dann nichts mehr. Eine tolle Kritik macht ja meine Arbeit nicht anders. Aber ich hatte immer wunderbare Kollegen.

Die Welt: Den kongenialen Gert Voss zum Beispiel.

Kirchner: Ja, und das war ein Zusammenspiel bis ins Physiognomische hinein. Ich bin im Wiener Café „Eiles“ einmal mit dem großen Pianisten Friedrich Gulda versackt, und der hat zu mir gesagt: Ignaz, willst du wissen, was der wahre Unterschied zwischen dir und Gert Voss ist? Ihr seid beide gleich gut, nur du bist a bissel schiacher. Ja, und das stimmt ja auch. Das hat sich sehr gut ergänzt. Wir konnten so gut miteinander lachen. Als wir gemeinsam die „Sonny Boys“ am Akademietheater gemacht haben, da haben wir uns wochenlang Komikerfilme angesehen. Jerry Lewis, Dick und Doof, Charlie Chaplin, Helge Schneider. Und wir haben absolut an den gleichen Stellen gelacht. Voss fehlt schon. Er ist ja am Tag des WM-Finales Deutschland gegen Argentinien gestorben. Das ist übrigens auch mein Geburtstag.

Wenn Sie ein Schauspieler sind wie er und nicht mehr spielen, dann ist es aus. Und wenn Schauspieler tot sind, dann sind sie tot. Von wegen Nachwelt!

Die Welt: Wie hat es mit Voss begonnen?

Kirchner: Der Erfinder dieser Konstellation war ja Zadek. Im „Kaufmann von Venedig“. Zadek hat einmal gesagt: „Ich habe den Voss als Shylock besetzt, weil der Voss könnte auch gut als Nazi durchgehen. Und der Kirchner, der könnte auch so ein Jude sein. Der spielt den Antonio.“ Voss war zwei Wochen nur sauer, aber Zadek hatte natürlich recht. Das hat gut zusammengepasst. Seltsamerweise haben wir auch nie Krach gehabt. Privat waren wir übrigens gar nicht viel zusammen, das war eine rein berufliche Sache.

Die Welt: Vielleicht wäre das gar nicht gegangen. Die Freundschaft wäre ja vielleicht auch ein Spiel wie im Theater gewesen.

Kirchner: Nein, das wäre nicht gegangen. Voss hat übrigens immer gefürchtet, dass seine Frau vor ihm stirbt. Das war ein symbiotisches Verhältnis. Und dann hat sie ihn einmal gefragt: Ja was machst du denn, wenn ich einmal tot bin? Da hat der Voss gesagt: Dann zieh ich zum Ignaz. So hat er sich das vorgestellt.

Die Welt: Und umgekehrt? Hatte Voss eine Idee, wo er nach dem Tod sein wird?

Kirchner: Da hat er sich keine Gedanken darüber gemacht, glaube ich. Jedenfalls hat er nichts dazu gesagt. Noch als es schon zu Ende ging, hat er gedacht, er würde weiterspielen. Er hat noch für den September Termine ausgemacht. Aber in Wahrheit ist es so: Wenn Sie ein Schauspieler sind wie er und nicht mehr spielen, dann ist es aus. Und wenn Schauspieler tot sind, dann sind sie tot. Von wegen Nachwelt! Höchstens drei Monate lang flicht die Nachwelt noch irgendwelche Kränze. Aus!

Die Welt: Aber durch Wien geistern doch die Seelen aller toten Burgschauspieler.

Kirchner: Als ich noch ein Kind war, habe ich mir ein Buch gewünscht. Von der Fotografin Rosemarie Clausen über das Hamburger Schauspielhaus. Ich habe mich dann extra dazu angezogen: schwarzer Rollkragenpullover, schwarze Cordhose, helle Clarks. Das hatte ich von einem Bild, auf dem der Gründgens-Schauspieler Ullrich Haupt mit Elisabeth Flickenschildt probt. Für mich war das alles sehr sportiv. Heute weiß man die Ergebnisse jedes Fußballspiels und die Tour-de-France-Sieger. Ich wusste damals, wer an welchem Theater ist.

Die Welt: Ein Panini-Album des Theaters.

Kirchner: Genau! Und wie man so sagt: Da möchte ich auch mal mitspielen. Ich habe ja Buchhändler gelernt, und ich habe mir gedacht: Du strengst dich jetzt einmal vier Jahre lang an. Und du schaust, ob du dort hinkommst, wo du hinkommen möchtest. Zu diesen Leuten. Wenn du in den vier Jahren alles gemacht hast und es hat nicht geklappt, dann ist das kein Pech mehr. Da wäre ich dann wieder in den Buchhandel gegangen. Dann wär ich sogar nach Bielefeld gegangen. Sogar nach Bielefeld!

