Perfektionist und Lebemann

Kein anderer nichtenglischsprachiger Schauspieler hatte in Hollywood so viel Erfolg wie Maximilian Schell. Der in Wien geborene und in Zürich aufgewachsene Mime wurde einst als «Bester Schauspieler des Jahrtausends» geehrt. Nun ist er 83-jährig in Innsbruck gestorben.

Paul Kretz
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Kein anderer nichtenglischsprachiger Schauspieler hat in Hollywood so viel Erfolg gehabt wie er: der Österreicher und Schweizer Maximilian Schell. (Bild: Keystone / ap)

Kein anderer nichtenglischsprachiger Schauspieler hat in Hollywood so viel Erfolg gehabt wie er: der Österreicher und Schweizer Maximilian Schell. (Bild: Keystone / ap)

Er war ein Perfektionist, der wusste, was er wollte – und was nicht. Eben darum ist er wohl nicht zum Star der populären Allerweltsklasse geworden. «Schell»: Das darf gerne eine Note spezieller, erlesener sein – dies noch viel mehr, wenn man Maximilian und nicht Maria heisst. Geboren wurde er am 8. Dezember 1930 in Wien. Seine Mutter war die Schauspielerin Margarethe Noé von Nordberg, der eine Grossvater ein Polizeichef und Hofrat. Der Vater dagegen kam aus der Schweiz und wirkte als Schriftsteller und Dramatiker, dessen Werke gelegentlich auch im Ausland gespielt wurden, seine «Weltrevolution» sogar in New York. Richtig berühmt wurde er nicht, reich noch weniger. Bis zum Krieg lebten die Schells bald in Kärnten, bald in Wien, 1938 zogen sie nach Zürich.

Auf Umwegen zum Schauspieler

Die vier Kinder der Familie Schell wurden allesamt Schauspieler: Maria, Maximilian, Immy und Carl. Im Unterschied zu seiner Schwester Maria, die bald schon ihre kaufmännische Lehre schmiss und sich ganz dem Theater verschrieb, war der fünf Jahre jüngere Maximilian seiner Berufung so schnell nicht sicher. Lange interessierte ihn die Musik genauso wie das Theater. Selbst eine Karriere als Fussballer wäre dem GC-Nachwuchsspieler Schell denkbar gewesen. Der späteren Dürrenmatt-Gattin Charlotte Kerr gestand er einmal: «Für Musik war ich mathematisch nicht begabt genug. Auch Dirigieren, Klavierspielen und Komponieren allein wär's nicht gewesen, genau so wenig wie die Schauspielerei. Dann habe ich Kunstgeschichte studiert, sieben Semester lang. Ich sollte eine Seminararbeit schreiben über die Kathedrale von Chartres. Ich bin hingeradelt, und als ich die Kathedrale sah, fand ich den Gesamteindruck viel schöner als die Aufgabe, zu analysieren, warum sie schön war. Ich habe gespürt, dass es viel mehr Freude macht, Kunst zu machen, als Kunst zu interpretieren.»

Deutsch und Philosophie ergänzten Schells Studienprogramm. Doch das mütterliche Erbe behielt die Oberhand: Maximilian landete beim Theater. An der Basler Komödie startete er seine Bühnenlaufbahn, gleich als Dramaturg, Regisseur und Darsteller in einem. Kurze Zeit später war er an mehreren deutschen Bühnen engagiert und wurde 1959 von Gustav Gründgens nach Hamburg berufen. Dort spielte er vier Jahre später in der Abschiedsvorstellung des legendären Theatermanns einen oft zitierten Hamlet.

Von da ging der Weg in die grosse Welt. Im Londoner Royal Court Theatre agierte er erstmals auf Englisch. In Wien nahm er wenig später seine Regietätigkeit wieder auf. Und dann kam der Film. 107 Rollen von höchst unterschiedlichem Format und Gepräge hat Schell in 59 Jahren auf der Leinwand verkörpert. In «Kinder, Mütter und ein General» rangierte er 1955 noch ganz hinten auf der Darstellerliste. Nach drei Jahren war er in Dmytryks «The Young Lions» schon Partner von Marlon Brando, Montgomery Clift und Dean Martin. Und noch einmal drei Jahre später kassierte er als Verteidiger Hans Rolfe in Stanley Kramers «Judgment at Nuremberg» den Oscar als bester Darsteller. Bei den Dreharbeiten zu diesem Kinoklassiker lernte er auch Marlene Dietrich kennen, die ihn mehr als zwanzig Jahre danach zu einem ganz besonderen Experiment anregen sollte.

