Interview: „Zecken haben Vorlieben“

Zecken übertragen das gefährliche FSME-Virus. Männer sind häufiger betroffen als Frauen und je älter ein Mensch ist, desto schwerer kann die Krankheit verlaufen - das NetDoktor-Interview

Gerhard Dobler

Dr. med. Gerhard Dobler

Dr. med. Gerhard Dobler ist langjähriger Zeckenforscher und Virologe am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München.

Herr Dr. Dobler*, Sie haben in Ihrem Leben rund 30.000 Zecken gesammelt. Wie haben wir uns Ihre Waldausflüge vorzustellen?

Ich nehme ein altes Betttuch, laufe an Waldrändern entlang und ziehe es hinter mir her. Die Zecken klammern sich an das Laken, weil sie glauben, es seien Tierhaare. Im Übergangsbereich zwischen Wald und Wiese ist die Ausbeute am größten. Im Wald selbst gibt es nämlich gar nicht so viele Zecken. Am Wochenende haben wir 250 Zecken in 90 Minuten gesammelt.

Sie testen die Zecken auf FSME-Viren, die Auslöser der Frühsommer-Meningoenzephalitis. Warum ist die Krankheit so gefährlich?

Weil es keine Behandlungsmöglichkeiten gibt. Ist FSME erst einmal ausgebrochen, nimmt sie einen schicksalhaften Verlauf. Es gibt zwei unterschiedliche Schweregrade der Erkrankung: Sie kann mild ausgeprägt sein, dann hat der Patient die Symptome einer grippalen Infektion. FSME kann aber auch das Gehirn in Mitleidenschaft ziehen und tödlich enden. Medikamentös ist die Krankheit leider bisher nicht behandelbar.

Ist die Entwicklung eines Medikaments denn so kompliziert?

Ja, denn die Viren haben sich gut an die menschlichen Zellfunktionen angepasst. Würden Sie den Erreger ausschalten, leiden die körpereigenen Zellfunktionen ebenfalls. Deswegen ist es so schwierig Therapien zu finden. In den nächsten fünf bis zehn Jahren ist kein Medikament in Sicht.

Erkrankt ein Mensch automatisch, wenn er von einer FSME infizierten Zecke gestochen wird?

Nein, 90 Prozent der Stiche bleiben ohne Folgen. Es ist unklar, ob hier nicht ausreichende Mengen an Viren übertragen werden, oder ob es sich um Viren mit geringer krankmachender Aktivität handelt.

Woher haben die Zecken das Virus überhaupt?

Die Zecken nehmen das Virus auf, wenn sie an Nagetieren wie Mäusen Blut saugen. Sie sind der natürliche Wirt. Der Mensch ist eigentlich nur ein Zufallswirt. Im negativen Sinne ist es wie ein Sechser im Lotto, wenn eine Zecke, die das Virus trägt, einen Menschen sticht. Nagetiere und Zecken erkranken nicht an FSME, den Menschen können die Viren dagegen schon etwas anhaben.

Können auch andere Tiere das Virus übertragen?

Das ist möglich, vor allem wenn Ziegen oder Kühe von infizierten Zecken gestochen werden. Sie scheiden das Virus mit der Milch aus. Wer diese unbehandelt trinkt, nimmt auch den Erreger mit auf. In Deutschland ist das aber ein sehr seltener Übertragungsweg. In östlichen Ländern wie Tschechien, der Slowakei oder dem Baltikum, kommt das schon häufiger vor. Untersuchungen in Tschechien zeigen, dass zehn Prozent der FSME-Fälle durch Milchübertragung entstehen.

Es soll Menschen geben, die besonders anfällig für Zeckenstiche sind. Suchen sich die Blutsauger ihre Opfer aus?

Wir wissen, dass manche Personen selten von Zecken befallen werden, andere dagegen sehr häufig. Die Tiere haben sicherlich Vorlieben, zum Beispiel spielt die chemische Zusammensetzung des Schweißes eine Rolle.

Männer sind eher betroffen?

Ja, Frauen erkranken nach einer Infektion seltener. Allerdings arbeiten Männer auch öfters im Wald oder auf dem Bauernhof. Auch das Alter ist ein wichtiger Faktor. Je älter ein Mensch ist, umso schwerer kann die Krankheit verlaufen. Kinder erkranken häufig milde. Jenseits des 50. Lebensjahres verläuft ein sehr hoher Anteil der FSME als schwere Erkrankung mit Lähmungserscheinungen.

Könnte ich mich nach einem Zeckenstich noch schützen?

Nein, nachträglich ist kein Schutz mehr möglich. Da müssen Sie vorher aktiv werden, zum Beispiel durch eine FSME-Impfung.

Die nehmen ja nur wenige Leute wahr, warum?

Ich glaube, dass Unkenntnis ein Grund ist. Die Leute wissen zum Teil nicht, dass es FSME und eine Impfung gibt. Manche denken, dass es immer die anderen trifft. Es könnte aber auch die Angst vor der Impfung sein.

Vor allem vor deren Nebenwirkungen. Welche können auftreten?

Es können Schmerzen am Injektionsort oder kleine Schwellungen auftreten. Auch Kopfschmerzen sind möglich. Kinder leiden manchmal unter Appetitlosigkeit. Solche Reaktionen kommen aber nur bei maximal zehn Prozent der Geimpften vor. Komplikationen sind extrem selten. Bei mehr als 20 Millionen Geimpften entwickeln fünf Personen neurologische Erkrankungen. Der Nachweis, ob die Impfung tatsächlich schuld ist, ist schwer oder gar nicht zu führen.

Herr Dr. Dobler, wir danken Ihnen sehr herzlich für das Gespräch.

Das Interview führte Janine Berdelmann.

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