Die Welt: Auf der Bühne waren Sie oft ein Schweiger. Die Macht des Schweigers, das war ja auch Ihr Triumph über die Rollen von Gert Voss.

Kirchner: Man kann mit dem Schweigen viel aussagen. Bei Thomas Bernhards „Elisabeth II.“ war Voss echt sauer. Er hat gesagt: Ich lerne den ganzen Scheißtext, und du stehst nur da, zuckst kurz mit den Schultern und hast damit viel mehr gesagt als ich.

Die Welt: Der große George Tabori war ja auch als Regisseur ein Schweiger. Es war die Art, seine Missstimmungen auszudrücken.

Kirchner: Zadek auch! Er hat es als Mittel eingesetzt. Er war ein Strafschweiger. Und zwar ganz taktisch. Er hat das ganze Stück durchspielen lassen und dann nur gesagt: Vielen Dank, auf Wiedersehen!

Die Welt: Zadek konnte auch brüllen.

Kirchner: Viel gefährlicher! Er hatte eine große Menschenkenntnis und konnte Menschen wirklich kaputt machen. Walter Schmidinger ist aus der Arbeit zu Zadeks berühmtem „Othello“ ausgestiegen und in die Irrenanstalt gegangen, nachdem Zadek zu ihm gesagt hatte: „Du, Walter, ich hab dich mit dem Jago besetzt, weil du doch privat auf Neger scharf bist. Würdest du das bitte jetzt einfach mal spielen?“ Man musste stark sein, um sich gegen ihn zu wehren.

Die Welt: Hat Zadek es bei Ihnen auch versucht?

Kirchner: Ja, das hat er. Aber ich bin bei einer Probe einmal zu ihm runtergesprungen in den Zuschauerraum und habe mich neben ihn gesetzt. Er hatte immer Sonnenbrillen auf. Wie ein Pokerspieler. Man hat seine Augen nicht gesehen. Die hätten ihn verraten. Ich saß also neben ihm, und da hat er gesagt: „Du, Ignaz, geht’s dir nicht gut? Läuft’s heut nicht so richtig?“ Und da habe ich zu ihm gesagt: „Ich bin so froh, dass ich mit dir als Regisseur arbeiten darf.“ Und er hat gefragt: „Warum denn?“ Ich habe ihm geantwortet: „Wenn du nicht Regisseur wärst, dann wärst du vielleicht Psychiater. Und das wäre furchtbar. Deine Patienten würden jeden Tag Elektroschocks kriegen.“ Als der Ulrich Wildgruber sich umgebracht hat, ruft mich der Zadek gleich am nächsten Morgen an und sagt: „Hast du das gehört vom Wildgruber?“ Ich sage: „Ja, furchtbar.“ Darauf er: „Und machst du’s? Übernimmst du seine Rolle, den Polonius?“ Ich sage: „Spinnst du?“ Er: „Komm, hör auf. Keine Sentimentalitäten, wir sind beim Theater!“

Die Welt: Können Sie verzeihen?

Kirchner: Man muss sich immer ausrechnen: Geben und Nehmen, hält sich das die Waage? Wenn sich’s nicht die Waage hält, steige ich aus. Dann sag ich: Das kannst du machen, mit wem du willst.

Die Welt: Halten Sie sich manchmal selbst für blöd?

Kirchner: Nö. Ich bin mir gegenüber nur manchmal ein bisschen verlogen. Oder es gibt eine gewisse Eitelkeit. Aber es lässt im Alter nach.

Die Welt: Schluss mit den Eitelkeiten?

Kirchner: Hoffentlich. Am schlimmsten ist ja der Satz: Wissen Sie eigentlich, wer ich bin? Ich schäme mich immer für den, der ihn sagt, aber man hört ihn oft. Ich bin mal in München in einem Lokal gesessen und habe den tumulthaften Nebentisch gebeten, etwas leiser zu sein. Darauf hat eine ältere Dame zu mir gesagt: „Wissen Sie überhaupt, wer ich bin? Ich bin Weltmeisterin! Ich bin die Weltmeisterin im Eiskunstlauf! Marika Kilius!“ Sag ich: „Nee, kenn ich nicht, ist doch aber schön für Sie.“ – Darauf Prost! Auf den Tod!

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