Internationales Flair kennzeichnet Maximilian Schell. In der Schweiz war er eher selten präsent. Immerhin spielte er 1957 im «Taxichauffeur Bänz» eine Mundartrolle. Und ein Jahr später mimte er noch einmal im Dialekt: In «Kinder der Berge», dem bis heute einzigen Spielfilm aus dem Fürstentum Liechtenstein, verkörperte er einen armen Strassenarbeiter, der von einer eigenen Kuh träumt. Bedingt schweizerisch darf man wohl auch seinen Herrn Sesemann in der TV-Version von «Heidi» aus dem Jahre 1968 interpretieren. Nicht zu vergessen: Schells Einsatz für Friedrich Dürrenmatt, der zu seinen engsten Freunden zählte. In Hans W. Geissendörfers Verfilmung von «Justiz» verkörperte Schell 1993 prägnant die Hauptrolle. Und «Der Richter und sein Henker» hat er 1976 nicht nur sachgerecht und aufwendig vor Ort inszeniert, sondern die internationale Produktion zudem auf ausdrücklichen Wunsch und unter Mitarbeit von Dürrenmatt mit einer Mundartfassung ausgestattet.

Auch im deutschen Filmschaffen war Maximilian Schell über all die Jahre bloss sporadisch anzutreffen. In den frühen achtziger Jahren äusserte er sich einmal über seine Anfänge und die Kontakte zu den jungen Filmern: «Die Situation war damals die, dass der deutsche Film Produkte hervorbrachte, die mich einfach nicht interessierten. Ich bin Schauspieler geworden, um Herausforderungen anzunehmen. Ich wollte, dass Forderungen an mich gestellt werden in der klassischen Tradition der grossen Rollen der Weltliteratur: Hamlet, Tasso, Romeo. Das war aber, soweit es den Film betraf, ein Irrtum. Die Geschichten waren belanglos, die Drehbücher kitschig, die Rollen oberflächlich. Ich sah nicht die geringste Veranlassung, in deutschen Filmen mitzuwirken, und habe deshalb nur Theater gespielt.»

Nach dem Darsteller-Oscar allerdings kamen auch die grossen Rollen. Maximilian Schell war K in Nöltes «Das Schloss», Hanson in «Krakatoa», der Vater im «Tagebuch der Anne Frank», ein grossartiger Professor Malter in «The Chosen» und Peter der Grosse im gleichnamigen TV-Mehrteiler. Bei den Dreharbeiten zu dieser Produktion hat der attraktive Mann, der lange Zeit ein gefragter Junggeselle war, seine russische Gattin Natalija kennengelernt, mit der er eine gemeinsame Tochter hat. 2005 liess sich das Paar scheiden. Erst im vergangenen August heiratete Schell die deutsch-kroatische Sängerin Iva Mihanovic.

Ton-Film für eine Diva

Gelegentlich führte Schell auch Regie, immer in ungewöhnlichen Produktionen, meist nach grossen Vorlagen. Sein Debüt «Erste Liebe» basierte auf Turgenjew, «Ansichten eines Clowns» auf Böll, «Geschichten aus dem Wienerwald» auf Horváth. Zu «Der Fussgänger» schrieb er selbst das Drehbuch. Und mit «Marlene» schuf er einen Dokumentarfilm der ganz speziellen Art. Es wurde ein Ton-Film im wörtlichsten Sinne. 17 Stunden lang sprach Schell mit der 81-jährigen Diva in ihrer Pariser Wohnung, durfte aber dabei keinen einzigen Meter Film belichten. Das ungewöhnliche Werk, illustriert mit Filmausschnitten, Bildern und Dokumenten aus vergangenen Tagen, wurde für den Oscar nominiert.

Im Jahre 2000 erlitt Maximilian Schell am Filmfestival von Riga einen Zusammenbruch: Pankreatitis war der besorgniserregende Befund. Der Alpöhi in der grossen neuen «Heidi»-Verfilmung, eine Schweizer Produktion, musste aus dem Auftragsbuch gestrichen werden. Im selben Jahr entstand auch der experimentelle deutsche Spielfilm «Fisimatenten» von Jochen Kuhn, doch Schells Rolle darin, die des eigenwilligen Galeristen Poser, sollte keineswegs seine letzte sein. Zahlreiche Fernsehproduktionen schlossen sich an, bevor er 2008 auch wieder in einem Kinofilm auftrat, der Gaunerkomödie «The Brothers Bloom», und ein Jahr später in dem Thriller «Flores negras». Seine letzte Rolle spielte er in der luxemburgischen Produktion «Les brigands», die sich derzeit noch in der Postproduktion befindet.

Maximilian Schell, am Filmfestival Riga einst als «Bester Schauspieler des Jahrtausends» geehrt, ist in der Nacht auf Samstag im Alter von 83 Jahren in Innsbruck gestorben.

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